Zeitreisen mit der molekularen Uhr

Migration ist kein neues Phänomen. Doch dass die modernen Europäer gleich dreierlei Vorfahren von anderen Kontinenten haben – diese Erkenntnis veröffentlichte Johannes Krause prominent auf dem Titel von Nature. Der Paläogenetiker betreibt als Gründungsdirektor des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte Zeitreisen von Jena aus. Dabei ist selbst der Blick in die jahrtausendealte Vergangenheit kein Problem.

Text: Catarina Pietschmann

Stimmengewirr mischt sich mit Gläserklirren. Ein heißer Julinachmittag in Tübingen. Die halbe Stadt scheint unterwegs zu sein – auf der Suche nach einem schattigen Tisch vor dem historischen, gerade restaurierten Rathaus. Johannes Krause hat sein Institut, nur ein paar Minuten Fußweg entfernt, heute früher verlassen. Wer ihn hier im Café sitzen sieht – widerspenstige Locken, graues T-Shirt, jungenhaft, enthusiastisch sprechend –, würde auf einen Studenten höheren Semesters tippen. Allenfalls auf einen Doktoranden. Ein Biologe oder Philosoph vielleicht.

Müßiggang des Unilebens? Dafür bleibt dem 34-jährigen Professor für Paläogenetik am Institut für Naturwissenschaftliche Archäologie wenig Zeit. Vor allem jetzt nicht, wo er auf dem Sprung nach Jena ist, als einer der beiden Gründungsdirektoren des neuen Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte. Krause ist der jüngste Max-Planck-Direktor aller Zeiten – Wahnsinn! Wie konnte das passieren? Knapp zwei Jahre ist es her, dass Johannes Krause sich um eine Professur in Kiel mit Anbindung an das Plöner MPI beworben hatte. „Im Grunde passte die Stelle nicht besonders auf mich.“ Das fanden die zwölf Max-Planck-Direktoren, die ihn interviewten, auch. Doch dann kam eine überraschende Frage: Wo Sie schon mal hier sind: Könnten Sie sich vorstellen, für uns ein neues Institut aufzubauen?

Der zukunftsweisende Blick zurück

Was Krause nicht wusste: Die MPG plante zu diesem Zeitpunkt bereits, das Jenaer MPI für Ökonomik umzuwidmen, und suchte dafür noch einen neuen Direktor. Die Mitglieder der Bewerbungsrunde kannten sein exzellentes wissenschaftliches Profil, das er unter seinem Mentor Svante Pääbo am MPI für evolutionäre Anthropologie entwickelt hatte. Und so stand bald darauf fest, dass Russell Gray und er – ein neuseeländischer Evolutionsbiologe, der unter anderem linguistische Studien betreibt, und ein Molekularbiologe aus Thüringen, befasst mit der Analyse prähistorischer DNA – das Institut gemeinsam auf die Beine stellen würden.

Es ist ein zukunftsweisendes Konzept für den Blick zurück, in die Vergangenheit. Es geht um Menschheitsgeschichte. Um die Evolution von Sprache und von Homo sapiens, dem modernen Menschen. Mit ihren jeweiligen Methoden werden sie Geschichtsschreibung nachvollziehen – oder widerlegen. Denn Linguistik und Genetik sind so verschieden nicht, wie es auf den ersten Blick scheint.

„Ähnlich wie in der Genetik spiegeln sich auch in der Sprache Migration und Vermischung wider“, sagt Krause. „Russell Gray erstellt Stammbäume von Sprachen, die Vermischungen aufzeigen, aber auch Aufspaltungen. So konnte er datieren, wann sich die indogermanischen Sprachen diversifiziert haben.“

Es gibt zwar kein einziges überliefertes Wort aus der Prähistorie, aber archäologisch belegte Wanderungsbewegungen können als Kalibrierungspunkte dienen. Und da der Sprache (ähnlich wie dem Genom) über die Zeit gewisse „Mutationen“ widerfahren, lassen Modelle, die mit historischen, archäologischen und linguistischen Fakten unterfüttert sind, es zu, Wahrscheinlichkeiten für Aufspaltungszeiträume zu berechnen. „Aus den letzten 1000 bis 2000 Jahren gibt es etliche Beispiele von Populationen, die sich zwar vermischt haben, die Sprache des neuen Ortes aber übernahmen. Umgekehrt wurde etwa bei der Besiedlung Amerikas die Sprache der Ureinwohner völlig verdrängt“, erklärt Krause routiniert. Voller Elan bettet er Forschungserkenntnisse seines Kollegen bereits in seine Projektideen mit ein.

