Der Kosmos bebt

Wie Max-Planck-Forscher in der Nähe von Hannover nach Gravitationswellen lauschen

Vor einem Jahrhundert postulierte Albert Einstein in seiner Allgemeinen Relativitätstheorie die Existenz von Gravitationswellen. Doch bisher haben sich diese Verzerrungen der Raumzeit hartnäckig der direkten Beobachtung entzogen. Am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Hannover sind Forscher mit dem Detektor GEO600 diesem Phänomen auf der Spur. Herzstück der Anlage ist ein Laser.

Text: Helmut Hornung

Isaac Newton wandelte nicht im Paradies, sondern in einem englischen Park. Dennoch kam ihm ein Apfel in die Quere, genauer: Er knallte Newton auf den Kopf. Oder kullerte er ihm vor die Füße? Schwer zu sagen. Ob die Geschichte vom Fall des Apfels überhaupt einen wahren Kern besitzt, darf bezweifelt werden. Aber wie die meisten Legenden ist auch sie zumindest gut erfunden. Henry Pemberton erzählt sie erstmals 1728 in seiner Biografie über den berühmten Physiker.

Tatsache ist, dass die Universität Cambridge von 1665 bis 1666 wegen der Pest geschlossen war und der Professor viel Zeit zum Nachdenken hatte. Der Obsttag jedenfalls hatte Newton befruchtet. Er soll ihn auf die Idee gebracht haben, dass hinter der Bewegung eines in die Höhe geworfenen Steins, der Bahn des Mondes um die Erde oder eben eines zu Boden fallenden Apfels ein und dasselbe physikalische Phänomen steckt: die Schwerkraft.

So beginnt Mitte des 17. Jahrhunderts die Geschichte der Gravitation – der Kraft, die bis in die letzten Winkel des Universums reicht und die Welt zusammenhält. Präziser formuliert: „Zwei Punktmassen ziehen sich an mit einer Kraft, die in die Richtung ihrer Verbindungslinie zeigt, dem Produkt ihrer Massen direkt und dem Quadrat ihres Abstands indirekt proportional ist.“ Das Newtonsche Gravitationsgesetz verträgt sich wunderbar mit unserem Alltag. Es erklärt in gleicher Weise, warum die Erde um die Sonne läuft und Handys (natürlich immer die teuersten!) zu Boden fallen und kaputt gehen. Soweit wäre alles gut, gäbe es nicht einen Makel: Das Gravitationsgesetz gilt nicht uneingeschränkt.

Als die Astronomen im 19. Jahrhundert mit zunehmend besseren Instrumenten den Lauf der Gestirne beobachteten, bemerkten sie, dass sich der sonnennächste Punkt der Merkurbahn (Perihel) im Raum verschiebt. Dieser Effekt tritt zwar bei allen Planeten auf, weil sie mit ihrer gegenseitigen Schwerkraft aneinander zerren – die Drehung des Merkurperihels erwies sich jedoch als besonders deutlich und obendrein stärker, als man gemäß der Newtonschen Physik erwarten würde: Pro Jahrhundert beträgt sie etwa 1/80 Grad. Wirkte im Verborgenen ein unbekannter Himmelskörper? Oder hatte gar das Gebäude der klassischen Gravitationstheorie einen Konstruktionsfehler?

Im Jahr 1907 denkt ein „Experte II. Klasse“ am Berner Patentamt intensiv über die Schwerkraft nach. Zwei Jahre zuvor hat er bei der Zeitschrift Annalen der Physik fünf Arbeiten eingereicht, eine davon mit dem Titel „Zur Elektrodynamik bewegter Körper“. In dem Aufsatz rüttelt der Freizeitforscher ebenso an den Grundfesten der Physik wie in dem dreiseitigen Nachtrag „Ist die Trägheit eines Körpers von seinem Energieinhalt abhängig?“

