Forschungsbericht 2014 - Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht

Islamisches Familienrecht auf Wanderschaft: Die Brautgabe und ihre Integration in das deutsche Recht

Autoren
Yassari, Nadjma
Abteilungen
Max-Planck-Forschungsgruppe „Das Recht Gottes im Wandel – Rechtsvergleichung im Familien- und Erbrecht islamischer Länder“
Zusammenfassung
Die Brautgabe (mahr) ist eine Schlüsselfigur des klassischen islamischen Eherechts. Auch in den modernen Rechtsordnungen islamischer Länder spielt sie weiterhin eine wichtige Rolle bei der Schließung finanzieller Versorgungslücken. Trotz stetiger Reformen im ehelichen Vermögensrecht ist weder der Grundsatz der nachehelichen Solidarität gefestigt noch bestehen nennenswerte soziale Transferleistungen. Die Erkenntnisse über die Funktion der mahr erlauben des Weiteren ihre Verortung im internationalen Privatrecht sowie ihre Integration in das deutsche Familienrecht.

Bei Eheschließungen zwischen Muslimen wird in aller Regel eine Brautgabe (arab. mahr) vereinbart. Die Brautgabe, im Volksmund auch „Morgengabe“ genannt, ist ein Vermögenswert, den der Ehemann der Ehefrau zu leisten hat. Typischerweise besteht die Brautgabe aus einer Geldsumme oder einer Anzahl Goldmünzen. Auch deutsche Gerichte müssen sich seit nun fast fünfzig Jahren mit dem Rechtsinstitut der Brautgabe auseinandersetzen. Ihre Beurteilung bereitet allerdings Probleme. Schwierig ist vor allem, ihre Funktion zu ermitteln und sie dann in die Systembegriffe des deutschen Rechts einzuordnen. In ihrem Werk zur Brautgabe im Familienvermögensrecht [1] geht Nadjma Yassari dem Rechtsinstitut der Brautgabe umfassend auf den Grund. Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen die Funktion der Brautgabe und ihre Einbettung in das Familienvermögensrecht ausgewählter islamischer Länder. Die Ergebnisse der Analyse legen außerdem den Grundstein dafür, die Brautgabe in das deutsche und europäische internationale Privatrecht und in das deutsche Familienrecht zu integrieren. Das Werk entstand im Rahmen der am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht bestehenden Forschungsgruppe „Das Recht Gottes im Wandel: Rechtsvergleichung im Familien- und Erbrecht islamischer Länder“, die Yassari seit 2009 leitet und die sich der übergeordneten Frage widmet, wie wandelbar das islamische Familienrecht ist.

Die Brautgabe im klassischen islamischen Recht

Bereits die Primärquelle des islamischen Rechts, der Koran, verpflichtet den Ehemann, der Ehefrau einen Vermögenswert als Brautgabe zuzuwenden. Diese Verpflichtung war eine signifikante Neuerung gegenüber dem vorislamischen arabischen Recht, das vom Konzept der Kaufehe ausging. Die Frau wechselte als Objekt der Ehe mit der Eheschließung in das Eigentum des Ehemannes über. Für diesen Übergang erhielt die Familie der Braut einen Brautpreis. Demgegenüber führte das islamische Recht die Einwilligung der Ehefrau als Grundvoraussetzung für eine gültige Eheschließung ein. Dadurch wurde die Frau selbst Vertragspartner und der „Brautpreis“ war nicht mehr an ihre Familie, sondern an sie selbst zu leisten.

Diese Neujustierung ist vor dem Hintergrund des islamischen Familienrechtssystems zu verstehen, das die Ehegatten nach ihrem Geschlecht und den damit einhergehenden unterstellten Stärken und Schwächen in Versorger und zu Versorgende unterteilt. Während dem Ehemann alle ehelichen vermögensrechtlichen Pflichten obliegen (vor allem der eheliche Unterhalt), hat die Ehefrau keinerlei finanzielle Verpflichtungen. Diese Situation befreit die Ehefrau zwar von der Bürde, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Auf der anderen Seite lassen die dem islamischen System immanenten traditionellen Geschlechterrollen der Ehefrau aber nur wenig Raum, eigenes Vermögen zu erwerben. Historisch gesehen hatte die Brautgabe darum für die Ehefrau eine wichtige Funktion als Grundstock für eigenständiges Vermögen. Im Fall der Eheauflösung war der finanzielle Bedarf der Ehefrau mithin bis zu einer erneuten Heirat – bis also wieder ein Versorger vorhanden war – gedeckt. Zugleich illustrieren historische Eheschließungsverträge, dass die Brautgabe auch Gestaltungsinstrument des ehelichen Verhältnisses war: So konnte die Stundung der Brautgabe auf den Scheidungsfall den Ehemann von einer unüberlegten Scheidung abschrecken.

