Zeitreisen mit der molekularen Uhr

Migration ist kein neues Phänomen. Doch dass die modernen Europäer gleich dreierlei Vorfahren von anderen Kontinenten haben – diese Erkenntnis veröffentlichte Johannes Krause prominent auf dem Titel von Nature. Der Paläogenetiker betreibt als Gründungsdirektor des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte Zeitreisen von Jena aus. Dabei ist selbst der Blick in die jahrtausendealte Vergangenheit kein Problem.

Karrierestart als Hilfskraft in Leipzig

Als er 2003 nach Leipzig zurückkam, kontaktierte er auf der Suche nach einem Job als studentische Hilfskraft verschiedene Labors. So traf er auf Svante Pääbo am MPI für evolutionäre Anthropologie. Der Zeitpunkt hätte nicht besser sein können: Pääbo hatte gerade das neue Institutsgebäude bezogen, es gab neue Stellen, viele Projektideen und reichlich Raum, sie umzusetzen. 19 Arbeitsstunden pro Woche standen in Krauses HiWi-Vertrag, doch darüber hinaus verbrachte er fast die gesamte Freizeit im Labor. Zuerst mit genetischen Studien an Schimpansen, dann an Höhlenbären. Die Verbindung von Genetik und Archäologie – das war’s! Johannes Krause hatte sein Forschungsfeld gefunden.

In seiner Diplomarbeit klärte er die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Mammut, Afrikanischem und Asiatischem Elefanten auf. Publiziert wurde das in der renommierten Fachzeitschrift NATURE. Ziemlich cool für einen angehenden Wissenschaftler. Krause etablierte eine neue Methode, um die komplette Genomsequenz alter Mitochondrien-DNA zu rekonstruieren. Und dann bot Svante Pääbo ihm an, am Neandertaler-Genom mitzuarbeiten ...

Wenige Jahre zuvor schien es noch völlig aussichtslos, prähistorische DNA zu isolieren. Geschweige denn, daraus ein komplettes Genom zu rekonstruieren. Und tatsächlich erwies sich das Vorhaben als sehr schwierig. „Letztlich hatten wir Glück, weil wir immer auf das richtige Pferd gesetzt haben.“

Aus dem Neandertaler-Projekt, das 2010 mit der Überraschung endete, dass ein wenig Neandertaler – zwischen zwei und drei Prozent – noch heute in uns allen steckt, entstanden diverse weitere Projekte. Krause gelang es, aus einem winzigen Fingerknöchelchen, gefunden in der Denisova-Höhle im sibirischen Altaigebirge, die mitochondriale DNA zu rekonstruieren. Er wies nach, dass der Denisova-Mensch eine eigenständige Population der Gattung Homo war, deren mitochondriale DNA sich vor mehr als einer Million Jahren von denen der Neandertaler und modernen Menschen abtrennte.

Statt heimische Burgruinen und Steinbrüche besucht Johannes Krause heute Ausgrabungen im Nahen Osten, in Indonesien, Afrika und reist kreuz und quer durch Europa. Fündig wird er häufig auch in den Museen der Welt. Den Kuratoren ein paar Hundert Milligramm von Mumien oder Skelettknochen abzuschwatzen ist nicht immer leicht.

Vor allem die anthropologischen Sammlungen in Europa sind für Forscher wie ihn ein Eldorado – ethisch aber bedenklich, weil vieles während der Kolonialzeit wahllos zusammengeraubt wurde. Wichtige Artefakte wurden über die halbe Welt zerstreut, verschwanden unbeschriftet in Archiven. Historische Spuren ganzer Völker wurden so unabsichtlich verwischt. „Manchmal kann Paläogenetik aber auch helfen, den Funden wieder eine Geschichte zu geben.“ So wurden die Ureinwohner Australiens in den letzten 200 Jahren so stark entwurzelt, dass momentan diskutiert wird, ihre Populationsstruktur genetisch zu rekonstruieren.

Die Wiederholung einer visionären Idee

Johannes Krause brennt für seine Forschung. Stundenlang könnte er weitere historische Fragen anreißen, die sich genetisch beantworten ließen. Kein Wunder, denn das Forschungsfeld beginnt ja gerade erst, sich zu entfalten. In Jena kann er jetzt seine Ideen umsetzen und den eigenen „Claim“ weiträumig abstecken. Freizeit bleibt ihm kaum. „Gibt es diese Momente?“ fragt er lachend. Aber wozu auch. „Mein Beruf ist in gewissem Sinne die Verwirklichung eines Hobbys.“ Und mit diesem „Hobby“ lässt sich vieles verbinden: Er reist gern, wandert, angelt und versucht, regelmäßig zu laufen. Ja, und dann wäre da noch der Tango Argentino!

Wenn Geschichte eines lehrt, dann, dass sie sich wiederholt. Manchmal sogar im Positiven. 17 Jahre ist es nun her, dass die Max-Planck-Gesellschaft die ähnlich visionäre Idee umgesetzt hat und unter anderem Krauses späterem Mentor Svante Pääbo den Auftrag gab, das Leipziger MPI für evolutionäre Anthropologie aufzubauen. In Anbetracht des verheerenden Wirkens von Anthropologen im Dritten Reich war das – 50 Jahre nach dem Ende der Nazidiktatur – noch ein gewagter Schritt. Doch das Konzept ging auf. Andernfalls stünde Johannes Krause heute nicht da, wo er ist.

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