Forschungsbericht 2014 - Max-Planck-Institut für Stoffwechselforschung

Übergewicht und Diabetes: Programmierung in der Schwangerschaft

Autoren
Hausen, Anne Christine; Brüning, Jens C.
Abteilungen

Neuronal Control of Metabolism

Zusammenfassung
Übergewicht, Diabetes mellitus Typ 2 und damit verbundene Folgeerkrankungen stellen neben den individuellen Einschränkungen für die Betroffenen ein entscheidendes sozio-ökonomisches Problem unserer Gesellschaft dar. Auf der Suche nach den zugrunde liegenden Mechanismen ist unser Verständnis von den körpereigenen Regulatoren in den letzten Jahren stetig gewachsen. Das Gewicht und die Ernährung der Mutter während der Schwangerschaft beeinflusst das Auftreten metabolischer Erkrankungen beim Kind lebenslang. Studien im Mausmodell erlauben Einblicke in die komplexen Mechanismen.

Einleitung

Übergewicht und Fettleibigkeit (auch Adipositas genannt) haben sich weltweit zu Volkskrankheiten mit epidemischen Ausmaßen entwickelt. Adipositas hat neben der Beeinträchtigung von Gesundheit und Wohlbefinden auch erhebliche Folgen für die langfristige Finanzierbarkeit der Gesundheitsversorgung. Die neuesten Zahlen zur Gesundheitsentwicklung belegen einen alle Befürchtungen übertreffenden Anstieg der Adipositas quer durch sämtliche Bevölkerungsschichten. Neueste epidemiologische Erhebungen gehen davon aus, dass rund 1,4 Milliarden Menschen übergewichtig sind und rund ein Drittel dieser bereits als fettleibig eingestuft werden (World Health Organization). Zusätzlich wurden 2013 weltweit 42 Millionen Kinder unter 5 Jahren als übergewichtig bzw. fettleibig eingestuft.

Adipositas ist ein Schlüsselfaktor für die Entwicklung vieler Begleiterkrankungen wie z. B. Diabetes mellitus Typ 2, Herz- und Atemwegskrankheiten, Bluthochdruckerkrankungen, Schlaganfälle und Fettstoffwechselstörungen. Es ist auch assoziiert mit einem Anstieg für einige Krebsarten und einem vermehrten Auftreten neurodegenerativer Erkrankungen wie der Alzheimer-Krankheit [1].

Besonders der Adipositas-assoziierte Anstieg der Häufigkeit von Diabetes mellitus Typ 2 erreicht zurzeit ca. zehn Prozent der Einwohner westlicher Bevölkerungen [2]. Darüber hinaus häufen sich in den Kinderkliniken bisher unbekannte Fälle von Diabetes mellitus Typ 2 im Kindesalter als Folge der sich rapide ausbreitenden Fettsucht-Epidemie [3]. Dies ist von besonders weitreichenden Folgen, da bereits im jugendlichen Alter Spätkomplikationen des Diabetes mellitus Typ 2 auftreten, wie z. B. Augen- und Nierenschäden sowie Nervenschädigungen.

Angesichts dieser Entwicklungen steigt die Nachfrage bezüglich neuartiger, therapeutischer oder präventiver Behandlungsmethoden, die einen Rückgang dieser Epidemie und somit auch der assoziierten Folgeerkrankungen bewirken. Gelingt dies nicht, ist im nächsten Jahrzehnt zum ersten Mal mit einem Rückgang der statistischen Lebenserwartung aufgrund der Adipositas und Adipositas-assoziierter Erkrankungen zu rechnen. 

Übergewicht und Diabetes während der Schwangerschaft: Das Konzept der „metabolischen Programmierung“