Die Brautgabe im Gefüge des Familienvermögensrechts islamischer Länder

Im 20. Jahrhundert wurden das klassische islamische Familienrecht und somit auch die Regelungen zur Brautgabe in den neuen islamischen Nationalstaaten weitgehend kodifiziert, das heißt in Form von Gesetzbüchern gebündelt. Dabei blieben die nationalen Gesetzgeber der traditionellen Systematik des islamischen Familienrechts weitgehend treu. Gleichwohl ermöglichte die erstmalige staatliche Regelung des Familienrechts eine Neuordnung und Reform der klassischen Regelungswerke. Diese Reformen sollten in erster Linie neue, dem klassischen Recht unbekannte gesetzliche Grundlagen für nacheheliche vermögensrechtliche Ansprüche schaffen. Anlass dafür waren die desolaten Lebensumstände geschiedener, vor allem älterer Ehefrauen, denen eine erneute Heirat und damit eine Versorgung aufgrund ihres Alters versagt blieb. Die Möglichkeit, über das eheliche Güterrecht, also durch eine gesetzliche Zuordnung des ehelichen Vermögens gestaltend einzugreifen, wurde nicht wahrgenommen.

Die neuen Mechanismen erwiesen sich allerdings als unzureichend. Während der Anspruch auf die Brautgabe bereits mit der Eheschließung entsteht und unabhängig davon geschuldet ist, wer das Scheitern der Ehe verschuldet hat, waren die neuen nachehelichen Ansprüche zeitlich und wertmäßig begrenzt und beruhten im Wesentlichen auf dem Verschuldensprinzip. In erster Linie auf die Beseitigung akuter sozialer Missstände gerichtet, waren sie zudem reaktiv und fragmentarisch.

Die Schwächen dieser Reformen rückten die Brautgabe wieder in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Ihre Höhe war in vielen islamischen Ländern stetig gestiegen. Im Iran beispielsweise lag der Durchschnittswert der Brautgabe 1985 bei etwa 150 Goldmünzen, während er 2009 300 bis 450 Goldmünzen erreichte. Die dadurch ausgelöste Debatte über die Notwendigkeit, sie zu regulieren, wurde kontrovers geführt. Zum einen wurde die Brautgabe als notwendiges „Übel“ zum Ausgleich eines heterogenen Systems von Rechten und Pflichten verstanden, das so lange gestärkt werden müsse, wie diese Ungleichheiten bestehen. Auf dieser Grundlage erließ etwa der iranische Gesetzgeber 1997 ein Gesetz, wonach in iranischer Währung (Rial) bestimmte Brautgaben an den Tagesgeldkurs zum Zeitpunkt ihrer Geltendmachung anzupassen sind. Zum anderen wurden hohe Brautgaben als wesentliche Ursache für den Verfall der ehelichen Solidarität erachtet und für hohe Scheidungs- und Ledigkeitsraten verantwortlich gemacht. Diese Sicht führte etwa in den Vereinigten Arabischen Emiraten dazu, Klagen auf Brautgaben für unzulässig zu erklären, die eine bestimmte Höhe übersteigen.

Die Fokussierung auf die Brautgabe, ihre Höhe, Begrenzung und Sinnhaftigkeit versperrt aber den Blick auf den gesellschaftlichen, demografischen und wirtschaftlichen Wandel in der Region, der diesen sozialen Problemen zugrunde liegt. Anstelle einer umfassenden Analyse des Familienvermögensrechts und der Kontextualisierung der Brautgabe innerhalb dieses Systems wurde versucht, den strukturellen Problemen des Familienrechts einzig mit dem Instrument der Brautgabe beizukommen. Die mahr als Universalheilmittel zur Behandlung aller möglichen gesellschaftlichen Krankheiten und rechtlichen Defizite wurde dadurch überstrapaziert. Denn ihre wichtigste Funktion ist eine wirtschaftliche. Solange kohärente und umfassende Schutzmechanismen im nachehelichen Vermögensrecht fehlen, wird die Brautgabe weiterhin eine wichtige Rolle bei der Schließung der bestehenden Versorgungslücke spielen.

