Metamorphose der Elemente

Mithilfe extrem hoher Drücke können chemische Elemente unter neuen Gesichtspunkten untersucht werden.

Das Innere von Planeten, Sternenhüllen und zahlreiche andere ungemütliche Plätze im All haben eines gemeinsam: Materie steht dort unter extremem Druck von einigen Millionen Erdatmosphären. Mikhail Eremets und seine Kollegen erzeugen solche kosmischen Drücke in ihrem Labor am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz, und zwar in überraschend einfachen Experimenten. Sie erforschen, welche eigenartigen Wandlungen Gase, aber auch Metalle unter diesen Bedingungen durchmachen.

Der Kosmos ist voller Orte, wo das Extreme normal ist. „Im Kern des Jupiters zum Beispiel herrscht ein Druck von über 30 Millionen Erdatmosphären“, erklärt Mikhail Eremets am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz: „Und die Planetenforschung vermutet seit Längerem, dass der Wasserstoff, aus dem diese Gasplaneten hauptsächlich bestehen, dort metallisch ist.“ Bereits 1935 hatten die amerikanischen Physiker Eugene Wigner und Hillard Bell Huntington diesen merkwürdigen, festen Zustand des Wasserstoffs vorhergesagt. Doch bis vor Kurzem blieb er Spekulation. Erst 2011 sorgte das kleine Max-Planck-Team um den Russen Mikhail Eremets mit seinen Experimenten für Gewissheit. Tatsächlich beobachteten die Mainzer als erste Menschen, wie Wasserstoff zu Metall wird – bei einem gewaltigen Druck von über 2,7 Millionen bar, das entspricht 2,7 Millionen Erdatmosphären.

Nach dieser Weltrekordmessung stellen sich viele Chemiker, Materialwissenschaftler und Physiker neue, faszinierende Fragen: Wird Wasserstoff unter noch höherem Druck bei Zimmertemperatur sogar supraleitend, leitet er Strom also ganz ohne elektrischen Widerstand? Genau das sagen Theoretiker voraus. In Stromkabeln anwendbar wäre supraleitender Extremdruckwasserstoff höchstens für Jupiterbewohner – wenn es diese denn gäbe. Doch die Entdeckung von Zimmertemperatursupraleitung in Wasserstoff könnte helfen, das noch ungelöste Rätsel der Hochtemperatursupraleiter zu knacken und diese Materialien für technische Anwendungen zu trimmen. Die Keramiken verlieren ihren Widerstand zwar bei höheren Temperaturen als konventionelle Supraleiter, aber immer noch zu weit unter null, um technisch wirklich brauchbar zu sein.

Unabhängig vom möglichen Erkenntnisgewinn für die Energietechnik sind die Experimente mit Wasserstoff für Physiker und Chemiker aus prinzipiellen Gründen interessant: Bei Wasserstoff handelt es sich um das einfachste Atom und das häufigste aller chemischen Elemente im Kosmos. Deshalb ist er der Modellorganismus, die Drosophila, der Quantenphysik. Der Versuch, das Wasserstoffatom physikalisch präzise zu beschreiben, brachte die moderne Quantenmechanik sogar erst hervor. Am vorläufigen Ende dieser Quantenrevolution steht die Halbleiterelektronik, die unsere Kultur ins Internetzeitalter katapultiert hat.

Tatsächlich wird auch Wasserstoff oberhalb von 2,2 Millionen Atmosphären zunächst zum Halbleiter, bevor er zu Metall mutiert. Auch das haben die Mainzer erstmals beobachtet; selbst fantasievolle Theoretiker hatten dieses Verhalten nicht erwartet. Genau die Wandlungsfähigkeit unter wachsendem Druck macht Wasserstoff so faszinierend für die Wissenschaft, die aus solchen Experimenten grundsätzliche Schlüsse über die Materie in unserem Kosmos ziehen will. Doch wie schaffen es die Mainzer Max-Planck-Wissenschaftler überhaupt, ihre Proben unter solch extremen Bedingungen zu untersuchen?

