Frieden – Europas vielstimmiges Versprechen

Brüssel ist in vielen Politikbereichen richtungsweisend. Doch in der europäischen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik geben die Mitgliedsstaaten den Ton an – und nicht die EU. Bei internationalen Friedensgesprächen oder Krisentreffen, wie etwa jüngst im Fall der Ukraine, sind nationale Außenminister und nicht die EU-Außenbeauftragte federführend. Angesichts der Herausforderungen für Frieden und Sicherheit in Europa ist dieses Muster, so meint unsere Autorin, jedoch überholt: Es wäre für die Mitgliedsstaaten an der Zeit, gemeinsam zu handeln.

von Carolyn Moser; in: MaxPlanckForschung 1/15

Die Kämpfe in der Ukraine waren ein Schock für die meisten EU-Bürger, von denen viele ihr Leben fern von Krieg verbringen durften. Der stabile, lang andauernde Frieden in Europa, einem vormals von bewaffneten Konflikten gebeutelten Kontinent, ist weitgehend dem europäischen Integrationsprozess zu verdanken. Dieser hat das jahrhundertelang vorherrschende Paradigma umgekehrt, wonach Frieden eine seltene Abweichung von Krieg bedeutete. Heute ist Frieden in Europa zur Regel geworden, militärische Gewalt die Ausnahme. 

Die Tatsache, dass das Projekt Europa – trotz seiner Mängel – eine friedliche Einheit demokratischer Staaten geschaffen hat, die auf Rechtsstaatlichkeit und der Achtung der Menschenrechte fußt, scheint in der öffentlichen Wahrnehmung in Vergessenheit zu geraten. Doch auch wenn die Finanzkrise mit ihren fatalen sozioökonomischen Auswirkungen den Zusammenhalt innerhalb der Europäischen Union geschwächt hat, bleibt ein Krieg zwischen EU-Mitgliedsstaaten undenkbar.

Für diese Errungenschaft wurde der Europäischen Union im Jahr 2012 der Friedensnobelpreis verliehen – die Entscheidung der Jury kann auch als ein freundlicher Hinweis an Brüssel verstanden werden, den (sozialen) Frieden in Zeiten zunehmender interner Spannungen zu wahren. Bei der Entgegennahme des Preises beschrieb der damalige Präsident des Europäischen Rates, Herman Van Rompuy, die europäische Lage so: „Frieden ist nunmehr selbstverständlich. Krieg ist unvorstellbar.“ Doch er fügte auch warnende Worte hinzu, die mit Blick auf die Ukrainekrise an Bedeutung gewinnen: „Allerdings bedeutet ‚unvorstellbar‘ nicht ‚unmöglich‘. Deshalb sind wir heute an diesem Ort zusammengekommen. Europa muss sein Friedensversprechen halten.“

Das ist keine leichte Aufgabe. Denn Frieden ist mehr als die bloße Abwesenheit von Krieg. Darüber hinaus hängt Frieden von internen und externen Entwicklungen ab, die oft miteinander verflochten sind. In letzter Zeit wurde wiederholt deutlich, wie äußere oder von außen beeinflusste Ereignisse auf die EU und ihre Mitgliedsstaaten einwirken.

Die Charlie Hebdo-Angriffe in Paris, an denen transnational agierende terroristische Vereinigungen beteiligt waren, sind uns deutlich in Erinnerung. Wir wurden auch Zeuge von Bürgerkriegen in Libyen und Syrien, die zu einem erheblichen Anstieg von Asylsuchenden in Europa führen. Derzeit sieht sich die EU zudem mit Krieg in einem Land konfrontiert, das an mehrere Mitgliedsstaaten grenzt: die Ukraine.

Dies macht deutlich, dass Frieden in und um Europa nicht selbstverständlich ist und dass Europa vor vielfältigen Herausforderungen für seine Sicherheit steht. Daher ist es an der Zeit, dass die EU-Mitgliedsstaaten ihren Zusammenhalt in auswärtigem Handeln sowie in sicherheits- und verteidigungspolitischen Angelegenheiten stärken. Für den Leser mag dies auf der Hand liegen, doch es entspricht nicht der Realität.

3000 Soldaten und Experten sind in fünf Militäreinsätzen aktiv

Entgegen dem EU-Motto „In Vielfalt geeint” sind bei außen-, sicherheits- und verteidigungspolitischen Themen mehr Misstöne als Gleichklänge zwischen den Mitgliedsstaaten zu hören. Ein abgestimmtes auswärtiges Vorgehen und ein starkes internationales Auftreten der EU würden sicherlich dazu beitragen, aktuelle und künftige Bedrohungen für Stabilität und Frieden in Europa besser zu bewältigen.

