Forschungsbericht 2003 - Max-Planck-Institut für chemische Ökologie

Die Biochemie der Glucosinolat-Hydrolyse: Wie entschärfen Insekten pflanzliche Senföl-Bomben?

Autoren
Wittstock, Ute; Falk, Kimberly; Burow, Meike; Reichelt, Michael; Gershenzon, Jonathan
Abteilungen
Zusammenfassung
Pflanzen produzieren eine große Bandbreite an chemischen Verbindungen, von denen man annimmt, dass sie zum Schutz gegen den Befall von Herbivoren (Pflanzenfressern) oder Pathogenen dienen. Allerdings war es bisher schwierig, die biochemischen Grundlagen dieser Verteidigungsfunktionen zu beschreiben. Einige Herbivore fressen bestimmte Pflanzen, die hoch dosierte Abwehrstoffe akkumulieren, ohne dass sie daran irgendwelchen Schaden nehmen. Zu den interessantesten Abwehrstoffen in Pflanzen gehören die Glucosinolate, eine Gruppe von schwefelhaltigen Metaboliten, die Vorläufer von Senfölen sind. Moderne molekulare und biochemische Methoden eröffneten der Forschung neue Wege, die Funktion der chemischen Abwehr bei Pflanzen unter definierten Bedingungen zu testen und zu erklären, wie diese Abwehrmechanismen von pflanzenfressenden Insekten außer Kraft gesetzt werden können. Der Mechanismus, mit dem bestimmte Insekten die so genannten pflanzlichen Senföl-"Bomben" entschärfen, ist in Ansätzen bereits entschlüsselt.

Die Glucosinolat-Hydrolyse: Bildung von Abwehrstoffen im Blatt

Glucosinolate haben eine Grundstruktur, die aus einem N-Hydroximinosulfatester besteht, welcher mit einem Thioglucose-Rest und einer variablen Seitenkette verbunden ist (Abb. 1). Ungefähr 130 verschiedene Glucosinolate wurden bislang aus Pflanzen isoliert - fast ausschließlich aus Kreuzblütlern (Brassicaceae) und nahe verwandten Arten. Zu den Pflanzen, die Glucosinolate enthalten, gehören somit auch Nutzpflanzen wie der Raps, weitere Kohlsorten sowie Gartenpflanzen wie die Kapuzinerkresse, Alysum und die Spinnenblume (Cleome).

Alle Pflanzen, die Glucosinolate enthalten, produzieren ein Enzym, das die Schwefel-Glucose-Verknüpfung des Thioglucose-Rests hydrolysieren kann. Diese Thioglucosidase-Aktivität, auch als Myrosinase bekannt, befindet sich in einem Teil des Pflanzengewebes, der von den Glucosinolaten abgetrennt ist. So befinden sich die Glucosinolate in Arabidopsis thaliana beispielsweise in so genannten S-Zellen neben dem Phloem, während die Myrosinase in speziellen Myrosinzellen gespeichert wird, die im angrenzenden Kortexgewebe zerstreut vorliegen. Wird das Pflanzengewebe jedoch durch Insektenfraß verwundet, kommen die Glucosinolate mit der Myrosinase in Berührung und werden schlagartig zu einer Vielzahl von Stoffen hydrolisiert, zu denen Isothiocyanate, Thiocyanate und Nitrile gehören (Abb. 2). Diese Hydrolyseprodukte sind für nahezu alle beschriebenen biologischen Aktiviäten der eigentlichen Glucosinolate verantwortlich, sie werden aber nicht in nennenswertem Ausmaß in einer intakten, unbefallenen Pflanze gebildet. Genau deshalb bezeichnet man das Glucosinolat-Myrosinase-System als Senföl"bombe", weil die Freisetzung der Abwehrstoffe immer nur dann ausgelöst wird, wenn die zwei Komponenten nach einer Verwundung der Blätter miteinander vermischt werden.

Glucosinolate: Der Menschheit bereits seit langem bekannt

Glucosinolate spielen für den Menschen schon seit langer Zeit eine interessante Rolle. Sie sind uns allen als Grundaroma und Geschmacks"verstärker" einer Reihe von gängigen und beliebten Gemüsesorten bekannt, zu denen auch Broccoli, Blumenkohl, Rosenkohl und Radieschen gehören. Darüber hinaus begegnen uns Glucosinolate als Zutaten in vielen scharf schmeckenden Gewürzen, wie zum Beispiel Senf, Meerrettich und Wasabi (japanischer Meerrettich). Landwirtschaftlich gesehen sind Glucosinolate wesentliche Bestandteile einiger Ackerpflanzen wie dem Raps, der wichtigsten Bezugsquelle von Pflanzenöl in unseren Breiten. Raps-Glucosinolate sind vorteilhaft für die Landwirte, weil sie die Resistenz gegen viele Herbivore deutlich erhöhen können. Nach Auspressen des Rapsöls sind die Samenrückstände jedoch als Viehfutter bedauerlicherweise unbrauchbar, weil diese - aufgrund der Glucosinolate - für die Nutztiere giftig sein können.

