Quantenkompass im Vogelauge

Die empfindlichen Quantenzustände, die im Magnetsinn von Zugvögeln eine Rolle spielen sollen, lassen sich für ihre biologische Umgebung stabilisieren

20. Oktober 2014
Zugvögel besitzen einen inneren Kompass, mit dem sie sich im Erdmagnetfeld orientieren. Doch wie dieser Kompass auf der Nanoskala von Biomolekülen funktioniert, ist noch offen. Für das Magnetfeld empfindlich werden diese Moleküle erst, sobald Licht ins Vogelauge fällt und sie aktiviert. Vermutlich nutzt dieser Kompass ähnlich raffinierte Quanteneffekte wie Pflanzen bei der Photosynthese. Allerdings sind solche Quantenzustände hoch empfindlich gegen Störungen aus ihrer Umgebung. Sie sollten daher viel zu kurzlebig für solche biologischen Funktionen sein. Doch dieses Problem ist mit Hilfe der Quantenmechanik lösbar. Das hat Zacharias Walters, Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme in Dresden nun gezeigt.

Mehr als 40.000 Kilometer ziehen Küstenseeschwalben jedes Jahr, also umgerechnet mehr als einmal um die Erde. Auf der gewaltigen Reise zwischen arktischen Brut- und antarktischen Überwinterungsgebieten schaffen sie es, ohne GPS und Navi auf Kurs zu bleiben. Doch die „Bio-Hochtechnologie“, die alle Zugvögel einsetzen, steht offenbar menschlicher Technologie in nichts nach. Vermutlich nutzen die Tiere dafür sogar subtile Quanteneffekte.

„Zugvögel sind unglaublich faszinierend“, schwärmt Zacharias Walters. Der junge Amerikaner ist nicht etwa Biologe, sondern Physiker. Die gefiederten Weltreisenden gehören allerdings nicht gerade zu den klassischen Forschungsobjekten der Physik. Auf die Biologie kam Walters als Postdoktorand am Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme in Dresden. Dort forschte er an einer Art biologischem „Quantenverstärker“, den die Photosynthese nutzt. Die Entdeckung, dass Pflanzen ausgefeilte Quantentechnologie einsetzen, um aus Licht möglichst effizient Energie zu gewinnen, hatte kaum ein Wissenschaftler erwartet.

Messkurven legen Spuren zu Quanteneffekten im Vogelkompass

Während seiner Forschungsarbeit stieß Walters zufällig auf Arbeiten über den Magnetkompass von Vögeln. Schnell hatte der Physiker den starken Verdacht, dass diese Tiere ebenfalls Quanteneffekte nutzen könnten. „Beim Anblick der Messkurven in den Publikationen dachte ich sofort, meine Güte, das hier ist eine Resonanzkurve und das da eine Photo-Aktivierungsenergie“, erzählt Walters, „und das bei lebenden Tieren!“ Die vertrauten Kurvenformen brachten ihn auf die Idee, dass er als Physiker Relevantes zur Forschung am Magnetkompass von Vögeln beisteuern könnte. „Als ich mein Vorhaben meinem Chef, dem Direktor Jan-Michael Rost, mitteilte“, erzählt Walters, „stimmte dieser begeistert zu.“

Zugvögel nutzen wahrscheinlich verschiedene Informationsquellen, um möglichst robust navigieren zu können. Spekuliert wird zum Beispiel über den Sonnenstand oder nächtliche Sternenbilder. Dass sie einen inneren Kompass für das Erdmagnetfeld besitzen, ist seit 1966 erwiesen. Damals steckte der junge Zoologe Wolfgang Wiltschko an der Universität Frankfurt zugunruhige Rotkehlchen in abgeschirmte Käfige. In diesen konnte er ein künstliches Magnetfeld in verschiedene Richtungen drehen. Tatsächlich flatterten die getäuschten Vögel in die vermeintlichen Zugrichtungen. Zusammen mit seiner Frau Roswitha erforscht Wiltschko bis heute diesen Magnetkompass. Das Pionierpaar begründete damit ein faszinierendes Forschungsgebiet.

Seit 1966 haben sich die gefiederten Labormitarbeiter viele Geheimnisse über ihre Navigationsfähigkeiten abluchsen lassen. Allerdings gelang es bis heute nicht, Sinneszellen dingfest zu machen, die für den von Wiltschko entdeckten Kompass  zuständig sind. Doch wie dieser Kompass grundsätzlich arbeitet, ist inzwischen über Verhaltensexperimente sehr genau erforscht.

