Im Reich des ewigen Eises

Sowohl an seiner Außengrenze als auch weiter innen im Sonnensystem kreisen Körper, die aus viel Wassereis bestehen

Text: Thorsten Dambeck

Am 6. November 2010 verfinsterte sich im Sternbild Walfisch das Licht des Sterns NOMAD1 0856-0015072. Was war geschehen? Ein Zwergplanet am Rande des Sonnensystems hatte sich vor den fernen Stern geschoben, sein Name: Eris. Für Astronomen ist eine solche „Sternbedeckung“ eine seltene Gelegenheit, mehr über die Eiswelten zu erfahren, die zuhauf jenseits der Neptunbahn um die Sonne kreisen.

Unter eingefleischten Plutofans ist Eris übrigens nicht so beliebt, denn letztlich war es ihre Entdeckung, die Pluto im Jahr 2006 aus der Familie der großen Planeten verbannte. Bereits Jahre zuvor hatten Astronomen erste, allerdings kleinere Artgenossen von Eris im sogenannten Kuipergürtel aufgespürt; der erste ging 1992 ins Netz.

Weit über tausend Exemplare, die in dieser reifenförmigen Außenzone des Sonnensystems kreisen, füllen heute die astronomischen Kataloge. Sie reichen von Minibrocken im Format eines Hochhauses bis hin zum Tausende Kilometer großen Zwergplaneten wie Eris. Die Gesamtmasse des Kuipergürtels wird auf etwa 0,1 Erdmassen geschätzt – erheblich mehr als im Hauptgürtel der Asteroiden zwischen Mars und Jupiter.

Wie diese fernen, stark eishaltigen Körper aussehen, ist noch unbekannt. Im Fernrohr sind sie auch bei stärkster Vergrößerung lediglich strukturlose Lichtpunkte. Das Rennen um das erste Porträtfoto einer solchen Zwergenwelt hat unterdessen Dawn gemacht – und zwar mit einem Objekt, das deutlich näher um die Sonne kreist: Das Bild von Ceres haben die Bordkameras der Raumsonde geschossen, die sogenannten Framing Cameras, die wiederum aus dem Göttinger Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung stammen.

Dass in dieser relativen Sonnennähe bereits eishaltige Körper existieren sollen, war laut Andreas Nathues überraschend. „Doch anders als mit einem hohen Wasseranteil ist die geringe mittlere Dichte von Ceres nicht zu erklären“, sagt der Max-Planck-Forscher. Auch andere Exemplare, etwa der Asteroid Themis – mit etwa 200 Kilometern Durchmesser deutlich kleiner als Ceres (Äquatordurchmesser: 974 Kilometer) – erwies sich in den vergangenen Jahren als zumindest teilweise eisbedeckt.

Dawn hatte bereits vor vier Jahren den Asteroiden Vesta besucht – eine felsige, höchstwahrscheinlich eisfreie Welt. Welche Differenzen zeigen die beiden Asteroiden aus dem Blickwinkel der Bordkameras? „Mit den sieben Farbfiltern der Framing Cameras haben wir ein sehr empfindliches Messgerät für die spektralen Unterschiede“, sagt Nathues. „Und diese sind erheblich. Vestas Oberfläche ist zumeist wesentlich heller als die der Ceres und weist starke Absorptionslinien bei etwa 1000 Nanometern Wellenlänge auf, während Ceres einen steilen Lichtabfall im violetten und ultravioletten Licht ab 450 Nanometern zeigt. Der entsprechende Helligkeitsabfall bei Vesta fällt deutlich gemäßigter aus.“

Wodurch dieser sogenannte UV drop-off bei Ceres hervorgerufen wird, müssen weitere Analysen ans Licht bringen. Besonders deutlich werden Hinweise auf einen Eisanteil, wenn man die Ceresfotos mit den Augen von Geologen betrachtet. Denn sie zeigen teils vergleichsweise junge Landschaften, etwa die Wälle mancher Einschlagbecken, die im Laufe geologischer Zeiträume deutlich verflacht sind.

„Das Material ist möglicherweise ähnlich demjenigen irdischer Gletscher, die einen Hang hinab fließen. Es ist ein starker Hinweis auf ein viskoses Material, dass seine Eigenschaften sehr wahrscheinlich durch einen Eisanteil im Boden erhält“, sagt Nathues.

Bei der Entstehung der Himmelskörper des Sonnensystems war die räumliche Eisverteilung ein Schlüsselfaktor. Generell stammt der Rohstoff für die Planetenbildung aus großen Molekülwolken, die Gas und Staub enthalten. Stark vereinfacht ist das Gas – hauptsächlich Wasserstoff – das Rohmaterial für den Stern, der durch einen Kollaps der Gasmassen entsteht. Planeten entstammen protoplanetaren Scheiben, die sich um junge Sterne in solchen Molekülwolken bilden.

