Forschungsbericht 2015 - Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation

Flüssige Benetzungsfronten in porösen Medien

Autoren
Herminghaus, Stephan
Abteilungen
Dynamik komplexer Fluide
Zusammenfassung
Beim Eindringen von Flüssigkeiten in porösen Medien entstehen komplizierte Strukturen, deren Erklärung ein hochrelevantes Problem für viele Bereiche der Geowissenschaften, der Verfahrenstechnik und des täglichen Lebens ist. Dennoch haben rund fünfzig Jahre intensiver Forschung nicht die Mechanismen aufklären können, die für die Entstehung dieser Strukturen verantwortlich sind. Wir haben herausgefunden, dass des Rätsels Lösung viel einfacher ist als gedacht. Der Mechanismus ist gut versteckt, aber so simpel, dass man die wichtigsten Größen mittels Schulmathematik berechnen kann.

Haben Sie schon einmal einen Keks in ihren Kaffee getaucht? Dann kennen Sie sicher die dunkle Front, die von der Kaffeeoberfläche in der Tasse langsam den Keks nach oben wandert, wenn sich dieser mit Flüssigkeit voll saugt, und die nach und nach immer rauer und kurvenreicher wird, je weiter sie nach oben gelangt. Ihre genaue Form hängt von Details ab – wie fein z. B. der Zucker gemahlen war, aus dem er gebacken wurde –, aber die grobe Struktur ist immer gleich. Ähnlich sieht die Grenze zwischen nassen und trockenen Bereichen im Boden aus, wenn nach langer Trockenheit ein Regenguss niedergeht und die Erde tränkt, oder wenn die nasse Erde dann wieder trocknet, sodass von oben eine Trocknungsfront im Boden nach unten wandert.

Solche flüssigen Invasionsfronten sehen immer recht ähnlich aus. Es gibt nur subtile Unterschiede zwischen ein paar Unterklassen, ob die Front z. B. durch Kapillaraszension von alleine eindringt, wie oben der Kaffee in den Keks, oder ob sie unter Druck eingepresst wird, wie etwa bei der Rohölförderung, wo man das im porösen Gestein sitzende Öl mit von außen eingepresstem Wasser austreibt. Im großen Ganzen verhalten sich solche Benetzungsfronten universell, d. h. sie sehen immer in etwa gleich aus, egal um welche Materialien und um welches System es sich im Einzelfall handelt. Es scheint dabei für die Gestalt der Invasionsfront eigentlich nur ein Parameter wesentlich zu sein: wie gut die eindringende Flüssigkeit (oder bei Trocknungsprozessen die Gasphase) die poröse Matrix benetzt.

Seit gut einem halben Jahrhundert suchen Ingenieure und Physiker nach den entscheidenden Mechanismen, die die Form dieser Invasionsfronten bestimmen. Hier gibt es viele Kandidaten. Zum Beispiel haben die beiden fluiden Phasen (zwei unterschiedliche Flüssigkeiten oder eine Flüssigkeit und eine Gasphase) meist stark unterschiedliche Viskosität. Wenn nun die eindringende Phase weniger zäh ist als die verdrängte, tritt die sogenannte Saffmann-Taylor-Instabilität auf: Jede einmal entstandene Delle in der Grenzfläche wird exponentiell wachsen, die Grenzfläche wird ganz von alleine sehr rau. Eine andere Möglichkeit besteht darin, dass es der generell stochastische Charakter poröser Medien selbst ist, der die Form der Grenzfläche so unregelmäßig gestaltet. Diese und noch einige andere Mechanismen wurden intensiv untersucht, ohne dass sich je ein schlüssiges Bild ergeben hätte.

Den Schlüssel fanden wir bei der Lektüre einer Arbeit, die bereits über 25 Jahre alt ist. M. Cieplak und M. O. Robbins hatten mit den damals noch wenig leistungsfähigen Computern versucht, die Invasion einer flüssigen Front in ein poröses Material zu simulieren [1]. Dreidimensionale Simulationen waren jenseits aller Möglichkeiten und so betrachteten sie ein zweidimensionales Modell einer granularen Packung: Kreisscheiben, die kugelförmige Körner (etwa eines porösen Sandsteins) darstellen sollten, setzten sie mit den Mittelpunkten auf ein regelmäßiges Dreiecksgitter. Die Radien variierten von Scheibe zu Scheibe zufällig innerhalb eines gewissen Bereichs, um den stochastischen Charakter der granularen Packung grob abzubilden. Die Radien waren so bemessen, dass zwischen benachbarten Scheiben immer noch etwas Platz war, damit die Flüssigkeit hindurchtreten konnte, die Probe also permeabel war. Die Autoren wollten wissen, welchen Einfluss die Benetzbarkeit des porösen Materials auf die Morphologie der eindringenden Front hatte.