Die beiden Arbeiten werden später Spezielle Relativitätstheorie genannt. Der geniale Autor heißt Albert Einstein, 1905 gilt als sein annus mirabilis (Wunderjahr). Am 20. Juli feiert er die Arbeiten mit seiner Frau Mileva. In einer Postkarte an den Freund Conrad Habicht beschreibt er das Ende des ausgelassenen Festes: „Total besoffen leider beide unterm Tisch.“

Die Spezielle Relativitätstheorie bricht unter anderem mit Newtons Dogma von der absoluten Zeit und widerlegt die Behauptung, Geschwindigkeiten würden sich stets direkt addieren. Außerdem soll nach der Newtonschen Theorie die Änderung in der Gravitationswirkung eines Körpers unverzüglich im gesamten Universum spürbar sein. Das heißt: Die Schwerkraft wirkt überall sofort. Das vertrug sich nicht so recht mit Einsteins Aussage, wonach es für die Ausbreitung von Krafteinflüssen jeglicher Art ein natürliches Tempolimit gibt – die Lichtgeschwindigkeit (c = 300.000 km/s).

So ging der Physiker daran, die Gesetze der Gravitation auf eine neue Grundlage zu stellen. Später erinnert er sich: „Es war 1907, als mir der glücklichste Gedanke meines Lebens kam (...) Das Gravitationsfeld hat nur eine relative Existenz, weil für einen Beobachter, der frei vom Dach eines Hauses fällt – zumindest in seiner Umgebung – kein Gravitationsfeld existiert. Tatsächlich bleiben alle von diesem Beobachter fallen gelassenen Gegenstände im Zustand der Ruhe oder der gleichförmigen Bewegung, unabhängig von ihrer chemischen oder physikalischen Natur.“

Einsteins Trick lässt sich auf einen einfachen Nenner bringen: Er simuliert Schwerkraft mit Beschleunigung. Denn auch die Beschleunigung erzeugt Kräfte, wie sie zum Beispiel in einem schnell anfahrenden Aufzug auftreten. Wäre dessen Kabine schall- und lichtdicht, könnten die Menschen glauben, die Anziehungskraft der Erde habe plötzlich zugenommen. Aber ist die Gravitation überhaupt eine Kraft, wie es Newton formulierte?

Die Erkenntnis, dass Gravitation zumindest teilweise eine Frage des Bezugssystems ist, führt Albert Einstein zu revolutionären Ideen, die er nach achtjähriger Arbeit 1915 in seiner Allgemeinen Relativitätstheorie vorstellt. Für die Planetenbewegungen ergeben sich aus der Allgemeinen Relativitätstheorie winzige Abweichungen vom Newtonschen Modell. Am deutlichsten treten sie beim sonnennahen, schnell umlaufenden Merkur auf. So lässt sich die Periheldrehung exakt erklären und berechnen: „Für einige Tage war ich außer mir vor freudiger Erregung“, schrieb Einstein, nachdem er dieses Rätsel gelöst hatte.

Die Allgemeine Relativitätstheorie ist letztlich eine Feldtheorie – wie die Maxwellsche Elektrodynamik auch. In seinen Gleichungen verknüpft der schottische Physiker und Mathematiker James Clerk Maxwell elektrisches und magnetisches Feld mit Ladungen und Strömen. Die Konsequenzen der Elektrodynamik erleben wir heute wie selbstverständlich: Rundfunk und Fernsehen bringen sie uns ins Haus – als elektromagnetische Wellen. Sie entstehen durch die Beschleunigung von elektrischen Ladungen. Obwohl in vielen Punkten unterschiedlich, haben Allgemeine Relativitätstheorie und Elektrodynamik einige formale Gemeinsamkeiten.

So ergeben sich in der Elektrodynamik aus der Ladungsverteilung die Felder, die ihrerseits die Ladungsteilchen beeinflussen, die wiederum auf die Felder wirken. In der Allgemeinen Relativitätstheorie bestimmt die Materieverteilung die Geometrie der Raumzeit, die sich auf die Materieverteilung auswirkt, was schließlich die Geometrie verändert.

