Wissenschaftler fordern Gründung einer Internationalen Mikrobiom-Initiative

Forscher wollen damit die Mikroorganismen der Erde fächer- und grenzübergreifend untersuchen

28. Oktober 2015

Mehr als drei Milliarden Jahre ist es her, dass Cyanobakterien die Erdatmosphäre mit ausreichend Sauerstoff versorgt haben, um auch uns Menschen das Dasein zu ermöglichen. Seither prägen diese und andere Mikroorganismen das Leben auf der Erde. Sie sorgen für fruchtbare Böden, zersetzen Schadstoffe, versorgen uns mit Energie und halten unsere Verdauung am Laufen. Doch ungeachtet ihrer zentralen Rolle wissen wir nur wenig über die einzelnen Mikroorganismen, ihr Zusammenspiel und ihre Funktionen. Gemeinsam mit Kollegen aus Hawaii und China ruft Nicole Dubilier vom Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie in Bremen nun zu einer gemeinsamen und globalen Erforschung der Mikroben unserer Erde auf.

„Das müssen wir ändern“, erklärt Nicole Dubilier vom Bremer Max-Planck-Institut, „gerade angesichts der großen Herausforderungen, die im 21. Jahrhundert auf uns zukommen. Wir brauchen eine globale Forschungsinitiative, um ein umfassendes Verständnis der Mikroorganismen auf der Erde zu erlangen.“

Dubilier spielt damit auf einen Aufruf US-amerikanischer Forscher an, der in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Science erscheint. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schlagen darin die Gründung einer „Unified Microbiome Initiative“ (UMI, Vereinigte Mikrobiom-Initiative) vor. Für Dubilier und ihre Mitautoren Margaret McFall-Ngai vom Pacific Biosciences Research Center in Hawaii und Liping Zhao von der Shanghai Jiao Tong Universität in China greift diese Initiative jedoch zu kurz. Sie fordern in einem zeitgleich in der Zeitschrift Nature erscheinenden Kommentar nach einer „Internationalen Mikrobiom-Initiative“ (IMI), die sich über die Grenzen der USA hinaus erstreckt. Wie eine Dachorganisation kann sie auch nationale Anstrengungen umfassen.

Der Ruf nach einer gemeinsamen Initiative erwächst aus den revolutionären Erkenntnissen, die Fortschritte in der DNA-Sequenzierung in den letzten Jahren hervorgebracht haben. Immer schnellere und kostengünstigere Verfahren zur Entschlüsselung genetischen Materials, zusammen mit Fortschritten in der Probenaufarbeitung, -darstellung und Dateninterpretation offenbaren zusehends die atemberaubende Vielfalt mikrobiellen Lebens. Analysen des menschlichen Mikrobioms beispielsweise haben etwa 10.000 Mikrobenarten in und auf einem gesunden Erwachsenen identifiziert, die unser Leben von der Verdauung bis zu unseren Gefühlen beeinflussen.  

Doch viele der Studien, die im Zuge dieser sogenannten genomischen Revolution durchgeführt wurden, lassen sich nicht unter einen Hut bringen. Unterschiede in den Methoden und der Datenverarbeitung führen häufig dazu, dass Ergebnisse nicht verglichen werden können. Je nach Analysemethode unterscheidet sich beispielsweise die Anzahl der Bakterienarten in ein und derselben Probe um mehrere Größenordnungen. Nur durch eine gemeinsame Anstrengung wie die nun vorgeschlagene IMI können übergreifende Standards entwickelt werden, an die sich dann alle weiteren Studien halten. „Dann können wir aus vielen Einzeluntersuchungen einen globalen Datensatz erzeugen, der weltweit verstanden wird. Momentan gibt es viele Dateninseln voller Information, die aber nicht gemeinsam lesbar ist“, erklärt Dubilier.

International und interdisziplinär

Nicht nur Ländergrenzen müssen überwunden werden, um den Erfolg einer IMI zu ermöglichen. „Ebenso müssen wir Wissenschaftler besser darin werden, über den Tellerrand unserer eigenen Forschungsrichtung hinwegzublicken und uns mit anderen Disziplinen zu vernetzen“, sagen Dubilier und ihre Mitautoren. „Wir brauchen Informatiker und Mathematiker, die uns helfen, die wichtigen Informationen aus den gewaltigen Datenmengen zu ziehen. Chemiker, Physiker und Ingenieure können neue Methoden und Geräte entwickeln, um die Kommunikation der Mikroben und ihre Wechselwirkungen mit der Umwelt besser zu verstehen.“

Denn es reicht nicht aus, immer nur neue Daten zu erzeugen. „Wir müssen auch lernen, die Ergebnisse unserer Forschung richtig zu deuten“, betont Dubilier. „Nur dann kann es uns gelingen, die vielfältigen Rollen der Mikroorganismen in unserer Umwelt zu verstehen. Und nur dann können wir Ökosysteme bewahren und von ihren breitgefächerten ökologischen, sozialen und ökonomischen Funktionen profitieren – heute und in Zukunft.“

Ein Projekt wie die IMI ermöglicht, dass wir das Mikrobiom unserer Erde umfassend verstehen. Ohne ein solches Verständnis kann es nicht gelingen, viele der großen Herausforderungen der Zeit zu meistern – seien das Umweltzerstörung, Klimawandel, Energiewende oder Bevölkerungswachstum. Zudem kann eine IMI sicherstellen, dass das geschaffene Wissen auch jenen Ländern zukommt, die selbst nicht die Mittel haben, große Forschungsprojekte zu fördern.

Es ist wichtig, eine gemeinsame Initiative schnell ins Leben zu rufen, betonen Dubilier und ihre Kollegen. Wenn nationale Initiativen wie jene aus den USA an Fahrt aufnehmen, müssen die gemeinsamen Ziele und Richtlinien der IMI bereits den Rahmen bilden, in dem neue Studien durchgeführt und Ergebnisse produziert werden. „Sonst laufen wir wieder Gefahr, aneinander vorbeizuforschen“, so Dubilier. Zudem ermöglicht die internationale Ausrichtung, dass die weltweit besten Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen für die Erforschung des Mikrobioms an einem Strang ziehen.

Um die Initiative zu finanzieren, rufen die Forscher staatliche Institutionen und private Stiftungen auf, aktiv zu werden. „Durch eine internationale, interdisziplinäre und konzertierte Initiative können wir nur gewinnen, während nationale Initiativen dadurch keinen Schaden nehmen“, erklären die Forscher.

Eine Initiative, vier Aufgaben

Vier Hauptziele haben Dubilier und ihre Kollegen für die IMI formuliert:

  • Richtlinien: Normen ausarbeiten für Arbeitsmethoden, Datenanalyse, Datennutzung und geistige Eigentumsrechte und deren Umsetzung gewährleisten.
  • Prioritäten: Eine gemeinsame Forschungsplanung erstellen, die vergleichende Untersuchungen auf lokaler bis globaler Ebene ermöglicht.
  • Werkzeuge: Neue, fachübergreifende Methoden der Mikrobiomforschung entwickeln.
  • Foren: Diskussionsplattformen errichten, die den Austausch zwischen Wissenschaftlern ebenso wie mit Nachwuchsforschern, Geldgebern und der Öffentlichkeit erleichtern.

Es gibt auch andere Bestrebungen, einheitliche Standards in die Genomforschung zubringen. Das Genomic Standards Consortium (GSC) beispielsweise, an dem auch das Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie beteiligt ist, will die Beschreibung genomischer Daten standardisieren und ihren Austausch fördern. Die nun angestrebte IMI geht jedoch deutlich weiter.

FA/HR

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