Ceres – eine geheimnisvolle Welt

Nach fünfwöchiger Sendepause schickt die Raumsonde Dawn wieder Bilder von dem Zwergplaneten zur Erde

20. April 2015

Es waren eine Ankunft und ein Abschied zugleich: Als die NASA-Raumsonde Dawn am 6. März dieses Jahres Ceres nach zweieinhalbjährigem Flug durch den Asteroidengürtel endlich erreichte, versank der kugelrunde Zwergplanet zunächst im Dunkel. Da sich das Raumschiff seinem Ziel von der Schattenseite näherte, konnte das wissenschaftliche Kamerasystem an Bord keine neuen Bilder aufnehmen. Fünf lange Wochen lang. Jetzt ist Ceres wieder zu sehen. Fotos von Mitte April erlauben einen ersten Blick auf den Nordpol des Zwergplaneten.

Text: Birgit Krummheuer

Die Mission der am 27. September 2007 gestarteten US-amerikanischen Raumsonde Dawn tritt nun in ihre entscheidende Phase. Eine der drängendsten Fragen, die auch die beteiligten Forscher des Göttinger Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung umtreibt, ist die nach Ceres‘ Eis. Erstreckt sich unter der tiefgrauen Oberfläche des Zwergplaneten eine Schicht aus gefrorenem Wasser? Spuckt der größte Körper im Asteroidengürtel gar Wasserdampf ins All? In den nächsten Wochen könnte Dawn ein entscheidendes Puzzleteil zu unserem Verständnis der Wasserverteilung im Sonnensystem liefern.

Die jüngsten Bilder von Ceres zeigen nur einen kleinen Ausschnitt der Oberfläche, da große Bereiche der nördlichen Hemisphäre im Schatten liegen. Doch ähnlich wie die Aufnahmen aus der Anflugphase zu Beginn dieses Jahres lassen sie eine geheimnisvolle Welt erkennen. Wie die meisten Bewohner des Asteroidengürtels ist Ceres überzogen von Kratern – Zeugnisse eines fortwährenden Bombardements durch kleinere Brocken.

Doch Krater ist nicht gleich Krater. Geowissenschaftlern ziehen aus der genauen Form Rückschlüsse auf das Material der Oberflächenschichten. „Auf Ceres finden sich inmitten auffällig vieler Krater prägnante Zentralberge“, sagt Andreas Nathues, der das Dawn-Team am Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung leitet und mit ihm die Kameradaten auswertet.

Ähnliche Strukturen sind auch von Kratern auf der Erde, dem Mond und dem Saturntrabanten Mimas bekannt, treten dort jedoch nicht so häufig bei bereits mittelgroßen Kratern auf. Ersten Auswertungen zufolge sind viele Cereskrater zudem eher flacher.

All dies könnten entscheidende Hinweise sein. Denn über sämtlichen Messungen und Auswertungen schwebt die Frage: Gibt es dort Eis? Deuten die Kraterstrukturen auf einen leicht verformbaren, flüchtigen Untergrund?

Besonders Untersuchungen der Gesamtdichte des Zwergplaneten beflügeln die Ceresforschung seit Jahren. Denn der etwa 950 Kilometer große Brocken entpuppte sich als deutlich weniger dicht als etwa die steinigen Planeten des inneren Sonnensystems. Unterirdisches Wasser – egal ob gefroren oder flüssig – könnte zu solchen Messwerten führen.

Anfang 2014 dann der nächste Paukenschlag: Das Weltraumobservatorium Herschel beobachtete zeitweise Wasser in der Umgebung des Zwergplaneten. Verdampft es von Ceres‘ Oberfläche ins All? Oder ist es sogar ein Zeichen von Kryovulkanismus? Diese Form des Vulkanismus tritt im äußeren Sonnensystem etwa auf den Eismonden der Planeten Jupiter und Saturn auf. Statt heißer Lava wie beim irdischen Vulkanismus schießen dabei andere Flüssigkeiten wie Wasser aus dem Innern der Körper empor.

Ceres jedenfalls scheint eine ungewöhnliche Welt zu sein. Viele Forscher sehen in dem kugelrunden Brocken das Bindeglied zwischen den steinigen Körpern des inneren Sonnensystems und den wasserreichen Zwergplaneten und Monden weiter außen. Ceres könnte helfen zu verstehen, wie es bei der Geburt des Planetensystems zu dieser Zweiteilung kam – und wo genau die Grenze zwischen beiden Regionen verläuft.

Kein Wunder also, dass nicht nur Wissenschaftler in den vergangenen Monaten mit Interesse auf vereinzelte helle Flecken auf Ceres‘ Oberfläche blickten. Erste Anzeichen dieser Oberflächenstrukturen fanden sich bereits im Januar 2015 aus einer Entfernung von mehr als 230.000 Kilometern.