Vieles wollen er und Gray gemeinsam angehen. Beispielsweise die große Völkerwanderung, die um 375 n. Chr. mit dem Einbruch der Hunnen in Ostmitteleuropa begann und bis ins 6. Jahrhundert anhielt. Wie war es wirklich? Archäologische Funde aus dieser Zeit sind teils spärlich, teils vage interpretiert. Wer floh wohin und vermischte sich mit wem? Gene lügen nicht. Sie liefern präzise Daten, wo Historiker und Archäologen manchmal nur vermuten. Anderes Beispiel: die austronesische Ausbreitung. Gray erforscht (linguistisch) die Besiedlung Polynesiens über Indonesien, die vor 3000 bis 4000 Jahren stattfand. „Durch die Kolonialisierung der letzten 500 Jahre wurden viele genetische Muster überschrieben. Deshalb versuchen wir gerade, die frühe Besiedlung anhand von sehr alten menschlichen DNA-Proben aus der Region zu rekonstruieren“, skizziert Krause erste Planungen.

Ihn selbst interessiert besonders, wie sich der moderne Mensch in Europa ausgebreitet hat. „Kam er in Wellen, weil es immer wieder Eiszeitzyklen gab? Wir wissen es nicht.“ Noch eine dritte Abteilung ist am Institut geplant. „Da Gray und ich einen sehr empirischen Zugang zur Geschichtsforschung haben, brauchen wir jemanden, der es direkt betreibt. Einen Historiker oder Archäologen.“ Die Idee hinter dem Institutskonzept ist eine Renaissance: „Vor mehr als 100 Jahren haben sich Natur- und Geisteswissenschaften auseinanderentwickelt. Wir wollen in Jena versuchen, sie wieder zu vereinen.“

In Tübingen lehrte Krause klassische Archäologen die Grundlagen der Genetik. Dass das funktionieren würde, war für ihn nicht überraschend; schließlich verbrachte er viele Jahre seiner wissenschaftlichen Karriere am ähnlich interdisziplinär angelegten Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig.

Paläogenetik ist ein junges Fachgebiet, das erst in den 1980er-Jahren entstand. Nur wenige Labore weltweit sind in der Lage, DNA von Mumien oder alten Skeletten zu analysieren. Schon sie zu isolieren ist vertrackt, denn nicht jeder Tausende von Jahren alte Knochen enthält noch verwertbare Erbsubstanz. Und wenn ja, ist sie meist stark verunreinigt durch genetische Spuren von Bakterien, Pilzen und Pflanzen, die von Regenwasser in das poröse Material hineingespült wurden. Später fügten Archäologen und Museumsmitarbeiter ihre Genabdrücke bei. „Fünf Prozent alte menschliche DNA – das ist schon eine gute Probe“, betont Krause. Im Ergebnis ist es meistens ein nur kleines Tröpfchen von wenigen Nanogramm – milliardstel Teile von einem Gramm. Damit sich die Forscher nicht auch noch daran verewigen, werden DNA-Isolierung und Sequenzierungsvorbereitungen heute nur noch in Reinräumen ausgeführt, von Mitarbeitern in sterilen Schutzanzügen.

„Alte DNA ist stark zerfallen, ihre Bruchstücke nur etwa 50 Basenpaare lang, und an deren Enden wurden Cytosine häufig zu Uracil deaminiert“, erklärt Krause. „Das ist zwar schade, andererseits aber ein sicheres Indiz dafür, dass es sich wirklich um steinaltes Genmaterial handelt.“ Um diese winzigen Relikte – nachdem die Probe zermahlen, Proteinreste enzymatisch zersetzt und die Summe der Erbsubstanzen isoliert wurden – aus dem bunten Cocktail aller genetischen Spuren herauszufischen, bedarf es einer „Angel“. „Und das ist genetisches Material heutiger Menschen“, lautet Krauses simpel anmutender Trick. „Eine Million kleine, einzelsträngige DNA-Stücke, an ein Glasplättchen gebunden, erkennen ihr Gegenstück im frühen Homo sapiens wieder und binden daran.“ Nun müssen die herausgefischten Fädchen noch vervielfältigt und bioinformatisch analysiert werden.

