Forschungsbericht 2015 - Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie

Rationale Entwicklung eines Tuberkulose-Impfstoffs: Vom Reißbrett zur klinischen Studie

Autoren
Kaufmann, Stefan H.E.
Abteilungen
Immunologie
Zusammenfassung
Weiterhin bleibt die Tuberkulose (TB) eine globale Bedrohung für die Gesundheit, zu deren Bekämpfung ein neuer Impfstoff dringend benötigt wird. Wir haben einen neuen TB-Impfstoff mit hohem Effizienz- und Sicherheitsprofil entwickelt; der Impfstoff hat seine Sicherheit und Immunogenität in klinischen Studien an Erwachsenen und Kleinkindern in Deutschland und Südafrika bewiesen. Derzeit wird er in einer Studie an Neugeborenen von HIV infizierten Müttern in Südafrika überprüft und für 2016 ist eine groß angelegte Studie an Erwachsenen mit erhöhtem TB-Risiko in Indien geplant.

Beschreibung

Tuberkulose gehört nach wie vor zu den größten globalen Gesundheitsproblemen. Im Jahr 2014 führte die Krankheit die Liste der tödlichen Infektionen mit 9,6 Millionen Krankheitsfällen und 1,5 Millionen Todesfällen weltweit an [1]. Dabei ist die HIV-TB-Koinfektion besonders besorgniserregend, denn sie forderte im selben Jahr knapp eine halbe Million Todesopfer. Die Kleinkind-TB wird bislang unterschätzt, obwohl mindestens eine Million Kinder jährlich an TB erkranken, von denen über 140.000 sterben. Auch die zunehmende Multiresistenz des TB-Erregers, Mycobacterium tuberculosis (Mtb), ist erschreckend. Knapp eine halbe Million Menschen erkrankten 2014 an multiresistenter TB, von denen jeder Zweite verstarb.

Bacille-Calmette-Guérin (BCG) ist ein attenuierter Lebendimpfstoff, der seit 1924 zur Prävention der Kleinkind-TB eingesetzt wird und mit 4 Milliarden Administrationen heute der meist verabreichte Impfstoff ist [2]. Zwar schützt BCG gegen extrapulmonäre Formen der TB in Kleinkindern; gegenüber der am häufigsten vorkommenden Lungen-TB in allen Altersgruppen ist er jedoch weitgehend machtlos. Ein in unserem Labor entwickelter neuer Impfstoff, der sich im fortgeschrittenen Stadium der klinischen Überprüfung befindet, könnte diesen Bedrohungen Einhalt gebieten.

Immunantwort gegen Mtb

Mtb wird durch Aerosole übertragen, sodass die Lunge die wichtigste Eintrittspforte des Erregers darstellt [3]. Obwohl nicht auszuschließen ist, dass der Erreger in wenigen Fällen durch die angeborene Immunität direkt eliminiert wird, kommt es in den meisten Fällen zu einer stabilen Infektion, die durch das erworbene Immunsystem in Schach gehalten wird (Abb. 1). Geschätzte zwei Milliarden Menschen sind latent mit Mtb infiziert; sie tragen also den Erreger lebenslang in sich, bleiben aber gesund. Bei etwa 5 bis 10 % dieser latent Infizierten bricht zu einem späteren Zeitpunkt die Krankheit aus, wenn der Erreger der Immunkontrolle entkommt. Die erworbene spezifische Immunität gegen TB wird von T-Lymphozyten vermittelt und von Makrophagen ausgeführt. Nicht nur für den Schutz, sondern auch für die Pathologie sind diese beiden Zell-Populationen mit verantwortlich. Schon bald nach der Infektion entstehen Granulome, in denen sich Makrophagen, Granulozyten, dendritische Zellen, T-Lymphozyten und B-Lymphozyten organisieren. In diesen Granulomen bleibt der Erreger eingekapselt, sodass der Krankheitsausbruch verhindert werden kann.

Durch fehlgeleitete Immunität kommt es zum Zusammenbruch des soliden Granuloms, das nachfolgend eine käsige Konsistenz annimmt [4]. Das käsige Granulom bietet den geeigneten Nährboden für Mtb und schädigt massiv das Lungengewebe: Eine offene TB hat sich entwickelt, die unbehandelt häufig tödlich verläuft. Der Patient ist in diesem Stadium hoch ansteckend.

Entwicklung neuer TB-Impfstoffe

Mit der zunehmenden Erkenntnis, dass der herkömmliche BCG Lebendimpfstoff wenig gegen die Lungen-TB bewirken kann, wurden neue Impfstrategien entwickelt, die auf zwei Standbeinen beruhen [2]. Das erste umfasst Spaltvakzine, die als Booster die Immunantwort durch BCG verbessern sollen. Zum zweiten Standbein zählen verbesserte Lebendimpfstoffe, die BCG ersetzen sollen. Auch die Kombination beider Strategien ist denkbar. In unserem Labor wurde ein rekombinanter BCG-Impfstoff entwickelt, der eine stärkere Immunantwort hervorruft (Abb. 2).

