Forschungsbericht 2003 - Max-Planck-Institut für Astrophysik

Annihilation der dunklen Materie im Halo der Milchstraße

Annihilation of dark matter in the halo of the Milky Way

Autoren
Stoehr, Felix; Springel, Volker
Abteilungen
Zusammenfassung
Falls die Dunkle Materie im Universum aus schwach wechselwirkenden Elementarteilchen besteht, die sich gegenseitig auslöschen können, sollte die Strahlung der Zerfallsprodukte im Prinzip direkt nachweisbar sein. Hochaufgelöste kosmologische Simulationen der Verteilung der Dunklen Materie in der Milchstraße erlauben es, Voraussagen für die erwartete Annihilationsstrahlung aus dem alaktischen Zentrum und den Satellitengalaxien der Milchstraße zu machen. Besteht die Dunkle Materie aus Neutralinos, ergeben sich daraus vielversprechende Nachweismöglichkeiten für Gammastrahlenteleskope der nächsten Generation.
Summary
If the dark matter in the universe consists of weakly interacting elementary particles that can annihilate each other, it should be possible to detect their annihilation radiation directly. High-resolution cosmological simulations of the distribution of dark matter in the Milky Way can be used to make detailed predictions for the expected annihilation radiation from the galactic center and the satellite galaxies of the Milky Way. If the dark matter particles are neutralinos, these predictions imply favourable detection possibilities for next generation gamma ray telescopes.

Es gibt starke Hinweise auf eine noch nicht identifizierte Art dunkler Materie auf Skalen von Zwerggalaxien bis hinauf zu denen von Galaxienhaufen. Die neuesten Beobachtungen des kosmischen Mikrowellenhintergrunds (duchgeführt mit dem Satelliten WMAP) stimmen mit den Argumenten, die auf der Nukleosynthese im Urknall, auf der Dynamik der großskaligen Struktur, sowie auf der Statistik von Gravitationslinsenereignissen beruhen, überein: Die dunkle Materie trägt zu etwa 80% zur Materie im Universum und zu etwa einem Viertel zur Gesamtenergiedichte bei. Seit ihrer Entdeckung durch den Schweizer Astronomen Fritz Zwicky im Jahre 1933, ist es eine der größten Herausforderungen der modernen Kosmologie das Geheimnis der Natur der dunklen Materie zu lüften.

Im Lauf der Jahre wurden viele Kandidaten für das Teilchen der dunklen Materie vorgeschlagen, von Axionen über Neutrinos bis hin zu Schwarzen Löchern. Diese Kandidaten decken insgesamt einen Massenbereich von über 75 Größenordnungen ab! Eine elegante Lösung des Problems könnte ein Teilchen sein, das Neutralino genannt wird. Dieses Elementarteilchen wird gegenwärtig als einer der wahrscheinlichsten Kandidaten gehandelt. Es tritt auf natürliche Weise in supersymmetrischen Erweiterungen des Standard-Modells der Teilchenphysik auf. Diese erweiterten Theorien führen eine neue Symmetrie ein, die so genannte Supersymmetrie, die jedem bekannten Boson ein neues supersymmetrisches Fermion zuordnet und umgekehrt. Obwohl mit dieser neuen Symmetrie viele freie Parameter Einzug in die Theorie erhalten, ist sie sehr nützlich, um schwerwiegende Probleme im Standard-Modell zu lösen. Bisher wurde allerdings noch keiner der vorhergesagten Superpartner im Experiment nachgewiesen. Es wird angenommen, dass ihre Energien zu groß sind, um mit heutigen Teilchenbeschleunigern erreicht werden zu können. Sie sollten jedoch im Energiebereich des Large Hadron Colliders (LHC) liegen, der voraussichtlich im Jahr 2007 am CERN in Betrieb gehen wird.

Das supersymmetrische Teilchen mit der geringsten Masse, das Neutralino, ist stabil falls die neue Symmetrie (die R-Parität) erhalten bleibt. Seine Masse wird wahrscheinlich zwischen 50 GeV c-2 und einigen TeV c-2 liegen. Das Teilchen koppelt nur über die schwache Wechselwirkung und die Gravitation. Wegen der großen Masse ist das Neutralino ein perfekter Kandidat für die kalte dunkle Materie, die von den heutigen Beobachtungen des Mikrowellenhintergrunds und der großskaligen Struktur im Universum favorisiert wird.