Das Neandertaler-Genom, an dessen Rekonstruktion Johannes Krause beteiligt war, unterscheidet sich nur um 0,1 Prozent von jenem heute lebender Menschen. Die Abweichungen zwischen den Völkern der Erde sind noch weit geringer. Der Phänotyp eines Menschen – die Farbe seiner Haut, Augen, Haare und Ähnliches – wird von ein paar Dutzend unserer 20 000 Gene bestimmt. Genetisch betrachtet, ist jeder Rassismus ein absoluter Witz. Mensch ist gleich Mensch.

Per Anhalter über den Atlantik

Zähne sind übrigens die besten Quellen alter DNA. Sie sind eine Art „Zeitkapsel in der Zeitkapsel“, enthalten oft noch getrocknetes Blut und Nervenzellen. Und daran haftet mit etwas Glück sogar noch der genetische Fingerabdruck eines fiesen Keims. Erreger von Lepra und Pest etwa kletten sich gern an Nervenenden. Neben alter DNA und Humanevolution sind auch historische Krankheitserreger und deren Koevolution mit dem Menschen Krauses Schwerpunkte. Aus einigen Zähnen, die auf einem Londoner Friedhof gefunden wurden, rekonstruierte er vor ein paar Jahren das Genom von Yersinia pestis: jenem Erreger des Schwarzen Todes, der im Mittelalter beinahe die Hälfte der Europäer dahinraffte.

Welche Spuren hat der Kontakt mit Pathogenen in den menschlichen Genen hinterlassen? Auf welchen Routen und mit welchen Wirten reisten Pest- oder Tuberkelbazillus um den Erdball? „Tuberkulose gab es auf dem amerikanischen Kontinent bereits, bevor Kolumbus dort ankam“, berichtet Krause. „An 1000 Jahre alten peruanischen Skelettproben konnten wir zeigen, dass der dortige Erreger eng verwandt mit dem Erreger der Tuberkulose in heutigen Seelöwen ist, erst vor etwa 5000 Jahren in Afrika entstand und anschließend zu den Indianern nach Südamerika gelangte.“ Wie war das möglich? „Der Erreger schwamm sozusagen ,per Anhalter’ mit den Seelöwen über den Atlantik. Die Indios erkrankten wohl durch infiziertes Robbenfleisch.“

Wie der Mensch veränderten sich auch seine Keime. Über den Vergleich alter Pathogen-Genome mit heutigen lässt sich die Mutationsrate der Erreger bestimmen. „Lepra zum Beispiel veränderte sich extrem langsam, Tuberkulose viel schneller. Wenn wir das wissen, können wir auf bestimmte Erreger besser achten. Denn was sich schnell verändert, entwickelt auch rascher Antibiotikaresistenzen.“ Mediziner und Mikrobiologen haben historische Pathogene gar nicht auf dem Schirm. Warum nicht? „Sie haben keine Vorstellungen von Zeit“, meint Krause lächelnd, „und können deshalb die ‚molekulare Uhr‘ nicht lesen.“ Alte Mutationen geben zudem Hinweise auf Angriffsziele für neue Medikamente. Dass Paläogenetiker wie Krause über historische Erreger von Pest, Syphilis, Lepra und Tuberkulose wesentlich mehr wissen als Mikrobiologen und Ärzte über deren heutige „Nachkommen“, das ist schon bitter. Ein Grund mehr für Krause, dieses Gebiet in Jena zu vertiefen.

Rückkehr in die private Vergangenheit

Der Neubeginn in Thüringen ist für ihn zugleich Rückkehr in die Heimat. Johannes Krause wuchs in Leinefelde auf, in der thüringischen Region Eichsfeld. Inmitten einer hügeligen Landschaft unter Menschen, die sich mit ihrer Heimat stark verbunden fühlen. „Ich vergleiche es immer gern mit dem Dorf, aus dem Asterix und Obelix stammen“, sagt er schmunzelnd. Die katholische Enklave im ansonsten evangelischen Thüringen war zu religiös für den Geschmack des DDR-Staats, der in den 1960er-Jahren mit der Errichtung einer sozialistischen Planstadt samt 4000 Arbeitsplätzen versuchte dagegenzuhalten. Mit mäßigem Erfolg – „50 Prozent der Menschen sind inzwischen weggezogen, denn eine Baumwollspinnerei in Mitteleuropa macht wenig Sinn“.

