Live-Schaltung in die Nervenzelle

Max-Planck-Forscher beobachten erstmals direkt den Proteinabbau in Gehirnzellen

23. Januar 2015

Neurodegenerative Krankheiten wie Alzheimer, Huntington oder Parkinson beruhen auf fehlerhaften Proteinen, die miteinander verklumpen, sich in Nervenzellen des Gehirns ablagern und diese lähmen oder gar zum Zelltod führen. In gesunden Zellen verhindert das ein als Proteasom bekannter Enzymkomplex, der alte oder fehlerhafte Proteine abbaut und recycelt. Forscher um Wolfgang Baumeister am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried bei München konnten nun erstmals das Proteasom in gesunden Gehirnzellen bei der Arbeit beobachten und strukturell charakterisieren.

Wissenschaftler schätzen, dass unser Gehirn aus etwa zehn bis einhundert Milliarden Nervenzellen besteht. Damit sie möglichst lange ihre Funktionen im Gehirn wahrnehmen können, müssen sie die Proteine in ihrem Inneren stets auf Qualität und Funktionalität prüfen und gegebenenfalls ersetzen. Andernfalls drohen diese zu verklumpen und so die Zelle zu lähmen oder im schlimmsten Fall zu deren Absterben zu führen. Erkennt die Zelle ein defektes Protein, markiert sie dieses zum Abbau. Das so gekennzeichnete Protein wird von einer Art molekularen Schreddern, sogenannten Proteasomen, erkannt und in seine recylebaren Einzelteile zerlegt.

Was bisher hauptsächlich im Reagenzglas untersucht wurde, konnten Forscher nun erstmals direkt aus intakten Nervenzellen in einem dreidimensionalen Computermodell abbilden. Möglich werden die Aufnahmen maßgeblich durch die sogenannte Elektronenkryotomografie. Dabei wurden die Zellen zunächst innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde schockgefroren, ihr Inneres aus mehreren Winkeln aufgenommen und am Computer dann dreidimensional abgebildet.

Durch gezielte technische Neuerungen gelang den Forschern in der aktuellen Studie eine bislang unerreichte Qualität in der Bildgebung, die es erlaubt, einzelne Proteasomen innerhalb der Zellen zu unterscheiden. „Es ist zum ersten Mal möglich, diesen wichtigen Enzymkomplex innerhalb einer intakten Zelle qualitativ und quantitativ zu beschreiben“, erklärt Asano.

In den folgenden Experimenten konzentrierten sich die Wissenschaftler nun darauf, die Aktivität der Proteasomen zu untersuchen. Dazu muss man wissen: An den Enden eines Proteasoms finden sich spezielle kappenartige Strukturen, die regulatorischen Partikel. Sie binden das zum Abbau markierte Protein und ändern dabei Ihre Form. Die Wissenschaftler konnten zwischen diesen verschiedenen Zuständen der regulatorischen Partikel unterscheiden und so auswerten, welche der Proteasomen sich momentan bei der Arbeit befanden.

Das Fazit der Forscher: Befindet sich die Nervenzelle wie im aktuellen Experiment im Ruhezustand, ist nur eine Minderheit der Proteasomen aktiv. Konkret zeigten die Ergebnisse, dass nur jedes vierte Proteasom Proteine schredderte, während die übrigen zum gleichen Zeitpunkt ungenutzt blieben. Künftig wollen die Wissenschaftler insbesondere die strukturellen Zustände der Proteasomen unter zellulärem Stress untersuchen, wie er bei neurodegenerativen Krankheiten auftritt. „Diese Studie zeigt die neuen Möglichkeiten, Proteinkomplexe in ihrer Gesamtheit in der Zelle aufzulösen und ihre gegenseitigen funktionellen Verzahnungen zu studieren“, sagt Wolfgang Baumeister.

HS/HR

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