Die Mitgliedsstaaten können hier auf bereits Erreichtem aufbauen. Denn die Europäische Union wurde sukzessive mit einer Sicherheits- und Verteidigungsdimension ausgestattet, die schon jetzt eine Vielzahl von EU-geführten zivilen Missionen und militärischen Auslandseinsätzen ermöglicht.

Seit 2003 wurden Tausende zivile Experten sowie Militärangehörige – Richter, Polizisten, Infanterie- und Marinesoldaten sowie Offiziere oder militärische Beobachter – unter EU-Flagge entsandt, um sich am Stabilisierungsprozess krisengeschüttelter Länder oder Regionen zu beteiligen. Aktuell sind rund 3000 zivile Fachleute in zwölf zivilen Missionen und weitere 3000 Soldaten und Militärexperten in fünf Militäreinsätzen aktiv.

Vor ein, zwei Jahrzehnten hätten nur entschiedene Optimisten solche gemeinsamen externen Aktivitäten für möglich gehalten. Denn nachdem die Europäische Verteidigungsgemeinschaft – ein ambitioniertes Projekt mit dem Ziel, eine europäische Armee zu errichten – im Jahr 1954 gescheitert war, legten die Mitgliedsstaaten ein langsameres Tempo vor, um ihre Integrationsbemühungen bei außen-, sicherheits- und verteidigungspolitischen Fragen voranzutreiben.

Informelle Konsultationen schufen das Fundament für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), die 1993 mit dem Vertrag von Maastricht festgeschrieben wurde. Sechs Jahre später führte der Vertrag von Amsterdam die Position des Hohen Vertreters der EU für Außen- und Sicherheitspolitik ein – als Erster hatte Javier Solana dieses Amt inne.

Im Zuge der Kosovokrise – in der es den europäi-schen Nationen nach den Balkankriegen erneut nicht gelang, auf die Gräueltaten in ihrem Hinterhof angemessen zu reagieren – wurde die GASP im Jahr 1999 durch die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) ergänzt. Um gemeinsam tätig werden zu können, sollten Ressourcen gebündelt, Fachkenntnisse geteilt und die Koordination verbessert werden.

Kurz darauf erlebte die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik ihre Feuertaufe: Im Jahr 2003 entsandte die Europäische Union ihre erste Polizeimission nach Bosnien und Herzegowina und startete ihren ersten militärischen Auslandseinsatz in Mazedonien. Bis heute hat die EU mehr als 30 zivile Missionen und Militäreinsätze mit unterschiedlichem geografischem Fokus (Europa, Asien, Afrika) sowie variierendem thematischem Umfang durchgeführt.

Die zivilen Missionen erstrecken sich von Grenzschutz und Grenzüberwachung, der Unterstützung beim Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen über die Ausbildung und den Ausbau von Polizeikräften bis hin zur Unterstützung bei Reformen im Sicherheitssektor und zur Hilfe beim Aufbau militärischer Kapazitäten. Zu den militärischen Operationen zählen Ausbildungsmissionen für Streitkräfte, Beratung in militärischen Sachfragen, Pirateriebekämpfung auf See sowie Kampfeinsätze und humanitäre Aufgaben. Für dieses breite Spektrum an Tätigkeiten haben die Mitgliedsstaaten in Brüssel nach und nach entsprechende Strukturen für die Planung, Entscheidung und Durchführung aufgebaut.

Nach reger Aktivität in der Solana-Ära kam die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Zuge der Finanzkrise fast zum Erliegen, da die Mitgliedsstaaten der EU-Ebene in diesen Angelegenheiten weniger Bedeutung beimaßen. Die internationale Stellung der EU hat darunter gelitten. Dafür kann Brüssel jedoch nicht verantwortlich gemacht werden, denn die Entscheidungsfindung in diesem Politikbereich liegt fast ausschließlich bei den Mitgliedsstaaten und ihren Vertretern in Brüssel.

In der Tat ist das rechtliche, institutionelle und verfahrensrechtliche Gefüge der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) sowie der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) stark zwischenstaatlich geprägt. Kennzeichnend hierfür ist, dass der Europäische Rat (der sich aus Staats- und Regierungschefs zusammensetzt) sowie der Rat der Europäischen Union (bestehend aus Repräsentanten der Regierungen der Mitgliedsstaaten) die Hauptakteure sind. Anders als in anderen Politikfeldern spielen die EU-Kommission und das Europäische Parlament hier nur eine untergeordnete Rolle; und auch der Gerichtshof der Europäischen Union ist in diesem Bereich generell nicht zuständig.

