Wider das Vergessen
Gedenkfeier am Max-Planck-Institut für Hirnforschung
Erin Schuman, geschäftsführende Direktorin, rekapitulierte in ihrer Einleitung noch einmal die Geschichte des Instituts und brachte dabei auch zum Ausdruck, wie schwer das historische Erbe auf der jüngsten Generation von Wissenschaftlern am Institut lastet: "Unser Institut, das Max-Planck-Institut für Hirnforschung, trägt die schwere Bürde der Verbrechen, die während des Dritten Reiches von einigen seiner Wissenschaftler im Namen der Wissenschaft verübt wurden. Dies geschah an unserem Vorgänger-Institut in Berlin, dem Kaiser-Wilhelm-Institut (KWI) für Hirnforschung. Einige Direktoren des KWI für Hirnforschung, insbesondere Julius Hallervorden, unterstützten in dieser Zeit die Ermordung von Kindern und jungen Erwachsenen mit vermeintlichen oder nachgewiesenen psychiatrischen Erkrankungen, um so Material für ihre Forschung zu erlangen. Hallervorden nutzte die Gehirne bis in die 1960er Jahre hinein, und einige seiner unmittelbaren Nachfolger setzten die Nutzung dieser Hirnproben wahrscheinlich bis weit über die 1960er Jahre hinaus fort.
Zu dieser Zeit war das KWI für Hirnforschung zu unserem heutigen Institut, dem Max-Planck-Institut für Hirnforschung, geworden und nach Frankfurt umgezogen. Hirngewebe, das von diesen Patienten stammt, blieb weiterhin bis Mitte der 1980er Jahre im Besitz des Frankfurter Instituts; erst später, im Jahr 1990, wurden sie in München beigesetzt. Unter diesen Hirnpräparaten befanden sich auch die der mehr als 30 Kinder, die am 28. Oktober 1940 in der Landesanstalt Görden ermordet wurden. Heute jährt sich dieser entsetzliche Tage zum 75. Mal. Wir kommen heute zusammen, um dem Tod dieser Kinder zu gedenken. Wir, die gegenwärtigen und die Emeritus-Direktoren - Gilles Laurent, Moritz Helmstaedter, Heinz Wässle, Wolf Singer und ich selbst – möchten uns hiermit zu unserer Vergangenheit bekennen und unsere tiefe Trauer und unser Bedauern über diese Geschichte zum Ausdruck bringen. Wir sind überzeugt, dass der einzige Weg in die Zukunft darin liegt, diese Erinnerung, möge sie noch so schrecklich sein, lebendig zu halten. Wir alle müssen lernen zu verstehen, dass unsere gemeinsame Menschlichkeit auch die Fähigkeit einschließt, solch unvorstellbare Taten wie diese zu begehen, und wir müssen diese Erkenntnis in unserem gemeinsamen Bewusstsein lebendig erhalten, um sicherzustellen, dass so etwas nie wieder geschehen kann."
Paul Weindling, ein international anerkannter Forscher der Medizingeschichte an der Oxford Brookes University, war in mehreren Kommissionen tätig, um die Verbrechen, die während des Nationalsozialismus verübt wurden, aufzudecken. Eine dieser Kommissionen war die Präsidentenkommission der Max-Planck-Gesellschaft zur Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus.
In seinem Vortrag beschrieb Weindling die Geschichte von Gehirn- und anderem Körpergewebe, das während des Dritten Reiches und danach für wissenschaftliche Forschungszwecke benutzt wurde. Der Vortrag bot einen aufschlussreichen Blick auf das Ausmaß der Tötungen während dieser Zeit – gegenwärtige Schätzungen gehen von 98.000 Menschen aus – und insbesondere auf die von dem Journalisten Götz Aly in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre entdeckten Hirnschnitte. Weindling konstatiert, dass die Anonymität der Massenbeisetzungen von Hirnschnitten und -geweben dieser Opfer nicht akzeptabel sei. Er plädiert dafür, die Namen und die Lebensgeschichten der Opfer herauszufinden und publik zu machen.
Im Anschluss an den Vortrag von Weindling verlasen die drei gegenwärtigen Direktoren des MPI für Hirnforschung, Erin Schuman, Gilles Laurent und Moritz Helmstaedter die 38 Namen der Kinder, die zwischen 7 bis 18 Jahren alt waren und alle in Brandenburg-Görden am 28. Oktober 1940 ermordet worden waren.
Teil der Veranstaltung war außerdem die Eröffnung der Kunstausstellung "Schicht, Blase, Effekt" mit Werken des Künstlers Julius Bockelt vom Atelier Goldstein, Frankfurt. Christiane Cuticchio, Leiterin des Atelier Goldstein, einer Galerie, die die Werke außergewöhnlicher Künstler mit geistigen Behinderungen zeigt, eröffnete die Ausstellung mit den Worten: „Julius Bockelt ist einer der begabtesten Künstler, die ich kenne, und es ist ein Glück, das er nicht in der damaligen Zeit geboren wurde." Der Hinweis macht auf erschütternde Weise deutlich, dass Bockelt, wäre er 60 Jahre früher geboren, möglicherweise das grausame Schicksal der ermordeten Kinderopfer geteilt hätte.