In den beiden Theorien steckt noch eine weitere Gemeinsamkeit: Bei Maxwell entfernen sich Störungen in elektromagnetischen Feldern mit Lichtgeschwindigkeit von ihrem Entstehungsort, etwa einer elektrischen Ladung. Bei Einstein führt die beschleunigte Bewegung von Massen im Gravitationsfeld zu Störungen, die sich lichtschnell durch den Raum bewegen. In beiden Fällen kann man das Wort Störungen durch ein anderes ersetzen: Wellen.

Wer auf dem Trampolin auf und ab hüpft, verliert Energie (nicht nur in Form von Kalorien) und schlägt in der Raumzeit Wellen. Nun besitzt ein Mensch eine geringe Masse und hüpft vergleichsweise langsam. Daher sind die von ihm ausgesandten Gravitationswellen unmessbar klein.

Im All dagegen findet man große Massen – und sogar ein Trampolin: die Raumzeit. Darin ist alles in Bewegung, weil kein einziger Himmelskörper in Ruhe an einem Ort verharrt. So beult die Erde bei ihrem Umlauf um die Sonne den Raum aus und strahlt dabei Gravitationswellen mit einer Leistung von 200 Watt ab. Aber auch diese Gravitationswellen sind noch zu schwach, um sie mit einem Detektor aufzuspüren.

Glücklicherweise gibt es im Universum viel heftigere Erschütterungen der Raumzeit: Wenn zwei Neutronensterne oder schwarze Löcher extrem schnell umeinander laufen oder gar miteinander kollidieren. Oder wenn ein massereicher Stern als Supernova explodiert. Solche kosmischen Ereignisse erzeugen Gravitationswellen mit Energien von rund 1045 Watt.

Tatsächlich haben die beiden amerikanischen Astronomen Russell Hulse und Joseph Taylor gezeigt, dass die Umlaufzeit der beiden Neutronensterne PSR 1913+16 abnimmt, weil das Doppelsystem Energie verliert – und sie als Gravitationswellen aussendet. Dafür erhielten die Forscher 1993 den Nobelpreis für Physik. Womit aber lassen sich diese Wellen in der Raumzeit auffangen? Wie machen sie sich bemerkbar?

Dazu schneidern wir in Gedanken ein Gummituch, das zwei Experimentatoren – nennen wir sie Albert und Isaac – jeweils an den gegenüber liegenden beiden Ecken festhalten. Jetzt ziehen Albert und Isaac gleichzeitig an dem Tuch, indem sie zwei oder drei Schritte zurücktreten. Während sie sich voneinander entfernen, bleiben die Arme am Körper angelegt. Das Gummituch wird länger und gleichzeitig schmäler.

Als Nächstes gehen Albert und Isaac wieder aufeinander zu, wobei sie die Arme vom Körper wegstrecken: Das Gummituch wird kürzer und gleichzeitig breiter. Zum Schluss kehren die beiden Experimentatoren in die Ausgangsposition zurück. Während des Versuchs würde sich ein auf das Gummituch aufgemaltes Porträt von Albert Einstein genau so dehnen und stauchen, als hätte eine von unten nach oben durch die Ebene des Gummituchs laufende Gravitationswelle den Raum verzerrt.

In einem zweiten Versuch malen wir auf das Gummituch zwei möglichst weit voneinander entfernte Kreise. Den einen nennen wir Start/Ziel, den anderen Wendepunkt. Dann organisieren wir einen Trupp gut dressierter Ameisen. Wir setzen alle in den Kreis Start/Ziel und lassen eine nach der anderen in regelmäßigem zeitlichen Abstand zum Wendepunkt und wieder zurück laufen. Weil die Ameisen mit konstanter Geschwindigkeit unterwegs sind, erreichen sie den Zielkreis alle in demselben Takt und Abstand wie sie ihn beim Start verlassen haben.