Teile der Familie wohnten direkt im Grenzgebiet. Besuche waren nur auf Antrag möglich und führten vorbei an Zäunen und Wachhunden. Zehn Jahre alt war Johannes Krause, als die Mauer fiel und der sozialistische Staat, in dem er geboren worden war, als umstrittenes Kapitel in den Geschichtsbüchern verschwand – „ein gutes Beispiel für ein soziales Experiment, das massiv fehlgeschlagen ist“, sagt Krause und macht sich heute keine Illusionen mehr. „Wenn es selbst in Zentraleuropa nicht gelingt, wie soll es in anderen Regionen der Erde klappen?“

Lebhaft noch seine Erinnerungen an den ersten Besuch im nahen Göttingen. An die Gerüche im Supermarkt, an das Joghurtregal mit den unendlich vielen Sorten. Mit offenem Mund hat er bei Karstadt wie angewurzelt vor den Spielzeugregalen gestanden. „Manchmal denke ich an die DDR zurück wie an Nordkorea.“ Nicht allein wegen des eintönigen Warenangebots – auch wegen des Drills in Kindergarten und Schule.

Seine Eltern hatten ihre Berufswünsche wegen systemkritischer Äußerungen nicht verwirklichen können. Demnach war auch unwahrscheinlich, dass Johannes Krause hätte studieren dürfen. Dass er im Sozialismus groß geworden ist, bedauert er aber nicht. „Ich bin eher linksliberal eingestellt. Wäre ich im Westen aufgewachsen, wäre ich in meinen linken Ansichten sicher weit extremer. So habe ich erfahren: Der reale Sozialismus und der Faktor Mensch – das passt einfach nicht zusammen.“

Doch auch ein Kind in der DDR war zuallererst Kind. Wie alle kleinen Jungs durchlebte Johannes die „Dino-Phase“, hütete eines der raren Bücher zum Thema, das damals in Prag aufgelegt worden war. „Das war meine Bibel“, schwärmt er noch heute. „Ich habe meinen Vater dazu angestiftet, Fossilien sammeln zu gehen. Wir haben alle möglichen Steinbrüche in Thüringen aufgesucht und Steine geklopft.“ Dinosaurier fand er nicht, aber Hunderte Ammoniten, die im Garten der Familie ein neues Habitat fanden. Kurz nach der Wende wurden Burgen und Ruinen im Grenzgebiet zum Ziel. „Überwucherte, verwunschene Dornröschenschlösser, seit Jahrzehnten unbetreten – wie bei Indiana Jones!“

Was wäre aus ihm geworden, wenn die Mauer nicht gefallen wäre? „Das habe ich mich oft gefragt. Handwerker wie mein Vater vielleicht? Oder Förster?“ Den Zivildienst absolvierte er im Naturpark Eichsfeld-Hainich-Werratal. Die Arbeit mitten im Wald gefiel ihm sehr. Aber deshalb den Rest des Lebens dort verbringen? Nein. Archäologie und Anthropologie geisterten schon so lange durch seinen Kopf, doch die Berufsaussichten waren düster. Es kam zunächst anders.

Um das Jahr 2000 – Johannes Krause war 20 Jahre alt – überrollte die Entschlüsselung des Humangenoms alles und jeden mit der Vision, die Menschheit bald von allen Leiden heilen zu können. Die Biotech-Branche boomte, und Technologieentwicklungen überschlugen sich. „Naturwissenschaften haben mich immer interessiert – warum also nicht Biochemie? Im Grunde wusste ich gar nicht recht, was das ist“, sagt er heute. Die viele Chemie dabei habe ihm bald Sorgen bereitet, und er war kurz davor, das Studium in Leipzig hinzuschmeißen. Doch dann ging er für ein Jahr ins irische Cork. Die Vorlesungen seines enthusiastischen Genetikprofessors fesselten ihn, und Krause entschied, der Biochemie „noch eine Chance zu geben“.

Karrierestart als Hilfskraft in Leipzig

Als er 2003 nach Leipzig zurückkam, kontaktierte er auf der Suche nach einem Job als studentische Hilfskraft verschiedene Labors. So traf er auf Svante Pääbo am MPI für evolutionäre Anthropologie. Der Zeitpunkt hätte nicht besser sein können: Pääbo hatte gerade das neue Institutsgebäude bezogen, es gab neue Stellen, viele Projektideen und reichlich Raum, sie umzusetzen. 19 Arbeitsstunden pro Woche standen in Krauses HiWi-Vertrag, doch darüber hinaus verbrachte er fast die gesamte Freizeit im Labor. Zuerst mit genetischen Studien an Schimpansen, dann an Höhlenbären. Die Verbindung von Genetik und Archäologie – das war’s! Johannes Krause hatte sein Forschungsfeld gefunden.