Pflanzenarten, die Glucosinolate enthalten, finden in der Landwirtschaft zunehmende Anwendung als Gründüngungspflanzen, welche, in den Acker eingepflügt, die Pathogenbelastung für nachfolgende Ackerpflanzen reduzieren. In jüngster Zeit haben Glucosinolate sogar eine ganz neue Bedeutung durch den Nachweis ihrer ausgeprägten Aktivität gegen bestimmte Krebsarten erlangt. Ihre genaue Wirkungsweise bezieht sich hierbei auf die Induktion einer Gruppe von Enzymen in tierischen Zellen, bekannt als "Phase II-Detoxifikations-Enzyme", zu denen Epoxidhydrolasen, Glutathion-S-Transferasen und Glucuronosyl-Transferasen gehören: Alle diese Enzyme tragen zur Metabolisierung der Xenobiotika bei. Diese Entdeckung hat neue Forschungstätigkeiten im Hinblick auf die Mechanismen, die zur krebsvorbeugenden Wirkung von Glucosinolaten führen, stimuliert; auch die deutliche Zunahme des Broccoli-Verbrauchs ist auf diese neuen Erkenntnisse zurückzuführen.

Charakterisierung von verschiedenen pflanzlichen Glucosinolat-Hydrolysaten

Die Hydrolyseprodukte aus Glucosinolaten sind, wie schon eingangs gesagt, für nahezu alle biologischen Aktivitäten der eigentlichen Glucosinolate (Ausgangs-Glucosinolate) im Zusammenhang mit der Abwehr von Herbivoren verantwortlich. Deshalb ist es interessant und notwendig, das Auftreten und die Bildung dieser Hydrolyseprodukte zu studieren. Gegenwärtig sind unsere Kenntnisse über die Glucosinolat-Hydrolyse noch begrenzt. Die meisten bisherigen Studien über pflanzliche Glucosinolate hatten nämlich nicht das Ziel, entsprechende Hydrolyseprodukte zu analysieren. Auch wenn manchmal über verschiedene Arten von Hydrolyseprodukten berichtet wurde: Es gab nur wenige Informationen darüber, welche enzymatischen, genetischen oder physiologischen Faktoren ihre Produktion steuern. Ein Teil des Forschungsprogramms am MPI für chemische Ökologie zur Entschlüsselung des Glucosinolat-Metabolismus im Allgemeinen und der ökologischen Rolle der Glucosinolate in der Modellpflanze Arabidopsis thaliana im Besonderen bestand daher zunächst darin, 36 verschiedene Glucosinolate aus dieser Pflanzenart zu isolieren.

Als Erstes fanden die Wissenschaftler um Jonathan Gershenzon, dass sich die Glucosinolatprofile signifikant je nach Alter, Organspezifität und Ökotyp unterschieden. Als die Forscher dann diese Untersuchungen mit der Bestimmung der Glucosinolat-Hydrolyseprodukte wiederholten, fanden sie eine beträchtliche Vielfalt dieser Metabolite in 122 Ökotypen vor. Besonders erstaunlich aber war, dass 30 Ökotypen vorwiegend Isothiocyanate produzierten, wenn ihre Blätter im Wasser zerrieben wurden, während 92 Ökotypen vorwiegend Nitrile produzierten (Abb. 2). Unter den bekannten Ökotypen waren es "Columbia", der Isothiocyanate, und "Landsberg erecta", der Nitrile produzierte. Weil diese beiden Ökotypen der Art A. thaliana Mithilfe von Inzuchtlinien mittlerweile genetisch sehr gut zugänglich sind, war es möglich, den Genort für die Steuerung dieses biochemischen Polymorphismus in kurzer Zeit ausfindig zu machen. Die Kartierung und Sequenzierung dieses Locus ergab, dass ein offenes Leseraster vorhanden war, dessen abgeleitete Aminosäuresequenz der Sequenz eines Proteins ähnelte, welches bereits aus Brassica napus isoliert worden war und als Epithio-Specifier-Protein (ESP) bezeichnet wurde. ESP war dahingehend beschrieben worden, dass es die Hydrolyseprodukte von Alkenyl-Glucosinolaten verändern kann. Nachdem das in A. thaliana gefundene Gen kloniert und heterolog in dem Bakterium E. coli exprimiert wurde, stellte sich in der Tat heraus, dass das translatierte Polypeptid die Hydrolyse von Glucosinolaten in ihre entsprechenden Nitrile - in Gegenwart der Myrosinase - katalysieren konnte. Glucosinolate mit einer terminalen Doppelbindung in ihrer Seitenkette wurden zum Beispiel in Epithionitrile umgewandelt. In Abwesenheit des ESPs hydrolysierte die Myrosinase die Glucosinolate in herkömmlicher Weise zu den korrespondierenden Isothiocyanaten. Das ESP-Protein, so zeigten abschließende Versuche in dieser Reihe, war hingegen in Abwesenheit von Myrosinase vollkommen inaktiv. Somit kann die Aktivität des Arabidopsis-ESP-"Faktors" als eine Umleitung der durch die Myrosinase katalysierten Glucosinolat-Hydrolyse in Richtung der Nitrile determiniert werden.

