Forschungsbericht 2003 - MPI für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht

Internationales und ausländisches Kartellrecht

Autoren
Drexl, Josef; Mackenrodt, Mark-Oliver
Abteilungen

Geistiges Eigentum und Wettbewerbsrecht (Prof. Dr. Dres. h.c. Joseph Straus)
MPI für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht, München

Zusammenfassung
Anlässlich der Ministerkonferenz der World Trade Organization (WTO) von Cancún im Jahre 2003 weigerten sich die Entwicklungsländer, über ein völkerrechtlich verbindliches Kartellrecht zu verhandeln. So sieht sich die EU der Notwendigkeit ausgesetzt, ihre diesbezüglichen Vorschläge zu überdenken. Eine am Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht entwickelte Konzeption für ein WTO-Kartellrecht begreift internationalen Wettbewerb als Mittel zur Verringerung der nachteiligen Folgen der Globalisierung und Handelsliberalisierung. Angesichts der aktuell weltweit zu verzeichnenden rasanten Zunahme nationaler Kartellrechtsordnungen wird untersucht, wie die ökonomischen, politischen und kulturellen Besonderheiten verschiedener Länder sowohl im nationalen Recht als auch in einem zukünftigen internationalen Kartellrecht berücksichtigt werden können.

Die zunehmende Liberalisierung des Handels mit Waren und Dienstleistungen verleiht den Bedarfsmärkten einen zunehmend grenzüberschreitenden Charakter. Der Schutz dieser internationalen Märkte vor privaten Wettbewerbsbeschränkungen ist jedoch nur ansatzweise gesichert. Treten an die Stelle der staatlichen Handelsschranken private Wettbewerbsbeschränkungen, verhindern diese, dass die Vorteile der Liberalisierung auch in vollem Umfang dem Verbraucher zugute kommen. Bislang unterliegen grenzüberschreitende Kartelle, einseitige Wettbewerbsbeschränkungen und multinationale Fusionen ausschließlich der Kontrolle durch die nationalen Kartell- und Wettbewerbsordnungen sowie durch das europäische Wettbewerbsrecht. Die daraus entstehenden Kollisionen, die verbleibenden Schutzlücken und die Frage, ob und in welcher Form internationale Regeln im Bereich des Kartellrechts nötig sind, sind seit einigen Jahren Gegenstand von wissenschaftlichen Untersuchungen sowie diplomatischer Initiativen insbesondere im Rahmen der World Trade Organization (WTO).

Die Regelungskonzepte im internationalen Kartellrecht reichen von unilateralen Ansätzen über bilaterale Kooperationsabkommen bis hin zu pluri- und multilateralen Konzeptionen (WTO, United Nations Conference on Trade and Development UNCTAD, Organization for Economic Cooperation and Development OECD, International Competition Network ICN). Vor allem die Europäische Gemeinschaft machte sich zum Fürsprecher eines völkerrechtlich verbindlichen WTO-Kartellrechts. Diese europäische Initiative bedarf freilich angesichts des Widerstandes der Entwicklungsländer, der zum Scheitern der 5. Ministerkonferenz in Cancún (Mexiko) 2003 führte, einer Neuausrichtung.

Schon im Vorfeld der Cancún-Konferenz wurde am Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Kartellrecht eine eigene Konzeption für ein WTO-Kartellrecht entwickelt, die sich in wesentlichen Punkten von den Vorschlägen der Europäischen Gemeinschaft unterscheidet. Sie baut auf jüngere Theorien der "Global Public Goods" auf, die das Ziel haben, die gemeinsamen Interessen der Weltgesellschaft politisch und konzeptionell klarer zu fassen, um zwischen- und überstaatliche Handlungsmöglichkeiten zu verbessern. Die am Institut entwickelte Konzeption definiert den internationalen Wettbewerb als Mittel zur Verringerung der Probleme der Globalisierung. Sie schlägt Grundprinzipien eines WTO-Kartellrechts vor, die vor allem den Interessen der Entwicklungsländer gerecht werden, ohne jenen der entwickelten Länder zu widersprechen. Diese Grundprinzipien wurden des Weiteren für die Bereiche der Zusammenschlusskontrolle und des Technologietransfers konkretisiert und auf ihre Plausibilität hin überprüft. Der persönliche Kontakt mit den zuständigen Vertretern der Generaldirektion Wettbewerb der Europäischen Kommission seit Herbst 2003 soll den Vorschlägen politische Wirkung verschaffen.

Obwohl sich viele Entwicklungsländer gegenüber einem verbindlichen internationalen Kartellrecht skeptisch zeigen, ist weltweit eine rasante Zunahme der Zahl nationaler Kartellrechtsordnungen zu beobachten. Die Staaten reagieren damit zum Teil auf internationale Initiativen oder entsprechende Abkommen mit den Vereinigten Staaten oder der Europäischen Gemeinschaft. Vor allem aber sehen sie die Notwendigkeit, ihre Volkswirtschaften in marktwirtschaftliche Systeme umzuwandeln. Als Folge können einzelne Kartellrechtsfälle in den Anwendungsbereich einer beachtlichen Zahl der heute gut einhundert unterschiedlich weit entwickelten und ausgeprägten nationalen Kartellrechtsordnungen fallen.

In Einzeluntersuchungen wurden schließlich Teilaspekte des internationalen Kartellrechts behandelt, hierunter die handelsbezogenen Aspekte des Lizenzkartellrechts, die Regelung von Vertikalvereinbarungen im Schnittfeld von Welthandelsrecht und Kartellrecht und die Schaffung eines internationalen Kartellverfahrensrechts.

Schon seit Jahren bezieht das Institut das Kartellrecht in die Forschungsarbeiten seines Lateinamerikaprojektes ein. Weitere Forschungsarbeiten - meist von Wissenschaftlern aus den jeweiligen Ländern - untersuchen die Rechtsentwicklung in den arabischen Staaten, China, Bulgarien, Türkei, Russland, Ukraine und Rumänien. Diese Studien beschränken sich nicht auf einen bloßen Rechtsvergleich der jungen nationalen Kartellrechte mit den führenden Rechtsordnungen der USA und der EU. Sie beziehen vielmehr die jeweiligen ökonomischen, politischen und kulturellen Besonderheiten der Länder mit ein. Auch bei der Entwicklung eines internationalen Kartellrechts werden diese spezifischen Bedürfnisse einzelner Länder beim Erlass nationalen Kartellrechts zu berücksichtigen sein.

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