Forschungsbericht 2015 - Max-Planck-Institut für molekulare Genetik

Unser Genom in 3D - wie DNA-Faltung unsere Gene reguliert

Our genome in 3D - how DNA-folding regulates our genes

Autoren
Mundlos, Stefan
Abteilungen
Forschungsgruppe Entwicklung und Krankheit
Zusammenfassung
Damit die DNA von Säugetierorganismen in den Zellkern hineinpasst, muss sie geordnet gefaltet werden. Mittels chromosome conformation capture konnte gezeigt werden, dass die Faltung der DNA in Domänen (TADs) erfolgt. Strukturelle Varianten, wie sie oft bei genetischen Krankheiten identifiziert werden, können mit der Konfiguration der TADs interferieren und so zu veränderter Genexpression und Krankheit führen. Durch die Nachbildung humaner struktureller Varianten in Mäusen wird gezeigt, dass TADs und ihre Grenzen bei der Interpretation von Strukturvarianten berücksichtigt werden müssen.
Summary
The folding of chromatin is an inherent property of the genome to incorporate the DNA in the cell nucleus. Recent advances using chromosome conformation capture technologies have shown that the genome is folded in structured domains, so-called TADs.  Structural variations, as they often occur in human genetic disease, can interfere with TAD configuration and thus result in altered gene expression and consecutive disease. By re-engineering human aberrations in mice it was shown that TADs and their boundaries are an essential component when interpreting structural variations.

Einleitung

Das Genom, die Gesamtheit des Erbmaterials in unseren Zellen, setzt sich aus den Chromosomen zusammen, die aus jeweils einem sehr langen DNA-Makromolekül und speziellen Proteinen bestehen. Bis zu zwei Meter Länge würden die aneinandergereihten DNA-Moleküle in langgestreckter Form erreichen, die jede Zelle in ihrem Zellkern beherbergt. Daher muss die DNA im Zellkern in einem geordneten Prozess gefaltet werden, um zum Beispiel eine Knotenbildung zu verhindern und eine rasche Entfaltung bei der Zellteilung oder der Transkription zu ermöglichen. Wie diese Faltung vonstattengeht und welche Prozesse beziehungsweise Prinzipien daran beteiligt sind, wurde in den letzten Jahren dank neuer Technologien aufgeklärt. Hierzu gehört insbesondere das chromosome conformation capture, eine Methode, mit der die räumliche Nähe von DNA-Fragmenten zueinander bestimmt werden kann. Dies ist von Interesse, da Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler davon ausgehen, dass durch die dreidimensionale Faltung des DNA-Moleküls Segmente in räumliche Nähe zueinander gelangen, die zum Teil mehrere Millionen Basen weit voneinander entfernt liegen können. Aus diesem Grund wird beim chromosome conformation capture die DNA beziehungsweise das Chromatin in gefalteter Form im Zellkern fixiert und anschließend mit einem Restriktionsenzym an bestimmten Stellen getrennt. Die Abschnitte, die sich aufgrund der dreidimensionalen Faltung in räumlicher Nähe zueinander befinden, werden nachfolgend miteinander verbunden und dann wird die Anzahl der neu entstandenen Verbindungen durch moderne Sequenzierungsmethoden ermittelt.

Durch die Anwendung dieser Technologie auf das gesamte Genom, die sogenannte Hi-C-Methode, konnte genomweit die Nähe von DNA-Abschnitten zueinander und somit die Faltung des gesamten Genoms bestimmt werden. Aus diesen Studien ergaben sich viele interessante Erkenntnisse, die sich, wie auch die Arbeiten der Forschungsgruppe zeigen, direkt auf die Interpretation von menschlichen Mutationen anwenden lassen.