Nun stellte sich konsequenterweise die Frage, ob die natürliche Anpassung der beiden Ökotypen, die vielleicht auch und gerade in den jeweils unterschiedlichen Glucosinolat-Hydrolyseprodukten [(Iso-) Thiocyanat oder Nitrile] zu sehen ist, ihren Ursprung in der Abwehr von A. thaliana gegen herbivore Insekten haben könnte. Um dies zu prüfen, wurden die bereits erwähnten Inzuchtlinien, die in ihren relativen prozentualen Gehalten an Nitrilen vs. Isothiocyanaten variierten, einigen Kohlspannerraupen (Trichoplusia ni) zum Fraß angeboten. T. ni ist ein Wirtsgeneralist, der viele Pflanzenarten befällt (Abb. 3). Die Kohlspannerraupen zeigten nun eine signifikante Präferenz für Pflanzenlinien mit einem größeren Anteil von Nitrilen und einem geringeren Anteil von Isothiocyanaten (Abb. 4). Diese Resultate stimmten mit den wenigen Vergleichsdaten aus anderen, unabhängigen Studien überein, die die Toxizität von Isothiocyanaten und Nitrilen in Hinblick auf Insekten verglichen. Isothiocyanate waren danach toxischer als die entsprechenden Nitrile - die Jenaer Kohlspannerraupen schienen also ganz einfach Pflanzen zu meiden, die toxischer für sie sind.

Dennoch: Es bleibt die zwingende und unbeantwortete Frage bezüglich der Funktion des Arabidopsis-ESP-Faktors aus der Perpektive der Pflanze selbst. Der selektive Vorteil, der sich aus der Anwesenheit dieses Proteins ergibt, das den Insektenfraß am Ende ja durch die Verstoffwechselung der Glucosinolate in die apparent weniger giftigen Nitrile begünstigt, ist alles andere als einleuchtend. Vielleicht sind Nitrile oder Epithionitrile wirksamer als Isothiocyanate bei der Verteidigung gegen andere herbivore Insekten und der Kohlspanner ist nur eine Ausnahme? Oder aber Nitrile, die bei Fraßbefall freigesetzt werden, sind aktiver als Isothiocyanate beim Anlocken der Feinde der Herbivoren (Parasitoide oder Raubinsekten)? Ein noch anderer Grund dafür, dass eine Pflanze Glucosinolate mithilfe des ESP in Nitrile und nicht in Isothiocyanate umwandeln möchte, ergibt sich im Hinblick auf den relativen Befall durch Wirtsspezialisten versus -generalisten. Eine ganze Reihe von Wirtsspezialisten ernährt sich nämlich ausschließlich von Pflanzen, die Glucosinolate enthalten - diese Insekten nutzen die Isothiocyanate sogar als Signale, um ihre Wirtpflanzen zu finden! Wenn nun Isothiocyanate durch Nitrile ersetzt werden, können diese Pflanzen nur durch Zufall von den Wirtsspezialisten entdeckt werden. Dies kann aus evolutionärer Sicht ein Vorteil sein, wenn eine andauernde Gefahr durch Wirtsspezialisten die Gefahr durch Generalisten weit übertrifft. Diese Hypothesen werden durch weitere Experimente mit Arabidopsis-Pflanzen überprüft, in denen Glucosinolat-Hydrolyseprodukte und deren Gehalte mithilfe der Gentechnik gezielt modifiziert wurden.

