Forschungsbericht 2015 - Max-Planck-Institut für Quantenoptik

Aufregende Atome mit Mesonen und Antiprotonen

Exciting atoms containing mesons and antiprotons

Autoren
Hori, Masaki
Abteilungen
Forschungsgruppe „Antimatter Spectroscopy”
Zusammenfassung
Mesonen sind aus zwei Quarks aufgebaute Elementarteilchen; sie sind instabil mit Lebensdauern von einer milliardstel Sekunde oder weniger. Seit 2014 stellen MPQ-Wissenschaftler an Teilchenbeschleunigern des Paul Scherrer Instituts künstliche Atome her, die solche Mesonen enthalten: Hier kreisen ein Elektron und Pi-Meson um den Kern von Heliumatomen. Erstmals wurde mittels Anregung solcher Atome durch Infrarotstrahlung die Masse des Pions mit hoher Genauigkeit spektroskopisch bestimmt. Am CERN wurde in entsprechender Weise die Masse des Antiprotons relativ zur Elektronenmasse gemessen.
Summary
Mesons are made of two quarks; they are highly unstable forms of matter, surviving for around a billionth of a second or less. Since 2014, researchers at the MPQ have used particle accelerators located at the Paul Scherrer Institute to synthesize artificial atoms that contain these mesons: here a pion and an electron orbit the nucleus of helium atoms. For the first time, the pion mass was determined by spectroscopy with infrared laser light with a very high precision. Likewise the mass of the antiproton relative to the mass of the electron was measured with high precision at CERN.

Künstliche Atome, die Mesonen enthalten

Der Kern im Zentrum der Atome besteht aus Protonen und Neutronen, die sich wiederum aus drei noch kleineren Teilchen, den Quarks, zusammensetzen. Protonen und Neutronen sind ein Beispiel für stabile Formen von Materie, d. h. sie zerfallen nicht, wandeln sich also nicht spontan in andere Teilchen um. Nur deshalb ist unser Alltagsleben überhaupt möglich.

Bei Mesonen hingegen handelt es sich um eine andere Teilchenklasse. Sie werden in der Natur erzeugt, z. B. wenn kosmische Strahlen in die obere Schicht der Atmosphäre eindringen. Allerdings können sie nur für sehr kurze Zeiten, Milliardstel einer Sekunde, existieren. Aus diesem Grund zerfallen die meisten von ihnen, bevor sie auf der Erde eintreffen, auch wenn sich einige wenige auf hohen Berggipfeln nachweisen lassen.

Die Existenz von Mesonen wurde 1935 theoretisch vorhergesagt, und zwar als Teilchen, die für die Übermittlung der starken Kernkraft verantwortlich sind [1]. Auf bizarre Weise tauchen sie im Atomkern für infinitesimale Zeitspannen auf, um Protonen und Neutronen zusammenzuhalten, bevor sie wieder verschwinden. Ohne diese Kraft würden sich die elektrisch positiv geladenen Protonen gegenseitig abstoßen, sodass Kerne auseinanderfallen würden und stabile Materie, wie wir sie kennen, nicht existieren könnte. Bislang sind 140 verschiedene Mesonen in Laborexperimenten entdeckt worden. Darunter ist das Pi-Meson, auch Pion genannt, mit einem Siebtel der Protonmasse das leichteste. Das Pion ist auch das erste Meson, das experimentell nachgewiesen wurde, in Messungen, die ein Forscherteam 1947 in den Pyrenäen und in den Anden durchführte [2].

2013 schlugen Forscher des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik (MPQ) ein Experiment vor [3], wonach künstliche Atome, die Pionen enthalten, synthetisiert werden sollten. Ein gewöhnliches Heliumatom besteht aus einem Atomkern und zwei Elektronen, in dessen Orbit. Bei metastabilem pionischen Helium handelt es sich um ein exotisches Atom, in dem eines der beiden Elektronen durch ein negativ geladenes Pion ersetzt wurde. Seine Existenz wurde zwar in den 60er Jahren theoretisch vorhergesagt, doch blieb sie bislang rein hypothetisch. Verschiedene Experimente, die in den USA, der Sowjetunion und Kanada durchgeführt wurden, schienen die Existenz nahe zu legen, doch fehlte bislang noch der direkte experimentelle Nachweis. In dem neuen Experiment wurde zunächst am Ring-Zyklotron des Paul Scherrer Instituts (PSI) in Villigen (Schweiz) ein Pionenstrahl erzeugt. Die Pionen wurden anschließend in supraflüssigem Helium bei Temperaturen von minus 271 Grad Celsius gestoppt. Man nimmt an, dass negativ geladene Pionen spontan den Platz eines Elektrons in normalen Heliumatomen einnehmen, wodurch metastabiles pionisches Helium synthetisiert wird.