Räumliche Organisation der DNA in einzelne Interaktionseinheiten

Amerikanische Wissenschaftler konnten zeigen, dass sich das Genom in sogenannte fractal globules faltet, dies sind kugelförmige Gebilde aus extrem dicht gefalteter DNA, bei der keine Knoten entstehen und der DNA-Strang an jeder Stelle lokal entfaltet werden kann. Als weiteres wesentliches Ergebnis ergab sich, dass die Faltung des Genoms nicht zufällig, sondern nach einem vorgegebenen Muster geschieht, das direkt mit der Regulation der Genexpression verknüpft ist [1]. Die visuelle Darstellung dieser Faltung erfolgt über heat maps, grafische Darstellungen, bei denen die Intensität beziehungsweise die Zahl der Kontakte, also die Nähe der DNA-Abschnitte zueinander, in einer roten Farbskala angegeben wird. So entstehen Hi‑C‑Karten des Genoms, die die Wechselwirkungen innerhalb einzelner Abschnitte des Genoms quantitativ wiedergeben.

Die Forscher fanden, dass das Genom in Interaktionsabschnitte unterteilt ist, die mehrere Megabasen groß sind und topologically associated domains (TADs) genannt werden. Innerhalb einer TAD findet eine starke Faltung des Chromatins beziehungsweise Interaktion der enthaltenen Elemente statt, während zwischen verschiedenen TADs wenig bis keine Wechselwirkungen nachzuweisen sind. Der Übergang von einer TAD zur nächsten ist durch einen abrupten Wechsel der Interaktion gekennzeichnet [2]. Diese Bereiche werden als boundaries bezeichnet. Abbildung 1 zeigt als Beispiel den Locus, dies ist die Position des Gens im Genom, hier: des Epha4-Gens, und die Anordnung der TADs in diesem Bereich. Vergleiche zwischen verschiedenen Tierarten und Zelltypen zeigen, dass diese Anordnung immer wieder weitgehend unverändert beobachtet werden kann. Sie scheint also konserviert und unabhängig von dem Zelltyp zu sein.

Mit dem Wissen über eine übergreifende Organisation der Interaktionsabschnitte im Genom konnte eine weitere offene Frage zum Ablauf der Genregulation beantwortet werden. Die Aktivität der Gene, das heißt, das Abschreiben der betreffenden Sequenz in Form von mRNA-Molekülen (Transkription), wird über Promotoren gesteuert. Dies sind Sequenzabschnitte, die bestimmte Proteine binden können, die dann ihrerseits ein Gen beziehungsweise die Transkription eines Genes an- oder abschalten können. Die weitere, nicht unerhebliche Feinsteuerung dieses Vorgangs erfolgt über die Enhancer, regulative Sequenzen, die die Aktivität der Gene weiter verstärken können. Sie sind in großer Zahl über das Genom verteilt und können zwischen oder auch innerhalb von Genen liegen. Durch die Organisation der DNA in TADs als Interaktionseinheiten wird somit festgelegt, welcher Enhancer zu welchem Gen gehört. Dies erklärt, wie lange schon vermutet wurde, die Spezifität der Regulation durch auf dem DNA-Strang, betrachtet man nur die Sequenz, weit voneinander entfernt liegenden Abschnitten.

Strukturelle Varianten als Ursache menschlicher Fehlbildungen

Ein wesentliches Thema der Forschungsgruppe Entwicklung & Krankheit am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik ist die Genetik und Entwicklungsbiologie von Fehlbildungen, insbesondere solchen, die die Entwicklung der Extremitäten betreffen. Diese Erkrankungen sind relativ häufig und in ihrem Erscheinungsbild vielfältig. Der Grund für diese Art der angeborenen Erkrankungen sind oft strukturelle Varianten des Genoms. Dabei handelt es sich um Veränderungen, die nicht die Sequenz, das heißt, die Abfolge der einzelnen Buchstaben des genetischen Codes betreffen, sondern die Abfolge großer DNA-Abschnitte. Hierzu gehören Deletionen (Fehlen), Duplikationen (Verdopplungen), Inversionen (Umkehrungen) und Insertionen (Einfügungen) von jeweils größeren DNA-Abschnitten.