Jedenfalls brauchen sie nicht etwa teure Raumsonden, die sich in den bodenlosen Abgrund des Gasplaneten Jupiter stürzen. Von der Antwort auf unsere Frage trennen uns am Mainzer Institut deshalb auch nicht Hunderte Millionen kosmischer Reisekilometer. Die Lösung befindet sich direkt in Eremets vollgekramtem Gelehrtenzimmer, in dem eine alte Uhr gemütlich die Zeit zertickt. Sie liegt auf einer Werkbank mit einem Stereomikroskop, und auf den ersten Blick sieht sie fast enttäuschend unspektakulär aus.

Experimente bei einem Druck wie im Inneren der Erde

Lächelnd drückt Eremets dem Gast einen kompakten Metalltubus in die Hand. Das messingfarbene Ding hat den Durchmesser einer großen Münze und erinnert entfernt an ein Spezialteil einer Wasserarmatur. Doch die massiven Kappen, die das Metallrohr auf beiden Seiten verschließen, zerstreuen diesen Eindruck. Durch dicke, kleine Fenster erlauben sie einen Blick in das Innere. Und just dort, in einem Volumen von etwa zwei Dutzend Mikrometern Durchmesser – ein Mikrometer ist ein tausendstel Millimeter –, herrschen Druckbedingungen wie im Inneren der Erde. Jedenfalls wenn das Gerät in Betrieb ist.

Natürlich drängt sich die Frage auf, welche Materialien einen solch gigantischen Druck aushalten. Zur Antwort könnte man in Anspielung auf Marilyn Monroes unsterblichen Song „...but diamonds are a researcher’s best friend“ vor sich hin summen. Tatsächlich sind Diamanten die besten Freunde des Hochdruckforschers. Die „Diamantstempelzelle“, wie der kleine Tubus heißt, enthält zwei Diamanten. Allerdings sind es recht kleine, erklärt Eremets, „die größten erreichen gerade so 0,1 Karat“. Er holt ein Schächtelchen mit kleinen, glitzernden Steinen, die alle bei Versu-chen zersprungen sind. Auch das härteste Material hält eben nicht jeden Druck aus, und das macht dieses Forschungsgebiet so schwierig.

Eremets und sein ebenfalls russischer Mitstreiter Ivan Troyan mussten sogar Experten im präzisen Schleifen von Diamanten werden. Die Form, die sie benötigen, hat nichts mit den Schliffen gemein, die einem Brillanten das Feuer verleihen. Zunächst geben die Max-Planck-Wissenschaftler den kleinen Diamanten eine konische Grundform. Dann schleifen sie ein winziges Stück der Spitze ab. Dadurch entsteht dort eine plane Fläche von nur rund zwanzig Mikrometern Durchmesser. Nun stecken die Forscher ihre Diamanten – die abgeflachten Spitzen gegeneinander gerichtet – in eine winzige, ringförmige Fassung, welche ebenfalls hochstabil ist.

Vor einem Experiment füllen die Mainzer Forscher das winzige Volumen zwischen den Diamantspitzen in einer geschlossenen Box mit hochreinem Wasserstoff. Oder mit einem anderen Material: Natrium und Stickstoff kamen auch schon in die Mainzer Zellen. Nun muss noch der gigantische Druck her. Mikhail Eremets demonstriert, wie verblüffend einfach das geht. Er braucht dazu keine riesige Presse, wie man als Laie vermuten könnte. Dem Wissenschaftler genügen ein Schraubendreher und der Ring von Präzisionsschrauben, der die beiden Fenster in den Metallkappen jeweils umschließt.

Der Rest ist simpelste Mechanik. Indem der Forscher die Schrauben um die gut münzgroße Fläche der Kappe langsam anzieht, übt er auf das Innere der Zelle einen wachsenden Druck aus. Diesen Druck, der eine Tonne erreichen kann, fokussiert das konische Innenleben auf die winzige Diamantspitze. Deren Fläche ist nur wenige Quadratmikrometer klein, die Kappenfläche dagegen mit einigen Quadratzentimetern vergleichsweise riesig. Und dieses extreme Flächenverhältnis wirkt wie ein enormes Übersetzungsgetriebe. So werden aus ein paar feinfühligen Schraubenumdrehungen schließlich ein, zwei, drei und mehr Millionen Atmosphären Druck im Kern der Zelle. Der absolute Rekord der Mainzer liegt derzeit bei 4,4 Millionen Atmosphären.