Darüber hinaus gilt in der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik, mit wenigen Ausnahmen, das Prinzip der Einstimmigkeit. Die 28 Mitgliedsstaaten müssen sich einigen, um einen gemeinsamen außenpolitischen Standpunkt zu definieren oder einen zivilen oder militärischen Einsatz zu beschließen. Wenn Mitgliedsstaaten nicht übereinstimmen, stehen EU-Sicherheit und -Verteidigung still. Dies ist in vergangenen Krisensituationen wiederholt geschehen, etwa beim Arabischen Frühling, dem Sturz des Gaddafi-Regimes in Libyen oder der humanitären Krise in Syrien, als die Europäische Union – für viele enttäuschend – keine Reaktion zeigte.

Das starke Übergewicht zugunsten der Mitgliedsstaaten – und zuungunsten der EU – hat sich auch mit dem Vertrag von Lissabon (2009) nicht geändert. Nach wie vor kümmern sich die nationalen Regierungen um die meisten Belange mit außen-, sicherheits- und verteidigungspolitischen Bezügen und nicht etwa Federica Mogherini, die derzeitige Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik. Es ist jedoch alles andere als erstrebenswert, dem Rest der Welt das Bild einer international angeschlagenen EU und über Sicherheits- und Verteidigungsangelegenheiten entzweiter Mitgliedsstaaten zu vermitteln.

Der Weg hin zu einer stärkeren Sicherheits- und Verteidigungskohäsion ist also voller Hindernisse, vor allem, was eine gemeinsame europäische Haltung betrifft. Nicht nur, dass nationale Akteure – insbesondere in Krisensituationen – dazu tendieren, auf ihre nationalen Institutionen und Mechanismen zurückzugreifen. Vielmehr fallen auch Sicherheit und Verteidigung traditionell in das Ressort der Exekutive, sodass sich die Regierungen grundsätzlich wenig enthusiastisch zeigen, wenn es darum geht, ihre Vorrechte zugunsten gemeinsamer Entscheidungs- oder Durchführungsstrukturen aufzugeben.

Die Sicherheitsstrategie verbindet alle außenpolitischen Elemente

Ein Beleg hierfür war der beharrliche Widerstand Großbritanniens gegen eine weitergehende Integration der Außenpolitik sowie der Sicherheits- und Verteidigungsangelegenheiten in den Verhandlungen zum Vertrag von Lissabon. Ein weiteres vortreffliches Beispiel ist der EAD, der Europäische Auswärtige Dienst: Das kaum geläufige Akronym EAD steht für nichts Geringeres als die Keimzelle eines EU-Außenministeriums. Doch um den Schein zu wahren, haben die Mitgliedsstaaten die neutrale Bezeichnung EAD einer Benennung mit stärkerer politischer Signalwirkung (etwa Außenministerium) vorgezogen, die möglicherweise Ängste vor einem Souveränitätsverlust zugunsten Brüssels geschürt hätte.

In Anbetracht solcher Muster muss man feststellen, dass der EU wenig Handlungs- und Gestaltungsspielraum bleibt, um auf äußere Bedrohungen zu reagieren. Angesichts von Bürgerkriegen jenseits des Mittelmeers, andauernden bewaffneten Zusammenstößen in der Ukraine und einer jüngst wieder auflebenden Kalten-Krieg-Rhetorik wäre es jedoch an der Zeit, dies zu ändern, zusammenzustehen und vereint zu agieren.

Das führt zu einer weiteren Herausforderung, nämlich ob und unter welchen Umständen die Europäische Union mit militärischen Mitteln den Frieden erhalten oder wiederherstellen sollte (sofern ein UN-Mandat dafür besteht). Die EU, deren internationales Ansehen und Selbstbild auf ihrer nicht-kriegerischen Natur beruht, hat sich einer Sicherheitsstrategie verschrieben, die alle außenpolitischen Elemente (wie Diplomatie, Handel, Unterstützung, militärische und zivile Instrumente) miteinander verbindet und die Konfliktprävention eindeutig der bewaffneten Intervention vorzieht.

