Palmenflughunde: Ökosystem-Dienstleister und Rekordflieger

Palmenflughunde legen bei ihrer Nahrungssuche weitere Strecken zurück als alle bisher untersuchten Fledertier-Arten

14. Oktober 2015

Palmenflughunde verbreiten auf ihren Flügen Samen und Pollen und erfüllen dadurch eine wichtige Funktion im Ökosystem. Forscher vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell haben zusammen mit Kollegen aus Ghana Palmenflughunde (Eidolon helvum) mit GPS-Sendern ausgerüstet, um mehr über die dabei geflogenen Routen herauszufinden. Die Streckenlänge unterschied sich je nach Jahreszeit stark: In der Trockenzeit betrug sie bis zu 180 Kilometer pro Nacht, in der Regenzeit hingegen lediglich ein Drittel davon oder weniger. Dies könnte mit der unterschiedlichen Größe der Population in diesen Perioden zusammenhängen. Während die beobachtete Kolonie in der Regenzeit nur aus mehreren Tausend Exemplaren bestand, zählte sie in der Trockenzeit deutlich über Hunderttausend. Je mehr Flughunde, umso größer die Konkurrenz, und desto weiter müssen die Tiere fliegen, um ausreichend Nahrung zu finden.

Jeden Abend, wenn es in Accra dämmert, erwacht in der Hauptstadt von Ghana eine Kolonie von Palmenflughunden. „Zuerst sind nur wenige Tiere unruhig. Dann werden es immer mehr, und ein gigantisches Naturschauspiel beginnt“, schwärmt der Leiter der Studie Jakob Fahr. „Man kann fast die Uhr danach stellen.“

Den Tag verbringen die Tiere kopfüber hängend in den Kronen alter Mahagonibäume. Sobald die Sonne untergeht, ist die Ruhe aber dahin, und die gesamte Kolonie begibt sich auf Futtersuche: „Wenn die Flughunde ausfliegen, verdunkelt sich der Himmel“, so Fahr. Etwa 150.000 Exemplare mit Flügelspannweiten von bis zu 80 Zentimetern strömen in der Trockenzeit allabendlich in alle Richtungen aus. Sie suchen nach Früchten und Nektar, bevor sie am nächsten Morgen wieder an ihre Schlafplätze zurückkehren.

Palmenflughunde zählen zu den weitverbreitetsten Fledertieren auf dem afrikanischen Kontinent. Die Säugetiere leben in Kolonien und zeigen – vermutlich wegen saisonal bedingter Schwankungen der Futtermengen – ein ausgeprägtes Zugverhalten: Abhängig von Trocken- und Regenzeit versammeln sie sich in Gruppen von bis zu vielen hunderttausenden Individuen  – so wie in der Kolonie in Accra. Zu Beginn der Regenzeit verlassen die meisten Flughunde Accra und ziehen in nördliche Savannengebiete. Nur wenige Tausend Exemplare bleiben zurück.

Die Wissenschaftler aus Radolfzell wollten herausfinden, ob sich die saisonal unterschiedliche Größe der Kolonie in Accra auf die nächtliche Nahrungssuche auswirkt. Mehr Tiere müssten eigentlich auch weiter fliegen, um noch genügend Futter zu finden – so die Hypothese. Die nächtlichen Streifzüge sind für die Wissenschaftler unter anderem deshalb von Interesse, weil die Flughunde dabei Samen und Pollen verteilen. Dadurch übernehmen sie eine wichtige Rolle für das Ökosystem des Kontinents. Fahr nennt die Tiere in diesem Kontext auch die „Gärtner der afrikanischen Wälder“. In welchen Gebieten die Flughunde nachts „gärtnern“, und wie sich die Koloniegröße darauf auswirkt, war aber bislang weitgehend unbekannt.

Die Forscher fingen zunächst einige Exemplare mit Netzen und statteten sie mit kleinen, aufgeklebten GPS-Sendern aus. „Die akkubetriebenen Sender halten bis zu sieben Tage“, erklärt Fahr. „Irgendwann fallen sie einfach ab und, wenn wir Glück haben, können wir sie wiederverwenden.“

Die Sender zeichnen sowohl die Routen als auch Beschleunigungsdaten auf. So entstand ein exaktes Bild der Flugbewegungen zwischen dem Schlafplatz und den Futterplätzen de Palmenflughunde. Um an die Informationen zu kommen, mussten die Wissenschaftler tagsüber die Kolonie aufsuchen und die Daten mit einem Empfangsgerät auslesen. Anschließend begann die „Schnitzeljagd“, wie Fahr es nennt. Mit einem Taxi suchten sie die Fressplätze der Flughunde anhand der Koordinaten und mit Hilfe von Google Earth. „Meistens findet man unter den Bäumen Fraßreste“, erläutert Fahr. Dadurch identifizierten Fahr und seine Kollegen – zusätzlich zu den Flugrouten – auch was die Tiere tatsächlich verzehrt hatten.

Die Analysen ergaben, dass sich die riesige Kolonie innerhalb der Trockenzeit vorrangig von Nektar ernährt und die nächtlichen Pendelstrecken bis zu 180 Kilometern betragen. Während der Regenzeit, als die Gruppe auf wenige Tausend Individuen schrumpfen, fressen sie hingegen fast ausschließlich Früchte in der näheren Umgebung. Die durchschnittliche Pendelstrecke sinkt dann auf ungefähr ein Drittel.

Alles deutet also darauf hin, dass die Palmenflughunde in der Regenzeit weniger um Nahrung konkurrieren und deshalb nicht so weit fliegen. „Möglicherweise reichen die Früchte in der Trockenzeit nicht für alle Tiere aus. Vielleicht brauchen sie in dieser Jahreszeit aber auch bestimmte Nahrungsinhaltsstoffe und ernähren sich deshalb lieber von Nektar.“ Um diese Frage zu klären, müssten die Forscher das Nahrungsangebot detailliert quantifizieren.

Die Leistung der Palmenflughunde für das Ökosystem ist in jedem Fall enorm: Einfache Flugstrecken von bis zu 90 Kilometer machen sie zu den Rekordhaltern unter allen Fledertieren. Pflanzensamen und Pollen verteilen sie während ihrer Nahrungssuche über erstaunlich große Gebiete. Dabei überfliegen sie auch gerodete und vom Menschen stark veränderte Areale. Dazu kommt, dass der Bestand anderer Samenverteiler durch Jagd in vielen Gebieten stark dezimiert wurde. „Flughunde sollten deshalb nicht in erster Linie mit Infektionskrankheiten in Verbindung gebracht werden. Sie erfüllen vielmehr wichtige ökologische Aufgaben, ohne die viele Ökosysteme Afrikas verschwinden werden“, sagt Fahr.

JD/HR

 

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