Nun dehnen Albert und Isaac das Gummituch um das Doppelte. Dadurch wird auch die Marschformation des Ameisentrupps auseinandergezogen, die Abstände der Ameisen aufeinander wachsen: Die Ameisen kommen in doppelt so großem zeitlichen Abstand wieder im Ziel an. Diese Zeitverzögerung tritt allerdings nur vorübergehend auf, denn es betrifft ja nur jene Ameisen, die gerade auf der Strecke sind. Bleibt das Tuch um den Faktor zwei gespannt, kehren die startenden Ameisen auch wieder im Takt zurück. Die (simulierte) Gravitationswelle bewirkt, dass die Ameisen mal etwas schneller, mal etwas langsamer aufeinander folgen als erwartet.

Wie oben beschrieben, verändert eine Gravitationswelle den Abstand zwischen den im Raum enthaltenen Objekten senkrecht zur Ausbreitungsrichtung. Das zu messen, ist äußerst schwierig. Stellen wir uns den GAU in unserer Galaxie vor: die Explosion eines massereichen Sterns. Die von diesem Kollaps ausgesandten Gravitationswellen würden – wenn sie das Sonnensystem nach einigen tausend Jahren Laufzeit erreichen – während weniger Zehntausendstel Sekunden die Distanz zwischen Sonne und Erde (1,5 x 1011 Meter) nur um den Durchmesser eines Wasserstoffatoms (10-10 Meter) ändern.

Albert Einstein hielt den Nachweis von Gravitationswellen daher für unmöglich. Und doch haben die Wissenschaftler Instrumente ersonnen, denen das gelingen soll. Die Geräte der ersten Generation bestanden aus tonnenschweren, mit sensiblen Sensoren bestückten Aluminiumzylindern. Gravitationswellenpulse müssten sie zum Schwingen bringen wie der Klöppel eine Kirchenglocke. Aber trotz hoch gezüchteter Verstärker brachten solche Resonanzdetektoren keinerlei Ergebnisse.

Daher konstruierten die Forscher noch weit empfindlichere Empfänger. Deren Prinzip beruht auf dem Gedankenexperiment mit dem Gummituch. Dazu ersetzen wir den Kreis Start/Ziel durch einen Laser, den Wendepunkt durch einen Spiegel und denken uns die Ameisen als die Wellenberge eines Lichtsignals. Um die winzigen Verzögerungen der Ankunftszeit nachzuweisen, muss senkrecht zum ersten noch ein zweiter Strahlengang angelegt werden, damit sich die Lichtwellen dieser beiden Arme überlagern.

Ein solches Michelson-Interferometer gibt es schon seit 1882; gebaut wurde es ursprünglich, um die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit zu prüfen. Ausgerüstet mit modernster Technik eignet es sich ideal zum Nachweis von Gravitationswellen. Die Anlage GEO600, die auf einem Feld in Ruthe bei Hannover steht, funktioniert nach dem Prinzip des Michelson-Interferometers.

Das Licht produzieren mehrere Diodenlaser, die jenen in einem CD-Player gleichen. Ein kleiner Kristall verwandelt das Licht in einen infraroten Laserstrahl, dessen Leistung nach hochpräziser Vorbereitung und Filterung allerdings nur zehn Watt beträgt – viel mehr als ein Laserpointer, aber auch viel zu schwach für sinnvolle Messungen.

Daher arbeiten die Forscher mit „Licht-Recycling“: Ein Spiegel schickt alles nicht benutzte Licht wieder in Richtung Laser, der es erneut auf den Weg ins Interferometer bringt. Dieser Kreislauf wiederholt sich mehrfach und verstärkt nicht nur die umlaufende Lichtleistung auf mehrere 1000 Watt, sondern erhöht auch die Empfindlichkeit des Detektors. Der Laser ist darüber hinaus extrem stabil: Über Monate und Jahre hinweg produziert er Licht von immer gleicher Amplitude und Frequenz.