Der entscheidende Trick des neuen Experiments ist eine Methode, wonach derart produzierte pionische Heliumatome zweifelsfrei identifiziert werden, indem das Pion im Orbit des Heliumkerns mit leistungsstarken Laserpulsen angeregt wird, entsprechend der als Laserspektroskopie bekannten Technik. Ähnliche Methoden sind z. B. bei industriellen Anwendungen weit verbreitet, wo geringste Mengen von Atomen in Gasproben nachgewiesen werden, indem man sie mit Laserlicht beleuchtet. Die Atome, die von Interesse sind, werden identifiziert, wenn man den Laser auf ihre charakteristischen Frequenzen abstimmt. Dadurch regt man sie an und erhält ihren „Fingerabdruck”. Sollte das vorgeschlagene Experiment erfolgreich sein, so liefert es die Evidenz für die Existenz von metastabilem pionischen Helium. Darüber hinaus würde es den Wissenschaftlern erstmals erlauben, mit Laserlicht den Quantenzustand eines Mesons im Orbit eines Atomkerns zu kontrollieren.

Bei Erfolg würde dieses Experiment auch eine genaue Messung der Pionmasse liefern, die aus der charakteristischen Frequenz des atomaren Übergangs abgeleitet werden kann. Die Pionmasse ist interessant, weil das Pion das leichteste und stabilste Meson ist, und seine Masse Einfluss auf viele andere Präzisionsexperimente hat. So kann das Pion zum Beispiel in ein Myon und ein Myon-Neutrino zerfallen. Die Masse des Myon-Neutrinos ist nur sehr schwer zu bestimmen, aber eine obere Grenze kann aus einem Vergleich von Myon- und Pion-Masse abgeleitet werden.

Eine kleine internationale Kooperation mit Namen PiHe und dem MPQ als Hauptbeitragendem, hat ein solches Experiment am PSI aufgebaut und 2015 erste Messungen durchgeführt. Dabei wurde ein spezieller Laser, ein „optischer parametrischer Generator” (OPG) benutzt, um Hochleistungslaserpulse mit Spitzenleistungen von mehr als 10 Megawatt zu erzeugen. Diese Pulse wurden auf die pionischen Heliumatome geschossen. Wenn der Laser genau auf die charakteristische Frequenz des Atoms eingestellt war, hüpfte das Pion von einer Bahn auf eine andere und fiel anschließend in den Atomkern hinein, wodurch der Kern auseinander fiel. Die aus diesem Zerfall hervorgehenden Bruchstücke – vorwiegend Neutronen und Protonen – wurden mit Detektoren, die um das Target aus flüssigem Helium angeordnet wurden, nachgewiesen. Die Ergebnisse sind vielversprechend, und die Daten werden z. Z. analysiert.

Künstliche Atome mit Antiprotonen

Nach den Konzepten moderner kosmologischer Modelle war das Universum am Anfang, kurz nach dem Urknall, mit Energie vorwiegend in Form von Strahlung erfüllt. Während es sich ausdehnte und abkühlte, wandelte sich ein Teil der Strahlungsenergie in Materie um. Im Laborexperiment lassen sich ebenfalls Materieteilchen aus Energie erzeugen, jedoch nur paarweise mit ihren zugehörigen Antiteilchen. Antiteilchen haben grundsätzlich dieselbe Masse und die entgegengesetzte elektrische Ladung wie ihre Teilchengegenstücke. Das Antiproton beispielsweise hat die Ladung minus eins und wiegt exakt dasselbe (zumindest nimmt man das an) wie das Proton mit der Ladung plus eins. Bei Kontakt vernichten sich Teilchen und Antiteilchen gegenseitig, sie „annihilieren”, dabei werden augenblicklich Energie sowie neue Teilchen freigesetzt.

Die Physiker glauben, dass Vorgänge in der Natur einer fundamentalen Symmetrie unterworfen sind, die sogenannte CPT (Ladungskonjugation, Raumspiegelung und Zeitumkehr) Invarianz. Diese postuliert, dass eine Antiwelt, in der das Vorzeichen aller Ladungen auf Teilchenebene verdreht, rechts und links gespiegelt und überdies der Fluss der Zeit umgekehrt wurde, von unserer Welt ununterscheidbar ist. Atome aus Antimaterie müssten demnach präzise dasselbe wiegen wie ihre materiellen Gegenstücke und auch mit exakt denselben charakteristischen Frequenzen bei Bestrahlung mit Laserlicht schwingen. Könnte experimentell ein noch so kleiner Unterschied zwischen Materie und Antimaterie festgestellt werden, so würde dies nahelegen, dass die fundamentale CPT Symmetrie gebrochen ist.