In seiner Diplomarbeit klärte er die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Mammut, Afrikanischem und Asiatischem Elefanten auf. Publiziert wurde das in der renommierten Fachzeitschrift NATURE. Ziemlich cool für einen angehenden Wissenschaftler. Krause etablierte eine neue Methode, um die komplette Genomsequenz alter Mitochondrien-DNA zu rekonstruieren. Und dann bot Svante Pääbo ihm an, am Neandertaler-Genom mitzuarbeiten ...

Wenige Jahre zuvor schien es noch völlig aussichtslos, prähistorische DNA zu isolieren. Geschweige denn, daraus ein komplettes Genom zu rekonstruieren. Und tatsächlich erwies sich das Vorhaben als sehr schwierig. „Letztlich hatten wir Glück, weil wir immer auf das richtige Pferd gesetzt haben.“

Aus dem Neandertaler-Projekt, das 2010 mit der Überraschung endete, dass ein wenig Neandertaler – zwischen zwei und drei Prozent – noch heute in uns allen steckt, entstanden diverse weitere Projekte. Krause gelang es, aus einem winzigen Fingerknöchelchen, gefunden in der Denisova-Höhle im sibirischen Altaigebirge, die mitochondriale DNA zu rekonstruieren. Er wies nach, dass der Denisova-Mensch eine eigenständige Population der Gattung Homo war, deren mitochondriale DNA sich vor mehr als einer Million Jahren von denen der Neandertaler und modernen Menschen abtrennte.

Statt heimische Burgruinen und Steinbrüche besucht Johannes Krause heute Ausgrabungen im Nahen Osten, in Indonesien, Afrika und reist kreuz und quer durch Europa. Fündig wird er häufig auch in den Museen der Welt. Den Kuratoren ein paar Hundert Milligramm von Mumien oder Skelettknochen abzuschwatzen ist nicht immer leicht.

Vor allem die anthropologischen Sammlungen in Europa sind für Forscher wie ihn ein Eldorado – ethisch aber bedenklich, weil vieles während der Kolonialzeit wahllos zusammengeraubt wurde. Wichtige Artefakte wurden über die halbe Welt zerstreut, verschwanden unbeschriftet in Archiven. Historische Spuren ganzer Völker wurden so unabsichtlich verwischt. „Manchmal kann Paläogenetik aber auch helfen, den Funden wieder eine Geschichte zu geben.“ So wurden die Ureinwohner Australiens in den letzten 200 Jahren so stark entwurzelt, dass momentan diskutiert wird, ihre Populationsstruktur genetisch zu rekonstruieren.

Die Wiederholung einer visionären Idee

Johannes Krause brennt für seine Forschung. Stundenlang könnte er weitere historische Fragen anreißen, die sich genetisch beantworten ließen. Kein Wunder, denn das Forschungsfeld beginnt ja gerade erst, sich zu entfalten. In Jena kann er jetzt seine Ideen umsetzen und den eigenen „Claim“ weiträumig abstecken. Freizeit bleibt ihm kaum. „Gibt es diese Momente?“ fragt er lachend. Aber wozu auch. „Mein Beruf ist in gewissem Sinne die Verwirklichung eines Hobbys.“ Und mit diesem „Hobby“ lässt sich vieles verbinden: Er reist gern, wandert, angelt und versucht, regelmäßig zu laufen. Ja, und dann wäre da noch der Tango Argentino!

Wenn Geschichte eines lehrt, dann, dass sie sich wiederholt. Manchmal sogar im Positiven. 17 Jahre ist es nun her, dass die Max-Planck-Gesellschaft die ähnlich visionäre Idee umgesetzt hat und unter anderem Krauses späterem Mentor Svante Pääbo den Auftrag gab, das Leipziger MPI für evolutionäre Anthropologie aufzubauen. In Anbetracht des verheerenden Wirkens von Anthropologen im Dritten Reich war das – 50 Jahre nach dem Ende der Nazidiktatur – noch ein gewagter Schritt. Doch das Konzept ging auf. Andernfalls stünde Johannes Krause heute nicht da, wo er ist.

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