Die Glucosinolat-Hydrolyse aus der Sicht des Wirtsspezialisten

Ein willkommener Ansatz, den Einfluss der Glucosinolat-Hydrolyse auf die Abwehrbereitschaft der Pflanze zu verstehen, ist die Untersuchung derjenigen herbivoren Insekten, die ungestraft glucosinolathaltige Pflanzen fressen können. Eine Reihe von Insektenarten, wie beispielsweise der allseits bekannte Kohlweißling (Pieris rapae), der Kohlschotenrüssler (Ceutorhynchus assimilis) und die Rübsenblattwespe (Athalia rosae), sind Spezialisten für glucosinolathaltige Pflanzen. Die Wissenschaftler wählten den Kohlweißling aus, eine der wahrscheinlich am häufigsten vorkommenden Schmetterlingsart in Nord- und Mitteleuropa (Abb. 5).

Der anfängliche Forschungsansatz am MPI in Jena war es, dem metabolischen "Schicksal" der Glucosinolate in diesen Insekten nachzugehen. Zunächst wurde ein radioaktiv markiertes Glucosinolat ([14C]-4-Hydroxybenzyl-glucosinolat) erzeugt, indem markierte Aminosäuren von Arabidopsispflanzen verstoffwechselt und nachfolgend die entstandenen Glucosinolate isoliert wurden. Diese markierten Glucosinolate wurden dann in die Blätter von Pflanzen zurückgeführt, um sicherzustellen, dass die Insekten sowohl natürliche als auch radioaktiv markierte Glucosinolate sowie Myrosinase gleichzeitig fraßen. Es zeigte sich, dass nahezu die gesamte Radioaktivität im Kot der Raupe war. Aber: Das radioaktive Ausgangs-Glucosinolat war nicht mehr auffindbar, wie die anschließende dünnschichtchromatographische Auftrennung des Kots ergab. Stattdessen war das hauptsächliche radioaktiv markierte Stoffwechselprodukt ein Nitril mit einem zusätzlichen Sulfat-Ester! Diese Experimente wurden auch mit Blättern des Arabidopsis-Columbia-Ökotyps durchgeführt, in denen Glucosinolate bei Insektenfraß normalerweise in Isothiocyanate umgewandelt werden. Allerdings: Auch hier waren die wesentlichen Hydrolyseprodukte, die nach dem Füttern der Kohlweißlingsraupen in deren Kot aufzufinden waren, Nitrile.

Wenn aber zu Nitrilen verstoffwechselte Glucosinolate im Kot des Kohlweißlings auftauchen, liegt die Vermutung nahe, dass der diesen Stoffwechselweg bestimmende Faktor vielleicht im Darm der Raupen zu finden ist. In einer nachfolgenden Reihe von Experimenten wurde daher ein Proteinextrakt aus dem Mitteldarm der Raupe auf seine Fähigkeit untersucht, Glucosinolate zu metabolisieren. Tatsächlich konnte der Extrakt Glucosinolate - wieder besonders in Gegenwart von Myrosinase - in die jeweiligen Nitrile umwandeln (Abb. 6).

Kohlweißlingsraupen besitzen also ein bestimmtes Protein in ihrem Darm, das es ihnen ermöglicht, Glucosinolate in Nitrile umzuwandeln (Abb. 7). Diese Aktivität ist der des ESP sehr ähnlich, deshalb haben die Jenaer Wissenschaftler sie NSP genannt (für "Nitrile-Specifier-Protein"). Basierend auf der bereits genannten Annahme, dass Isothiocyanate toxischer als Nitrile sind, kann also geschlussfolgert werden, dass NSP einen Enttoxifizierungsprozess vermittelt, der zur Produktion des harmloseren Hydrolyseproduktes führt, welches mit dem Kot ausgeschieden wird.

Wie beim ESP erkennt man auch beim NSP keine eigene katalytische Aktivität: Beide Faktoren benötigen die Anwesenheit von Myrosinase. Der Mechanismus von ESP und NSP ist noch nicht geklärt. Möglicherweise interagieren die Proteine mit Myrosinase und verändern so ihre Produktspezifität - ein Mechanismus, der biochemisch gesehen nicht undenkbar ist. Alternativ dazu wäre vorstellbar, dass ESP und NSP als "unabhängige Enzyme" funktionieren, indem sie die Aglycone benutzen, die zuvor von der Myrosinase produziert wurden. Das Aglycon der Glucosinolate ordnet sich normalerweise in wässrigen Lösungen quasi von allein, da chemisch instabil, in Isothiocyanate um - vielleicht fangen aber genau an dieser Stelle ESP oder NSP die chemische Reaktion ab und leiten sie um.