Metastabiles antiprotonisches Helium ist ein Cousin des im vorigen Abschnitt beschriebenen pionischen Atoms. Hier befindet sich im Orbit des Heliumatomkerns neben einem Elektron ein Antiproton. Dieses Antiproton kann den Kern Milliarden Mal umrunden ohne zu zerstrahlen, weil es einen zwar kleinen, aber von Null verschiedenen Abstand von 100 Pikometern (10-10 m) zum Heliumkern hat. Wie im Fall des pionischen Atoms kann die Masse des Antiprotons mit hoher Genauigkeit bestimmt werden, indem man die charakteristischen Frequenzen des Atoms laserspektroskopisch bestimmt.

Das Experiment wurde am „Antiproton Decelerator” (Antiprotonen Verlangsamer) des CERN in Genf (Schweiz) ausgeführt, welcher einen Antiprotonenstrahl bereitstellt. Dieser wurde in einem Heliumgastarget gestoppt, wodurch antiprotonische Heliumatome synthetisiert wurden. Ein ernsthaftes Hindernis für das Erzielen höchster Präzision rührt daher, dass die antiprotonischen Heliumatome, genauso wie normale Atome, entsprechend ihrer Temperatur Zufallsbewegungen ausführen. Atome, die sich auf den Laser zu bewegen, erfahren eine „Blau-Verschiebung” ihrer Frequenz, während solche, die sich von ihm weg bewegen, eine „Rot-Verschiebung” erfahren. Ein ähnliches Phänomen ist die Änderung der Tonhöhe der Sirene eines Polizeiwagens, der an einem vorbeifährt. Dieser Dopplereffekt führt zu einer prinzipiellen Ungenauigkeit der Frequenzmessungen. Um diese Grenze zu überwinden, wurde eine spezielle Technik verwendet, bei der die Atome gleichzeitig von zwei gegeneinander laufenden Laserstrahlen beleuchtet wurden [4, 5]. Die Rot-Verschiebung bezogen auf den einen Strahl wurde so zum Teil durch eine entsprechende Blau-Verschiebung in dem anderen aufgehoben. Damit gelang es, die charakteristischen Frequenzen mit viel höherer Genauigkeit als vorher zu bestimmen. Aus dem Vergleich der experimentellen Ergebnisse mit theoretischen Berechnungen wurde die Masse des Antiprotons (Mpbar) im Verhältnis zur Masse des Elektrons (me) ermittelt als [4]

Mpbar / me = 1.836,1526736(23).

2014 bestimmte eine Kooperation aus Wissenschaftlern der Universiät Mainz, dem Max-Planck-Institut für Kernphysik (MPIK, Heidelberg) und der Gesellschaft für Schwerionenforschung (GSI, Darmstadt) das Verhältnis der Proton- zu Elektronmasse mit noch größerer Genauigkeit, indem sie die charakteristischen Schwingungsfrequenzen eines Wasserstoff-ähnlichen Kohlenstoffions in einer magnetischen Penning-Falle bestimmte [6].

Mp / me = 1.836,15267377(17)

Die Werte der Proton- und Antiprotonmasse sind im Rahmen der hier erreichten Genauigkeiten identisch und somit konsistent mit den Vorhersagen der CPT Symmetrie. Derzeit werden Messungen mit noch höherer Präzision ausgeführt, die Ergebnisse werden voraussichtlich bald veröffentlicht.

Literaturhinweise

Yukawa, H.
On the Interaction of elementary particles
Proceedings of the Physico-Mathematical Society of Japan 17, 48–57 (1935)
Lattes, C. M. G.; Occhialini, G. P. S.; Powell, C. F.
Observation on the Tracks of Slow Mesons in Photographic Emulsions
Nature 160, 453–456 (1947)
Hori, M.; Sótér, A.; Korobov, V. I.
Proposed method for laser spectroscopy of pionic helium atoms to determine the charged-pion mass
Physical Review A 89, 042515 (2014)
Hori, M.; Sótér, A.; Barna, D.; Dax, A.; Hayano, R.; Friedreich, S.; Juhász, B.; Pask, T.; Widmann, E.; Horváth, D.; Venturelli, L.; Zurlo, N.
Two-photon laser spectroscopy of antiprotonic helium and the antiproton-to-electron mass ratio
Nature 475, 484–488 (2011)
Hori, M.; Dax, A.; Eades, J.; Gomikawa, K.; Hayano, R. S.; Ono, N.; Pirkl, W.; Widmann, E.; Torii, H. A.; Juhász, B.; Barna, D.; Horváth, D.
Determination of the antiproton-to-electron mass ratio by precision laser spectroscopy of antiprotonic helium
Physical Review Letters 96, 243401 (2006)
Sturm, S.; Köhler, F.; Zatorski, J.; Wagner, A.; Harman, Z.; Werth, G.; Quint, W.; Keitel, C. H.; Blaum, K.
High-precision measurement of the atomic mass of the electron
Nature 506, 467–470 (2014)
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