Intrazelluläre Bakterien wie Mtb oder Listeria monocytogenes, aber auch der Impfstamm BCG werden nach Eintritt in den Wirtsorganismus von professionellen antigenpräsentierenden Zellen, insbesondere Makrophagen und dendritischen Zellen, durch Phagozytose aufgenommen und gelangen in der Wirtszellen in ein frühes Phagosom. Von dort aus schlagen sie unterschiedliche Wege ein. L. monocytogenes durchbricht die Membran des Phagosoms und entweicht in das Zytosol. Mit Verzögerung folgt auch Mtb diesem Weg. BCG hingegen verbleibt im Phagosom. Wir haben in das Genom des BCG-Impfstoffs ein Gen von Listeria monocytogenes eingepflanzt, das das porenbildende Hämolysin (Hly) Listeriolysin-O kodiert. Hly ermöglicht es den Listerien, die Phagosomen-Membran zu perforieren und dadurch aus dem Phagosom in das Zytosol der infizierten Wirtszelle zu entweichen [5]. Ein funktionell vergleichbares porenbildendes System besitzt auch Mtb. Dessen System ist jedoch weit komplexer aufgebaut und ist noch ungenügend verstanden. Da BCG das porenbildende System fehlt, wird es im Phagosom eliminiert. Hly ist nur im sauren Milieu aktiv. BCG besitzt jedoch die Fähigkeit, das Milieu im Phagosom neutral zu halten, woran das Enzym Urease-C beteiligt ist. Um einen optimalen pH-Wert für Hly zu erzielen, wurde daher das Gen für Urease-C im Impfstamm deletiert. Der nun generierte Impfstamm r-BCG ΔureC::hly ermöglicht die Ansäuerung des Phagosoms, die für die biologische Aktivität des Hly benötigt wird. Durch Perforation der Phagosomen-Membran entweichen Antigene in das Zytosol und stimulieren nach entsprechender Prozessierung CD8 T-Lymphozyten. Da der Impfstamm selbst im Phagosom verbleibt, wo er zügig eliminiert wird, kommt es auch zu einer deutlichen Stimulation von CD4 T-Lymphozyten. Das saure Milieu des Phagosoms ermöglicht die Fusion mit Lysosomen, sodass lysosomale Enzyme durch die perforierte Membran in das Zytosol austreten und Apoptose und Autophagie auslösen [6]. Diese Mechanismen tragen ebenfalls zur verbesserten T-Lymphozyten-Stimulation bei. In der Tat werden die für den Schutz benötigten zentralen Gedächtnis-T-Zellen bevorzugt aktiviert [7]. Somit aktiviert der Impfstamm zahlreiche Mechanismen, die die Immunogenität und Effektivität verstärken.

Präklinische und klinische Untersuchungen

Der Impfstamm r-BCG ΔureC::hly schützt Mäuse gegen einen Mtb-Laborstamm und ein klinisches Isolat [5]. In beiden Fällen ist der Schutz deutlich besser als der durch BCG hervorgerufene. Auch zeigt der neue Impfstoff in verschiedenen Tiermodellen generell ein deutlich besseres Sicherheitsprofil als BCG [8].

Nach erfolgreichem Abschluss der Präklinik wurde der Impfstoff in einer klinischen Phase I-Studie (Registriernummer NCT 00749034) an Erwachsenen in Deutschland überprüft [9]. Der rekombinante Impfstoff erwies sich als sicher und wurde von den Studienteilnehmern gut toleriert. Auch war er immunogen und stimulierte antigenspezifische T-Zellantworten. Anschließend wurde der Impfstoff an Erwachsenen in einem endemischen Gebiet in Südafrika auf Sicherheit und Immunogenität überprüft (Registriernummer NCT01113281). Auch diese Studie konnte erfolgreich abgeschlossen werden. In beiden Studien wurden sowohl Teilnehmer getestet, die zuvor eine BCG-Impfung erhalten hatten, als auch solche, die nicht mit BCG geimpft waren. Somit ist der Impfstoff sowohl im Austausch für BCG als auch als Booster einer früheren BCG-Impfung denkbar. Anschließend wurde der Impfstoff in neugeborenen Kindern als wichtige Zielgruppe in einer klinischen Phase IIa Studie geprüft (Registriernummer NCT 01479972). Auch hier erwies sich der Impfstoff als sicher und immunogen. Aufgrund dieser ermutigenden Befunde wurde im Jahr 2015 eine groß angelegte Impfstudie mit Kleinkindern von Müttern mit HIV-Infektion begonnen (Registriernummer NCT02391415). Auf diese Weise soll festgestellt werden, ob der neue Impfstoff auch in HIV exponierten Neugeborenen sicher ist. Aufgrund vereinzelter Zwischenfälle bei der BCG-Impfung von HIV exponierten Neugeborenen wird in Südafrika die BCG-Impfung von Säuglingen mit nachgewiesener HIV-Infektion nicht empfohlen. Wegen des hohen Sicherheitsprofils in präklinischen Studien besteht begründete Hoffnung, dass der neue Impfstoff auch in HIV exponierten Kleinkindern zum Schutz gegen TB eingesetzt werden kann.