Für einige Mitgliedsstaaten, darunter skandinavische Länder und Deutschland, ist Waffengewalt tatsächlich nur schwer mit dem zivilen Charakter der EU in Einklang zu bringen. Für andere Mitgliedsstaaten wie Frankreich gelten militärische Interventionen als wesentlicher Aspekt einer Europäischen Union, die ihrer internationalen Rolle gerecht wird. Zu welchem Zweck darf Gewalt also angewandt werden? Soll die EU militärisch intervenieren, um Gräueltaten zu verhindern? Wenn überhaupt, haben sich die EU-Mitgliedsstaaten bisher aus pragmatischen Erwägungen entschieden, humanitäre Interventionen, etwa in Libyen, im Rahmen der NATO und nicht der EU vorzunehmen.

Und was ist mit der Entsendung von Streitkräften zur Wiederherstellung von Frieden? Bereits bei mehreren EU-Operationen wurde der Einsatz von Waffengewalt autorisiert, um internationale Konflikte einzudämmen und regionalen Instabilitäten vorzugreifen – wie im Jahr 2014 in der Zentralafrikanischen Republik.

Doch es ist kein einfaches Unterfangen, Personal und Ressourcen für Auslandseinsätze zu beschaffen. Paris ist oft bereit, Soldaten zu entsenden und Material zur Verfügung zu stellen. Berlin hingegen ist bekannt dafür, nur zögerlich zu militärischen Einsätzen beizutragen und zivile Missionen klar zu bevorzugen. Beim EU-Einsatz in der Zentralafrikanischen Republik stellte Frankreich den Großteil der Truppen, während Deutschland Militärflugzeuge für den Transport Verwundeter beitrug. Diese – mit kritischem Unterton könnte man sagen „vorbildliche“ – Arbeitsteilung von Kampfeinsätzen und logistischer Unterstützung fand auch anderweitig Anwendung.

In anderen Fällen haben sich Mitgliedsstaaten beim Bereitstellen von Streitkräften entschlossener gezeigt, so bei Atalanta, dem EU-Marineeinsatz zur Bekämpfung der Piraterie vor der somalischen Küste. Daran beteiligen sich mehr als 20 Mitgliedsstaaten (darunter auch Luxemburg, ein Binnenstaat ohne Seestreitkräfte) und auch Nicht-EU-Länder. Neben dem Schutz für die Schiffe des Welternährungsprogramms, die Nahrungsmittel nach Somalia befördern, ist die Operation insbesondere damit beauftragt, die Gebiete vor der Küste Somalias im Hinblick auf Gefahren für den Seeverkehr zu überwachen und gegebenenfalls auch Gewalt anzuwenden, um Piratenangriffe abzuschrecken, zu verhindern und zu bekämpfen.

Der Golf von Aden liegt in der Tat auf einer der wichtigsten internationalen Seehandelsrouten – nicht zuletzt, weil den Golf Tanker passieren, die Nationen rund um den Globus mit Rohöl beliefern. Es steht außer Zweifel, dass geostrategische Erwägungen sowie wirtschaftliche Interessen bei der Entscheidung der Mitgliedsstaaten, sich an dem Einsatz zu beteiligen, eine Rolle gespielt haben.

Vor diesem Hintergrund erstaunt es, dass durch Deutschland im Jahr 2010 eine Woge der Empörung schwappte, als der frühere Bundespräsident Horst Köhler in einem Interview andeutete, „dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist“, um die Interessen des Landes – einschließlich freier Handelswege – zu wahren und regionale Instabilitäten zu verhindern. Zum Zeitpunkt seiner Äußerung patrouillierten deutsche Seestreitkräfte bereits zwei Jahre im Golf von Aden, anscheinend unbemerkt von der deutschen Öffentlichkeit.

Es besteht die Tendenz, Brüssel den Schwarzen Peter zuzuschieben

Diese Episode enthüllt einen weiteren Stolperstein für die europäische Sicherheit und Verteidigung: Mitgliedsstaaten können sich unter dem Deckmantel der EU der Verantwortung entziehen. Da EU-Militäreinsätze in der breiteren Öffentlichkeit kaum bekannt sind, verringern die beteiligten Staaten die Gefahr unangenehmer Fragen oder schlechter Presse im eigenen Land. Und geht bei einem Einsatz etwas schief, können nationale Regierungen die EU für den Misserfolg verantwortlich machen.

Auch wenn es zynisch klingen mag, so ist dieses Szenario nicht aus der Luft gegriffen angesichts der problematischen Tendenz nationaler Akteure, Brüssel den Schwarzen Peter für alle möglichen unerwünschten Politikergebnisse zuzuschieben. Daher sollte die EU künftig ihre auswärtigen Aktivitäten stärker den Bürgern zugänglich machen.