Die beiden Arme des Interferometers bilden jeweils 600 Meter lange, in Gräben verlegte Röhren. Die Laserstrahlen sollten darin ungestört von äußeren Einflüssen laufen. In der Praxis gilt es, Vibrationen durch Verkehr, natürliche Seismik oder Nordseebrandung auszuschalten. Seismometer messen die Schwingungen, die dann von Piezoaktuatoren kompensiert werden.

Neben diesem aktiven sind alle optischen Teile mit einem passiven System versehen: zweilagige Dämpfer aus Gummi und Edelstahl. Ebenso vibrationsdämpfend wirken Blattfedern und mehrstufige Pendel. Um die thermischen Fluktuationen der Luftdichte innerhalb der Anlage möglichst klein zu halten, wurde das Interferometer in evakuierten Edelstahlröhren untergebracht; Turbomolekularpumpen schaffen ein Ultrahochvakuum besser als 10-11 bar.

GEO600 ist ein bilaterales Projekt, federführend daran beteiligt sind das Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik und die Leibniz Universität Hannover auf deutscher sowie die Universitäten Glasgow und Cardiff auf britischer Seite. Die Anlage ist einer von mehreren irdischen Horchposten, die das Konzert der Sterne abhören sollen.

Die USA nehmen Ende 2015 an zwei 3000 Kilometer entfernten Standorten aLIGO in Betrieb – interferometrische Detektoren der zweiten Generation mit jeweils vier Kilometern Armlänge, die viele bei GEO600 entwickelte Messtechnologien verwenden. Nahe der italienischen Stadt Pisa wird Virgo mit drei Kilometer langen Messarmen ausgebaut, und japanische Wissenschaftler konstruieren derzeit den unterirdischen Detektor KAGRA gleicher Größe. Ein erster erfolgreicher Empfang der Botschaften aus dem All wird in den nächsten Jahren erwartet.

Doch bereits jetzt denken die Astronomen schon ans Jahr 2034, wenn das Interferometer eLISA vom Weltraum aus nach tieffrequenten Gravitationswellen aus dem gesamten sichtbaren Universum lauschen und so die erdgebundenen Detektoren ergänzen soll.

Die Kernaussagen der...

…Speziellen Relativitätstheorie

  • Es gibt keinen Äther, der Licht- und Radiowellen trägt.
  • Alle physikalischen Gesetze haben in allen gleichförmig zueinander bewegten Systemen die gleiche Form.
  • Raum und Zeit sind untrennbar miteinander verknüpft.
  • Es gibt keine absolute Gleichzeitigkeit.
  • Die Lichtgeschwindigkeit ist eine universelle Konstante und unabhängig von der Relativbewegung zur Lichtquelle.
  • Energie und Materie sind äquivalent, die Masse ist direkt ein Maß für die in einem Körper enthaltene Energie. Und: Licht überträgt Masse.

…Allgemeinen Relativitätstheorie

  • Die Gravitation ist keine Kraft im herkömmlichen Sinne, sondern eine Eigenschaft der Geometrie von Raum und Zeit.
  • Materie krümmt die Raumzeit, wobei die Stärke der Krümmung mit der Masse eines Körpers zu- und mit wachsendem Abstand von ihm abnimmt. Raum und Zeit sind dynamisch und bestimmen ihrerseits die Bewegung der Materie.
  • Die Zeit spielt in der Allgemeinen Relativitätstheorie eine wichtige Rolle. So tickt eine Uhr nahe einem massereichen Himmelskörper langsamer als fern von ihm in Regionen, die von seiner Gravitation weniger stark beeinflusst werden.