Mit der Entdeckung, dass Kinder adipöser und/oder diabetischer Mütter ein stark erhöhtes Risiko haben, später selbst an einer dieser Stoffwechselkrankheiten zu erkranken, wuchs auch das wissenschaftliche Interesse an einer Aufklärung der zugrunde liegenden Faktoren, die eine solche genetische Veranlagung (Prädisposition) konstituieren. Im Laufe der letzten Jahrzehnte konnte gezeigt werden, dass ein veränderter Nährstoff- und Hormonhaushalt als Resultat von Übergewicht, erhöhtem Blutzucker oder falscher Ernährung während der Schwangerschaft direkt mit der Entwicklung verschiedener Organe beim Kind, u. a. der des Gehirns, der Leber sowie des Fettgewebes, interferiert und somit deren lebenslange Effizienz in der Regulation des Energie- und Glukosegleichgewichts (Homöostase) mindert [4]. Trotz der Vielzahl an Studien, die diesen kausalen Zusammenhang zwischen einem veränderten mütterlichen Stoffwechsel (Metabolismus) während der Schwangerschaft und einem erhöhten Erkrankungsrisiko des Kindes bestätigen, sind weder die genauen Ursachen, noch die zellulären und molekularen Mechanismen, die für diese sogenannte „metabolische Programmierung“ des Kindes verantwortlich sind, bis heute vollständig identifiziert und verstanden worden [5; 6].

Hypothalamus: Regulatorisches Zentrum der Energiehomöostase

Ein besonders großes wissenschaftliches Interesse in dem Feld der metabolischen Programmierung wurde einer bestimmten Gehirnregion, dem Hypothalamus des zentralen Nervensystems (ZNS), zuteil, da diesem eine besondere Bedeutung in der Regulation der Energiehomöostase obliegt.

Der Hypothalamus passt nicht nur die Nahrungsaufnahme beziehungsweise den Energieverbrauch dem aktuellen Energiestatus des Organismus an, sondern beeinflusst auch den Glukosestoffwechsel entsprechend der jeweiligen Anforderungen. Diese Anpassungen werden mit Hilfe von Hormonen und Nährstoffen, wie z. B. Insulin, Leptin, Glukose und freien Fettsäuren, vermittelt. Diese wirken wiederum auf bestimmte Nervenzellen (Neuronen), deren neuronale Antworten entsprechende Verhaltensmuster sowie metabolische Prozesse in peripheren Organen vermitteln. Für diese Transduktion sind zwei funktionell gegensätzliche Neuronenpopulationen von zentraler Bedeutung: die anorexigenen (Appetit-hemmenden) und die orexigenen (Appetit-steigernden) Neuronen. Im Fachjargon heißen sie: pro-opiomelanocortin (POMC) und agouti-related peptide/neuropeptide Y (AgRP/NPY). Diese Nervenzellpopulationen befinden sich im Nucleus arcuatus des Hypothalamus und bilden weitreichende neuronale Netzwerke durch das gesamte Gehirn. Dabei innervieren sie nicht nur Hirnareale, die für die homöostatische Regulation der Nahrungsaufnahme verantwortlich sind, sondern auch Regionen im ZNS, die einen „Belohnungseffekt“ durch Nahrung vermitteln, sowie Nervenzellen, die das autonome Nervensystem regulieren. Aufgrund ihrer weitreichenden Vernetzung sind POMC- und AgRP/NPY-Neuronen verantwortlich für die Regulation von einer Vielzahl metabolischer Prozesse und daher essenziell für einen ausgeglichenen Energiehaushalt [7].

Wie entwickeln sich hypothalamische Netzwerke?

Die neuronalen Netzwerke der hypothalamischen POMC- und AgRP/NPY-Nervenzellen werden in zwei aufeinanderfolgenden Phasen gebildet: Während der ersten Phase wird die Gesamtzahl der Nervenzellen durch Proliferation neuronaler Vorläuferzellen und anschließender Differenzierung bestimmt. Die neugebildeten Nervenzellen wandern daraufhin zu ihrer vorgesehenen hypothalamischen Hirnregion. In der zweiten Phase werden funktionale Netzwerke gebildet, in der POMC- und AgRP/NPY-Nervenzellen Fortsätze (Axone) bilden, mit denen sie sowohl intra-, als auch extra-hypothalamische Zielregionen innervieren. Dort bilden sie dann Kontakte (synaptische Verbindungen) mit ihren nachgeschalteten Nervenzellen. 