Das Prinzip ist simpel, die Tücken stecken im Detail

Das Prinzip ist also erstaunlich simpel, vor allem wenn man in Betracht zieht, mit welchem technischen Aufwand andere Disziplinen wie die Teilchenphysik zu – allerdings noch extremeren – Materiezuständen vorstoßen. Und dennoch gibt es weltweit nur wenige Forschergruppen, die in der obersten Extremdruck-Liga mit den Mainzer Max-Planck-Wissenschaftlern mitspielen können. Das liegt keinesfalls an mangelndem Interesse an solchen Experimenten. Der Grund sind die vielen Tücken im Detail, an denen auch erfahrene Forscher immer wieder scheitern. Von diesem jahrelangen Ringen erzählen eben auch die zerborstenen Diamanten in Eremets’ Schächtelchen. Mit Beharrlichkeit hat seine Gruppe sich den Erfolg der Experimente erarbeitet. „Das verdanken wir auch den guten Bedingungen in der Max-Planck-Gesellschaft, die uns ein langfristiges Arbeiten ermöglichen“, betont Mikhail Eremets.

Ein Metallfilm schützt die Diamanten gegen Wasserstoff

Gerade Wasserstoff stellte eine Herausforderung der, an der die Diamanten aller Hochdruckforscher bislang zersplitterten. Das liegt daran, dass kein Diamant wirklich perfekt ist. Auch eine feinstens polierte Schlifffläche weist immer Mikrorisse auf. In diese Risse dringen die kleinen Wasserstoffmoleküle unter Druck ein und zersprengen die Steine. Daran scheiterten jahrelang alle Experimentatoren, weltweit. Eremets’ Gruppe bildete da keine Ausnahme – bis den Mainzern eine entscheidende Idee kam. Sie bedampften die Diamant-stempelflächen mit einem Metallfilm, zum Beispiel aus Gold, Kupfer oder Aluminium. Der Film ist so dünn, dass Licht ihn noch durchdringt. Man kann also nach wie vor in die Kammer hineinschauen. Trotzdem schützt er den rissigen Diamanten vor dem aggressiven Wasserstoff. Mit diesem Trick schafften es die Mainzer schließlich, Wasserstoff zum ersten Mal bei Zimmertemperatur unter einen Druck von drei Millionen Atmosphären zu setzen, ohne dass ihre Diamanten zersprangen.

Die Frage, ob der Diamantenverschleiß denn teuer sei, bringt Eremets zum Lächeln. „Uns gehen im Jahr vielleicht zwanzig kleine Diamanten kaputt“, rechnet er vor, „das kostet etwa 10 000 Dollar und ist damit billig im Vergleich zu vielen anderen Experimenten.“ Dass die Mainzer Forscher ihre Verluste immer wieder ersetzen können, verdanken sie auch den 1,9 Millionen Euro, mit denen der Europäische Forschungsrat die Gruppe von Mikhail Eremets seit 2011 für mehrere Jahre unterstützt – eine große Anerkennung für das Forschungsgebiet und die Entdeckungen des Teams. Damit kann die kleine Gruppe von einem halben Dutzend Wissenschaftlern ordentlich Druck machen. Und mit ihren Experimenten zu den großen Forschungseinrichtungen der Welt reisen. Denn das ist ein weiterer Vorteil der ausgesprochen handlichen Zelle. „Ich kann sie einfach in die Tasche stecken und mitnehmen“, schwärmt Eremets.

Die durchsichtigen Diamanten lassen verschiedene Sorten von Strahlung in die Proben, und jede liefert eine andere Information über das Verhalten der Moleküle, Atome und Elektronen unter Druck. In ihren Mainzer Labors schicken die Forscher kräftiges Laserlicht im sichtbaren Spektrum in die Proben. Aus dem Licht, das die Probe daraufhin zurückwirft, gewinnen sie detaillierte Informationen über das Verhalten der Moleküle. Weitere Informationen bringt eine besonders perfekte Art von Infrarotstrahlung aus Synchrotrons, großen Beschleunigerringen zum Beispiel im französischen Grenoble, im schweizerischen Villigen, in Chicago oder Hamburg, zu denen Eremets und seine Kollegen reisen.