Der Impfstoff wurde an die Vakzine Projekt Management GmbH lizenziert, die die klinischen Impfstudien betreut. Kürzlich wurde der Impfstoff an das Serum Institut von Indien (SII) sub-lizenziert, dem nach Dosen gerechnet größten Impfstoff-Hersteller der Welt mit einem breiten Impfstoff-Portfolio. Mit diesem Konsortium ist für 2016 in Indien eine groß angelegte Phase III-Studie an einer TB-Hochrisikogruppe geplant. Dies sind erwachsene TB-Patienten, die nach abgeschlossener Chemotherapie als geheilt entlassen werden. Rund 5% bis 10% dieses Personenkreises erkranken erneut an TB, entweder weil sie sich nach der Behandlung neu infiziert haben oder aber weil der ursprüngliche Mtb-Erreger durch die Behandlung nicht vollständig eliminiert wurde. Somit handelt es sich um eine sogenannte Postexpositions-Impfung , also eine prophylaktische Studie an Erwachsenen, die bereits eine Mtb-Infektion durchgemacht haben (siehe auch Abb. 1). Diese Studie soll in erster Linie die Effektivität des neuen Impfstoffs ermitteln. Auch wenn diese Studie über mehrere Jahre angelegt ist, besteht große Hoffnung, dass mit einem effektiven Impfstoff gegen die Lungen-TB in allen Altersgruppen eines der größten globalen Gesundheitsprobleme, besonders für Entwicklungsländer und Schwellenländer, eingedämmt werden kann. So könnte das Ziel der Weltgesundheitsorganisation erreicht werden, von 2015 bis 2035 Krankheitsfälle und Todesfälle durch TB um 90 bzw. 95% zu senken.

Hinweis: Bei dem hier vorliegenden Text handelt es sich teilweise um die freie Übersetzung eines Teils der von Kaufmann et al. veröffentlichten Arbeit in der internationalen Zeitschrift Expert Review of Vaccines [8].

Literaturhinweise

WHO
Global Tuberculosis Report
Geneva, Switzerland: World Health Organization (2015)
Andersen, P.; Kaufmann, S.H.
Novel vaccination strategies against tuberculosis
Cold Spring Harbor Perspectives in Medicine 4 (2014)
Ottenhoff, T.H.M.; Kaufmann, S.H.E.
Vaccines against tuberculosis: where are we and where do we need to go?
PLOS Pathogens 8: e1002607 (2012)
Kaufmann, S.H.
Tuberculosis vaccines: time to think about the next generation
Seminars in Immunology 25, 172-181 (2013)
Grode, L.; Seiler, P.; Baumann, S.; Hess, J.; Brinkmann, V.; Nasser Eddine, A.; Mann, P.; Goosmann, C.; Bandermann, S.; Smith, D.; Bancroft, G. J.; Reyrat, J.M.; van Soolingen, D.; Raupach, B.; Kaufmann, S.H.E.
Increased vaccine efficacy against tuberculosis of recombinant Mycobacterium bovis bacille Calmette-Guérin mutants that secrete listeriolysin
Journal of Clinical Investigation 115, 2472-2479 (2005)
Saiga, H.; Nieuwenhuizen, N.; Gengenbacher, M.; Koehler, A.B.; Schuerer, S.; Moura-Alves, P.; Wagner, I.; Mollenkopf, H.J.; Dorhoi, A.; Kaufmann, S.H.
The recombinant BCG ΔureC::hly vaccine targets the AIM2 inflammasome to induce autophagy and inflammation
Journal of Infectious Diseases 211, 1831-1841 (2015)
Vogelzang, A.; Perdomo, C.; Zedler, U.; Kuhlmann, S.; Hurwitz, R.; Gengenbacher, M.; Kaufmann, S.H.
Central memory CD4+ T cells are responsible for the recombinant bacillus Calmette-Guerin ΔureC::hly vaccine's superior protection against tuberculosis
Journal of Infectious Diseases 210, 1928-1937 (2014)
Kaufmann, S.H.; Cotton, M.F.; Eisele, B.; Gengenbacher, M.; Grode, L.; Hesseling, A.C.; Walzl, G.
The BCG replacement vaccine VPM1002: from drawing board to clinical trial
Expert Review of Vaccines 13, 619-630 (2014)
Grode, L.; Ganoza, C.A.; Brohm, C.; Weiner, J.; Eisele, B.; Kaufmann, S.H.E
Safety and immunogenicity of the recombinant BCG vaccine VPM1002 in a phase 1 open-label  randomized clnical trial
Vaccine 31, 1340-1348 (2013)
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