Stoppuhr für rasende Protonen

Wie lange die Isomerisierung eines Moleküls dauert, lässt sich jetzt messen – damit verbessert sich das Verständnis der Reaktionsdynamik

12. Januar 2011

Live zu beobachten, wie ein Molekül seine Form verändert oder seine Bestandteile umarrangiert – das ist der Ehrgeiz vieler Forscher. Nun sind Forscher des Heidelberger Max-Planck-Insitituts für Kernphysik dem Ziel einen Schritt nähergekommen. Mit einer Art Stoppuhr aus intensiven Pulsen von extrem ultraviolettem (EUV) Licht haben sie erstmals gemessen wie lange eine bestimmte Reaktion, eine so genannte Isomerisierung, dauert. Solche Reaktionen spielen eine entscheidende Rolle bei vielen biologischen Prozessen, etwa dem Sehen. Auf die Netzhaut fallendes Licht bewirkt dort die Formänderung eines Proteins. Wie das Umlegen eines Schalters löst diese Isomerisierung das Senden eines elektrischen Impulses an das Gehirn aus. Der Erfolg der Heidelberger Forscher ermöglicht weitere Fortschritte im Verständnis der Dynamik dieser Klasse von Reaktionen. (Phys. Rev. Lett. 105, 263002 (2010))

Es ist ähnlich wie bei Fischertechnik: Aus einem Satz von Atomen unterschiedlicher chemischer Elemente lassen sich viele verschiedene Moleküle herstellen, die sich zwar nicht in ihrer Zusammensetzung, wohl aber in ihrer räumlichen Form bzw. in der Abfolge der Atome unterscheiden. Moleküle aus gleichen Bestandteilen, aber mit unterschiedlicher geometrischer Form nennen Chemiker Isomere. Die Formenvielfalt der Isomere bringt auch eine Vielfalt der Eigenschaften und Funktionen mit sich. Zwei Isomere des ätherischen Öles Carvon zum Beispiel riechen unterschiedlich: das eine gibt der Minze, das andere dem Kümmel seinen Geruch.

Wie Isomere sich ineinander verwandeln, interessiert Forscher besonders, denn dieser Aspekt spielt in der Biochemie eine besonders wichtige Rolle: Die Formänderung von Molekülen nutzen Organismen, um absorbierte Lichtenergie in chemischer Form zwischenzuspeichern, bevor sie weiterverwendet wird, wie es etwa beim Sehen der Fall ist. Aber auch in der Technik könnten Isomere benutzt werden: Das Hin- und Herschalten zwischen zwei Isomeren, die eine unterschiedliche elektrische Leitfähigkeit aufweisen, könnte den Stromfluss in elektrischen Schaltkreisen der Zukunft steuern. Solche nur molekülgroßen Schalter wären etwa 100 Mal kleiner und schneller als die Transistoren in heutigen Computerchips und würden deren weitere Miniaturisierung ermöglichen.

Nun haben Forscher um Robert Moshammer und Joachim Ullrich vom Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg erstmals die Zeit gemessen, die eine bestimmte Isomerisierungsreaktion dauert. Sie untersuchten das einfache organische Molekül Acetylen (C2H2), welches aus zwei miteinander verbundenen Kohlenstoff-Atomen besteht, an die je ein Wasserstoff-Atom gebunden ist. Mit der nötigen Anregungsenergie versorgt wandelt sich ein Teil der Moleküle in das Isomer Vinyliden um, in dem beide Wasserstoff-Atome an eines der beiden Kohlenstoff-Atome gebunden sind und das, anders als das Acetylen, eine gebogene Molekülstruktur aufweist. Den Messungen der Heidelberger Forscher zufolge dauert die Umwandlungsreaktion 52+/-15 Femtosekunden. „Das Ergebnis passt gut zu bisherigen groben Schätzungen, die auf indirekten Experimenten beruhten, welche den Protonentransfer nicht nachweisen konnten und Zeiten zwischen 50 und 100 Femtosekunden abschätzten“, sagt Yuhai Jiang, der die Daten auswertete und interpretierte.

Bislang fiel es den Wissenschaftlern schwer, zu erforschen, wie die Formänderungen vonstatten gehen. Direkt beobachten lassen sie sich nämlich nicht, weshalb Daten für theoretische Modelle fehlen, welche die Dynamik beschreiben. So waren die Geschwindigkeiten von Isomerisierungsreaktionen bislang unbekannt.