Hintergrund: Die Fahndung nach Gravitationswellen

Wie man das „Nichts“ misst

Unvorstellbar aber wahr: Wer mit einer Anlage wie GEO600 eines Tages Gravitationswellen nachweisen möchte, der muss die gegenseitige Verschiebung zweier Lichtwellen um ein Hundertmilliardstel Grad (10-11) messen – ein „Nichts“, das ein Interferometer in einen winzigen Helligkeitsunterschied umwandelt. Obwohl das Interferometer schon vor mehr als 130 Jahren erfunden und der erste Laser 1960 gebaut wurde, genügten die vorhandenen Techniken den hohen Ansprüchen der Gravitationswellen-Astronomen nicht.

So benötigt man für den Detektor eine möglichst monochromatische (einfarbige) Lichtquelle mit extrem konstanter Helligkeit: Das von Intensitätsschwankungen und Frequenzfluktuationen verursachte Störsignal muss so klein wie möglich gehalten werden. Für den Aufbau einer solchen hochstabilen Lichtquelle bieten sich „diodengepumpte“ Festkörperlaser an.

Aufgrund seiner hohen Effizienz und Ausgangsleistung sowie seiner großen Lebensdauer und Wartungsfreiheit wählten die Wissenschaftler für GEO600 einen Nd:YAG-Laser. Dessen Kernstück besteht in einem Neodym-dotierten Yttrium-Aluminium-Granat-Kristall, der durch einen speziellen Schliff der Endflächen zu einem Ringresonator ausgebildet ist.

Zwei Laserdioden, wie sie in einem handelsüblichen CD-Player stecken, strahlen Licht ein. Bei jedem Umlauf wird es in infrarote Laserstrahlung mit 1064 Nanometer Wellenlänge umgewandelt. Auf dem Laserkristall sitzen kleine Piezokristalle und Peltier-Elemente. Erstere reagieren auf mechanische Spannungen und halten den Kristall stets in der richtigen Form, Letztere sorgen für dessen konstante Temperatur.

Die Korrekturen erfolgen elektronisch über ein Referenzsystem, das ständig Ist- und Soll-Daten von Frequenz und Intensität miteinander vergleicht und die nötigen Befehle an die Sensoren auf dem Kristall leitet.

Der Recycling-Trick

Die Ausgangsleistung des Lasers liegt bei etwa einem Watt – zu gering für ordentliche Messungen. Denn die Empfindlichkeit des Detektors hängt von der umlaufenden Lichtleistung ab. Das Interferometer würde rein theoretisch erst bei einer Ausgangsleistung von einer Million Watt optimal arbeiten. Um diesem (derzeit illusorischen) Ziel ein wenig näher zu kommen, wird das Licht in einen zweiten Ringlaser höherer Leistung geschickt, der die guten Eigenschaften des ersten Lasers übernimmt.

Zwei weitere Ringresonatoren filtern den Laserstrahl geometrisch und präparieren den stabilen Kern des Strahls heraus. Auf diese Weise erzeugt das System etwa zehn Watt Ausgangsleistung. Um die im Interferometer umlaufende Lichtleistung weiter zu verstärken, benutzt man die Methode des „Power-Recycling“: Der Ausgang des Interferometers ist im Normalfall (keine Gravitationswelle) dunkel. Eine durch eine Gravitationswelle verursachte kleine Helligkeitsschwankung lässt sich dann leichter beobachten als vor einem sehr hellen Hintergrund.

Bei dieser sogenannten destruktiven Interferenz wird aber kein Licht vernichtet, sondern nur umverteilt: Es wird zum Eingang zurückgeschickt und dann erneut verwendet. Dazu platziert man zwischen Laser und Interferometer einen Spiegel, der das Licht reflektiert und weiteres Laserlicht durchlässt. Auf diese Weise wird das im Interferometer umlaufende Licht verstärkt. Mit diesem Kunstgriff holen die Konstrukteure je nach der Güte des Spiegels aus dem Laser schließlich bis zu zehn Kilowatt heraus.

