Gutes Gedächtnis durch unsteten Schlaf-Wach-Rhythmus

Erhöhte Gehirnaktivität und unregelmäßige Schlafphasen verbessern das Langzeitgedächtnis von Mäusen

31. Juli 2015

Wer ausgeschlafen ist, ist geistig wacher und auch sein Gedächtnis funktioniert zuverlässiger. Denn während wir schlafen, bleibt unser Stirnhirn aktiv – der sogenannte präfrontale Kortex: Er sorgt dafür, dass Erinnerungen und Gelerntes in das Langzeitgedächtnis übergehen. Forscher des Max-Planck-Instituts für experimentelle Medizin in Göttingen und der Ludwig-Maximilians-Universität München haben die Produktion des Wachstumsfaktors IGF2 vom Schlaf-Wach-Rhythmus entkoppelt und das Langzeitgedächtnis von Mäusen verbessert. Dies hängt möglicherweise auch mit einem damit verbundenen unregelmäßigen Wach-Schlaf Rhythmus zusammen. Allerdings verhielten sich gealterte Tiere auffällig. Hohe Werte von IGF2 und ein dauerhaft unsteter Schlafrhythmus scheinen dem Gehirn also offenbar langfristig zu schaden – eine Erkenntnis, die auch medizinische Bedeutung hat, denn IGF2 ist ein Kandidat für die Verbesserung der Gedächtnisstörungen in der Alzheimer-Therapie.

Vieles von dem, was wir tagsüber lernen, wird zunächst im Hippokampus zwischengespeichert. Später, beim Übergang von der Wach- in die Schlafphase werden die Erinnerungen gefestigt: Die Gedächtnisspuren werden dabei in andere Gehirnregionen „übertragen“ und dort dauerhaft gespeichert. Wenn Erinnerungen vom Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis übergehen, spielt Schlaf also eine entscheidende Rolle.

Wissenschaftler haben bereits mehrere Mechanismen identifiziert, die die Gedächtnisbildung steuern und Schlaf-Wach-Zyklen kontrollieren - wie jedoch beide Prozesse auf molekularer Ebene zusammenspielen, ist bislang weitestgehend unbekannt. „Wir wollten herausfinden, wie die Schlaf-Wach-Regulation die Gedächtniskonsolidierung beeinflusst“, erklärt Ali Shahmoradi vom Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin. Die Forschergruppe kam dabei der Wirkung eines bestimmten Moleküls auf die Spur: dem Wachstumsfaktor Insulin-like Growth Factor 2 (IGF2). „Das Polypeptid beschleunigt offenbar die Konsolidierung des deklarativen Gedächtnisses - Mäuse mit erhöhtem IGF2-Spiegel in der Hirnrinde lernen schneller“, sagt Rossner, der die Studie am Göttinger Max-Planck-Institut geleitet hat.

Die Forscher untersuchten genetisch veränderte Mäuse, bei denen der Schlaf-Wach-Rhythmus gestört ist und die strikt tageszeitliche Regulation von IGF2 in der Hirnrinde ausgeschaltet war. Der Wachstumsfaktor IGF2 und seine Wirkung war damit nicht mehr an den Schlaf-Wach Rhythmus gekoppelt. Außerdem war die Produktion des Polypeptids wesentlich erhöht. Die Mäuse hatten dadurch nicht nur ein besseres Gedächtnis als normale Mäuse, sondern waren auch geistig fitter: Sie besitzen ein besseres Langzeitgedächtnis und können veraltete Erinnerungen besser korrigieren. Die Tiere ohne tageszeitliche Regulation von IFG2 mussten allerdings öfters mal ein ‚Schläfchen‘ einlegen, um zu regenerieren.

IGF2 gilt unter Neurowissenschaftlern als Substanz, die die geistige Leistungsfähigkeit verbessert, und ist auch ein Kandidat für die Alzheimer-Therapie. Die Max-Planck-Forscher fanden allerdings in ihrer Studie auch heraus, dass IGF2 dem Gehirn langfristig schadet. Neben dem verbesserten Langzeitgedächtnis legten die Mäuse psychiatrisch auffällige Verhaltensmuster an den Tag: So waren sie nervöser und ängstlicher. Und auch die gesteigerte Gedächtnisleistung selbst war nur von kurzer Dauer. Bei gealterten Mäusen fiel sie wieder drastisch ab. Deshalb warnt Rossner: „Die Verwendung von IGF2 in der Alzheimertherapie muss kritisch beleuchtet werden. Unsere Studie lässt darauf schließen, dass eine dauerhaft zu hohe Konzentration des Stoffs dem Gehirn Schaden zufügen kann.“

HR

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