Die Forscherinnen und Forscher wollten herausfinden, ob Strukturvarianten die Konfiguration von TADs und auf diesem Weg vielleicht auch die Genregulation beeinflussen können. Dafür untersuchten sie eine Gruppe von Handfehlbildungen bei Mensch und Maus, die alle mit Veränderungen im Bereich des EPHA4-Gens einhergehen, und tatsächlich: Bei der Brachydaktylie, einer Verkürzung der Finger, konnten Deletionen und bei der Syndaktylie, bei der mehrere Finger miteinander verwachsen sind, konnten eine Duplikation und eine Inversion von DNA-Abschnitten nachgewiesen werden. Bei der Polydaktylie, der Entstehung überzähliger Finger, fanden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei der Maus eine Deletion und eine Duplikation. Interessanterweise betreffen alle Veränderungen die Grenzen derjenigen TAD, in der das EPHA4-Gen liegt [3].

Nachbildung von Erkrankungen des Menschen in der Maus

Mithilfe eines neuen Verfahrens, der CRISPR/Cas9-Methode, konnte das Team um Stefan Mundlos die verschiedenen Strukturvarianten, die sie zuvor bei Patienten nachgewiesen hatten, in der Maus nachbilden. Hierzu wurde die DNA in embryonalen Stammzellen von Mäusen mit CRISPR/Cas9 an zwei von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zuvor genau festgelegten Stellen zerschnitten. Bei der Reparatur der Schnittstelle wurde ein DNA-Abschnitt zwischen den beiden Schnittstellen eingefügt oder ausgelassen, sodass das Erbgut der aus den Stammzellen heranwachsenden Mäuse die gleichen Veränderungen aufwies, wie sie auch bei den betroffenen Patienten nachgewiesen worden waren [4]. Das Verfahren ist sehr effizient und ermöglichte den Forscherinnen und Forschern die Herstellung von großen, 1,6 Millionen Basenpaare langen Deletionen und einer Inversion. Ergebnis: Die Mäuse mit der nachgestellten Brachydaktylie-Deletion zeigten ähnliche Veränderungen der Finger, wie sie auch bei den Patienten beobachtet worden waren (Abb. 2).

In weiteren Experimenten untersuchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Auswirkungen der Strukturvarianten auf die DNA-Faltung bzw. die TAD-Konfiguration. Mit einer Abwandlung des chromosome conformation capture-Verfahrens, der sogenannten 4C-Methode, kann die Interaktion eines Sequenzabschnittes von einem Punkt (viewpoint) mit dem Rest des Genoms untersucht werden. Auch mit dieser Methode kann die TAD-Konfiguration nachgewiesen werden, da die Wechselwirkungen des viewpoints, hier: des Genpromotors, nur innerhalb der TAD stattfinden, aber nicht darüber hinaus. Bei Mäusen mit einer Brachydaktylie-Deletion konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler jedoch eine unerwartete abnorme, ektope, also an anderer Stelle stattfindende Interaktion des Gens der Nachbar-TAD, hier: Pax3, mit regulativen Elementen der Epha4-TAD nachweisen. Diese Interaktion führt zu einer Fehlregulation der Genexpression von Pax3, das heißt, dieses Gen wurde nach dem Regulationsmuster der Epha4-Expression in den Extremitätenknospen angeschaltet. Diese fehlerhafte Aktivierung des Pax3-Gens führte zu der beobachteten Verkürzung der Finger [5].