Kurze Laserpulse messen, wie schnell das Proton wandert

Die Grundidee, mit der die Forscher die Größe nun ermittelt haben, klingt einfach. Zunächst regt ein intensiver EUV-Puls Acetylen-Moleküle energetisch an. Die Anregung löst die Isomerisierung aus. Um den Fortschritt dieser Umwandlung zu erfassen, zertrümmert nach einer gewissen Zeitspanne ein zweiter EUV-Puls das Molekül. Ein so genanntes Reaktionsmikroskop registriert die Bruchstücke und identifiziert sie. Je nachdem, ob dabei mehrheitlich Kohlenstoff-Atome mit gar keinem bzw. zwei Wasserstoff-Atomen, oder solche mit nur einem Wasserstoff-Atom registriert werden, ist die Isomerisierungsreaktion schon weit fortgeschritten oder nicht. Durch Variieren der Zeitspanne zwischen den beiden UV-Pulsen wird die Zeit herausgefunden, die das Proton (positiv geladenes Wasserstoff-Atom) benötigt, um von einem der Kohlenstoff-Atome zum anderen zu gelangen, was der Dauer dieser Isomerisierungsreaktion entspricht.

„Dieses einfache Prinzip war aber sehr schwer umzusetzen“, sagt Robert Moshammer vom Max-Planck-Institut für Kernphysik, der an der Entwicklung der Messmethode beteiligt war. „Denn die beiden Lichtpulse mussten innerhalb weniger Femtosekunden hintereinander abgesendet werden“, erklärt der Physiker. Außerdem durften die Pulse selbst nur wenige Femtosekunden, also tausendstel von Milliardstel Sekunden, dauern, damit sie nicht länger dauern als die Isomerisierung selbst.

Zudem muss die EUV-Lichtquelle eine sehr hohe Intensität aufweisen, da von einer gegebenen Menge von Acetylen-Molekülen nur ein geringer Anteil ein EUV-Photon absorbiert und mit einer Isomerisierung reagiert. Um dennoch ein messbares Ergebnis zu bekommen, muss man die Acetylen-Moleküle sehr vielen Photonen auf einmal aussetzen, sie also eben mit einem sehr intensiven Lichtpuls anregen. „Die Kombination von äußerst kurzen und intensiven EUV-Pulsen steht erst seit Kurzem zur Verfügung, nämlich am Freie-Elektronen-Laser FLASH in Hamburg“, sagt Moshammer. (FLASH steht für Freie-Elektronen-Laser in Hamburg).

Um den EUV-Lichtpuls in zwei Pulse aufzuspalten, deren zeitlicher Abstand sich mit einer Genauigkeit von ungefähr einer Femtosekunde einstellen lässt, haben die Heidelberger Forscher in Zusammenarbeit mit Kollegen vom Max Planck Institut für Quantenoptik in Garching einen speziellen Hohlspiegel entwickelt. Er reflektiert den EUV-Puls und fokussiert ihn dabei auf einen Strahl von Acetylen-Molekülen. Den kreisrunden Spiegel haben sie in zwei halbmondförmige Teile zerteilt. Indem sie die Hälften minimal gegeneinander verschoben, spalteten sie den EUV-Puls in zwei Pulse auf, die kurz nacheinander am Brennpunkt eintreffen.

Nun wollen die Heidelberger Physiker größere Kohlenwasserstoff-Moleküle untersuchen, zum Beispiel Benzol-Ringe. Außerdem möchten sie die Flugbahnen der Bruchstücke von explodierenden Molekülen mit Hilfe eines Reaktionsmikroskops so genau zu vermessen, dass sie die räumliche Struktur des ursprünglichen Moleküls daraus rekonstruieren können. Indem sie die Molekülstruktur zu unterschiedlichen Zeiten während einer Isomerisierungs-Reaktion rekonstruieren, könnten sie aufeinanderfolgende Bilder des reagierenden Moleküls aufnehmen. „Das Ergebnis wäre ein Video der Reaktion“, sagt Robert Moshammer. Dann hätten sie ihr großes Ziel erreicht.

Zur Redakteursansicht