Forschungsbericht 2015 - Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht

Internationale Leihmutterschaft: Das Kind im juristischen Niemandsland

International surrogate motherhood: The child in a legal no man’s land

Autoren
Duden, Konrad; Basedow, Jürgen
Abteilungen
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, Hamburg
Zusammenfassung
Die internationale Leihmutterschaft führt das deutsche Recht an seine faktischen Grenzen. Wegen des hiesigen Verbots beauftragen immer mehr Deutsche im Ausland Leihmütter. Sind die Kinder nach der Rückkehr dann rechtlich ihre Kinder? Die Rechte der Kinder fordern die Anerkennung der sozialen Familie mit den Wunscheltern – und zwar auf Kosten einer effektiven Durchsetzung des Leihmutterverbots. Dieser Umstand mag bedauert werden. Ihn zu akzeptieren, eröffnet jedoch eine Diskussion, die zu einem besseren Schutz der Beteiligten führen kann als der blinde Verweis auf ein Leihmutterschaftsverbot.
Summary
International surrogate motherhood tests the limits of what a national law can do. Surrogacy is forbidden in Germany. Thus, many Germans commission surrogates abroad. Are they later the legal parents of the children? The children’s rights demand the recognition of their social family with the intended parents – which comes at the cost of effective enforcement of the prohibition of surrogacy. One might regret this circumstance. Accepting it, however, opens up a discussion that could lead to a better protection of the parties involved than merely insisting on the prohibition of surrogacy.

Was macht eine Frau zur Mutter, was einen Mann zum Vater? Jeder meint, die Antwort auf diese Frage zu kennen. Meist stellt die Leihmutterschaft dieses grundlegende Verständnis von Familie und Elternschaft infrage. Schon vor der Zeugung steht dabei fest, dass die Leihmutter das Kind, das sie austragen wird, nach der Geburt anderen – den Wunscheltern – übergeben soll, damit diese es als eigenes aufziehen.

In seinem Werk „Leihmutterschaft im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht – Abstammung und ordre public im Spiegel des Verfassungs-, Völker- und Europarechts“ beleuchtet Konrad Duden vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht die Folgen der internationalen Leihmutterschaft für die Abstammung des Kindes. Er legt dar, wann bei einer im Ausland durchgeführten Leihmutterschaft die Wunscheltern aus Sicht des deutschen Rechts die rechtlichen Eltern des Kindes sind. Darüber hinaus zeigt er, dass auch sonst die Grund- und Menschenrechte der Kinder grundsätzlich die Anerkennung der rechtlichen Elternschaft der Wunscheltern fordern.

Hintergrund: Konflikt der Rechtsordnungen

Weltweit wird die Leihmutterschaft sehr unterschiedlich bewertet. In Deutschland ist die Leihmutterschaft verboten. Erlaubt ist sie etwa im Vereinigten Königreich, in Kalifornien und Indien. Die unterschiedlichen Ansätze setzen sich bei der Abstammung der Kinder fort. In Ländern, in denen Leihmutterschaft zulässig ist, sind die Wunscheltern die rechtlichen Eltern, nicht jedoch in Ländern, in denen Leihmutterschaft verboten ist. So ist nach deutschem Recht die Leihmutter als die Gebärende die rechtliche Mutter. Ist sie verheiratet, ist ihr Ehemann der rechtliche Vater. Andernfalls kann der Wunschvater die Vaterschaft anerkennen.

Um dem hiesigen Verbot der Leihmutterschaft zu entkommen, beauftragen viele Deutsche im Ausland Leihmütter. Dies sind die Fälle der „internationalen Leihmutterschaft“. Wollen die Wunscheltern mit dem Kind nach Deutschland zurückkehren, kommt es zu Reibungen zwischen den Rechtsordnungen. Der Heimatstaat der Wunscheltern kann die Durchführung der Leihmutterschaft nun nicht mehr ungeschehen machen. Es rückt die Frage in den Vordergrund, wer die rechtlichen Eltern des Kindes sind. Akzeptiert der Heimatstaat der Wunscheltern eine rechtliche Elternschaft der Wunscheltern nach dem ausländischen Recht oder versperrt er sich dieser und beharrt darauf, dass nach seinem Verständnis die Leihmutter und ihr Ehemann die Eltern sind? In dieser Frage spitzt sich der Grundkonflikt der Rechtsordnungen, die Leihmutterschaft verbieten, zu: Einerseits ist eine effektive Durchsetzung des inländischen Verbots der Leihmutterschaft nur durch eine Verweigerung der rechtlichen Elternschaft der Wunscheltern möglich. Andererseits spricht meist der Schutz der faktischen und sozialen Familieneinheit von Kind und Wunscheltern und somit das Kindeswohl für eine Anerkennung ihrer rechtlichen Elternschaft.

