An einer neuen Röntgenquelle für die Medizin

Mit einer Lichtquelle für harte, brillante Röntgenstrahlung lassen sich kleinste Strukturen in der Materie sichtbar machen

19. Juni 2015

Knochenbrüche, Tumore oder Arteriosklerose – mit Röntgenuntersuchungen spüren Ärzte heute zahlreiche Krankheiten auf. Und künftig könnten Röntgenaufnahmen noch aussagekräftiger werden. Denn Physiker des Labors für Attosekundenphysik an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und am Max-Planck-Institut für Quantenoptik stellen jetzt eine neue Methode vor, besonders brillantes Röntgenlicht mit scharf definierter, aber variabler Wellenlänge zu erzeugen. Diese Röntgenstrahlung ermöglicht es, Strukturen aufzulösen, die wenig mehr als zehn Mikrometer groß und unterschiedlich zusammengesetzt sind – und zwar nicht nur in der Medizin, sondern auch in der Biologie und der Materialwissenschaft. Bisher entsteht Röntgenstrahlung der dafür nötigen Qualität nur in einem Synchrotron; für medizinische Anwendungen sind die entsprechenden Geräte jedoch zu groß und zu teuer. Die Forscher des Labors für Attosekundenphysik erzeugen Röntgenlicht, dessen Qualität dem von Synchrotronstrahlung kaum nachsteht, dagegen in einer ungleich kompakteren Anlage. Sie zwingen Elektronen mit extrem intensiven Laserpulsen auf eine Wellenbahn, wobei die Ladungsträger das gewünschte Licht abgeben.

Um kleinste Strukturen der Materie sichtbar zu machen, braucht es ein besonderes Licht: Es muss eine kurze Wellenlänge besitzen und sehr brillant sein. Brillante Strahlung bündelt viele Photonen (Lichtteilchen) gleicher Wellenlänge auf engstem Raum in kürzester Zeit. Harte, also besonders energiereiche, Röntgenstrahlung ist dafür das Licht der Wahl, da es Materie durchdringt und Wellenlängen von wenigen Hundertstel Nanometern (hundertstel Milliardstel Meter) aufweist. Harte und gleichzeitig brillante Röntgenstrahlung produzieren heute große und teure Beschleunigeranlagen. „Doch das geht auch Platz sparender und billiger, nämlich mit Licht“, sagt Stefan Karsch, Professor der Ludwig-Maximilians- Universität und Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Quantenoptik. Das hat sein Team nun bewiesen.

Stefan Karsch, Laszlo Veisz und ihre Kollegen im Labor für Attosekundenphysik schickten Laserpulse von rund 25 Femtosekunden Dauer – eine Femtosekunde ist ein Millionstel einer milliardstel Sekunde – und einer Leistung von 60 Terawatt auf Wasserstoffatome. Zum Vergleich: Ein Atomkraftwerk produziert 1,5 Gigawatt, also mehr als 10000 Mal weniger Leistung. Dabei lösten die elektrischen Felder des Lichts die Elektronen von den Atomkernen, so dass ein Plasma entstand, und räumten sie wie mit einem Schneepflug aus dem Weg. Übrig blieben die positiv geladenen Ionen, die um einiges schwerer sind als die Elektronen.

Elektronen auf Schlingerkurs geben brillantes Röntgenlicht ab

Die Trennung der Ladungen bewirkt sehr starke elektrische Felder, die dazu führen, dass die weggeräumten Elektronen wieder zurückfedern und zu schwingen anfangen. Daher entstehen eine Wellenstruktur in der Verteilung der Elektronen im Plasma und damit ein elektrisches Feld. Diese Welle läuft dem Laserpuls fast mit Lichtgeschwindigkeit hinterher, ähnlich wie die Kielwelle eines Bootes auf der Wasseroberfläche. Einige der freien Elektronen werden eingefangen und reiten auf ihr ähnlich wie Surfer in der Brandung, wobei sie immer in Richtung des Laserpulses fast bis auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt werden.

Sobald die Elektronen ihre maximale Geschwindigkeit erreicht haben, treffen sie frontal auf einen gegenläufigen Lichtpuls. Dessen elektrisches Feld in Wellenform zwingen die Elektronen auf einen ebenso wellenförmigen Schlingerkurs, wobei sie senkrecht zur Flugrichtung beschleunigt und wieder abgebremst werden. Dieses System nennen Physiker einen optischen Undulator. Auf ihrem wellenförmigen Kurs senden die Teilchen brillante Röntgenstrahlung aus, die eine Wellenlänge von bis zu 0,03 Nanometer aufweist. Zudem konnten bei diesen Experimenten zum ersten Mal die Oberschwingungen der Elektronenbewegung im Lichtfeld direkt im Röntgenspektrum sichtbar gemacht werden, was an Beschleunigeranlagen immer wieder versucht wurde.

Durchstimmbare, harte Röntgenpulse versprechen neue Anwendungen

Im Vergleich zu bisherigen Röntgenquellen bietet das System einen großen Vorteil: Es gibt nicht nur Röntgenlicht quasi von einer Farbe ab, die Wellenlänge lässt sich zudem über einen großen Bereich variieren, die Wellenlänge ist also durchstimmbar, wie Physiker sagen. Daraus ergibt sich zum Beispiel in der Medizin die Möglichkeit, verschiedene Arten von Gewebe genau zu analysieren. Denn so lässt sich die Wellenlänge je nach Anforderung wählen, zum Beispiel so, dass es einen Gewebetyp sehr gut durchdringt, einen anderen nicht. Auf diese Weise werden die Informationen, die man durch eine Röntgenuntersuchung gewinnt, noch genauer.

Doch das ist noch nicht alles: Nicht nur durch die variable Wellenlänge und ihre hohe Brillanz zeichnet sich die lichtgetriebene Röntgenstrahlung aus, sondern auch durch ihre gepulste Form. Denn aus den Laserpulsen, die nur wenige Femtosekunden dauern, entstehen rund fünf Femtosekunden lange Röntgenpulse. Daraus werden sich neue Anwendungen ergeben, wie zum Beispiel die zeitaufgelöste Spektroskopie, mit der sich ultraschnelle Vorgänge im Mikrokosmos untersuchen lassen. Noch ist das Licht aus der neuen Quelle nicht intensiv genug, die einzelnen Pulse enthalten also nicht genügend Lichtteilchen. Die Pulse mit mehr Lichtteilchen werden die Physiker nun im neuen Centre for Advanced Laser Applications CALA anreichern, das gerade auf dem Campus Garching gebaut wird.

Sobald dies den Münchner Quantenphysikern gelungen ist, kann die neue, lichtgetriebene Strahlung zum Beispiel im so genannten Phasenkontrast-Röntgentomographie-Bildgebungsverfahren eingesetzt werden, das Franz Pfeiffer, Professor an der Technischen Universität München, verfeinert. Diese Methode nutzt im Gegensatz zur üblichen Absorption der Strahlung ihre Brechung an Objekten. „Damit können wir heute schon bis zu zehn Mikrometer kleine Strukturen in nicht durchsichtigen Objekten aufspüren“, erläutert Stefan Karsch. „Mit der neuen Röntgenquelle werden wir dann noch genauere Informationen aus Gewebe oder anderem Material gewinnen.“

TN/PH

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