Der Magnetsinn braucht Licht mit ausreichender Energie

Der Magnetsinn sitzt im Vogelauge und braucht Licht. Im blauen bis grünen Lichtspektrum können die Vögel zuverlässig Magnetfelder erkennen, verlieren aber diesen Orientierungssinn im gelbroten Licht. Für einen Physiker wie Walters ist das ein rauchender Colt. Gelbes bis rotes Licht ist langwellig, was bedeutet, dass seine Quanten wenig Energie in sich tragen. Offenbar ist diese Energie zu gering, um den Kompass über einen Quantensprung einzuschalten.

Ausgefeilte Experimente lieferten noch weitere wichtige Informationen. Der Magnetsinn zeigt nicht wie eine Kompassnadel direkt an, wo Norden oder Süden ist. Stattdessen reagiert er auf die Form des Erdmagnetfelds. Dessen Feldlinien stehen umso steiler auf der Erdoberfläche, je weiter es polwärts geht – sowohl auf der Nord- wie auf der Südhalbkugel. Damit liefert der Kompass dem Vogel eine Information über den Breitengrad, den er erreicht hat. Möglicherweise können die Vögel sogar Norden und Süden direkt als Fleck im Blickfeld wahrnehmen.

Aus allen diesen Indizien entwickelte der deutsche Biophysiker Thorsten Ritz, heute Professor am der University of California in Irvine, USA, ein viel diskutiertes Modell des Vogelkompasses. Demnach lässt ein Lichtquant in – noch nicht identifizierten – Molekülen ein Paar von Elektronen zwischen zwei Quantenzuständen hin und her springen. Ein Zustand hat eine höhere, der andere eine niedrigere Energie. Das Erdmagnetfeld beeinflusst die Raten, mit der diese „Kompass“-Moleküle zwischen beiden Zuständen wechseln. In beiden Zuständen haben die Moleküle etwas verschiedene chemische Eigenschaften. Über diese feinen Nuancen erfasst die Sinneswahrnehmung der Vögel das Magnetfeld.

Die involvierten Quantenzustände müssen sehr langlebig sein

Das Ritzsche Modell konnte die Verhaltensexperimente bislang sehr gut erklären. Es warf nur ein Problem auf, das allerdings gravierend ist. Aus Sicht der Quantenphysik mussten die involvierten Quantenzustände geradezu unglaublich langlebig sein: Mindestens drei Millisekunden (Tausendstel Sekunden) ergaben Verhaltensversuche mit schwingenden Magnetfeldern. „Für die Quantenmechanik ist das eine Ewigkeit, und das ist das eigentlich Erstaunliche für einen Physiker wie mich“, sagt Walters.

Lebensdauern im Millisekundenbereich sind bei dieser Art von Quantenzuständen eigentlich nur erreichbar, wenn sie perfekt von Störungen abgeschirmt werden. Die „Kompass“-Moleküle sind jedoch in ihrer biologischen Umgebung andauernden Ruhestörungen ausgesetzt. Die vielen Moleküle ihrer Umgebung rütteln permanent mit verschiedenen Kräften an ihnen, darunter auch magnetische. „Deshalb sollten die Quantenzustände eigentlich viele Millionen mal schneller zerfallen, als sie dies offensichtlich tun“, erklärt Walters.

Der Physiker hat nun jedoch theoretisch gezeigt, wie das Ritzsche Modell des Kompasses trotzdem stabil funktionieren kann. Demnach bietet die Quantenmechanik einen raffinierten Ausweg. Sie erlaubt „Betriebszustände“, die für eine „dynamische“ Stabilität der empfindlichen Quantenzustände sorgen. Diese machen das Quantensystem überraschend unempfindlich gegen Dauerstörungen. „Man kann sich das ein bisschen wie einen Autostoßdämpfer vorstellen, den man so hart einstellt, dass er auf viele kleine Holprigkeiten gar nicht mehr reagiert “, erklärt Walters.

Auch wenn bislang unklar ist, welche Moleküle involviert sind: Walters‘ Arbeit zeigt grundsätzlich, dass Quanteneffekte, die das Erdmagnetfeld sehr fein erfassen können, dafür langlebig genug sind. Eigentlich überrascht es auch nicht, dass Zugvögel raffinierte Quantentechnologie nutzen. Warum sollten das nur Pflanzen tun?

RW

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