Heiße Explosionen auf kühler Sonne

Daten des Weltraumteleskops IRIS zeigen, dass die Temperaturverteilung in den äußeren Schichten unseres Sterns bisweilen Kopf steht

16. Oktober 2014
Die Sonne ist temperamentvoller als gedacht. Neben den Sonneneruptionen – gewaltigen Teilchen- und Strahlungsausbrüchen in der äußeren Atmosphäre – kommt es auch in der darunterliegenden kühleren Schicht zu regelrechten Explosionen: An manchen Stellen staut sich magnetische Energie auf und entlädt sich innerhalb weniger Minuten in Temperaturausbrüchen von bis zu 100000 Grad. Belege für diese kurzlebigen Hitzenester fanden Wissenschaftler unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung in Göttingen nun erstmals in Daten des amerikanischen Weltraumteleskops IRIS.

Heiß ist nicht gleich heiß – zumindest, wenn es um die Sonne geht. Zwar herrschen in allen Schichten des zwiebelartig aufgebauten Sterns geradezu unvorstellbare Temperaturen, doch manche sind deutlich höher als andere. Mit etwa 5000 Grad ist etwa die sichtbare Oberfläche der Sonne, die Fotosphäre, vergleichsweise kühl. Weiter nach außen hin nehmen die Temperaturen leicht ab, um dann in der Atmosphäre der Sonne erst mäßig und dann rasant auf Werte von einer Million Grad anzusteigen.

„Unsere Auswertungen zeigen nun, dass dieser Temperaturverlauf nicht überall gleich und zudem ständig in Bewegung ist“, sagt Hardi Peter vom Göttinger Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung, Erstautor einer jetzt im Fachmagazin Science erschienenen Studie. „In kleinen begrenzten Regionen sind offenbar für kurze Zeit auch in der kühlen äußeren Fotosphäre dramatisch höhere Temperaturen möglich.“

Zusammen mit einem internationalen Team hat Peter Daten des Weltraumteleskops IRIS (Interface Region Imaging Spectrograph) von aktiven Regionen auf der Sonne ausgewertet. Diese Bereiche in der Fotosphäre zeichnen sich durch hohe magnetische Feldstärken aus und sind die Entstehungsorte der dunklen Sonnenflecken, welche die Oberfläche der Sonne mal mehr, mal weniger zahlreich überziehen.

„In diesen Gebieten fanden wir Hitzetaschen etwa halb so groß wie Deutschland, die bis zu 20-mal so heiß sind wie ihre unmittelbare Umgebung“, sagt Peter. Nur für wenige Minuten blitzen diese Gebiete auf und kehren danach wieder zur Normaltemperatur zurück. Die dabei freigesetzte Energiemenge würde ausreichen, um Deutschland für 8000 Jahre mit Strom zu versorgen.

Die gewaltigen Fotosphären-Explosionen sind zwar im sichtbaren Licht nicht erkennbar, hinterlassen ihre Spuren jedoch in der ultravioletten Strahlung, welche die Sonne ins All sendet. Genauer als jedes andere Observatorium zuvor zerlegt IRIS die ultraviolette Strahlung in ihre einzelnen Wellenlängen. Dazu kommt eine bisher unerreichte räumliche Auflösung: Das Weltraumteleskop, das im Juli vergangenen Jahres zum ersten Mal seinen Blick auf die Sonne richtete, macht Strukturen mit einer Größe von nur 250 Kilometern sichtbar und kann die Strahlung, die solche kleine Gebiete emittieren, getrennt untersuchen.

„Zu unserer großen Überraschung fanden wir in den aktiven Gebieten begrenzte Regionen, deren Strahlung für kurze Zeit in entscheidenden Einzelheiten gravierend von der ihrer Umgebung abweicht“, sagt Hardi Peter. So entdeckten die Forscher dort charakteristische Wellenlängen, welche bestimmte hoch ionisierte Atome im Sonnenplasma – etwa dreifach ionisiertes Silicium – in den Weltraum senden.

„Allein die Existenz dieser Wellenlängen im Spektrum deutet auf extrem hohe Temperaturen hin“, so Peter. Denn nur unter diesen Bedingungen kann Silicium gleich drei seiner Elektronen verlieren. Doch in welcher Schicht der Sonne war es zu diesen Temperaturen gekommen? Tatsächlich in der kühlen Fotosphäre? Oder – deutlich unspektakulärer – weiter außen in der ohnehin heißeren Atmosphäre des Tagesgestirns?

Die spektralen Daten von IRIS erwiesen sich als so detailreich, dass die Wissenschaftler ihnen weitere entscheidende Hinweise entnehmen konnten. So etwa haben sie auf die Dichte des Sonnenplasmas am Entstehungsort der Strahlung geschlossen und nachgewiesen, dass die Strahlung auf ihrem Weg durch die weiter außen liegenden Sonnenschichten einfach ionisierten Eisenionen begegnet war. Diese treten jedoch nur in kühleren Regionen auf. „Insgesamt ergab sich ein stimmiges Bild: Die auffällige Strahlung muss ihren Ursprung in der kühlen äußeren Fotosphäre haben“, so Peter.

Die Forscher gehen davon aus, dass die starken Magnetfelder in der Fotosphäre die notwendige Energie für die Hitzeausbrüche bereitstellen. Im Bereich der Sonnenflecken treten die magnetischen Feldlinien bogenförmig aus der Oberfläche der Sonne hervor; heißes Plasma durchströmt die Bögen. Tritt innerhalb dieser Ströme eine Art Kurzschluss auf, kommt es zu den Explosionen.

„Die neuen Ergebnisse haben unser Bild vom äußeren Aufbau der Sonne grundlegend verändert“, sagt der Max-Planck-Wissenschaftler. „Statt einer stabilen Temperaturschichtung gibt es offenbar auch in der Fotosphäre dynamische Prozesse, die für kurze Zeit alles auf den Kopf stellen.“

Bereits im Jahr 1917 hatte der amerikanische Physiker Ferdinand Ellermann in der Fotosphäre Gebiete mit erhöhten Temperaturen entdeckt. Diese unterschieden sich jedoch nur um wenige tausend Grad von ihrer Umgebung und stellen somit eine eher kleinere Temperaturschwankung dar. Ob es sich bei den neu entdeckten Explosionen um dasselbe Phänomen handelt, ist derzeit noch unklar.

Auch eine weitere Veröffentlichung im Fachmagazin Science, zu der Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung beigetragen haben, zeichnet ein neues Bild der Vorgänge auf der Sonne. Unter der Leitung des Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics in den USA entdeckten die Experten − ebenfalls in IRIS-Daten −, dass der Sonnenwind, ein kontinuierlicher solarer Teilchenstrom, die Oberfläche des Sterns nicht gleichmäßig verlässt, sondern stellenweise in hochenergetischen lokalisierten Strömen.

BK / HOR

Zur Redakteursansicht