Elternschaft der Wunscheltern nach ausländischem Recht

Berücksichtigt hat Duden in seiner Arbeit sechs Rechtsordnungen, in denen Leihmutterschaft zulässig ist: Kalifornien, Indien, das Vereinigte Königreich, Griechenland, die Ukraine und Israel. In diesen Rechtsordnungen sind die Wunscheltern die rechtlichen Eltern. Ihre Elternschaft nach ausländischem Recht kann auf zwei Wegen im deutschen Recht Bedeutung gewinnen:

Hat ein ausländisches Gericht die Elternschaft feststellt oder begründet, so kann diese Entscheidung in Deutschland anerkannt werden. So können etwa die Entscheidungen kalifornischer Gerichte, welche die Elternschaft der Wunscheltern feststellen, anerkannt werden, ebenso britische und israelische Entscheidungen, welche die Abstammung konstitutiv begründen.

Ohne eine solche Entscheidung kann eine rechtliche Elternschaft der Wunscheltern nach dem ausländischen Recht in Deutschland Wirkung entfalten, wenn im konkreten Fall nicht das deutsche, sondern das ausländische Abstammungsrecht anwendbar ist. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn das Kind am ausländischen Geburtsort seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort hat.

Kein Verstoß der Elternschaft der Wunscheltern gegen Grundprinzipien deutschen Rechts

Die Anerkennung ausländischer Entscheidungen und die Anwendung ausländischen Rechts stehen unter dem sogenannten Ordre-public-Vorbehalt. Danach wird eine Entscheidung nicht anerkannt, ein ausländisches Recht nicht angewendet, wenn dies gegen wesentliche Grundsätze des deutschen Rechts, insbesondere gegen Grund- oder Menschenrechte, verstoßen würde.

Bis vor Kurzem haben deutsche Gerichte und Behörden regelmäßig einen solchen Verstoß angenommen. Inzwischen wandelt sich die Rechtsprechung jedoch aus guten Gründen. Ein Verstoß gegen Grundprinzipien des deutschen Rechts liegt nicht vor. Bei der Bestimmung eines solchen Verstoßes ist allein das Ergebnis der Anerkennung einer ausländischen Entscheidung beziehungsweise der Anwendung eines ausländischen Rechts entscheidend. Dieses Ergebnis ist hier die rechtliche Elternschaft der Wunscheltern und nicht die Leihmutterschaft an sich. Diese Abgrenzung ist indes nicht absolut. Verstößt der Vorgang der Leihmutterschaft gegen Grund- oder Menschenrechte und setzt sich dieser Verstoß in der Elternschaft fort, verstößt auch die Elternschaft mittelbar gegen Grund- und Menschenrechte.

Isoliert betrachtet, verletzt die Elternschaft der Wunscheltern keine Grund- oder Menschenrechte. Solange die Leihmutter freiwillig handelt, beeinträchtigt auch die Durchführung der Leihmutterschaft die Rechte der Leihmutter nicht. Allein wegen ihres körperlich invasiven Charakters betrifft sie nicht den Kernbereich der Menschenwürde, der auch gegen den Willen der Leihmutter zu schützen wäre. Eine Gefahr für die psychische oder körperliche Gesundheit der Leihmutter oder des Kindes stellt die Leihmutterschaft nach bisheriger Forschung ebenfalls nicht dar. Die Leihmutterschaft ist zudem vom Kinderhandel zu unterscheiden. Im Gegensatz zum Kinderhandel wird keine Familie, die sonst fortbestanden hätte, zerstört. Bei der Leihmutterschaft wird das Kind allein wegen der Leihmutterschafts-vereinbarung gezeugt und geboren.

Anders ist es zu bewerten, wenn die Leihmutter zur Übergabe des Kindes gezwungen wird. Eine erzwungene Übergabe beeinträchtigt die Grund- und Menschenrechte der Leihmutter. Da sich diese Verletzung durch die Trennung des Kindes von der Leihmutter in der Elternschaft der Wunscheltern fortsetzt, ist die Elternschaft nach ausländischem Recht nicht anzuerkennen.

