Forschungsbericht 2014 - Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz (Standort Seewiesen)

Warum Weibchen mit alten Männchen fremdgehen

Autoren
Schroeder, Julia
Abteilungen
Forschungsgruppe Evolutionsbiologie
Zusammenfassung
Weibchen sind bei der Partnerwahl wählerischer als die Männchen, da sie in ihrem Leben weniger Nachkommen zeugen können. Wenn jedoch verpaarte Weibchen fremdgehen, suchen sie sich oft ältere Männchen aus, mit denen sie Nachkommen mit geringerer Fitness bekommen. Dies hat ein Forscherteam des MPI für Ornithologie an Haussperlingen herausgefunden. Ebenso haben Nachkommen älterer Weibchen eine geringere Fitness. Diese Erkenntnisse sind wichtig, da sie, begrenzt, auf den Menschen übertragbar sein könnten. Zunehmend würden ältere Eltern die Kosten an die nächste Generation weitergeben.

Es gibt zwischen den Geschlechtern morphologische und physiologische Unterschiede. Ein Unterschied ist die sogenannte Anisogamie: Männchen haben generell kleinere und viel mehr Geschlechtszellen (Spermien) als Weibchen, deren Eizellen viel größer als Spermien und in geringerer Zahl vorhanden sind. Dies führt dazu, dass Weibchen über ein Leben gerechnet weniger Nachkommen zeugen können als Männchen. Beim Menschen, dessen Geschlechtszellen ebenfalls anisogam sind, kann man dies gut verdeutlichen: Eine Frau benötigt neun Monate, um ein, manchmal auch zwei und mehr Kinder auszutragen. Bevor sie ein weiteres Mal schwanger werden kann, muss sie also ungefähr ein Jahr warten. Allein in diesem Jahr könnte ein Mann theoretisch mehrere hundert Nachkommen zeugen, wenn er entsprechend viele Partnerinnen findet.

Männchen und Weibchen haben unterschiedliche Fortpflanzungsstrategien

Dieser Unterschied besteht auch in der Tierwelt und ist grundlegend für einen wichtigen Teil der Evolutionstheorie: die sexuelle Selektion. Bereits Darwin hat erkannt, dass Männchen sich um Weibchen bemühen müssen – Weibchen sind das „wählende“ und „wählerische“ Geschlecht. Die Hypothese, die sich hieraus ableitet, lautet: Eine sinnvolle Strategie für ein Männchen, um seine Gene am effektivsten weiter zu verbreiten, ist, möglichst viele Nachkommen zu zeugen. Weibchen stattdessen sollten besonderen Wert auf die Qualität ihrer Reproduktionspartner legen. Diese Qualität kann durch direkte und indirekte Vorteile zum Tragen kommen. Direkte Vorteile bietet ein Männchen, welches ein sehr gutes Territorium hält, in dem das Weibchen dann Futter suchen kann; oder ein Männchen, das sehr gut für die Nachkommen sorgen kann. Mit indirekten Vorteilen meinen Evolutionsbiologen üblicherweise gute Gene oder andere vorteilhafte Merkmale, die an die gezeugten Kinder weitergegeben werden. Die indirekten Vorteile sind besonders wichtig, wenn Männchen keinerlei direkte Vorteile mitbringen, zum Beispiel bei Fremdvaterschaften außerhalb der Paarbindung. Weibchen, die Nachkommen nicht nur mit ihrem sozialen Partner, sondern auch mit einem fremden Vater produzieren, der nichts zur Brutfürsorge beiträgt, sollten also besonders wählerisch in Bezug auf indirekte Vorteile sein. Eine Erwartung aus dieser Hypothese ist, dass Nachkommen aus Seitensprüngen eine höhere Fitness haben als solche aus treuen Beziehungen. Eine weitere Erwartung ist, dass Männchen, die von Weibchen zum Fremdgehen gewählt werden, besser sind als Männchen, mit denen die Weibchen bereits verpaart sind.

