Forschungsbericht 2014 - Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik

Modernste Mikroskopie: Das System als Ganzes verstehen

Autoren
Myers, Eugene W.; Jug, Florian
Abteilungen
Exploring Cells & Systems via Image Analysis and Customized Microscopy (Eugene W. Myers)
Zusammenfassung
Die Forschungsgruppe um Eugene W. Myers ist eine Technologie-Gruppe, die Bilder analysiert und Informationen aus diesen extrahiert. Die Bilddaten werden dabei mit verschiedenen, zum Teil selbst entwickelten Mikroskopen aufgenommen. Die Forscher glauben, dass diese von der Gruppe entwickelten Mikroskope und die damit produzierten Daten das Potenzial haben, mehr über die im Genom kodierten Einheiten zu enthüllen als jegliche alternative Herangehensweise.

Seit 2012 forscht Eugene W. Myers mit seiner Gruppe am Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden (MPI-CBG). Er ist dort Direktor und zugleich auch Gründungsdirektor des neuen Zentrums für Systembiologie Dresden (CSBD). Seine Ziele in Dresden sind es, automatisierte Mikroskope zu bauen und Algorithmen zu entwickeln, mit denen man Informationen und Modelle aus Bildern gewinnen kann. Darüber hinaus will die Gruppe computergestützte Schnittstellen für die automatische Analyse etablieren. Die Wissenschaftler wollen eine Plattform entwickeln, mit der es möglich ist, Zelllinien von Würmern, Fliegenembryos oder Zebrafischembryos während ihrer Entwicklung auf der Stufe einzelner Zellen im Detail zu verfolgen. Um dieses Ziel zu erreichen, ist es notwendig, bis an die physikalischen Grenzen der Lichtmikroskopie zu gehen. Die selbstentwickelten Mikroskope der Gruppe von Myers sind deutlich schneller und erzeugen dabei dennoch wesentlich besser aufgelöste Bilder als kommerzielle Mikroskope.

Mikroskopie

Die selbstgebauten Lichtmikroskope sind Lichtscheibenmikroskope (SPIM) der nächsten Generation; sie erreichen durch allerlei Tricks und Kniffe sehr hohe räumliche und zeitliche Auflösungen (Abb. 1). Die Lichtscheibenmikroskopie besitzt die einzigartige Fähigkeit, lebende biologische Systeme in ihrer räumlichen Struktur über längere Zeiträume abbilden zu können, ohne diese dabei negativ zu beeinflussen oder gar zu beschädigen. Die Beobachtung eines sich entwickelnden Organismus bietet die Möglichkeit, zelluläre Prozesse in Embryos besser zu verstehen. Beispiele dafür sind die Versuchsreihen der Myers-Gruppe mit dem Fadenwurm C. elegans und der Fruchtfliege D. melanogaster.

Um die bestmögliche Datenqualität zu garantieren und die Embryos aus mehreren Richtungen gleichzeitig aufnehmen zu können, geht man sogar so weit, eigene Objektive zu entwickeln. Zur Steuerung der Mikroskop-Hardware wird letztlich auch die Steuerungssoftware von den Forschern in Dresden selbst entwickelt. Nur eine systemnahe und zeitlich exakt aufeinander abgestimmte Steuerung ermöglicht es, die nötigen Datenraten bis zu 2 Gigabyte pro Sekunde zu gewährleisten.

Bildanalyse

Bei der Analyse und Verarbeitung der aufgenommenen Bilddaten können zwei Phasen unterschieden werden: Die erste Phase findet noch während der Bildaufnahme statt und hilft die Qualität der volumetrischen Daten zu verbessern. Grundlegende Methoden zur Verbesserung der Bildqualität, wie z. B. Dehazing und Dekonvolution, reduzieren die negativen Einflüsse von Streulicht und erhöhen den Kontrast sowie die Auflösung der aufgezeichneten Daten. Eine etwas komplexere Methode, um die Auflösung zu erhöhen, ist die "strukturierte Beleuchtung", bei der mit wohldefinierten Lichtmustern die physikalische Auflösungsgrenze der Lichtmikroskopie bis zu einem Faktor 2 verbessert werden kann.

Die zweite Phase, die normalerweise nach der erfolgreichen Bildaufnahme beginnt, hat die Interpretation der entstandenen Daten zum Ziel. Dabei werden zuvor entwickelte Methoden angewandt, die den manuellen Aufwand beteiligter Forschergruppen minimieren sollen. Beispiele dafür sind Algorithmen zur (semi-)automatischen Verfolgung von Zellen oder Methoden zur automatischen Benennung von Zellkernen – beides Aufgaben, die manuell viele Tage oder Wochen dauern würden.

Sequenzierung

Um die Genome von Organismen zu sequenzieren, entwickeln die Wissenschaftler einen neuen Genom-Assembler (DAZZLER), der mit den langen Sequenzen arbeitet, die von den neuen Pacbio-Sequenziermaschinen erzeugt werden. Die Herausforderung beim Sequenzieren von Genomen auf der Basis dieser Sequenzen liegt darin, dass die Fehlerrate mit ca. 14 Prozent deutlich über der alternativer Sequenziermethoden liegt. Der große Vorteil jedoch ist, dass die sehr langen Pacbio-Sequenzen das Potenzial haben, auch Teile von Genomen zu entschlüsseln, welche bisher noch nicht zweifelsfrei decodiert werden konnten. Der Gruppe stehen zwei dieser Sequenziermaschinen in Dresden zur Verfügung.