Pflicht zur Anerkennung der Elternschaft der Wunscheltern

Abschließend stellt Konrad Duden die Frage, ob die Rechte der Beteiligten eine Elternschaft der Wunscheltern auch in den Fällen fordern, in denen nach bestehendem Recht eine Elternschaft der Wunscheltern nicht anerkannt werden kann. Mittelbar stellt sich dabei auch die Frage, ob sogar dann eine Abstammung von den Wunscheltern möglich sein muss, wenn die Leihmutterschaft hierzulande verbotswidrig durchgeführt wurde.

Letztlich bejaht Duden beide Fragen. Die Grund- und Menschenrechte der Kinder fordern die Anerkennung der rechtlichen Elternschaft der Wunscheltern, wenn die Wunscheltern die soziale Elternrolle innehaben und die Leihmutter ihnen das Kind freiwillig übergeben hat. Diese Pflicht beruht auf dem Verbot der Ungleichbehandlung aufgrund geburtsbedingter Faktoren. So wie Kinder wegen einer Zeugung außerhalb einer Ehe nicht ungleich behandelt werden dürfen, dürfen sie auch wegen einer Zeugung durch eine Leihmutterschaft nicht ungleich behandelt werden, selbst wenn die Leihmutterschaft verbotswidrig in Deutschland durchgeführt wurde. Auf all diese Umstände haben die Kinder keinerlei Einfluss, sodass sie nicht zu ihren Lasten berücksichtigt werden dürfen. Auch bezüglich der rechtlichen Integration in ihre Familie dürfen die Kinder nicht ungleichbehandelt werden; wobei im Sinne des Kindeswohls die Beziehung zu den sozialen und nicht den leiblichen Eltern entscheidend ist.

Dass die Wunscheltern das Kind auch adoptieren könnten, ändert den Befund einer unzulässigen Ungleichbehandlung nicht. Vielmehr ergibt sich die Ungleichbehandlung gerade daraus, dass diese Familien wegen des Verbots der Leihmutterschaft den Umweg einer Adoption auf sich nehmen müssen, um denselben rechtlichen Status zu erhalten, den sie sonst auch ohne diesen Umweg erhalten hätten.

Das bestehende deutsche Recht genügt nicht der Pflicht, die Abstammung von den Wunscheltern anzuerkennen. Duden schlägt Reformen vor, um den Rechten der Kinder Geltung zu verschaffen. Abhilfe könnte ein für Leihmutterschaften spezifisches Verfahren zur Begründung der Abstammung schaffen. Dabei wäre zu prüfen, ob tatsächlich eine Leihmutterschaft vorlag und die Leihmutter das Kind den Wunscheltern freiwillig übergeben hat. Ein solches Verfahren könnte mit einem internationalen Übereinkommen verbunden werden. Duden schlägt konkrete Anreize für die Wunscheltern im Rahmen des Abstammungsverfahrens vor. Durch diese ließen sich Mindeststandards der Leihmutterschaft effektiv verwirklichen, wie etwa eine psychologische und medizinische Nachbetreuung der Leihmütter.

Resümee

Das Recht der Kinder auf eine Integration in eine Familie mit den Wunscheltern wiegt schwerer als das staatliche Interesse an einer effektiven Durchsetzung des Leihmutterschaftsverbots durch Verhinderung der Elternschaft der Wunscheltern. Der Staat muss die Normativität des Faktischen – nämlich das Bestehen der sozialen Familie – anerkennen. Eine Sanktionierung eines Verstoßes gegen das Verbot der Leihmutterschaft darf nicht auf dem Rücken der Kinder erfolgen, die daran keine Schuld trifft. Es ist jedoch nicht möglich, den Wunscheltern ihre Elternschaft vorzuenthalten, ohne den Kindern die Abstammung von ihren sozialen Eltern – den Wunscheltern – zu verweigern. Man muss die Elternschaft der Wunscheltern dulden, um den Kindern nicht ihre Eltern zu nehmen.

Literaturhinweise

Duden, K.

Leihmutterschaft im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht – Abstammung und ordre public im Spiegel des Verfassungs-, Völker- und Europarechts
Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht 333, Mohr Siebeck, Tübingen (2015)
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