Forschungsbericht 2003 - Max-Planck-Institut für Kohlenforschung

Eine "stille Revolution" - Die Metathese von Alkenen und Alkinen

Autoren
Fürstner, Alois
Abteilungen
Zusammenfassung
Grundlagenforschung im Bereich der Metallorganischen Chemie hat zur Entwicklung hochselektiver Katalysatoren für die Alken- und Alkinmetathese geführt, die sich als effiziente Werkzeuge für die organische Synthese erweisen.

Seit der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts leben wir im Erdöl-Zeitalter. Jener Teil dieses Rohstoffes, der nicht durch Verbrennung der bloßen Energiegewinnung dient, wird durch das so genannte "Cracken" vorwiegend in Alkene (Olefine) umgewandelt, die die stoffliche Basis der modernen Industriegesellschaft bilden. Somit besitzen alle chemischen Reaktionen zur weiteren Funktionalisierung von Alkenen potenziell große Bedeutung.

Vor diesem Hintergrund ist die Entwicklung der so genannten "Olefin-Metathese" zu sehen, die in der Mitte der Fünfzigerjahre bei Untersuchungen zur Darstellung von Polymeren per Zufall als bis dahin präzedenzlose chemische Transformation entdeckt worden ist. Dabei "schneidet" ein Katalysator die Alkengruppen des Ausgangsmaterials formal in Hälften, und setzt diese anschließend statistisch neu zusammen. Diese auf den ersten Blick unspektakuläre Gleichgewichtsreaktion ist in den letzten Jahren im Begriff, die organische Chemie zu revolutionieren und die Logik der Syntheseplanung grundlegend zu verändern.

Die entscheidende Bedeutung kommt dabei dem Katalysator zu. Die ursprünglich verwendeten Misch-Katalysatoren waren in ihrer Struktur unbekannt und kaum in der Lage, zwischen Olefinen und anderen funktionellen Gruppen zu unterscheiden. Diese fehlende "Chemoselektivität" schloss Anwendungen im Bereich der Fein- oder gar Wirkstoffchemie weitgehend aus.

Bereits in den Siebzigerjahren wurde jedoch erkannt, dass eine damals neu entwickelte Klasse metallorganischer Verbindungen, die nach ihrem Entdecker benannten "Schrock-Alkylidene", das wirksame Prinzip jedes metathetischen Prozesses bilden. Sie reagieren nach dem in Abbildung 1 exemplarisch gezeigten Kreislauf. Damit wurde ein Verständnis auf molekularer Ebene erreicht und eine solide Grundlage für die weitere Entwicklung dieses Gebietes gelegt. In der Folge konnten Anfang der Neunzigerjahre erstmals Metathesekatalysatoren vorgestellt werden ("Schrock-Katalysatoren" und "Grubbs-Katalysatoren"), die in der Lage sind, zwischen Olefinen und anderen reaktiven Gruppen eines gegebenen Substrates zu differenzieren, zugleich aber hohe Aktivität besitzen und überdies leicht zu handhaben sind. Die Konsequenzen dieser Entwicklung wurden im Verlauf der letzten Jahre evident und kommen einer stillen Revolution der präparativen Chemie gleich.

Eine der bedeutsamsten Anwendungen stellt die so genannte Ringschluss-Metathese (RCM, ring closing metathesis) dar, die acyclische Diene unter Freisetzung von Ethylen in Carbo- oder Heterocyclen überführt (Abb. 1). Bereits 1995 konnte im Labor des Autors gezeigt werden, dass diese Reaktion einen breit anwendbaren Zugang zu großen Ringen eröffnet, von denen zuvor angenommen worden war, dass sie durch RCM nicht oder nur in Ausnahmefällen darstellbar seien. Große Ringe bilden eines der wichtigsten Strukturmotive von Naturstoffen und anderen biologisch wirksamen Substanzen. Abbildung 2 zeigt eine kleine Auswahl von Zielmolekülen, die am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung in Mülheim durch RCM zugänglich gemacht worden sind. Hierbei handelt es sich um Geruchsstoffe, Antibiotika, Wachstumsregulatoren, Gewebshormone, sowie antitumoriell wirksame Verbindungen von zum Teil sehr komplexer Struktur.