Weitgehend einig sind sich die Astrophysiker darüber, dass sich Gasplaneten wie der Jupiter relativ schnell formieren, also binnen weniger Jahrmillionen. Das nötige Gas beziehen sie aus der protoplanetaren Scheibe. Ein Vielfaches länger dauert hingegen die Geburt von Gesteinsplaneten wie der Erde. Für diesen Prozess ist der Staub die wichtigste Ingredienz: Er sammelt sich anfangs in Mikrometer-feinen Teilchen, wobei die Partikel jedoch schnell wachsen.

Haben die Objekte die Größe von einigen Kilometern erreicht, sorgt die Schwerkraft für weiteres Wachstum: Ein Wettlauf um den Massenzuwachs entsteht, wobei nur die schnellsten Körper als ausgewachsene Planeten enden. Die zahllosen Verlierer dieses Prozesses werden von den wenigen Gewinnern geschluckt.

Doch bereits die Frühphase dieses Vorgangs gibt den Theoretikern Rätsel auf, das gilt sowohl für die Gas- als auch die Gesteinsplaneten. Denn die Bildung der Zentimeter-großen Aggregate ist nicht vollständig verstanden. Bei den hohen Kollisionsgeschwindigkeiten sollten eigentlich mehr Partikel zerstört werden, als sich größere zusammen fügen.

Einen Beitrag zur Überwindung dieser Wachstumsbremse bilden nach den Worten von Paul Hartogh wahrscheinlich die volatilen Substanzen – etwa Wasser. Der Göttinger Max-Planck-Forscher leitet den Forschungsschwerpunkt „Wasser im Sonnensystem“ des Herschel-Weltraumteleskops der europäischen Raumfahrtorganisation ESA. „Nah am Stern ist Wasser in einer protoplanetare Scheibe gasförmig. Weiter außen, wo die Scheibe kühler ist, bildet sich eine sogenannte Schneegrenze, das heißt, ab dort gefrieren die Wassermoleküle zu Eis“, sagt Hartogh.

Das Eis schlägt sich auf den Staubkörnern der Scheibe nieder und versieht sie mit einer klebrigen Hülle. Die Folge ist ein höheres Wachstumstempo der sich formierenden Planeten, da nun bei Kollisionen der eisige Klebstoff ein Auseinanderbrechen der Staubkörner erschwert. Zusätzlich vergrößert das Eis den Anteil der festen Materie in der Scheibe, ebenfalls ein Wachstumsfaktor.

Die Wirklichkeit ist allerdings etwas komplexer als dieses übersichtliche Bild. Denn andere volatile Substanzen, die bei der Entstehung des Sonnensystems eine gesonderte Rolle spielen, haben ihre eigenen Schneegrenzen, die in jeweils unterschiedlicher Distanz zur Sonne liegen. Zudem sind, wie in der Politik, die Grenzen nicht für die Ewigkeit: „Im Laufe der Entstehungsgeschichte des Sonnensystems haben sich die Schneegrenzen verschoben“, sagt Hartogh im Hinblick auf die veränderliche Entwicklung der Wärmeabgabe der Sonne.

Auch an anderen Orten des Universums fanden US-Astronomen von der Universität Michigan Wassereis. Zusammen mit Kollegen präsentierten sie kürzlich dazu Auswertungen der Infrarotdaten von Herschel. Demnach wurden die Wissenschaftler in den äußeren Regionen der Scheiben um drei junge, sogenannte T-Tauri-Sterne fündig. Mit dem für die Wassersuche spezialisierten ESA-Satelliten entdeckten sie erstmals die Signatur von Eis in den protoplanetaren Scheiben um solche Frühphasen sonnenähnlicher Sterne. „In Herschels Spektralmessungen offenbaren sich möglicherweise eine Art von frühen Versionen des Kuipergürtels“, sagt Hartogh.

Zurück zu unserem heimischen Kuipergürtel: Um die Größe von Zwergplaneten zu bestimmen, sind Sternbedeckungen die beste Methode. Immerhin drei Fernrohre konnten in der Novembernacht 2010 den plötzlichen Helligkeitseinbruch aufzeichnen, als Eris vor den Walfisch-Stern trat. Die Auswertung ergab: Eris ist nahezu kugelförmig, ihr Durchmesser beträgt 2326 Kilometer – in dieser Hinsicht quasi ein Zwilling Plutos.

Da Eris von ihrem Trabanten Dysnomia umrundet wird, können Astronomen aus dessen Umlaufbahn die Masse des Zwergplaneten berechnen. Zusammen mit den Ausmaßen aus den Sternbedeckungen ergibt sich so die mittlere Dichte: Mit 2,5 Gramm pro Kubikzentimeter liegt sie deutlich höher als bei Pluto und Ceres (jeweils etwa 2,0).

Im Vergleich mit den beiden enthält Eris also offenbar mehr schweres Gestein und weniger leichtes Eis. Andere größere Kuiperobjekte zeigen bezüglich ihrer Dichte – also auch ihres inneren Aufbaus – eine beachtliche Bandbreite. Und das wird kaum die letzte Überraschung bei der Erforschung der Eiswelten unseres Sonnensystems bleiben.

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