Forschungsbericht 2015 - Max-Planck-Institut für Meteorologie

ICON: Ein neues Modell für die Untersuchung der Rolle kleiner Wolken im globalen Klimasystem

Autoren
Giorgetta, Marco(1); Stevens, Bjorn(1); Dipankar, Anurag(1), Adamidis, Panos(2) (1): Max-Planck-Institut für Meteorologie (2): Deutsches Klimarechenzentrum
Abteilungen
Atmosphäre im Erdsystem (Bjorn Stevens)
Zusammenfassung
Mit der Entwicklung des neuen Atmosphärenmodells ICON wurden zwei wichtige Verbesserungen gegenüber älteren Modellen erreicht. Einerseits ermöglicht die Wahl der nicht-hydrostatischen Gleichung die Simulation selbst kleinräumiger Zirkulationen in Kumuluswolken und deren Umgebung. Andererseits wurden die numerischen Methoden so gewählt, dass sich massiv parallele Supercomputer maximal nutzen lassen. Beides zusammen eröffnet neue Perspektiven in der Erforschung der Dynamik von Kumuluswolken und deren Wechselwirkung mit großskaligen Zirkulationen und dem globalen Klima.

Herausforderungen und Motivation für die Entwicklung des Atmosphärenmodells ICON

Die Klimaforschung beruht auf Theorie, Beobachtungen und in erheblichem Umfang auf numerischen Modellen, da sich im Labor kein materielles Modell des Klimasystems nachbilden lässt. Numerische Simulationen sind daher am MPI für Meteorologie die erste Wahl. Damit lassen sich die wesentlichen Prozesse im Klimasystem systematisch durch Vergleich mit Beobachtungen wie auch durch die Erprobung alternativer Formulierungen für ausgewählte Prozesse erforschen. Hierzu gehören die vielfältigen Mechanismen, die Wolken entstehen und verschwinden lassen oder in bestimmten Strukturen organisieren. Wolken existieren auf vielen Skalen: von kleinen Kumuluswolken, den sogenannten Schönwetterwolken, über vertikal hochreichenden Gewitterwolken bis hin zu ausgedehnten durchscheinenden Zirruswolken an der Tropopause, aber auch dichten Wolken in der unteren Atmosphäre, die sich über große Flächen ausdehnen. Jeder dieser Wolkentypen greift auf unterschiedliche Art und Weise ins Wettergeschehen ein. Die Rolle der Wolken insgesamt im Klimasystem ist also komplex und auch für Beobachtungen und die Modellierung eine große Herausforderung.

Wie Wolken und zirkulierenden Luftmassen miteinander wechselwirken, ist nicht vollständig verstanden. Das ist ein wichtiger Unsicherheitsfaktor in der sogenannten Klimasensitivität. , Sie gibt die finale, global gemittelte Erwärmung der bodennahen Atmosphäre nach einer Verdoppelung der CO2-Konzentration gegenüber den Bedingungen von 1850 an. Die Klimasensitivität lässt sich nicht beobachten, sondern nur aus globalen Klimasimulationen abschätzen. Daher hängt sie von der Güte der in den Modellen dargestellten Prozesse ab. Problematisch sind hierbei insbesondere die parametrisierten Prozesse, also solche, die sich räumlich nicht explizit auflösen lassen. Aktuelle Klimamodelle haben typischerweise horizontale Auflösungen von 100 Kilometern. Damit lassen sich etwa beispielsweise keine Kumuluswolken darstellen, da sie eine geringere Ausdehnung haben. Durch sie hervorgerufene Effekte wie vertikale Durchmischung der Atmosphäre, Umsetzung latenter Wärme, Niederschlag und Strahlungseffekte müssen daher anhand der aufgelösten Umgebungsbedingungen parametrisiert werden, und das wiederum ist mit Unsicherheiten behaftet. Die Herausforderung für die Modellierung besteht darin, diese zu reduzieren oder zu eliminieren. Ein möglicher Weg ist, die Auflösung globaler Modelle zu steigern, so dass weniger Prozesse parametrisiert werden müssen. Diese Möglichkeit wird praktisch durch die Stärke der Computersysteme, die Rechenkosten und die Fähigkeit der Klimamodelle, die leistungsfähigsten Computersysteme ausreizen zu können, limitiert. Alternativ lassen sich feinskalige Modelle einsetzen, welche die Dynamik der Kumuluswolken in einer Region explizit auflösen und sich so zur genaueren Erforschung der Vorgänge innerhalb der Region nutzen lassen. Daraus lassen sich dann präzisere Parametrisierungen für globale Modelle ableiten. Noch vorteilhafter wäre ein Modellsystem, das sich gleichermaßen für beide Wege eignet, und somit erlaubt, die verschiedenen zeitlichen und räumlichen Skalen gemeinsam zu untersuchen. Hierzu wurde das Modellsystem ICON entwickelt, das Komponenten für die Atmosphäre, das Land und den Ozean beinhaltet. Nachfolgend wird das Atmosphärenmodell diskutiert, in dem die Wolkenprozesse untersucht werden sollen.