Aus der Analyse der bei diesen Untersuchungen erzielten Daten ergab sich ein detailliertes Bild von den molekularen Bedingungen, die für den erfolgreichen Einsatz der metathetischen Makrocyclisierung erfüllt sein müssen. Dabei ist besonders bemerkenswert, dass einige dieser Regeln der etablierten Logik der Syntheseplanung zuwider laufen. Unter gezielter Nutzung dieser konzeptionell neuartigen Situation lassen sich aber viele Syntheserouten präzedenzlos kurz und effizient gestalten. Heute ist allgemein anerkannt, dass RCM nicht nur einen Zugang zu großen Ringen eröffnet, sondern sogar zu den leistungsfähigsten Methoden zur Synthese dieser wichtigen Substanzklasse zählt.

Neben den erwähnten präparativen Arbeiten konnten am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung in Mülheim auch zahlreiche methodische Innovationen erreicht werden. Genannt seien an dieser Stelle die erstmalige Durchführung von Metathesen in überkritischem Kohlendioxid als besonders umweltfreundlichem und technisch relevantem Reaktionsmedium, sowie Beiträge zur Verbesserung der Grubbs-Typ-Katalysatoren. So wurde 1999, etwa zeitgleich mit Arbeiten von Grubbs und Nolan, über Ruthenium-Alkyliden-Komplexe mit N-heterocyclischen Carbenliganden berichtet, die sich durch eine wesentlich erhöhte Leistungsfähigkeit auszeichnen und heute den Standard auf diesem Gebiet definieren. Auch alternative molekulare Design-Konzepte für Metathesekatalysatoren (Ruthenium-Allenylidene, Ruthenium-Indenyliden-Komplexe) wurden erfolgreich realisiert.

Eine weitere konzeptionelle Neuerung stellt die von uns 1998 erstmals beschriebene ringschließende Metathese von Alkinen dar (RCAM, ring closing alkyne metathesis) (Abb. 3). Mit ihrer Hilfe lassen sich stereochemische Fragestellungen lösen, an denen die Olefinmetathese - trotz der enormen Leistungsfähigkeit der genannten Katalysatoren - bisher scheitert. Wieder folgten dem "proof of principle" die Entwicklung eines besonders effektiven und zugleich toleranten Katalysatorsystems (Abb. 4), sowie zahlreiche Anwendungen auf die Synthese biologisch aktiver und strukturell herausfordernder Naturstoffe. Dazu zählen unter anderem der hochwirksame Anti-Tumorwirkstoff Epothilon A sowie das für die "chemische Biologie" wichtige, Actin-bindende Macrolid Latrunculin B. Die Flexibilität der RCAM-basierten Synthesen ermöglichte nicht nur die Darstellung der eigentlichen Naturstoffe, sondern eröffnete auch einen Zugang zu zahlreichen Analoga, die Einblicke in bislang unbekannte Struktur/Wirkungsbeziehungen erlauben.

Die enorme Bedeutung der Metathese für die präparative Chemie spiegelt sich im explosionsartigen Anstieg an einschlägigen Publikationen wider, der in den letzten Jahren zu verzeichnen ist. Obgleich nach wie vor großer Forschungsbedarf auf diesem Gebiet herrscht, steht zweifelsfrei fest, dass es sich bei dieser chemischen Umsetzung um eine der folgenreichsten und nachhaltigsten Entwicklungen der präparativen Chemie während des letzten Jahrzehnts handelt. Diese Tatsache zeigt einmal mehr das enorme Potenzial der Katalyse im Allgemeinen und der homogenen Metallkatalyse im Besonderen, die auf absehbare Zeit zu den prosperierendsten Teilgebieten der Chemie gezählt werden müssen.

An den hier vorgestellten Arbeiten waren folgende Mitarbeiter beteiligt: Fürstner, Langemann, Kindler, Müller, Seidel, Ackermann, Mathes, Grabowski, Guth, Rumbo, El Tom, Thiel, Liebl, Grela, Dierkes, Radkowski, Stelzer, Jeanjean, Razon, Aissa, Riveiros, Castanet, Leitner, Song, Blond, De Souza, Parra, Ragot, Prühs, Scheiper; zum Teil in Zusammenarbeit mit Dixneuf, Hill, Herrmann, Leitner, Nolan.

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