Kuckucksküken haben eine geringere Fitness

Diese Hypothesen haben Forscher des Max-Planck-Institutes für Ornithologie, der Universität Otago in Neuseeland und der Universität Sheffield in Großbritannien an einer Population von Haussperlingen untersucht, die auf einer abgeschiedenen Insel wohnen. Warum auf einer Insel? Um herauszufinden, ob ein bestimmtes Verhalten evolutive Vorteile bringt, muss man in der Lage sein, die Fitness, also die Anzahl genetischer Nachkommen der einzelnen Tiere zu messen. Dies ist in der freien Natur häufig schwierig, da Tiere, insbesondere Vögel, sehr mobil sind. Es ist Forschern deshalb oft nicht möglich, zwischen Auswanderung und Tod eines Individuums zu unterscheiden.

Die auf der Insel Lundy – zwischen England, Wales und Irland – lebenden Haussperlinge sind relativ isoliert, denn sie können nicht sehr weit über Wasser fliegen und damit die Insel nicht verlassen. Ebenso gibt es nur sehr seltene Fälle von einwandernden Haussperlingen. Die Insel ist so klein, dass die Forscher seit dem Jahr 2000 dort alle Haussperlinge gefangen und mit Beinringen individuell markieren konnten [1]. Es wurden regelmäßig DNA-Proben von Jungtieren genommen, um die Vaterschaften zu bestimmen und Fremdgeher zu entlarven. So entstand ein einzigartiger und sehr präziser Stammbaum von Haussperlingen: Ein sozialer (Kinder mit den Eltern, die sie aufzogen) und ein genetischer [2]. Anhand dieser Stammbäume konnten die Wissenschaftler genau nachvollziehen, welche Sperlinge Resultat eines Seitensprungs sind. Weiterhin konnte bestimmt werden, wie viele Nachkommen jeder Vogel hat (seine so genannte Life-time-Fitness). Entgegen den Erwartungen zeigten die Daten, dass Sperlinge, die aus einem Seitensprung entstanden, eine geringere Fitness aufwiesen als solche, die aus treuen Verhältnissen stammen [3], Abbildung 1.

Den einzigen Unterschied, den die Wissenschaftler zwischen den "Fremdgeher-Männchen" und den verpaarten Männchen fanden, war folgender: die Männchen, die von Weibchen zum Fremdgehen ausgewählt wurden, waren generell älter als ihre sozialen Partner (Abb. 2.), [4].

Welche Auswirkungen hat das Alter der Eltern?

Dass alte Männchen mehr Fremdvaterschaften haben als junge, ist nicht nur bei den Lundy Sperlingen gefunden worden, sondern ist ein generelles Muster in der Vogelwelt [5]. Das bedeutet, dass die Nachkommen, die durch Fremdgehen gezeugt werden, häufiger als andere einen alten Vater haben. Hat dies Auswirkungen? Es ist schon länger bekannt, dass das Alter der Eltern bei vielen Vertebraten, auch beim Menschen, weitreichende Konsequenzen für die Kinder haben könnte: Bereits 1918 hat Alexander G. Bell (der auch das Telefon erfunden hat) berechnet, dass Nachkommen von alten Eltern eine kürzere Lebenserwartung haben als Menschen mit jüngeren Eltern [6]. Die Daten hierfür kamen von amerikanischen Siedlern. Der negative Einfluss des Alters der Eltern auf die Fitness der Nachkommen wurde daraufhin bei vielen verschiedenen Tierarten gefunden [7], jedoch nur im Labor. Man nahm an, dass der Effekt des Alters der Eltern ein Artefakt von Laborpopulationen ist. Dies in der freien Wildbahn zu testen, gestaltete sich schwierig, da das genaue Alter sowie die Life-time-Fitness von Tieren in der freien Natur nur unpräzise zu bestimmen sind.

Die Lundy-Sperlinge machen hier die Ausnahme, da die Life-time-Fitness und das Alter der Vögel präzise bestimmt werden konnten. Die Forscher vom Max-Planck-Institut für Ornithologie sowie von den Universitäten Sheffield und Otago bekamen ein erschreckend deutliches Ergebnis: Alte Männchen produzierten Söhne, die selber eine geringe Fitness hatten [8]. Dies erklärt, warum Nachkommen aus einem Seitensprung mit alten Männchen schlechter sind. Die Forscher fanden jedoch auch, dass das Alter der Weibchen sich negativ auf die Fitness ihrer Töchter auswirkte [8].