Eine ungesunde Ernährung der Mutter führt zu einem gestörten Stoffwechsel der Nachkommen

Mit Hilfe von Tierversuchen konnten die Wissenschaftler zeigen, dass eine Änderung des Hormon- und Nährstoffhaushalts als Konsequenz einer falschen Ernährung, von Übergewicht oder Diabetes der Mutter während dieser Entwicklungsprozesse weitreichende Folgen auf die Etablierung dieser wichtigen hypothalamischen neuronalen Netzwerke hat [8]. Es wird angenommen, dass diese Entwicklungsdefizite zum Teil Grund dafür sind, dass das Verlangen nach hochkalorischer Nahrung sehr unterschiedlich ist und dass die aufgenommene Nahrung unterschiedlich effektiv verstoffwechselt werden kann. 

Im Gegensatz zum Menschen, bei dem beide Phasen der Entwicklung hypothalamischer Netzwerke in utero, also vor der Geburt stattfinden, findet nur die erste Phase bei Nagetieren pränatal statt, während die zweite Phase, in der axonale Projektionen gebildet werden, erst in den ersten drei Wochen nach der Geburt abläuft [9]. Diese zeitliche Unterteilung der Entwicklungsprozesse in Nagetieren stellt tatsächlich einen großen Vorteil für die Erforschung dieser Entwicklungsprozesse unter physiologischen und pathophysiologischen Bedingungen dar, da beide Prozesse in Nagetieren unabhängig voneinander manipuliert und analysiert werden können.

Aufgrund dieser zeitlichen Unterteilung konnte gezeigt werden, dass eine fettreiche Ernährung der Mutter ausschließlich während der Stillphase in Mäusen ausreichend ist, um die Energiehomöostase des Nachwuchses nachhaltig zu stören (Abb. 1). Ein erhöhter Fettgehalt im Futter während der Stillphase beeinflusst die postnatal stattfindenden Entwicklungsprozesse im Gehirn. Wichtige, an der Regulation der Energiehomöostase beteiligte hypothalamische neuronale Netzwerke können nicht vollständig ausgebildet werden (z. B. Ausbildung der synaptischen Verbindungen der POMC- und AgRP/NPY-Nervenzellen zu hypothalamischen Zielregionen) und dies führt zu einem lebenslangen übergewichtigen, Insulin-resistenten und Glukose-intoleranten Erscheinungsbild des Nachwuchses [10].

Durch genetische Inaktivierung des Insulinrezeptors auf POMC-Nervenzellen des Nachwuchses zeigte sich des Weiteren, dass ein erhöhter Insulinspiegel (hervorgerufen durch eine fettreiche Ernährung der Mutter) während genau dieser Phase die Ausbildung von POMC-neuronalen Axonen zu einer bestimmten hypothalamischen Hirnregion, die das autonome Nervensystem reguliert, stört und auch für eine verminderte Glukose-stimulierte Insulinsekretion verantwortlich ist (Abb. 1). Dies trägt zusätzlich zu einem gestörten Glukosestoffwechsel im Körper bei. Fehlt den Nachkommen der Insulinrezeptor durch genetische Inaktivierung auf POMC-Nervenzellen, so können die hypothalamischen neuronalen Projektionen zum autonomen Nervensystem korrekt ausgebildet werden und die Tiere zeigen einen verbesserten Glukosestoffwechsel (Abb. 1). 

Übertragung der Ergebnisse auf den Menschen

Zusammenfassend zeigt sich, dass eine Veränderung des hormonellen Milieus in Folge einer fettreichen Ernährung während einer kritischen Phase der hypothalamischen Entwicklung mit der Ausbildung wichtiger Nervenzellformationen interferiert. Die metabolische Programmierung der Nachkommen ist gestört und es kommt in Folge zu einer lebenslangen Beeinträchtigung des Energie- und Glukosegleichgewichts im Körper. Ein Defekt dieser Entwicklungsprozesse, die sich im Menschen im Vergleich zeitlich während des dritten Trimesters der Schwangerschaft ereignen, trägt zu einer lebenslangen Prädisposition für metabolische Krankheiten, wie z.B. Diabetes mellitus Typ 2 und Adipositas, des Nachwuchses bei. Diese Erkenntnisse tragen dazu bei, über die Risiken und Gefahren eines veränderten Stoffwechsels während der Schwangerschaft detailliert aufklären zu können und präventive Maßnahmen gegen die globalen Adipositas- und Diabetes-Epidemien zu entwickeln. 

Literaturhinweise

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