Schnelle Antworten möglicherweise älter als das Sprechen

Alltagsgespräche geben Hinweise auf die Entwicklung von Sprachen

21. Dezember 2015

Wenn sich Menschen unterhalten, gibt es kaum Pausen im Gesprächsverlauf – ein Muster, das in allen Kulturen und Sprachen zu beobachten ist. Für Sprachwissenschaftler sind diese raschen Sprecherwechsel ein interessantes Forschungsthema. Stephen Levinson vom Max-Planck-Institut für Psycholinguistik hat die neuere Forschung zu diesem Phänomen für einen Überblicksartikel analysiert und herausgearbeitet, wie der schnelle Wechsel in der Kommunikation die Struktur von Sprachen und ihre Entstehung prägt

Wenn wir sprechen, antworten wir einander immer abwechselnd. Die Geschwindigkeit, in der die Antwort folgt, beträgt im Durchschnitt etwa 200 Millisekunden, also etwa die Zeit, die es braucht, um einmal zu blinzeln. Das ist erstaunlich, wenn man bedenkt, wie lange wir brauchen, um Sprache im Gehirn zu generieren: So dauert es mindestens 600 Millisekunden, um ein Wort vorzubereiten, das wir aussprechen wollen. Das heißt, es muss eine deutliche Überscheidung geben zwischen dem Zuhören und der Vorbereitung der Antwort. Stephen Levinson, Direktor am Max-Planck-Institut für Psycholinguistik in Nijmegen, hat Forschungsarbeiten betrachtet, die sich mit dieser Überschneidung zwischen Sprachverstehen und -produzieren befassen. Dabei fand er Hinweise, dass diese doppelte Beanspruchung systematische Auswirkungen auf die Sprachstruktur haben dürfte: So könnten die Überschneidungen ein Grund dafür sein, dass alle Sprachen in Sätze gegliedert sind, die die kleineste Einheit einer Aussage oder eines Sprechaktes darstellen. Ebenso könnte das Phänomen erklären, warum wir interpretierend denken: Denn das ermöglicht uns, aus wenigen Worten viel zu entnehmen.

Bei Kindern finden sich Sprecherwechsel bereits in der Phase der Protokonversation ab etwa sechs Monaten, also lange bevor Kinder Sprache verstehen und sich aktiv äußern können. Bei Interaktionen zwischen Kind und Bezugsperson entspricht die Geschwindigkeit, in der die Kinder reagieren, zunächst dem der Erwachsenen. Sobald die Kinder differenzierter kommunizieren können, wird das Tempo langsamer, in dem die Kinder antworten. Das liegt sowohl daran, dass sie zunehmend komplexere sprachliche Strukturen lernen, als auch daran, dass sie eine Möglichkeit finden müssen, das Gelernte in die schnellen Sprecherwechsel einzupassen.

Erbe der Primaten-Vorfahren

Ein schneller Wechsel in der Kommunikation wurde auch bei allen Primatenarten nachgewiesen, teils angeboren, teils von manchen Affen erlernt – ähnlich wie von Kindern. Unsere nächsten Verwandten, die Menschenaffen, lösen einander bei ihrer Kommunikation mit Gesten ebenfalls ab, auch wenn ihre Art zu kommunizieren weit weniger komplex ist. Das lässt darauf schließen, dass das Prinzip wechselseitiger Kommunikation beim Menschen ein Erbe unserer Primaten-Vorfahren ist. Die menschliche Kommunikation könnte wie bei den Menschenaffen mit gestischer Verständigung begonnen haben und sich später, vor rund einer Million Jahren, zur gesprochenen Sprache gewandelt haben. Wenn sich die sprachliche Komplexität innerhalb eines bereits existierenden Systems wechselseitiger Kommunikation entwickelt hat, könnte das erklären, warum ein so hohes Maß an Komplexität mit einem so schnellen Wechsel der Sprecher einhergeht. Das könnte auch der Grund sein, warum Kinder Schwierigkeiten haben, im gleichen Tempo wie Erwachsene auf die komplexen Strukturen zu reagieren.

MD/MEZ

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