Das Ergebnis war kurios: Wenn die eindringende Flüssigkeit das Material perfekt benetzte, der Kontaktwinkel, den die Flüssigkeit mit den Kreisscheiben bildete also null Grad betrug, blieb die Front recht glatt. Sie blieb es auch zunächst, wenn man den Kontaktwinkel erhöhte. Sobald dieser aber einen bestimmten kritischen Wert überschritt, wurde die Front plötzlich sehr rau! Sie blieb dies auch, wenn der Kontaktwinkel weiter erhöht wurde, bis hin zur völligen Nichtbenetzung (Kontaktwinkel von 180 Grad). Dieses Resultat war recht ermutigend, denn wenn auch noch niemand systematisch die Kontaktwinkelabhängigkeit studiert hatte, so kannte man doch zwei Stützstellen: Bei perfekter Benetzung (etwa beim sich Vollsaugen des Kekses mit Kaffee) bleibt die Front, bei aller Kurvigkeit, relativ glatt, während beim Eindringen einer nicht benetzenden Phase (etwa beim Trocknen einer nassen Sandprobe) eine extrem raue Front resultiert [2].

Cieplak und Robbins untersuchten diesen recht scharfen Übergang bei mittleren Kontaktwinkeln genauer und fanden bald den Grund für dieses Phänomen. Wenn man die flüssige Oberfläche auf mikroskopischer Skala verfolgt, wie sie in den Zwischenraum zwischen benachbarten Scheiben eindringt, und dabei ihre Krümmung beobachtet, so gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten. Diese Krümmung kann stets anwachsen, bis die flüssige Oberfläche die gegenüberliegende Wand der „Pore” (hier: die nächste Kreisscheibe) erreicht; dies ist bei kleinen Kontaktwinkeln der Fall. Oder aber die Krümmung geht durch ein Maximum und fällt dann über eine gewisse Strecke ab, bevor sie die nächste Kreisscheibe erreicht. Da die Krümmung den (Laplace-) Druck in der Flüssigkeit an der betreffenden Stelle bestimmt, birgt diese zweite Situation eine Instabilität: Je weiter die Oberfläche in die Pore dringt, ein desto geringerer Druck stellt sich ihr entgegen, sie beschleunigt also, springt regelrecht in die Pore hinein. Es stellte sich heraus, dass das Auftreten dieser Sprünge (sogenannte Haynes-Sprünge) genau mit dem Kontaktwinkel zusammenfiel, ab dem die Front rau wurde.

Nun muss man diese Ergebnisse aber sehr vorsichtig interpretieren. Das zweidimensionale „poröse Medium”, das die Autoren studiert hatten, war schon sehr exotisch konstruiert. Immerhin gibt es in zwei Dimensionen überhaupt kein permeables festes Material (wären die durch Kreisscheiben dargestellten „Körner” in Kontakt, wäre es ja nicht permeabel). Zudem war unklar, inwieweit ein Schluss von diesem einfachen Modellsystem auf eine tatsächliche dreidimensionale granulare Packung mit ihrer inhärenten Stochastizität zulässig sein könnte. Simulationen in drei Dimensionen (die nötig gewesen wären, um dies zu entscheiden) waren unmöglich; sie wären sogar noch heute eine Herausforderung.

Der entscheidende Schritt hin zur Lösung war die Einsicht, dass das Problem, geht man es nicht numerisch sondern analytisch an, in drei Dimensionen sogar zugänglicher ist als in zweien. Ein aus einer dichten Kugelpackung bestehendes poröses Medium ist nämlich immer permeabel, auch wenn die Kugeln in gegenseitigem Kontakt stehen. Man muss also keine künstliche Stochastizität einführen, da diese einer dichten Zufallspackung ohnehin eigen ist, d. h. man kann lauter gleich große Kugeln betrachten. Die typische Porengestalt ist in diesem Falle der Zwickel zwischen vier Kugeln in gegenseitigem Kontakt (tetraedrische Pore). Es ist nun nicht mehr als Schulmathematik nötig um zu berechnen, wie sich die Krümmung einer in die Pore eindringenden flüssigen Oberfläche auf ihrem Weg ändert. Man kann daher auch den Kontaktwinkel bestimmen, ab dem diese Krümmung nicht mehr monoton steigt, sondern nach Durchlaufen eines Maximums wieder abfällt, bevor sie die gegenüberliegende Kugeloberfläche erreicht (sodass also ein Haynes-Sprung entsteht). Unter der nahe liegenden Hypothese, dass es auch in drei Dimensionen diese Haynes-Sprünge sind, die die Front aufrauen, können wir nun ausrechnen, ab welchem Kontaktwinkel eine raue Front auftreten sollte.