Die Moleküle werden zu warmem Wasserstoffeis

Auch Röntgenstrahlung liefert wichtige Daten. Diese elektromagnetische Strahlung ist so kurzwellig, dass sie die Positionen einzelner Atome in Kristallen scharf abbilden kann. Das hilft auch bei der Untersuchung von Metallen, die wie viele Festkörper kristallin aufgebaut sind. An allen hochspezialisierten Strahlungsquellen müssen die Mainzer nur ihre kleinen Zellen anbringen und keine aufwendigen Geräte aufbauen. Und das taten sie zuletzt mit dem Wasserstoff.

Chemiker oder Physiker überrascht übrigens keinesfalls, dass Wasserstoff metallähnliche Eigenschaften besitzen könnte. Im Periodensystem gehört er nämlich zur selben Gruppe wie die Alkalimetalle Lithium, Natrium und Kalium. Etwas oberhalb von zwei Millionen Atmosphären Druck werden seine zweiatomigen Moleküle zu einer Art warmem Wasserstoffeis zusammengedrückt. „Diesen Stoff kann man nun sehr stark weiterkomprimieren“, sagt Eremets, „bis auf ein Zwanzigstel seines Volumens.“ Die Wasserstoffmoleküle quetschen sich unter dem wachsenden Druck immer stärker zusammen.

„Dabei geschieht etwas mit ihren Elektronen“, erklärt der Forscher. Das Wasserstoffmolekül besteht aus zwei Wasserstoffatomen, und normalerweise sind deren beiden Elektronen an dieses Molekül gebunden. Doch nun spüren sie die näher rückenden Nachbarmoleküle und dehnen quasi ihren Aktionsradius aus. So entstehen im Zusammenspiel der Moleküle schließlich Quanten-Highways, auf denen Elektronen ungehindert durch das gesamte Material fliegen können. Das ist typisch für elektrisch leitende Metalle.

Die Mainzer schauten diesem Übergang zu nahezu frei beweglichen Elektronen zu: Ab einem Druck von 2,2 Millionen Atmosphären wurde der Wasserstoff schwarz und undurchsichtig. Das ist der halbleitende Zustand, den die Mainzer entdeckten. In einem Halbleiter sind bestimmte Elektronen fast frei beweglich, aber noch nicht ganz. Sie brauchen einen kleinen Energiekick, um über eine Energiehürde hinauf in den Elektronen-Highway zu hüpfen. Diese Energie können Licht oder elektrische Spannung liefern.

Die Leitfähigkeit beweist den metallischen Zustand

Man kann sich förmlich vorstellen, wie in den Mainzer Labors mit dem Druck die Spannung stieg. Bei 2,7 Millionen Atmosphären schließlich tat der Wasserstoff den ersehnten Sprung. Er wechselte vom unerwarteten Halbleiterzustand in den erhofften metallischen Zustand. Die frei beweglichen Elektronen sorgten für die typisch schimmernde Lichtreflexion eines Metalls. Diese hohe Reflexivität ist aber noch kein Beweis für einen metallischen Zustand. Erst die Messung der elektrischen Leitfähigkeit kann diesen erbringen, und dies gelang der Gruppe um Eremets.

Allerdings platzte in Mainz auch ein alter wissenschaftlicher Traum. Es gab die Hoffnung, dass der einmal zu einem Metall gepresste Wasserstoff stabil bleibt, wenn der Druck nachlässt. Doch im Mainzer Labor zeigte sich erstmals, dass er sich mit nachlassendem Druck wieder zum Gas entspannt. Schade, denn das hätte vielleicht doch eine Chance auf einen Zimmertemperatursupraleiter sozusagen aus der Presse ergeben. Doch es ist ohnehin noch offen, ob der metallische Wasserstoff wirklich fest ist. Er könnte auch flüssig wie Quecksilber sein, deutet Mikhail Eremets an. An der Klärung dieser Frage arbeitet sein Team derzeit.

Die Forscher wollen auch wissen, was passiert, wenn sie den Druck noch weiter erhöhen. Irgendwann sollten die Moleküle des Wasserstoffs endgültig zerquetscht sein. „Theoretisch sollten sie sich bei etwa fünf Millionen Atmosphären auflösen“, erklärt der Wissenschaftler. Theoretiker sagen vorher, dass Wasserstoff dann nicht nur supraleitend werden könnte, sondern zugleich auch suprafluid. Er verwandelte sich dann in eine exotische Quantenflüssigkeit, die zwei außergewöhnliche Quanteneffekte vereint. Alle bekannten Supraleiter sind fest. Supraflüssig dagegen wird zum Beispiel Helium bei sehr tiefen Temperaturen.