Projekte mit Modellorganismen

Annotation des Zellkerns von C. elegans in Lichtmikroskopie-Bildern

Der Fadenwurm C. elegans ist ein klassischer Modellorganismus mit einer festen Abstammung und Anzahl von Zellen in den fünf Phasen seiner Entwicklung. Jede einzelne Zelle hat einen eindeutigen Namen, d. h. aufgrund ihrer Funktion und Position im Wurm kann ihr eine feste Identifikation zugeordnet werden. Folglich können Beobachtungen, die auf Zellebene in verschiedenen Würmern, aber in gleichen Entwicklungsstadien gemacht wurden, in einem "Referenz-Wurm" abgebildet werden.

Mikroskopische Aufnahmen können die Stellen erfassen, an denen bestimmte interessante Gene auf Zellebene exprimiert werden. Indem die Forscher eine Vielzahl solcher Beobachtungen für eine Reihe von Genen sammeln, erhalten sie Expressionsprofile für jede einzelne Zelle in jedem Larvenstadium. Dabei kann man erkennen, welches Gen in welcher Zelle und in welchem Entwicklungsstadium aktiviert wird.

Diese Informationen können ein Schlüssel zum Verständnis dafür sein, was die Entwicklung von C. elegans antreibt. Um dieses Ziel zu erreichen, muss eine große Anzahl von Würmern segmentiert und in mikroskopischen Bildern mit Annotationen, wie zum Beispiel dem eindeutigen Namen jeder dieser Zellen, versehen werden. Da die manuelle Segmentierung und Annotation von nur einem einzigen Wurm ein hohes Maß und Wissen erfordert und auch für Experten einige Tage dauert, kann eine Hochdurchsatz-Studie nur mit Hilfe von automatisierter Bildanalyse realisiert werden. Deshalb entwickeln Wissenschaftler in der Gruppe von Eugene W. Myers automatisierte Methoden für die Segmentierung und Benennung aller Zellen in den verschiedenen Larvenstadien von C. elegans.

Bildverarbeitung während der Regeneration von Planarien

Planarien sind Plattwürmer, die nicht nur in der Lage sind, ihre Körpergröße den Nahrungsbedingungen anzupassen, sondern sich auch in ihrer Gesamtheit regenerieren können – selbst wenn der Wurm in kleine Stücke zerhackt wird, erneuert sich jedes Stück wieder zu einem vollständigen Plattwurm. Planarien besitzen eine natürliche Zellpolarität, die während des Regenerationsprozesses bewirkt, dass sich die neuen Kopf und Schwanz-Koordinaten an der ursprünglichen Polarität ausrichten.

Um diese Neuausrichtung zu quantifizieren, muss man die Polarität des Gewebes sichtbar machen und erneut in der Lage sein, eine Vielzahl solcher Bilder automatisch und effizient zu verarbeiten und zu analysieren. Die Forscher haben ein Verfahren entwickelt, das automatisch die erste Epithel-Schicht extrahiert und ungleichmäßige Beleuchtung innerhalb der Bilder korrigiert. Anschließend werden die Zellgrenzen aus den Bilddaten gelesen und dabei auch die Polarität der einzelnen Zellen berechnet.

Segmentierung und Nachverfolgung während der Flügelentwicklung von Drosophila

Die Entwicklung von Organen ist durch eine hohe Vermehrung und räumliche Neuanordnung der einzelnen Zellen gekennzeichnet. Während der Flügelentwicklung von Drosophila zum Beispiel durchlaufen die Zellen Dehnung, Teilung und Neuanordnungen, um letztendlich die endgültige Form des Flügels zu erzeugen (Abb. 2).

Um ein detailliertes Verständnis solcher Entwicklungsprozesse zu erlangen, muss man Informationen wie die Form, die Anzahl oder die Zellpolaritäten aller Zellen während des gesamten Entwicklungsprozesses messen. Das Ziel dieses Projektes ist die Entwicklung von sehr genauen und effizienten Algorithmen zur Erfassung eben dieser Daten. Ein automatisiertes Verfahren soll jede Zellgrenze erkennen und so alle Zellen über die Zeit hinweg verfolgen.  Dies wird es ermöglichen, die Entwicklung von ganzen Geweben auszuwerten und so das sich entwickelnde System als Ganzes zu verstehen.

Vision

Die Vision der Forschungsgruppe von Prof. Myers ist es, Technologien zu schaffen, die es ermöglichen, ein Fenster zu zellulären Entwicklungsprozessen zu öffnen.

Jeder Zellkern und/oder jede Zelle in sich entwickelnden Geweben soll einzeln verfolgt werden und sogar die Menge bestimmter Proteine soll zu jedem Zeitpunkt quantifiziert werden können. Es ist sicher keine einfache Aufgabe, aber aus Sicht des Forscherteams der erfolgversprechendste Weg, diese komplexen Systeme als Ganzes verstehen zu lernen.

 

 

 

 

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