Möglich wurde die ektope Interaktion durch die Entfernung von DNA-Abschnitten zwischen dem Pax3-Gen und dem Epha4-Gen, welche die TAD-Grenze mit einschlossen. Um zu untersuchen, ob die TAD-Grenze eine funktionelle Barriere für Wechselwirkungen innerhalb des Genoms darstellt, stellten die Mitglieder der Forschungsgruppe Mäuse mit einer weiteren Deletion her, die etwas kleiner war als die vorherige und die TAD-Grenze intakt ließ. Diese Mäuse zeigten trotz der immer noch vorhandenen großen Deletion in ihrem Genom keine Veränderungen ihrer Extremitäten, sondern entwickelten sich normal. 4C-Analysen von Extremitäten dieser Mäuse zeigten ein weitgehend normales Interaktionsmuster, die vorher beobachtete ektope Interaktion war bei ihnen nicht nachweisbar.

Unterstützung für die Interpretation genetischer Tests

Die Untersuchungen der Forschungsgruppe zeigen, dass Strukturvarianten, wie sie häufig bei Patienten mit angeborenen Fehlbildungen, aber auch bei anderen genetischen Erkrankungen beobachtet werden, zu Veränderungen der Konfiguration von TADs führen können. Dadurch können die Interaktionsmöglichkeiten von Enhancern verändert und verschoben werden. In den hier beschriebenen Fällen führte dies dazu, dass regulative Elemente, die normalerweise das Gen Epha4 steuern, jetzt andere Gene regulierten. Dies wiederum resultierte in einer Fehlexpression, die zu Störungen der normalen Entwicklung und somit zur Krankheit führen kann.

Fazit: Die Faltung der DNA ist direkt mit der Regulation der Genexpression verbunden und Veränderungen der Faltung können Krankheit auslösen. Dank dieser Erkenntnis können nunmehr chromosomale Strukturvarianten auf ihre Pathogenität hin überprüft und so zukünftig wichtige Hilfen für die Interpretation von genetischen Tests gegeben werden.

Literaturhinweise

Lieberman-Aiden, E.; van Berkum, N.L.; Williams, L.; Imakaev, M.; Ragoczy, T.; Telling, A.; Amit, I.; Lajoie, B.R.; Sabo, P.J.; Dorschner, M.O.; Sandstrom, R.; Bernstein, B.; Bender, M.A.; Groudine, M.; Gnirke, A.; Stamatoyannopoulos, J.; Mirny, L.A.; Lander, E.S.; Dekker, J.
Comprehensive mapping of long-range interactions reveals folding principles of the human genome
Science 326, 289-293 (2009)
Dixon, J.R.; Selvaraj, S.; Yue, F.; Kim, A.; Li, Y.; Shen, Y.; Hu, M.; Liu, J. S.; Ren, B.
Topological domains in mammalian genomes identified by analysis of chromatin interactions
Nature 485, 376-380 (2012)
Lupiáñez, D.G.; Kraft, K.; Heinrich, V.; Krawitz, P.; Brancati, F.; Klopocki, E.; Horn, D.; Kayserili, H.; Opitz, J.M.; Laxova, R.; Santos-Simarro, F.; Gilbert-Dussardier, B.; Wittler, L.; Borschiwer, M.; Haas, S.A.; Osterwalder, M.; Franke, M.; Timmermann, B.; Hecht, J.; Spielmann, M.; Visel, A.; Mundlos, S.
Disruptions of topological chromatin domains cause pathogenic rewiring of gene-enhancer interactions
Cell 161, 1012-1025 (2015)
Kraft, K.; Geuer, S.; Will, A.J.; Chan, W.L.; Paliou, C.; Borschiwer, M.; Harabula, I.; Wittler, L.; Franke, M.; Ibrahim, D.M.; Kragesteen, B.K.; Spielmann, M.; Mundlos, S.; Lupiáñez, D. G.; Andrey, G.
Deletions, inversions, duplications: Engineering of structural variants using CRISPR/Cas in mice
Cell Reports 10, 833-839 (2015)
Lupianez, D.J.; Spielmann, M.; Mundlos, S.
Breaking TADs: how alterations of chromatin domains result in disease
Trends in Genetics 32, 225-237 (2016)
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