Ein Wortschatz aus ursprünglichen Peptiden

Max-Planck-Wissenschaftler identifizieren Fragmente von Proteinen, die schon vor Milliarden Jahren existiert haben

23. Dezember 2015

Proteine und Sprache haben einige Gemeinsamkeiten - bei beiden ergibt sich eine Bedeutung erst über die richtige Anordnung ihrer Grundbausteine. Forscher am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen nutzen bioinformatische Methoden, um die Grundbausteine der Proteine zu entschlüsseln. Einen ähnlichen Ansatz verfolgen Sprachwissenschaftler, wenn sie die Vokabeln am Ursprung heutiger Sprachen rekonstruieren möchten. Die Tübinger Wissenschaftler konnten nun 40 Proteinfragmente identifizieren, die vermutlich schon vor 3,5 Milliarden Jahren existierten und aus denen sich die modernen Proteine entwickelt haben.

Sie sind ein integraler Bestandteil von uns, und täglich nehmen wir sie mit der Nahrung auf: Proteine, also Eiweiße sind biologische Moleküle, die essenziell für alle Vorgänge in unserem Körper sind. „Das Leben, wie wir es heute kennen, kann man als das Ergebnis der chemischen Aktivität von Proteinen betrachten”, sagt Andrei Lupas, Direktor der Abteilung für Proteinevolution am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie. Er und seine Mitarbeiter widmen sich seit langem der Frage, wie sich Proteine entwickelt und letztlich das Leben ermöglicht haben.

Es ist bekannt, dass sich viele Proteine aus einzelnen Untereinheiten bestehen, den sogenannten Proteindomänen. Wie diese Domänen entstanden sind, wirft allerdings viele Fragen auf. Die Wissenschaftler verfolgen die Hypothese, dass sich Proteindomänen über eine Art “Lego-Baukasten-Prinzip" entwickelt haben: Demnach gibt es ursprüngliche Fragmente (Peptide), die schon zu der Zeit des letzten gemeinsamen Vorfahrens aller heute lebender Organismen, vor rund 3.5 Milliarden Jahren, existierten und aus denen sich in unterschiedlicher Anzahl und Kombination die heute bekannten Proteindomänen zusammensetzen.

In einer vergleichenden Analyse konnten die Wissenschaftler nun erstmals 40 Peptidfragmente identifizieren, die in scheinbar nicht miteinander verwandten Proteinen vorkommen, sich aber in ihrer Sequenz und Struktur sehr ähnlich sind. Da diese Peptide gerade in sehr alten Proteinen zahlreich vorkommen und in viele physiologische Vorgänge verwickelt sind,, wie sie für die Entstehung und den Erhalt von Leben notwendig sind, handelt es sich vermutlich um sehr ursprüngliche Peptide – Peptide, die einer urzeitlichen Welt entstammen, welche vor dem Aufkommen erster zellulärer Lebensformen existierte.

In einem nächsten Schritt gilt es nun herauszufinden, wie maßgeblich die Peptide daran beteiligt sind, dass sich die Proteine zu ihrer endgültigen Struktur auffalten können. "Wenn wir den Prozess verstanden haben, müsste es auch möglich sein, neue Faltungsmuster zu entwerfen. Das wäre dann so, als ob man eine neue Art von Legosteinen erfände, mit denen man plötzlich ganz andere Formen bauen kann”, so Lupas. In naher Zukunft könnten Wissenschaftler Proteine optimieren oder neue entwickeln. Dies bietet vielseitige Anwendungsmöglichkeiten im Bereich der Biotechnologie.

TS/HR

Zur Redakteursansicht