Werkzeugkasten für die Mikrobiom-Forschung

Forscher kultivieren Großteil der auf Arabidopsis vorkommenden Bakterien

2. Dezember 2015
Kein Organismus lebt für sich allein. Auch Pflanzen nicht. Sie beherbergen komplexe mikrobielle Lebensgemeinschaften mit über hundert bakteriellen Arten, die vermutlich für Pflanzenwachstum und Pflanzengesundheit von enormer Bedeutung sind. Dabei gehen die Pflanzen scheinbar zielstrebig vor und gewähren nur einer ausgewählten Gemeinschaft von Mikroorganismen Zutritt. Forscher vom Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung in Köln haben zusammen mit Wissenschaftlern aus der Schweiz mehr als die Hälfte der auf Blättern und Wurzeln der Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) vorkommenden Bakterien kultiviert. Mit dieser repräsentativen Kollektion von über vierhundert Bakterienstämmen in Reinkultur können die Forscher beliebige mikrobielle Lebensgemeinschaften in den Blättern und Wurzeln von Arabidopsis nachstellen. Damit wird eine neue Ära der Umweltbeobachtung mit definierten Mikrobiomen eingeläutet.

Ziel der noch jungen Mikrobiom-Forschung war bislang eine Inventur der mikrobiellen Lebensgemeinschaften. Paul Schulze-Lefert vom Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung in Köln und Julia Vorholt von der ETH Zürich und ihre Kollegen sind jetzt einen gehörigen Schritt weitergegangen. Das Team hat weit mehr als die Hälfte der in der Natur sowie in und auf den Blättern und Wurzeln von Arabidopsis vertretenen Bakterienarten kultiviert und eine Kollektion von Bakterienstämmen angelegt, mit denen die Blatt- und Wurzel-Mikrobiome auf keimfreien Pflanzen nachgestellt werden können.

Die verblüffende Ähnlichkeit der im Labor nachgestellten und in der Natur vorkommenden Lebensgemeinschaften erlaubt den Einstieg in die Rekonstruktion von Mikrobiomen. Mit solchen definierten Lebensgemeinschaften, die dann auch wieder gezielt gestört werden können, ist erstmals eine kontrollierte ökologische Forschung möglich – und zwar ohne die Unwägbarkeiten, die sich in der Natur zwangsläufig durch Fluktuationen von Umweltbedingungen ergeben.

Die beiden Wissenschaftler haben bis zu 65 Prozent der Bakterienarten des Wurzel-Mikrobioms und bis zu 54 Prozent der Arten des Blatt-Mikrobioms in Reinkultur genommen. Dabei besagt ein altes Dogma der mikrobiellen Ökologie, dass nicht einmal ein Prozent der Bakterien aus natürlichen Umweltproben kultivierbar seien „Das ist schlichtweg falsch“, sagt Schulze-Lefert. „Wir wissen durch die systematische Nutzung von bakteriellen Nährmedien, dass unsere Stammkollektion den Großteil der robust in den Lebensgemeinschaften vertretenen Bakterienarten enthält und die taxonomische Vielfalt der natürlichen Blatt- und Wurzel-Mikrobiome sehr gut abbildet. Die Sammlung ist zwar nicht perfekt, aber ein sehr guter Ausgangspunkt für Rekonstruktionsexperimente“, so Schulze-Lefert.

Schulze-Lefert und Vorholt haben beim Artenprofil eine große Ähnlichkeit zwischen den mikrobiellen Lebensgemeinschaften im Arabidopsis-Blatt und in der Arabidopsis-Wurzel festgestellt. „Fast die Hälfte der Arten sind identisch“, erklärt Schulze-Lefert. „Schaut man sich das Wurzel- und Blatt-Mikrobiom von einer höheren taxonomischen Warte an, also von der Ebene der vertretenen bakteriellen Familien und Klassen, sieht man gar keine Unterschiede mehr – obwohl die Proben für das Wurzel-Mikrobiom in Köln und die Proben für das Blatt-Mikrobiom in Zürich und Tübingen gesammelt worden sind. Die Mikrobiome sind also in unterschiedlichen natürlichen Umwelten sehr robust“, so Schulze-Lefert weiter.