Im Detail ist diese Rechnung noch etwas komplexer, weil es mehrere Richtungen gibt, aus denen eine Flüssigkeit in eine Pore eindringen kann. Auch sind nicht alle tetraeder-artigen Kugelanordnungen in einer Zufallsschüttung ideal, da manche Kugel-Kugel-„Kontakte” nicht geschlossen sind. Auch für solche nicht-idealen Konfigurationen kann man aber analytisch die kritischen Kontaktwinkel berechnen, ab denen Haynes-Sprünge auftreten. Durch Faltung mit der bekannten Verteilung der Nahordnungsgeometrien in Zufalls-Kugelschüttungen bekommt man dann eine quantitative Vorhersage der Wahrscheinlichkeit von Haynes-Sprüngen als Funktion des Kontaktwinkels (Abb. 1). Und in der Tat sieht man auch hier das bereits im zweidimensionalen, groben Modell gefundene Phänomen: Für kleine Kontaktwinkel treten keine Sprünge auf (glatte Invasionsfront), aber bei einem recht genau definierten Winkel um etwa 105 Grad steigt die Wahrscheinlichkeit für diese Sprünge drastisch an, um dann für Winkel oberhalb 120 Grad etwa konstant nahe eins zu bleiben (raue Front).

Mithilfe einiger quantitativer Ergebnisse zu den flüssigen Morphologien in benetzten granularen Schüttungen, die wir in vergangenen Jahren erzielt hatten [3], konnten wir eine wichtige Größe vorhersagen: die nach der Invasion noch zurückbleibende (residuale) Sättigung mit der ausgetriebenen Phase. Diese Größe ist z. B. in der Ölförderung von zentralem Interesse, weil sie angibt, wie viel Rohöl nach der Flutung noch im Gestein verbleiben wird. Die residuale Sättigung sollte in etwa proportional zur Wahrscheinlichkeit der Haynes-Sprünge sein und bei voll aufgerauter Front ca. 12% des Porenvolumens betragen.

Wie gut dies mit unseren Experimenten übereinstimmt, ist in Abbildung 2 gezeigt. Hier sind zunächst zwei Röntgentomogramme von flüssigen Fronten zu sehen, die in Kugelschüttungen eindringen. Der Kontaktwinkel ist nur um einige Grad verschieden, aber die Frontmorphologien unterscheiden sich drastisch, da der eine Kontaktwinkel (a) unterhalb, der andere (b) oberhalb des Übergangs liegt. Im Diagramm ganz rechts ist die residuale Sättigung der Probe mit der (nominell) ausgetriebenen (Öl-) Phase aufgetragen. Die oben auf der Basis des von Cieplak und Robbins gefundenen Mechanismus berechnete, durchgezogene Kurve beschreibt die Daten offenbar quantitativ sehr gut.

Wir stellen also fest, dass wir die fluide Invasion in poröse Medien, wie etwa granulare Schüttungen, gut allein über den Mechanismus der Haynes-Sprünge und ihrer Abhängigkeit von der Benetzbarkeit der Probe beschreiben können. Insbesondere müssen keinerlei genuin-dynamischen Prozesse als wesentlich angenommen werden, wie etwa die Saffmann-Taylor-Instabilität. Wir erhoffen uns von diesem Ergebnis völlig neue und erheblich aussagekräftigere Methoden zur Beschreibung der fluiden Invasion auch komplexerer Geometrien, wie stark diagenetisierte Sandsteine, Filtermedien, oder Böden. Vielleicht sogar Kekse!

Literaturhinweise

Cieplak, M.; Robbins, M. O.
Influence of Contact Angle on Quasistatic Fluid Invasion of Porous Media
Physical Review B 41, 11508–11521 (1990)
Xu, L.; Davies, S.; Schofield, A. B.; Weitz, D.
Dynamics of Drying in 3D Porous Media
Physical Review Letters 101, 094502 (2008)
Scheel, M.; Seemann, R.; Brinkmann, M.; Di Michiel, M.; Sheppard, A.; Breidenbach, B.; Herminghaus, S.
Morphological Clues to Wet Granular Pile Stability
Nature Materials 7, 189–193 (2008)
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