Forschungsbericht 2014 - Max-Planck-Institut für Kernphysik

Die Zukunft der Gamma-Astronomie: das Cherenkov Telescope Array (CTA) Projekt

Autoren
Hofmann, Werner
Abteilungen

Teilchenphysik und Hochenergie-Astrophysik (Werner Hofmann)

Zusammenfassung
Seit der Entdeckung der ersten kosmischen Quelle höchstenergetischer Gammastrahlung haben Tscherenkow-Teleskopsysteme mehr als 150 kosmische Beschleuniger gefunden. Ermöglicht hat diesen Durchbruch eine neue Nachweistechnik, die darauf beruht, dass Gammaquanten hoch in der Atmosphäre Teilchenkaskaden auslösen, die Tscherenkow-Licht aussenden. Noch offene Fragen haben Astrophysiker weltweit veranlasst, sich für ein wesentlich leistungsstärkeres Instrument zusammenzuschließen, das Cherenkov Telescope Array mit bis zu 100 Teleskopen in 3 Größen an 2 Standorten im Norden bzw. im Süden.

Astronomie mit Hochenergie-Gammastrahlung

In den letzten zwei Jahrzehnten hat die Astronomie einen neuen Wellenlängenbereich hinzugewonnen: Die bodengebundene Gamma-Astronomie beobachtet das Universum im Licht höchstenergetischer (VHE, very high energy) Gammastrahlen, bei Quantenenergien im Teraelektronenvolt-Bereich (1012 eV), etwa 1000 Milliarden mal höher als die Energien der Quanten des sichtbaren Lichts.

Die erste Quelle solcher Strahlung wurde 1989 mit dem amerikanischen Whipple-Teleskop entdeckt: der Krebs-Nebel, Überrest einer Supernova-Explosion im Jahr 1054 [1]. Gammastrahlung im Teraelektronenvolt-Bereich zeigt uns einen neuen Aspekt des Kosmos: das „nichtthermische Universum“. Normales sichtbares Licht wie auch die Strahlung in einem weiten Bereich des 70 Oktaven umfassenden Spektrums elektromagnetischer Strahlung aus dem Kosmos wird von heißen Körpern im Universum abgestrahlt. Die charakteristische Energie solcher Strahlung entspricht der Temperatur des strahlenden Körpers; so emittieren heiße blaue Sterne kurzwelligeres, d. h. höherenergetisches Licht als rote Sterne. Nun zeigt aber VHE-Gammastrahlung zum einen keine charakteristischen Energien, sondern erstreckt sich über einen sehr breiten Spektralbereich, zum anderen kann man sich keine Objekte im Universum vorstellen, die heiß genug wären, um direkt Gammastrahlung zu emittieren. Stattdessen nimmt man an, dass Gammastrahlen in und um kosmische Teilchenbeschleuniger erzeugt werden, welche Elementarteilchen auf extrem hohe Energien beschleunigen – weit über denen irdischer Teilchenbeschleuniger, wie sie z. B. am CERN stehen. Gammastrahlen sind Sekundärprodukte, die entstehen, wenn diese Teilchen mit Materie – dem interstellaren Gas – oder Strahlung – z. B. normalem Sternenlicht – in der Umgebung des Beschleunigers kollidieren. Mit VHE-Gammastrahlung kann man daher kosmische Teilchenbeschleuniger sichtbar machen und studieren. Bisher ist die Funktion dieser Beschleuniger wie auch ihr Einfluss auf die Entwicklung des Kosmos und seiner Galaxien nur unvollständig verstanden.

Die atmosphärische Tscherenkow-Technik

Der Durchbruch dieses jungen Bereichs der Astronomie wurde durch eine neue Nachweistechnik ermöglicht: die abbildende atmosphärische Tscherenkow-Technik, illustriert in Abbildung 1. Ein hochenergetisches Gammaquant wechselwirkt hoch in der Atmosphäre mit Atomkernen der Lufthülle und erzeugt Sekundärteilchen, die wiederum Gammaquanten abstrahlen, die ihrerseits wieder wechselwirken, sodass eine ganze Elementarteilchen-Kaskade entsteht, die viele Kilometer durch die Atmosphäre läuft. Die Kaskadenteilchen erzeugen dabei das blaue „Tscherenkow-Licht“ (benannt nach dem Entdecker P. A. Tscherenkow, Nobelpreis 1958). Tscherenkow-Licht wird mit einem kleinen Öffnungswinkel von etwa einem Grad in Flugrichtung der Kaskaden-Teilchen abgestrahlt und erzeugt auf der Erde einen Lichtfleck von ca. 250 m Durchmesser (Abb. 1). Ein abbildendes Teleskop, das von diesem Lichtfleck getroffen wird, kann ein Bild der Teilchenkaskade im Tscherenkow-Licht aufnehmen und aus der Geometrie der Kaskade die Richtung des Gammaquants bestimmen, sowie aus der Lichtintensität seine Energie. Bildlich gesprochen fotografiert das Teleskop die Spur eines Gammaquants, genauso wie man die Spur eines Meteors mit einer normalen Kamera aufnehmen kann. Da das Tscherenkow-Licht sehr schwach ist – nur etwa ein blaues Lichtquant pro Quadratmeter – erfordert die Technik Teleskope mit großen Lichtsammelflächen von oft 100 m2 und mehr, und es kann nur in dunklen Nächten beobachtet werden. Die Tscherenkow-Lichtblitze sind sehr kurz – einige Milliardstel Sekunden; die Tscherenkow-Kameras sind daher auf extrem kurze „Belichtungszeiten“ von ca. 10‒8 s optimiert. Nur dann hebt sich der blaue Tscherenkow-Blitz von dem selbst beim dunkelsten Nachthimmel vorhandenen Restlicht ab. Der große Vorteil der Tscherenkow-Technik ist, dass die Nachweisfläche eines Tscherenkow-Teleskops – d. h. die Fläche, über die einfallende Gammastrahlung detektiert werden kann – der Größe des Tscherenkow-Lichtflecks von etwa 50000 m2 entspricht, im Gegensatz zu dem knapp einen Quadratmeter Nachweisfläche, der mit Satelliten möglich ist, welche Strahlung oberhalb der Atmosphäre nachweisen. Die große Nachweisfläche ist wichtig, da der Fluss hochenergetischer Gammaquanten sehr klein ist – bei starken Quellen etwa ein Quant pro m2 und Jahr.