Supraflüssigkeit ist wie die Supraleitung ein kollektiver Quantenzustand vieler Quantenteilchen, der bis heute nicht vollkommen verstanden ist. Dabei verschwindet nicht der elektrische, sondern der mechanische Widerstand: Eine solche Flüssigkeit hat keine innere Reibung mehr. Damit bekommt sie für unseren Alltagsverstand, der nur normale Flüssigkeiten kennt, verrückte Eigenschaften: Sie kann von selbst als ultradünner Film Gefäßwände hochkriechen und über den Rand laufen. Wie gut, dass unsere Getränke nicht suprafluid sind.

Natrium wird unter hohem Druck durchsichtig wie Glas

Bei den Mainzer Hochdruckexperimenten werden aber nicht nur Gase zu Metallen. Umgekehrt verlor ein Metall die metallischen Eigenschaften. 2009 beobachteten die Forscher, dass Natrium bei etwa einer Million Atmosphären schwarz wird und beim doppelten Druck durchsichtig wie gelbliches Glas. Sein Volumen schrumpfte dabei auf ein Fünftel des Raums, den es bei Normaldruck beansprucht. Wie sich zeigte, verwandelte sich das Natrium in eine Art Salz.

Auch Stickstoff verhält sich unter Druck eigenartig. Die Stickstoffmoleküle, aus denen unsere Atmosphäre zu 78 Prozent besteht, sind chemisch extrem stabil: Ihre beiden Atome klammern sich in einer chemischen Dreifachbindung fest aneinander. Diese Bindung zerbricht nur unter Einsatz von viel Energie. 2004 rückte das Team um Eremets und Troyan dem beharrlichen Gas mit einem Mix aus hohem Druck und Hitze zu Leibe. Dazu strahlten sie mit einem starken Laser in die Diamantzelle. Dort befand sich eine winzige schwarze Fläche, die das gepresste Gas aufheizte.

Bei einer Temperatur von mehr als 1700 Grad Celsius und einem Druck von über 1,1 Millionen Atmosphären zerbarst die Dreifachbindung der Stickstoffmoleküle. Nun hielten sich die Pärchen nur noch jeweils an einer chemischen Hand, die Dreifachbindung war zur Einfachbindung geworden. Mit den frei gewordenen anderen Händen griffen sie nach den Nachbarmolekülen. So bildeten sie einen Kristall mit schön würfelförmig sortierten Atomen. „Das ist so eine Art Stickstoffdiamant“, sagt Eremets.

Womöglich lässt sich dieser cg-Stickstoff sogar stabil in normale Druckverhältnisse retten. Immerhin blieb das exotische Material bei den Mainzer Experimenten von 2004 schon mal bis hinunter zu 420 000 Atmosphären stabil. Mikhail Eremets ist davon besonders fasziniert, weil cg-Stickstoff theoretisch mehr chemische Energie enthält als jedes andere Material. „Das gäbe zum Beispiel einen Kraftstoff, der allen heutigen Brennstoffen überlegen ist“, schwärmt der Forscher. Vielleicht werden wir eines Tages also mit Stickstoffwürfeln im Tank fahren. Das wäre dann eine weitere völlig unerwartete Anwendung, wie sie Grundlagenforschung immer wieder hervorgebracht hat. 

Auf den Punkt gebracht

Extreme Drücke von mehreren Millionen Bar – ein Bar entspricht einer Erdatmosphäre – herrschen im Inneren von Planeten und Sternen. Aus Experimenten unter solchen Bedingungen lernen Forscher viel über die grundlegenden Eigenschaften von Materie.

Forscher des Max-Planck-Instituts für Chemie erzeugen extreme Drücke zwischen zwei kleinen Diamanten in einer handlichen, metallenen Vorrichtung; ihr Rekord liegt bei 4,4 Millionen Atmosphären.

Materie nimmt unter solchen Bedingungen exotische Eigenschaften an: Wasserstoff wird zu einem Metall, Natrium zu einem Salz, und Stickstoff bildet eine diamantartige Struktur.

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