Ausgefeilte Politur

Auch an die optischen Komponenten wie Spiegel und Strahlteiler stellen die Forscher hohe Anforderungen. Betrachten wir einmal den Strahlteiler. Er wird von dem in der Anlage umlaufenden Licht durchsetzt, wobei das Material einen Bruchteil der Lichtleistung „verschluckt“ (absorbiert). Ergebnis: Der Strahlteiler wird warm wie ein Stück Glas an der Sonne und dehnt sich dabei aus.

Leider erfolgt diese Wärmeausdehnung nicht gleichmäßig, das heißt, die Oberfläche des Strahlteilers verbiegt sich. Die Formänderung ist minimal. Dennoch wirkt der Strahlteiler dadurch wie eine optische Linse, die den Laserstrahl fokussiert. Im ungünstigsten Fall kann das zur Zerstörung einer anderen optischen Komponente im Strahlengang führen.

Für GEO600 wurde deshalb ein Quarzglas entwickelt, das nur ein Hundertstel so viel Licht verschluckt als alle bis dahin benutzten Glassorten; die Absorption dieses Materials beträgt weniger als ein Tausendstel Promille pro Zentimeter. Darüber hinaus legten die Konstrukteure großen Wert auf Streulichtarmut. Aus diesem Grund musste die Oberfläche des fertigen Quarzglaskörpers möglichst gut poliert werden, um eine unregelmäßige Streuung des Lichts zu vermeiden.

„Möglichst gut“ bedeutet: Die Oberfläche sollte im Bereich atomarer Dimensionen eben sein. Tatsächlich wurde auch diese extreme Anforderung erfüllt. Die mittlere Rauigkeit der Spiegeloberfläche beträgt über einen Bereich von 26 Zentimetern lediglich 10-10  Meter – entsprechend dem Durchmesser eines Atoms.

Licht, das Druck macht

Wegen der extremen Empfindlichkeit der gesamten Anlage gegen Erschütterungen treten Effekte auf, die normalerweise keine Rolle spielen. Was im Weltall den Staubschweif eines Kometen an den Himmel zaubert – nämlich der Strahlungsdruck des Lichts –, macht bei GEO600 Probleme. Denn man kann sich den Laserstrahl auch als unregelmäßige Folge von Lichtteilchen (Photonen) vorstellen. Diese übertragen Impuls, sodass der Spiegel unregelmäßig erschüttert und so ein Signal vorgetäuscht wird.

Zwar benutzt man diesen Effekt, um den Detektor zu kalibrieren, indem man einen Laserpuls definierter Leistung auf den Endspiegel schickt und das davon hervorgerufene Signal beobachtet. Doch für den Betrieb des Detektors ist der Effekt unerwünscht. Um ihn möglichst klein zu halten, sind die Spiegel massive Quarzglasklötze von rund zehn Kilogramm Masse. Deren Gestalt wird außerdem von internen Störungen bestimmt, die von der Wärmebewegung der Atome herrühren.

Aufgrund dieser thermischen Anregung bewegt sich die Oberfläche des Spiegels und ruft ein Störsignal hervor, das weit über dem zu erwartenden eigentlichen Signal liegt. Die einfachste Lösung wäre eine Abkühlung der Optik – was sich in der Praxis kaum verwirklichen lässt, denn dafür müsste das System bis nahe dem absoluten Nullpunkt gebracht werden, auf Temperaturen unter einem Kelvin (minus 272 Grad Celsius). Die nächste Detektor-Generation soll diese Technik nutzen, bei der Strahlteiler und Endspiegel in Kryostaten (eine Art Thermoskannen) gesetzt werden.

Vorerst behelfen sich die Konstrukteure mit einem Trick und sorgen dafür, dass die unerwünschten Oberflächenschwingungen in einem Frequenzbereich liegen, der sich ohnehin nicht nutzen lässt. Dazu gibt man dem Spiegel eine ganz bestimmte Gestalt – seine Dicke ist etwa halb so groß wie sein Durchmesser. Generell gilt: Je größer die Spiegelmasse und die mechanische Güte des Materials, umso kleiner die verbleibenden Störungen.

HOR

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