Diese Ergebnisse erklären also nicht, warum Weibchen sich alte Männchen zum Fremdgehen aussuchen. Sie werfen im Gegenteil, wie so häufig in der Wissenschaft, neue Fragen auf. Was ist der Mechanismus dafür? Man weiß, dass sich alte Sperlingseltern nicht schlechter um ihre Kinder kümmern [2]. Mittels eines Küken-Austausch-Experimentes [9] konnte nachgewiesen werden, dass das Alter der genetischen Eltern, nicht das der Stiefeltern relevant ist für die Fitness [8]. Warum ist dies so? Wählen Weibchen wirklich alte Männchen? Oder sind alte Männchen besser darin, Weibchen zur Paarung zu überzeugen? Haben alte Männchen vielleicht mehr Spermien und können so junge Männchen übertrumpfen? Diese Fragen werden momentan bearbeitet.

Es gibt jedoch noch weiterführende Konsequenzen dieser Ergebnisse, unabhängig von der Biologie des Fremdgehens. Die Evolution der Langlebigkeit wird hiervon beeinflusst. Wenn die Qualität der Nachkommen mit zunehmendem Alter abnimmt, dann ist es ab einem gewissen Alter möglicherweise nicht mehr der Fitness zuträglich, weiter zu leben. Natürliche Selektion würde also Tiere, die länger leben, automatisch aussortieren.

Bei Tierarten, die vom Aussterben bedroht sind, werden in Zoos oftmals Männchen und Weibchen zur Reproduktion ausgewählt, die besonders unterschiedliche Gene haben. Dies wird gemacht, um die Diversität der Gene zu erhalten. Das Alter der Tiere sollte jedoch auch in Betracht gezogen werden, weil es bei alten Elterntieren möglich ist, dass die Nachkommen selbst weniger Nachkommen zeugen werden. Diese Ergebnisse werfen auch gesellschaftliche Fragen auf. Es gibt den Trend in westlichen Kulturen, dass Frauen in immer höherem Alter das erste Kind gebären. Möglicherweise tragen wir die direkten Kosten hierfür nicht selber, sondern geben sie an die nächste Generation weiter.

Literaturhinweise

Schroeder, J., Burke, T.; Mannarelli, M.-E.; Dawson, D. A.; Nakagawa, S.
Maternal effects and heritability of annual productivity
Journal of Evolutionary Biology 25, 149–156 (2011)
Schroeder, J.; Cleasby, I.; Dugdale, H. L.; Nakagawa, S.; Burke, T.
Social and genetic benefits of parental investment suggest sex differences in selection pressures
Journal Avian Biology 44, 133–140 (2013)
Hsu, Y. H., Schroeder, J,; Winney, I.; Burke, T; Nakagawa, S.
Costly infidelity: low lifetime fitness of extra‐pair offspring in a passerine bird
Evolution 68, 2873–2884 (2014)
Hsu, Y. H., Schroeder, J.; Winney, I.; Burke, T.; Nakagawa, S.
Are extra-pair males different from cuckolded males? An empirical and meta-analytic examination
Molecular Ecology 2015 Feb 23.
doi: 10.1111/mec.13124
Cleasby, I. R.; Nakagawa, S.
The influence of male age on within-pair and extra-pair paternity in passerines
Ibis 154, 318–324 (2012)
Bell, A.
The duration of life and conditions associated with longevity
Genealogical Record Office, Washington, D.C. (1918)
Priest, N. K.; Mackowiak, B; Promislow, D. E. L.
The role of parental age effects on the evolution of aging
Evolution 56, 927-935 (2002)
Schroeder, J.; Nakagawa, S,; Mannarelli, M.-E.; Burke, T.
Reduced fitness in progeny from old parents in a wild population
PNAS 2015 March 9. (epub ahead of print]
DOI: 10.1073/pnas.1422715112
Winney, I.; Nakagawa, S.; Hsu, Y.-H.; Burke, T.; Schroeder, J.
Troubleshooting the potential pitfalls of cross-fostering
Methods in Ecology and Evolution, First published online 25. Feb 2015
DOI: 10.1111/2041-210X.12341
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