Inzwischen kennt man über 150 Quellen hochenergetischer Gammastrahlung am Himmel [2]. Deren große Zahl war eine ziemliche Überraschung; kosmische Teilchenbeschleunigung ist offenbar kein seltener und ungewöhnlicher Prozess, wie zuerst angenommen. Teilchenbeschleunigung wird in einer Vielzahl von Objekten beobachtet: in Supernova-Überresten – den kugelförmigen Stoßwellen explodierter Sterne, um Pulsare – schnell rotierende Neutronensterne, um heiße Sterne, an schwarzen Löchern [3]. Die anfangs „exotische“ Gamma-Astronomie bei höchsten Energien ist zu einem regulären Gebiet der Astronomie geworden. Tscherenkow-Teleskope können inzwischen Himmelskarten im Gammalicht aufzeichnen (Abb. 2a), komplex geformte Strahlungsquellen auflösen (Abb. 2b), deren Position mit einer Genauigkeit von etwa 10 Bogensekunden bestimmen, und Lichtkurven variabler Strahlungsquellen mit Minuten-Auflösung aufnehmen.

Ermöglicht hat dies die weitere Verbesserung der Tscherenkow-Technik durch verbesserte Kameras der Teleskope und insbesondere durch den Einsatz von Teleskopsystemen, bei denen mehrere Teleskope gleichzeitig die Kaskade aus verschiedenen Blickwinkeln fotografieren und damit eine räumliche Rekonstruktion der Kaskade ermöglichen. Eines der weltweit erfolgreichsten Tscherenkow-Teleskopsysteme ist das unter Federführung des Max-Planck-Instituts für Kernphysik aufgebaute H.E.S.S.-Teleskopsystem in Namibia (Abb. 3), das weit über die Hälfte aller bekannten kosmischen Teraelektronenvolt-Strahlungsquellen entdeckt und erstmals die Milchstraße in diesem „neuen Licht“ kartiert hat; H.E.S.S. steht für „High Energy Stereoscopic System“. Für diese Errungenschaften wurde das H.E.S.S.-Team 2006 mit dem Descartes-Forschungspreis der Europäischen Kommission geehrt, und 2010 mit dem Rossi-Preis der American Astronomical Society. Im Jahr 2009 wurde H.E.S.S. als eines der 10 weltweit erfolgreichsten Observatorien identifiziert [4], in einer Liga mit Observatorien, deren Bau und Betrieb vielfach teurer ist.

CTA: die nächste Generation

Trotz – oder gerade wegen – des enormen Erfolgs der Gamma-Astronomie mit Tscherenkow-Teleskopen (neben H.E.S.S. haben das MAGIC-Teleskopsystem auf La Palma und das VERITAS-Teleskopsystem in Arizona beigetragen) gibt es zahlreiche offene Fragen:

  • Wie genau funktionieren kosmische Teilchenbeschleuniger? Wie breiten sich diese Teilchen im Kosmos aus, und wie beeinflussen sie den Kosmos?
  • Was kann man über die Prozesse in extremen Umgebungen wie bei Supernova-Explosionen oder nahe Schwarzer Löcher lernen?
  • Gammaquanten von entfernten Galaxien brauchen Milliarden Jahre von ihrer Quelle zur Erde. Auf ihrer Reise wechselwirken sie mit ihrer Umgebung, und erlauben unter anderem die Bestimmung kosmologisch relevanter Größen wie der integralen Lichtemission aller Sterne, die jemals im Universum existierten, sowie neue Tests von Einsteins Relativitätstheorie.