 Das ICON Atmosphärenmodell

Das ICON-Atmosphärenmodell wurde gemeinsam mit dem Deutschen Wetterdienst (DWD) entwickelt, um ein gemeinsames Werkzeug zu schaffen, das sich gleichermaßen für die Klimaforschung und die Wettervorhersage eignet. Die Innovationen gegenüber den Vorgängermodellen ECHAM und GME am MPI für Meteorologie beziehungsweise dem DWD lassen sich in folgenden Punkten zusammenfassen:

  • Dynamik: Die Verwendung der nicht-hydrostatischen Bewegungsgleichungen erlaubt es, auch kleinräumige Zirkulation mit starken vertikalen Winden in konvektiven Wolken zu simulieren [1]. ECHAM und GME wurden auf der Basis der hydrostatischen Gleichungen entwickelt, die rechnerisch einfacher und schneller zu lösen sind, aber davon ausgehen, dass sich vertikale Winde hinreichend genau aus den horizontalen Winden ableiten lassen und damit keiner eigenen Gleichung bedürfen. Dies trifft aber nur für Auflösungen von etwa 10 Kilometern oder schlechter zu.
  • Transport: Der Transport von Spurenstoffen wie Wasserdampf oder Wolkenwasser erfolgt massenerhaltend. Sowohl in ECHAM als auch GME wurde dies durch die numerischen Methoden nicht garantiert, so dass die kleinen numerischen Fehler Bilanzen von langlebigen Spurenstoffen beeinträchtigen konnten.
  • Parametrisierte Prozesse: Parametrisierungen wurden für drei Anwendungsfälle entwickelt: Klimasimulationen über Jahrzehnte mit Auflösungen von 40 bis 160 Kilometern, die numerische Wettervorhersage über 10 Tage bei einer Auflösung von 13 Kilometern und wolkenauflösende Simulationen über wenige Tage mit einer Auflösung von rund 100 Metern. Das ECHAM-Modell war ausschließlich für Klimasimulationen entwickelt worden, und das GME-Modell nur für die Wettervorhersage.
  • Räumliche Diskretisierung: Die Wahl von unstrukturierten Dreiecksgittern erlaubt maximale Flexibilität in der Gestaltung der Rechengebiete. Diese können Regionen oder den ganzen Globus abdecken (siehe Abb. 1), oder für idealisierte Rechnungen auch ein periodisch fortgesetztes Gebiet auf einer Ebene. ECHAM und GME können nur auf dem ganzen Globus gerechnet werden. Regionale Verfeinerungen sind nicht möglich.
  • Numerische Effizienz und Skalierbarkeit: Durch eine Kooperation mit dem Deutschen Klimarechenzentrum ließ sich eine extrem hohe Parallelisierbarkeit des ICON-Modells erreichen. Damit konnte in technischen Tests der zweitgrößte Computer Europas (Frühjahr 2015) – Juqueen am Forschungszentrum Jülich – mit allen 458752 Rechenkernen genutzt werden (http://www.fz-juelich.de/ias/jsc/EN/Expertise/High-Q-Club/ICON/_node.html). Das alte ECHAM-Modell konnte im Extremfall auf wenigen Tausend Kernen parallel rechnen.

Validierung des wolkenauflösenden ICON Modells

Für die Validierung des ICON-Modells in Large-Eddy-Simulationen (LES) bei horizontalen Auflösungen von 100 bis 25 Metern wurden im BMBF-geförderten HD(CP)2-Projekt (http://www.hdcp2.eu/) Referenzrechnungen für eine konvektive Grenzschicht ohne beziehungsweise mit Wolkenbildung durchgeführt und mit Lösungen von spezialisierten LES-Modellen verglichen [2]. Diese Tests sind auf die verwirbelte Grenzschicht fokussiert, deren mittlere vertikale Struktur (siehe Abb. 2) wie auch die von den Wirbeln verursachten vertikalen turbulenten Transporte vom ICON-Modell sehr ähnlich wie in den zwei ebenfalls eingesetzten Referenzmodellen UCLA und PALM simuliert. Die Unsicherheiten in der Berechnung der Wolkenschicht (siehe Abb. 2c), geschätzt in einem früheren Modellvergleich [3], ist wesentlich größer als die Differenzen zwischen ICON, UCLA und PALM.