Die Arbeitsgruppen haben die Genome von 432 bakteriellen Isolaten aus ihrer Kollektion komplett und in hoher Qualität sequenziert und verglichen. „Damit liegen nicht nur Reinkulturen für die Rekonstitutionsexperimente vor, sondern wir kennen auch das komplette Erbgut jedes einzelnen Isolats in unserer Stammkollektion“, sagt Schulze-Lefert. Nun können die Wissenschaftler die biologische Leistungsfähigkeit des Blatt- und Wurzel-Mikrobioms vergleichen. Dazu haben sie die Gene der sequenzierten Isolate am Computer zu funktionalen Netzwerken zusammengefügt und gegenübergestellt. Die Ähnlichkeit des bakteriellen Artenprofils  in den Lebensgemeinschaften von Blatt und Wurzel korrespondiert mit einer ausgeprägten Überlappung in der Leistungsfähigkeit der dazugehörigen Genome. Solche Untersuchungen sind heute möglich, weil man die Aufgaben vieler Gene kennt und weiß, an welchen zellulären Netzwerken und Stoffwechselreaktionen sie beteiligt sind.

Wegen dieser hohen funktionalen Überlappung der Genome und der Ähnlichkeit der Artenprofile nehmen Vorholt und Schulze-Lefert an, dass ein Großteil der Blatt- und Wurzelbakterien ihren Ursprung im außerordentlich diversen Boden-Mikrobiom haben. Die Blätter einer Pflanze werden folglich nicht in erster Linie über Aerosole in der Luft oder über Insekten-assoziierte Mikroorganismen besiedelt, sondern vom Boden aus über die Wurzel als Zwischenstation.

Allerdings lassen sich auch funktionale Unterschiede zwischen den Genomen von Blatt- und Wurzelbakterien feststellen. Diese haben mit den speziellen Aufgaben in den ökologischen Nischen von Blatt und Wurzel zu tun. Das lässt sich zum Beispiel an den Genen für den Stoffwechsel komplexer Kohlenhydrate ablesen, von denen das Wurzel-Mikrobiom weniger braucht als das Blatt-Mikrobiom, weil die Wurzel mehr leicht verwertbaren Zucker ausscheidet als das Blatt.

Die Wissenschaftler haben auch erste Rekonstitutionsexperimente durchgeführt. Dafür nutzen sie eine geschlossene artifizielle Umwelt mit sterilem, gebranntem Ton als Bodenersatz, einem sterilen flüssigen Nährmedium ohne Kohlenstoffquelle und organischen Zusätzen und keimfreies Arabidopsis-Saatgut. Die Anzucht erfolgt in transparenten sterilen Kammern, die zu verschiedenen Zeitpunkten mit genau definierten bakteriellen Lebensgemeinschaften beimpft werden.  „Obwohl das System sehr artifiziell ist, sind die Lebensgemeinschaften, die sich an den Blättern und Wurzeln ansiedeln, den natürlichen Lebensgemeinschaften sehr ähnlich“, sagt Schulze-Lefert.

Das Blatt- oder Wurzel-Mikrobiom kann nicht nur sein entsprechendes Pflanzenorgan besiedeln, sondern zu einem erheblichen Anteil auch das jeweils entfernt liegenden Blatt- und Wurzelorgan, wenn nur der Boden oder die Blätter beimpft worden sind. Werden die beiden Mikrobiome zusammen im Boden verwendet, setzt sich das Wurzel-Mikrobiom in der Konkurrenzsituation in der Wurzel gegenüber der Lebensgemeinschaft des Blattes durch. Entsprechend gibt es auch einen Wettbewerbsvorteil für das Blatt-Mikrobiom in Blättern. Das bestätigt einerseits die funktionale Überlappung von Blatt- und Wurzelmikrobiom und gibt gleichzeitig Hinweise auf eine Spezialisierung der beiden bakteriellen Lebensgemeinschaften für die Lebensräume Blatt und Wurzel.

Die Wissenschaftler stehen mit diesen Rekonstruktionsexperimenten erst am Anfang. Sie können jetzt einzelne Bakterienarten oder Familien weglassen, die Umweltbedingungen gezielt verändern oder das System auf andere Weise gezielt stören. Es ist zu erwarten, dass mit solchen Experimenten auch die mutmaßlichen Dienstleistungen der bakteriellen Lebensgemeinschaften für die Nährstoffversorgung und das Wachstum der Pflanze sowie deren Schutzwirkung gegenüber mikrobiellen Krankheitserregern auf molekularer Ebene dingfest gemacht werden können.

Zur Redakteursansicht