Im Jahr 2006 haben sich daher Wissenschaftler weltweit zusammengeschlossen und gemeinsam ein Instrument der nächsten Generation, das Cherenkov Telescope Array (CTA) vorgeschlagen, das in seiner Leistungsfähigkeit existierende Instrumente in vielen Dimensionen um bis zu eine Größenordnung übertreffen und diese Fragen angehen soll [5, 6]. 2008 wurde das CTA-Konsortium gründet, um den Bau von CTA zu planen und vorzubereiten. Das Konsortium umfasst heute über 1100 Mitglieder aus 178 Instituten in 29 Ländern. CTA ist auf der ESFRI-Liste künftiger europäischer Forschungsinfrastrukturen vertreten, wie auch auf zahlreichen nationalen und internationalen Roadmaps. Die Vorbereitung von CTA wurde von der Europäischen Kommission mit über 5 M€ gefördert, sowie mit nationalen Beiträgen. Das Projekt hat einen detaillierten Technical Design Report erarbeitet und man hofft, dass 2015 die Finanzierung des Baus genehmigt wird. Im Sommer 2014 wurde die CTA Observatory gGmbH in Heidelberg gegründet, um das Projektmanagement von CTA zu übernehmen und die erforderlichen Verträge für den Bau abschließen zu können. Der Autor ist Sprecher des CTA-Konsortiums und Direktor der CTA Observatory gGmbH.

Was ist CTA? CTA baut auf dem Tscherenkow-Prinzip auf, kombiniert an zwei Standorten – einer im Norden, einer im Süden – aber eine sehr viel größere Zahl von bis zu 100 Teleskopen mit verbesserter Technologie, um damit zum einen eine größere Nachweisfläche für Gammaquanten von bis zu 10 km2 zu erreichen, zum anderen jede Teilchenkaskade mit vielen Bildern aufzunehmen und damit eine genauere Rekonstruktion der Richtung der Kaskade zu ermöglichen. Ferner nutzt CTA drei verschiedene Teleskoptypen, um kosteneffektiv einen erweiterten Energiebereich abzudecken (Abb. 4):

  • eine kleine Zahl sehr großer Teleskope (23 m Durchmesser) ermöglicht es, auch die lichtschwachen Kaskaden von Gammaquanten im Energiebereich von etwa 2×1010 bis 1011 eV nachzuweisen;
  • zwei Dutzend mittelgroßer Teleskope (12 m Durchmesser) decken den Energiebereich von etwa 1011 bis 1013 eV ab, und weisen einfallende Gammaquanten über eine Fläche von ca. 1 km2 nach;
  • ca. 70 kleine Teleskope (5 m Durchmesser) decken den Bereich höchster Energien von etwa 1013 bis 3×1014 eV ab, für eine Nachweisfläche von ca. 10 km2.

Grundprinzip ist dabei, dass mit wachsender Energie der Gammaquanten die Tscherenkow-Lichtintensität steigt, man daher mit kleineren Spiegelflächen auskommt, der Fluss der Gammaquanten aber schnell abnimmt, man daher immer größere Nachweisflächen bereitstellen muss, um noch hinreichend viele Gammaquanten nachzuweisen.

Grundlegend neu an CTA ist auch, dass dieses Instrument zum ersten Mal als offenes Observatorium betrieben wird, bei dem jeder Wissenschaftler aus den am Bau beteiligten Ländern Beobachtungszeit beantragen kann und dann vorprozessierte Daten erhält, die er selbst weiter auswerten kann. Nach einer gewissen Latenzzeit werden ferner alle CTA-Daten frei über ein Datenarchiv zugänglich sein.

Der Aufbau von CTA wird ca. 5 Jahre in Anspruch nehmen. Als Standorte im Süden sind Namibia und Chile in der Diskussion, im Norden die kanarischen Inseln, Arizona, oder Mexiko; die Standortwahl soll 2015 getroffen werden.

CTA wird dem jungen Feld der Gamma-Astronomie bei höchsten Energien den nächsten großen Schritt ermöglichen, und unser Verständnis des „nichtthermischen Universums“ dramatisch verbessern.

Literaturhinweise

Weekes, T. C. et al.
Observation of TeV gamma rays from the Crab nebula using the atmospheric Cerenkov imaging technique
Astrophysical Journal 342, 379-395 (1989)
TeVCat-Quellenkatalog
http://tevcat.uchicago.edu/
Hinton, J. A.; Hofmann, W.
Teraelectronvolt Astronomy
Annual Review of Astronomy and Astrophysics 47, 523-565 (2009)
Madrid, J. P.; Macchetto, D.
High-Impact Astronomical Observatories
arXiv:0901.4552 (2009)
Actis, M. et al.
Design concepts for the Cherenkov Telescope Array CTA: an advanced facility for ground-based high-energy gamma-ray astronomy
Experimental Astronomy 32, 193-316 (2011)
Hinton, J.; Sarkar, S.; Torres, D. F.; Knapp, J. (Editors)
Seeing the High-Energy Universe with the Cherenkov Telescope Array
Astroparticle Physics Special Issue 43, 1-356 (2013)
Zur Redakteursansicht