Um mehr über NSP und seine Funktion zu lernen, wurde das Protein in fünf chromatographischen Schritten, ausgehend von Mitteldarm-Präparaten von über 500 Kohlweißlingsraupen, gereinigt. So erhielt das Forscherteam aus dem reinen Protein ausreichende Informationen bezüglich seiner Aminosäuresequenz und konnte nachfolgend das Gen aus einer cDNA-Genbank isolieren, die ebenfalls aus Kohlweißlingsmitteldärmen angelegt worden war. Nachdem das komplette Gen kloniert und in E. coli exprimiert war, hatte das Translationsprodukt die erwartete Wirkung: Die Hydrolysierung von Glucosinolaten zu Nitrilen in Anwesenheit von Myrosinase. Interessanterweise hatte dieses Protein jedoch keinerlei signifikante Aminosäure-Sequenzübereinstimmungen mit ESP oder irgendeinem anderen Protein mit bekannter Funktion. Es fiel lediglich eine gewisse Ähnlichkeit zur einer Gruppe von anderen Insektenproteinen auf, die als Allergene beschrieben wurden. Über deren Funktion ist bisher aber auch nichts bekannt.

Es ist bemerkenswert, dass das NSP-Gen nur im Mittel- und Enddarm der Kohlweißlingslarve exprimiert wird - es ist vollkommen inaktiv in einem anderen Lebensstadium dieses Insekts. Basierend auf der Aktivität, die NSP hervorruft, könnte es somit die Schlüsselanpassung darstellen, die es dem Kohlweißling einst ermöglicht hat, glucosinolathaltige Pflanzen zu fressen.

Glucosinolathydrolyse bei Wirtsgeneralisten

Um ein umfassenderes Bild darüber zu erhalten, wie Insekten Glucosinolate verarbeiten, müssen zusätzlich Insektenarten anderer Ordnungen mit anders gearteten Fressgewohnheiten untersucht werden. In dieser Hinsicht ist die Wüstenheuschrecke (Schistocerca gregaria) ein geeignetes Studienobjekt, weil es sich um einen Geradflügler (Orthoptera) handelt, der sich von einer Vielfalt an natürlich vorkommenden Pflanzen in Nordafrika und Westasien ernährt. Zu bestimmen Zeiten im Jahr ernährt sich auch dieses Insekt von Pflanzen mit hohem Glucosinolatgehalt, wie zum Beispiel Schouwia purpurea, einer Brassicacee, deren Glucosinolatkonzentration 10-mal so hoch wie die von A. thaliana sein kann. Kotanalysen bei Wüstenheuschrecken, die S. purpurea gefressen hatten, ergaben allerdings keine signifikanten Mengen von Isothiocyanaten, Nitrilen oder anderen typischen Glucosinolat-Hydrolyseprodukten. Vielmehr fanden die Wissenschaftler, dass Wüstenheuschrecken Glucosinolate durch die Hydrolyse des Sulfat-Esters in Desulfo-Glucosinolate umwandeln können: Ein Proteinextrakt aus dem Mitteldarm der Wüstenheuschrecke wandelte Glucosinolate unmittelbar in Desulfo-Glucosinolate um. Die Entfernung des Sulfats vom Glucosinolat- Gerüst war dabei ein signifikantes Merkmal, denn das schwefelfreie Glucosinolat-Derivat kann nicht mehr als Substrat für die Myrosinase dienen und somit nicht mehr in toxische Hydrolyseprodukte umgewandelt werden (Abb. 8). Somit scheint die Veränderung des Myrosinase-Substrats (das Entfernen des Schwefels) eine weitere "Methode" zu sein, mit deren Hilfe ein herbivores Insekt die toxischen Folgen der Glucosinolat-Hydrolyse vermeiden kann. Diese Art der "Glucosinolat-Entschwefelung" wurde kürzlich auch für die Larve der Kohlmotte (Plutella xylostella) beschrieben.