Schließlich bleibt für die EU noch die schwierige Aufgabe, den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden, was wiederum mit Legitimitätsfragen zusammenhängt. Angesichts der geringen Kontrolle von außen-, sicherheits- und verteidigungspolitischen Belangen durch das Europäische Parlament sowie der fehlenden Zuständigkeit des Gerichtshofs der EU für ebendiese Fragen scheint die Europäische Union hinter den demokratischen und rechtsstaatlichen Werten zurückzubleiben, die sie international vorantreiben möchte. Widersprüchliche Standards bergen jedoch ein erhebliches Reputationsrisiko.

Das gilt auch für die Transparenz. Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik werden traditionell unter Geheimhaltung entschieden und umgesetzt. Während es im Zusammenhang mit militärischen Einsätzen sinnvoll erscheint, gewisse Dokumente unter Verschluss zu halten und den Zugang zu Informationen einzuschränken, lässt sich kaum nachvollziehen, warum so wenig bekannt gemacht wird über die Ergebnisse von Militäreinsätzen oder über zivile Missionen, die etwa Rechtsstaatlichkeit oder Polizeiarbeit unterstützen.

Auch geht es darum, Verantwortungsmechanismen bei der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik herauszubilden. Die zwischenstaatliche Dominanz sowie der Mangel an parlamentarischer und gerichtlicher Kontrolle auf europäischer Ebene verführen dazu, Verantwortung und Rechenschaftspflichten zu umgehen. Ein Beispiel hierfür ist der Korruptionsskandal, der die Rechtsstaatlichkeitsmission EULEX Kosovo – ein EU-Flaggschiff – im vergangenen November erschüttert hat.

Es war an die Presse durchgesickert, dass hochrangige EU-Beamte angeblich in Korruptionsfälle verstrickt waren. Noch problematischer gestaltete sich die Tatsache, dass EU-Vertreter vor Ort und in Brüssel anscheinend den Versuch unternommen haben, die Vorfälle zu verschleiern, statt die von einer abgeordneten Staatsanwältin vorgebrachten Behauptungen ordnungsgemäß zu untersuchen. Diese Verstrickungen haben die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini gleich nach Amtsantritt dazu veranlasst, einen externen Experten damit zu beauftragen, die Fälle zu überprüfen und Bericht zu erstatten. Dennoch hat der Ruf der EU und der Mission bereits Schaden erlitten – zu viel schlechte Presse für den good cop.

Wie soll es nun weitergehen? Jean-Claude Juncker, Präsident der Europäischen Kommission, hat kürzlich einen kontroversen Vorschlag vorgelegt, um vereint auf externe Bedrohungen reagieren zu können und das internationale Ansehen der EU zu verbessern: Er griff das ambitionierte Projekt einer europäischen Armee (parallel zu bestehenden NATO-Strukturen) wieder auf.

Junckers Vorschlag wurde unterschiedlich aufgenommen: Die britische Regierung lehnte den Plan, wie zu erwarten, kategorisch ab mit dem Argument, dass Verteidigung unbestreitbar eine nationale Angelegenheit sei. Die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hingegen begrüßte die Aussicht auf eine gemeinsame Armee.

Dieses Intermezzo zeigt, dass die Zeit selbst sechs Jahrzehnte nach dem Scheitern des Projekts einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft noch immer nicht reif ist für eine europäische Armee, auch wenn die Mitgliedsstaaten den europäischen Sicherheits- und Verteidigungsapparat langfristig überdenken müssen. Aber es zeigt auch, dass bei einigen Mitgliedsstaaten der politische Wille vorhanden ist, in außen-, sicherheits- und verteidigungspolitischen Belangen eine größere Einigkeit anzustreben – eine Einigkeit, die notwendig ist, um das europäische Friedensversprechen zu  halten.   

Die Autorin
Carolyn Moser ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. Sie studierte Jura, Politik und Volkswirtschaft bei Sciences Po in Paris sowie an der Fletcher School of Law and Diplomacy (Tufts University) in Boston. Von 2011 bis 2013 war sie am Basel Institute on Governance tätig. In dieser Zeit leistete sie Projekt-arbeit zur Förderung der Rechtsstaatlichkeit sowie zur Korruptionsbekämpfung in Asien, Europa und Nord-afrika, etwa für die Weltbank oder die OSZE. Seit 2013 arbeitet sie an ihrer Promotion am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht mit Forschungsaufenthalten in Utrecht.

 

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