„Legitimität, Transparenz und einheitliche Rechtsprechung sind Voraussetzung für eine Schiedsgerichtsbarkeit“

9. Dezember 2015

Das TTIP-Abkommen ist in der europäischen und besonders in der deutschen Öffentlichkeit höchst umstritten. Die Gegner kritisieren vor allem die geplanten nicht-öffentlichen Schiedsgerichte, die in Streitigkeiten zwischen einem Staat und einem ausländischen Investor (ISDS) urteilen sollen. Die Befürworter sehen darin ein ganz normales Vorgehen.

Wie die Streitbeilegung aus juristischer Sicht sinnvoll gestaltet werden könnte, diskutierten Politiker und Juristen auf einer Konferenz zu TTIP, die vom Max-Planck-Institut für Prozessrecht in Luxemburg am 3. und 4. Dezember veranstaltet wurde. Die Institutsdirektoren, Burkhard Hess und Hélène Ruiz Fabri, berichten über die Ergebnisse ihrer Konferenz.

Waren die Differenzen zwischen TTIP-Gegner und Befürwortern auch in der von Ihnen veranstalteten Podiumsdiskussion zum Auftakt der Konferenz zu beobachten?

Hess: Am ersten Konferenztag fand eine politische Debatte über TTIP und Schiedsgerichte statt. Auf dem Podium erörterten Viviane Reding, die ehemalige EU- Justiz-Kommissarin, und Blanche Weber, die eine Petition gegen das Freihandelsabkommen TTIP mit mehr als 3 Millionen Unterschriften initiiert hat, die Vor- und Nachteile von TTIP. Weitere Teilnehmer waren Vertreter der luxemburgischen Regierung, der Europäischen Kommission und der luxemburgischen Handelskammer. Es wurde deutlich, dass sich die Rolle des EU-Parlaments in den Verhandlungen erheblich verbessert hat, und dass das EU-Parlament den Prozess inzwischen genau mitverfolgt.

Ruiz Fabri: Andererseits besteht Bedarf nach mehr Transparenz. TTIP löst auch deswegen so viele Bedenken bei den Bürgern aus, weil das künftige Abkommen fachlich so komplex ist und weil es sich auf Sicherheitsstandards für Dienstleistungen und Waren sowohl in den USA als auch in Europa auswirken wird.

Gibt es auch zwischen den Juristen so tiefe Gräben in Sachen ISDS?

Ruiz Fabri: Ja, die gibt es. In den Debatten der Rechtsexperten hat sich ISDS zum zentralen Thema entwickelt. Entsprechen waren die Diskussionen auf der Konferenz eher kontrovers. Aber sie waren auch sehr konstruktiv, weil sich die Schlichtungsspezialisten bewusst geworden sind, welche politischen Folgen die aktuelle Debatte nach sich ziehen kann. Eine große Mehrheit unter den Juristen sieht Schiedsgerichte zwar als eine wesentliche Verbesserung der Streitbeilegung im internationalen Recht an. Aber es besteht auch Sorge, weil Streitigkeiten, die sich auf grundlegende politische Entscheidungen von Staaten auswirken – wie etwa der Verzicht auf Atomenergie –, von einer kleinen Gruppe Schlichter nach sehr allgemeinen Richtlinien entschieden werden könnten. Allerdings hat die EU-Kommission auf diese Kritik bereits reagiert und die Rechtsbegriffe, die bei ISDS angewandt werden sollen, klarer gefasst und eingegrenzt.

Was sind aus Ihrer (prozess-) rechtlichen Sicht die drängenden Fragen beim ISDS?

Hess: Die Konferenz beschäftigte sich mit drei grundlegenden Anforderungen an die Streitbeilegung zwischen Inverstoren und Staaten: Legitimität, Transparenz und Widerspruchsfreiheit. Obwohl diese Begriffe im Wesentlichen aus der Politikwissenschaft stammen, beschreiben sie die Standards, denen das System entsprechen muss:

Um die Legitimität sicherzustellen müssen die Schlichter oder Richter unabhängig und unparteiisch sein, und sie müssen nach einem vorgegebenen Verfahren von Seiten der Staaten ernannt werden. Der Einfluss der Investoren auf das Schlichtungsverfahren muss begrenzt werden.

Für mehr Transparenz müssen die Verfahren öffentlich sein – üblicherweise werden sie per Livestream übertragen und die Bürger können etwa über Web-Plattformen auf die Daten zugreifen. Dritte, beispielsweise Nicht-Regierungsorganisationen, sollten die Möglichkeit haben, sogenannte Amicus-Curiae-Schriftsätze einzureichen. Das heißt, wenn es um öffentliche Angelegenheiten geht, sollten sie Stellung nehmen können.

Ruiz Fabri: Ein dritter wesentlicher Mangel des bestehenden Systems ist, dass es keine einheitliche Rechtsprechung gibt. Das Problem liegt vor allem in der Struktur der Schiedsgerichtsbarkeit: Sie basiert auf bilateralen Investitionsverträgen, die nicht immer widerspruchsfrei sind. Wenn wir zu einer einheitlicheren Rechtsprechung kommen wollen, wäre es tatsächlich eine Idee, einen ständigen Gerichtshof für Investitionsstreitigkeiten einzuführen sowie eine zweite Instanz, um die rechtliche Begründung der ersten Instanz gegebenenfalls zu überprüfen.

Welche neuen Fragen wirft ein solcher permanenter Gerichtshof auf?

Hess: Derzeit ist noch offen, ob die US-amerikanische Regierung einem internationalen ständigen Gerichtshof zustimmt. Seit dem Ersten Weltkrieg sind die Amerikaner sehr zurückhaltend, wenn es um internationale Streitbeilegung durch ständige Gremien geht – mit Ausnahme der Streitbeilegung in der Weltgesundheitsorganisation WHO. Auch aus der Perspektive der Europäischen Union und des EU-Rechts müssen noch die Frage geklärt werden, in welchem Verhältnis eine künftige Schlichtungsstelle zum Europäischen Gerichtshof stehen soll.

Könnten die Ergebnisse der Konferenz in die Politikberatung einfließen?

Ruiz Fabri: Unsere Konferenz ist ein gutes Beispiel für den laufenden Dialog zwischen den politischen Akteuren und den Experten auf diesem Gebiet. Erwähnenswert ist, dass der TTIP-Verhandlungsführer der EU-Kommission die Vorschläge der Kommission offen mit den Experten zur Streitbeilegung diskutiert hat. Konferenzen dieser Art bieten den besten Rahmen für die aktuelle politische Debatte. Hier können politische, technische und rechtliche Fragen offen und konstruktiv diskutiert werden.

Herzlichen Dank für das freundliche Gespräch!

Das Interview führte Mechthild Zimmermann.

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