„Die Flecken reflektieren mindestens 40 Prozent des einfallenden Lichts und treten, wie sich mittlerweile erkennen lässt, fast ausschließlich in Verbindung mit Kratern auf“, sagt Andreas Nathues. Besser aufgelöste Aufnahmen und Spektren der nächsten Wochen und Monate sollen helfen zu klären, ob hier Einschläge unterirdisches, verborgenes Eis freilegten.

Für ihre wissenschaftliche Mission ist Dawn mit drei Messinstrumenten ausgestattet. Während GraND – ein Detektor für Gammastrahlen und Neutronen – einige Elemente wie Magnesium, Silizium, Sauerstoff und Eisen aufspüren soll, untersucht das Spektrometer VIR die sichtbare und infrarote elektromagnetische Strahlung, die Ceres ins All reflektiert. Daraus lassen sich Informationen über mineralogische Zusammensetzung und Temperatur der Oberfläche gewinnen.

Für das Dauer-Fotoshooting, das bis zum Ende der Mission zehntausende Bilder liefern soll, ist das wissenschaftliche Kamerasystem zuständig. Es wurde von Forschern des Göttinger Max-Planck-Instituts entwickelt und gebaut. Aus seinen Daten lassen sich nicht nur Geländemodelle und topografische Karten konstruieren. Ausgestattet mit sieben Farbfiltern kann das Kamerasystem auch einige Wellenlängenbereiche des reflektierten sichtbaren Lichts herausfiltern. Diese Bereiche enthalten die charakteristischen Fingerabdrücke bestimmter Mineralien und erlauben so Rückschlüsse auf die Zusammensetzung der Oberfläche.

„Ceres‘ Landschaften sind abwechslungsreicher, als das bloße Auge verrät“, sagt denn auch Andreas Nathues. Erste Karten der spektralen Verteilung zeigen deutliche Variationen. In den nächsten Wochen wollen die Max-Planck-Forscher diese genauer untersuchen, um zu verstehen, welche Mineralien dort vorliegen. Besser aufgelöste Daten erhalten die Wissenschaftler Ende Mai. Dann werden Dawn nur noch 13500 Kilometer von Ceres trennen. Im Lauf der Mission soll sich der Abstand dann auf lediglich 370 Kilometer verringern.

Für die Forscher ist das eine aufregende Zeit – und doch nicht ganz neu. Schon einmal haben sie eine Anflugphase miterlebt, schon einmal sich immer näher an einen noch unbekannten Körper herangetastet und jedem neuen Bild entgegengefiebert. Im Juli 2011 erreichte Dawn ihr erstes Ziel: den Riesenasteroiden Vesta, der nur 60 Millionen Kilometer näher an der Sonne als Ceres seine Bahnen durch den Asteroidengürtel zieht. Der Späher fand eine steinige, geologisch ausgesprochen vielfältige Welt: mit gewaltigen Becken, parallel verlaufenden Rillen und dem mit gut 22 Kilometern Gipfelhöhe höchsten Berg im Sonnensystem.

Dawn ist damit die erste Mission in der Geschichte der Raumfahrt, die nacheinander in eine Umlaufbahn um zwei extraterrestrische Körper eingeschwenkt ist. Möglich wird dies nicht zuletzt durch die Antriebstechnik. Anders als die meisten Raumsonden ist Dawn nicht nur mit chemischen Raketenmotoren ausgestattet, sondern setzt auf den Ionenantrieb.

In einem Magnetfeld werden Xenonatome zunächst ionisiert, beschleunigt und dann ausgestoßen. Ähnlich wie bei einer Qualle, die durch Zusammenziehen ihres Schirms Wasser freisetzt, entsteht so ein Rückstoß – und das Raumschiff nimmt an Fahrt auf.

Dabei kann der Ionenantrieb problemlos über Wochen und Monate betrieben werden und das Raumschiff nach und nach auf hohe Geschwindigkeiten beschleunigen. Eine anspruchsvolle Flugroute wie die von Dawn zu zwei weit auseinanderliegenden Körpern wird dadurch erst möglich – und bezahlbar.

Ein Novum ist Dawn aber noch in anderer Hinsicht: Erstmals wird eine Raumsonde einen Zwergplaneten über einen längeren Zeitraum begleiten. Das ist wissenschaftlich wertvoll: „Diese Klasse von Himmelskörpern kann uns viel über die Entstehung und Entwicklung des Sonnensystems verraten“, sagt Nathues. Zwergplaneten seien eine Art Mischwesen: zu klein, um als Planet zu gelten, aber bereits rund und deutlich größer als die unregelmäßig geformten Asteroiden. Forscher glauben, dass in ihnen eine frühe Phase der Planetenentstehung konserviert ist.

Umso spannender, dass Dawns Aufenthalt bei Ceres mit dem Höhepunkt einer weiteren Weltraummission zusammenfällt: Im kommenden Juli soll die NASA-Sonde New Horizons in einem Abstand von nur 9600 Kilometern am Zwergplaneten Pluto vorbeifliegen und den Körper am äußeren Rande unseres Sonnensystems erstmals aus der Nähe untersuchen. Ein weiterer Zwerg, der den Blick auf unsere kosmische Heimat verändern könnte.

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