Erste wolkenauflösende Simulation über ganz Deutschland

Dieses validierte ICON-Modell wurde nun im HD(CP)2-Projekt für wolkenauflösende Simulationen über einem ganz Deutschland abdeckenden Rechengebiet (siehe Abb. 3) eingesetzt. Dazu wurden solche Tage simuliert, für die detaillierte Beobachtungen zur atmosphärischen Struktur, zu Wolken und zu Niederschlag vorlagen, die in der HOPE-Beobachtungskampagne des HD(CP)2-Projekts gesammelt worden waren. Im Modell wurde ein zweifach verfeinertes regionales Gitter mit insgesamt 32 Millionen Zellen und 150 Schichten verwendet. Das Grundgitter mit einer Auflösung von rund 600 Metern erhält die Randbedingungen von archivierten Vorhersagen, die der DWD mit dem regionalen COSMO-DE Modell mit einer Auflösung von 2,8 Kilometern gerechnet hatte.

In Abb. 4 wird die zeitliche Entwicklung der Grenzschichthöhe am 24. April 2013 in der Umgebung von Jülich gezeigt, mit Beobachtungsdaten von Lidar-Instrumenten (HALO(JOY) Windlidar und POLLY(LAC) Aerosollidar) und Radiosonden (RS(KIT)) sowie von drei Modellen: ICON (ICON-LES(HOPE)), PALM (PALM), das mit vereinfachten Randbedingungen gerechnet wurde, und COSMO-DE (COSMO), woraus die Randbedingungen für ICON entnommen wurden. Da sich die Aerosolschichten in der Nacht von der Grenzschicht entkoppeln, stimmen die beiden Lidarmessungen nur tagsüber überein. Die Radiosondenmessungen zeigen vor allem nachmittags eine größere Höhe der Grenzschicht als die Lidarmessungen. Bei allen drei Modellen findet sich zwischen 9 und 15 UTC eine gute Übereinstimmung mit den Beobachtungen. Die ICON-Simulation kommt dabei den Windlidardaten am nächsten. Unterschiede gibt es aber in der Bildung und im Zerfall der Grenzschicht zwischen 6 und 9 UTC beziehungsweise 15 und 18 UTC. Hier zeigt nur ICON den schnellen Aufbau und den schnellen Zerfall wie in den zeitlich hoch aufgelösten Windlidarmessungen sichtbar. Damit sind diese ersten realistischen Simulationen vielversprechend für eine weiterführende Untersuchung der im HD(CP)2-Projekt realisierten Beobachtungen und ICON-Simulationen.

 

Zusammenfassung

Mit dem ICON-Atmosphärenmodell wurde ein neues, einzigartiges Modell entwickelt, das aufgrund der Gleichungen, Diskretisierungsmethoden und der Softwarestruktur die Simulation von atmosphärischen Zirkulationen von der 100-Meter-Skala bis zur globalen Skala auf größten Supercomputern ermöglicht und sich zudem mit einem Ozeanmodell als Erdsystemmodell koppeln lässt. Dies eröffnet für die direkte Untersuchung der Rolle selbst kleiner Wolken im globalen Klimasystem neue Horizonte, denn damit lassen sich die Unsicherheitsfaktoren der Klimasensitivität genauer untersuchen. In einer ersten Anwendung wurden im HD(CP)2-Projekt erstmals wolkenauflösende Simulationen über ganz Deutschland gerechnet und erfolgreich mit neuen Beobachtungen verglichen.

Literaturhinweise

Zängl, G.; Reinert, D.; Rípodas, P.; Baldauf, M.
The ICON (ICOsahedral Non-hydrostatic) modelling framework of DWD and MPI-M: Description of the non-hydrostatic dynamical core.
Quarterly Journal of the Royal Meteorological Society, Vol. 141, 687, 563-579 (2014)
Dipankar, A.; Stevens, B.; Heinze, R.; Moseley, C., Zängl, G.; Giorgetta, M.; Brdar, S.
Large eddy simulation using the general ciculation model ICON.
Journal of Advances in Modeling Earth Systems, Vol. 7, 3, 963-986 (2015)
Siebesma, A. P.; Bretherton, C. S.; Brown, A.; Chlond, A.; Cuxart, J.; Duynkerke, P. G.; Jiang, H.; Khairoutdinov, M.; Lewellen, D.; Moeng, C.-H.; Sanchez, E.; Stevens, B.; Stevens, D. E.
A large eddy simulation intercomparison study of shallow cumulus convection.
Journal of the Atmospheric Sciences, Vol. 60, 1201–1219 (2003)
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