Die Glucosinolat-Sulfatase der Wüstenheuschrecke hat mehrere interessante Eigenschaften: Erstens kommt sie in großen Mengen im Darm, aber auch - im Gegensatz zu NSP - in anderen Organen des Insekts vor. Zweitens ist das Enzym induzierbar, wenn sich die Insekten einige Zeit von Pflanzen ernähren, die hoch dosierte Glucosinolate enthalten. Heuschrecken, die sich zum Beispiel von Salat ernähren, wiesen nur geringe Glucosinolat-Sulfatase-Aktivität in ihrem Darm auf. Wurden die Tiere auf Blätter von S. purpurea gesetzt, nahm die Aktivität um das Dreifache zu. Drittens scheint die Enzymkapazität der Glucosinolat-Sulfatase nach Induktion ausreichend zu sein, um alle Glucosinolate, die im Darm mit der Blattnahrung ankommen, in einem bestimmten Zeitraum zu hydrolysieren. Diese drei Punkte erhärten die Annahme, dass dieses Enzym in der Tat die Entgiftung von Glucosinolaten in Wüstenheuschrecken bewerkstelligt.

Die Ergebnisse zeigen eindrucksvoll, dass verschiedene Arten von Insekten mit den sie abwehrenden Glucosinolaten der Pflanze umgehen. Es scheint, dass sich die Fähigkeit, Glucosinolat-haltige Pflanzen als Ernährungsgrundlage zu sichern, in der Phylogenie der pflanzenfressenden Insekten unabhängig voneinander entwickelt hat, weil die Studien nunmehr verschiedene Methoden der Entgiftung der Glucosinolate offenbart haben (Verstoffwechselung des Myrosinase-Substrats zu Desulfo-Verbindungen, Umleitung der Hydrolyse-Produkte zu Nitrilen). Glucosinolate und Myrosinasen bilden ein komplexes System aus zwei getrennten Komponenten, das per se eine Reihe von Angriffspunkten zur Überlistung bietet. So sind andere, vielleicht noch unentdeckte Methoden vorstellbar, durch die herbivore Insekten die Glucosinolat-Toxizität vermeiden können, zum Beispiel die Produktion eines hochspezifischen Myrosinase-Inhibitors oder die direkte Detoxifizierung von Isothiocyanaten nach ihrer Bildung im angefressenen Blattmaterial. Eine rasche Ausscheidung von Glucosinolaten aus dem Darm wiederum könnte deren Hydrolyse verhindern - die Bombe würde quasi gar nicht erst hochgehen.

Diese Forschung zeigt, dass das Verständnis der Wirkung von Glucosinolaten auf herbivore Insekten gründliche Kenntnisse der Glucosinolat-Hydrolyse sowohl in der Pflanze als auch im Insekt erfordert, denn es sind, wie am Anfang dieses Artikels erwähnt, die Hydroloyseprodukte, die die größte biologische Aktivität aufweisen. Die Ergebnisse der Arbeitsgruppe von Jonathan Gershenzon tragen des Weiteren zur Aufklärung der Ernährungsgewohnheiten bestimmter Pflanzenfresser bei. Wissenschaftler, die sich mit der Pflanze-Insekt-Interaktion befassen, haben viel darüber debattiert, weshalb sich so viele pflanzenfressende Insektenarten jeweils nur von einer oder wenigen und dazu verwandten Pflanzenarten ernähren. Eine der vielen Hypothesen besagt, dass grundsätzlich physiologische "Extrakosten" für die Verstoffwechselung der pflanzlichen Abwehrtoxine entstehen, sodass es für die jeweilige Insektenart energetisch billiger ist, sich auf Pflanzen zu spezialisieren, die ein bestimmtes Toxin enthalten, statt sich von einer Artenvielfalt an Pflanzen zu ernähren und dabei die vielen Extrakosten für die jeweiligen Abwehrmaßnahmen gegen deren spezifische Toxine zu investieren. Untersuchungen zur Art und Weise, wie Insekten Glucosinolate verarbeiten und wie sich diese Merkmale entwickelt haben, können dazu beitragen, die Evolution der Wirtsspezialisierung herbivorer Insekten zu erläutern, wie das Beispiel mit den A. thaliana-Ökotypen gezeigt hat.

Die dargestellten Ergebnisse haben schließlich auch eine praktische Bedeutung, denn unter den Insektenarten, die untersucht wurden, stellen sowohl der Kohlweißling als auch die Wüstenheuschrecke bedeutende Schädlinge in der Landwirtschaft dar. Kenntnisse darüber, wie diese Tiere mit den Glucosinolaten umgehen, könnten zur Entwicklung von neuen, hoch selektiven Strategien zur Schädlingsbekämpfung beitragen.

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