Die Brautgabe im deutschen Recht

Immer öfter müssen sich auch Gerichte aus nichtislamisch geprägten Rechtsordnungen und so auch deutsche Richter mit dem Rechtsinstitut der Brautgabe auseinandersetzen, wenn etwa muslimische Ehegatten die Zahlung einer Brautgabe vereinbart haben und diese nun in Deutschland eingeklagt wird. Die solcherart auf Wanderschaft geratene Brautgabe gibt der deutschen Rechtspraxis und -lehre allerdings so manches Rätsel auf. Für ein besseres Verständnis dieses dem deutschen Recht unbekannten Rechtsinstituts ist seine Funktion heranzuziehen. Als eheliches familienvermögenrechtliches Instrument könnte die Brautgabe somit als Unterhalt aufgefasst werden. Da der Anspruch mit der Eheschließung entsteht, könnte sie aber auch als eine Ehewirkung qualifiziert werden. Schließlich gäbe es auch die Option, sie als eine güterrechtliche Abrede zu verstehen, mit der das eheliche Vermögen geordnet wird. Wichtig ist diese Unterscheidung vor allem deswegen, weil die genannten Rechtsinstrumente (Unterhalt, Güterrecht, allgemeine Ehewirkungen) unterschiedlichen Regelungen materieller und formeller Art unterliegen, und die Frage, wie tief der Ehemann in seine Tasche greifen muss, von der Zuordnung zu den jeweiligen Regelungen abhängt. Es zeigt sich jedoch, dass die Brautgabe ihrer Ausgestaltung und Funktion nach in keine dieser Kategorien gezwängt werden kann. Sie ist vielmehr als ein eherechtlicher Sondervertrag eigener Art (sui generis) zu verstehen, der neben die vermögensrechtlichen Instrumente des deutschen Rechts tritt. Mit anderen Worten, eine Frau kann ihre Brautgabe, einen etwaigen nachehelichen Unterhalt und einen Zugewinnausgleich nebeneinander geltend machen.

Zugleich hat dieses Nebeneinander aber Auswirkungen auf die Höhe der jeweiligen Ansprüche. Um die Kumulation von Zahlungsansprüchen und eine unverhältnismäßige Belastung des Ehemannes zu vermeiden, ist die Brautgabe bei der Berechnung der jeweiligen Ansprüche zu berücksichtigen. Im Unterhaltsrecht ist sie mit ihren Erträgen und gegebenenfalls mit ihrem Stamm bei der Ermittlung der Bedürftigkeit der Ehefrau zur Beurteilung ihres Unterhaltsanspruchs und -umfangs zu beachten. Auch im Zugewinn kann die Brautgabe berücksichtigt werden: Wurde sie während bestehender Ehe zugewendet, kann eine zugewinnrechtliche Anrechnung über § 1380 BGB erfolgen. Besteht die Brautgabe bei Beendigung des Güterstandes als offene Forderung, kann sie nach der allgemeinen Formel für Verbindlichkeiten zwischen Ehegatten in den Endvermögen der Ehegatten angesetzt werden. Dadurch wird zum einen eine Anrechnung der Brautgabe mit den dem deutschen Gericht vertrauten Grundsätzen erreicht, zum anderen vermeidet das Ansetzen der Brautgabe im Unterhalt und im Zugewinn eine übermäßige Belastung des zahlungspflichtigen Ehemannes.

Die Brautgabe kann also als Vermögensposition in die Berechnungssysteme des deutschen Güter- und Unterhaltsrechts eingepflegt werden. Diese Einpassung illustriert über das Einzelinstitut der Brautgabe hinaus, dass die im deutschen Familienrecht grundsätzlich anerkannte Vertragsfreiheit auch die Integration unbekannter familienrechtlicher Rechtsinstitute erlaubt, ohne dass zwingend eine Zuordnung zu einem einzelnen Institut erfolgen muss.

Literaturhinweise

Yassari, N.
Die Brautgabe im Familienvermögensrecht – Innerislamischer Rechtsvergleich und Integration in das deutsche Recht
Mohr Siebeck, Tübingen (2014)
Yassari, N.
Understanding and Use of Islamic Family Law Rules in German Courts – The Example of the Mahr.
In: Applying Shari‛a in the West – Facts, Fears and the Future of Islamic Rules on Family Relations in the West, 165–187 (Hrsg. Berger, M. S.). Leiden University Press, Leiden (2013)
Yassari, N.
Die islamische Brautgabe im deutschen Kollisions- und Sachrecht. Anmerkung zu BGH, 9.12.2009 – XII ZR 107/08
Praxis des internationalen Privat- und Verfahrensrechts, 31 (1), 63–67 (2011)

Gallala-Arndt, I.

The Wife’s Duty of Obedience to her Husband under Tunisian Law
Yearbook of Islamic and Middle Eastern Law 14 (1), 27–48 (2010)

Möller, L.-M.

Die Golfstaaten auf dem Weg zu einem modernen Recht für die Familie? Zur Kodifikation des Personalstatuts in Bahrain, Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten
Mohr Siebeck, Tübingen (2015)
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