Obwohl die dunkle Materie kein Licht aussendet oder streut, könnte es trotzdem einen Weg geben sie direkt zu "sehen". Falls Neutralinos Majoranateilchen sind, können sie bei Zusammenstößen mit anderen Neutralinos annihilieren und dabei neben anderen Teilchen (z.B. Z0 -Bosonen, Pionen und Positronen) auch hochenergetische Gammastrahlung aussenden. Die Annihilationsrate pro Neutralino hängt von der lokalen Dichte möglicher Kollisionspartner ab sodass die Annihilation vor allem in den Gebieten mit der größten Dichte an dunkler Materie stattfindet. Eine Beobachtung der Annihilationsstrahlung würde Neutralinos als die Teilchen der dunklen Materie bestätigen und Grenzen für deren Masse und Streuquerschnitt liefern.

Das Hauptaugenmerk einer Beobachtung der Annihilationsstrahlung liegt auf der Milchstraße und insbesondere deren Zentrum, welches nur etwa 8 kpc (1 kcp = 3,1x1021 cm = 3300 Lictjahre) von der Sonne entfernt ist. Aber auch Substruktur innerhalb der Verteilung der dunklen Materie im Halo der Milchstraße könnte eine weitere Quelle für Annihilationsstrahlung sein. Simulationen sagen viele dieser Substrukturklumpen vorher und es wird angenommen, dass die beobachteten Satellitengalaxien (LMC, SMC, Sag A, ..., d.h. ´Large and small Magellanic clouds, Sagitarius dwarf´, ...) von den massereichsten Klumpen beherbergt werden (Abb. 1).

F. Stoehr, S.D.M. White, V. Springel (alle MPA) sowie G. Tormen (Observatorium Padova) und N. Yoshida (NAO, Tokio) haben den neuen IBM Regatta-Supercomputer am Garchinger Rechenzentrum der Max-Planck-Gesellschaft verwendet, um die Bildung eines Halos aus dunkler Materie ähnlich dem der Milchstraße zu simulieren.

In der größten dieser Simulationen, die gleichzeitig die größte Simulation ihrer Art ist, die je durchgeführt wurde, wurden über 10 Millionen Massenelemente innerhalb des Galaxienhalos berechnet. Die Längenauflösung ist besser als 250 pc. Die Simulationen erlauben die Stärke der Annihilationsstrahlung vom Zentrum der Milchstraße, sowie die der nächstgelegenen und massereichsten Subklumpen genau vorherzusagen. Natürlich hängen diese Vorhersagen von den angenommenen Massen und Streuquerschnitten der Neutralinos ab. Grenzen für letztere sind aus Beschleunigerexperimenten sowie aus der beobachteten Materiedichte im Universum bekannt. Sie wurden mit den Nachweisgrenzen zweier Gammastrahlenteleskope der nächsten Generation - GLAST (dem Gamma Ray Large Area Space Telescope, eines Satelliten) sowie VERITAS (Very Energetic Radiation Imaging Telescope Array System, eines Air-Shower-Cerenkov Teleskops) - verglichen.

Diese Vergleiche zeigten, dass nur wenige der Neutralinomodelle, die mit den Beschleunigerdaten in Einklang stehen, genug Annihilationsstrahlung produzieren, um von VERITAS beobachtet werden zu können. Für GLAST jedoch sind die Nachweismöglichkeiten weitaus vielversprechender vor allem wegen des großen Sichtfelds. Dies erlaubt eine Nachweisstrategie, bei der nicht direkt das galaktische Zentrum sondern ein Ring um das galaktische Zentrum mit einem Öffnungswinkel von 25° bis 35° beobachtet wird. Dies ist ein großer Vorteil, denn dadurch wird das Gebiet mit starkem Gammastrahlenhintergrund ausgeschlossen. Der Gammastrahlenhintergrund wird durch kosmische Strahlung, die auf das interstellare Gas trifft, verursacht.

Die Strategie hat jedoch noch einen weiteren Vorteil gegenüber einer direkten Beobachtung des Zentrums: Die theoretische Vorhersage der Verteilung der dunklen Materie in dem Beobachtungsring ist weitgehend unabhängig von der Güte und Auflösung der Computersimulation. Dies trifft auf die Gebiete mit der größten Materiedichte nicht zu. Die dortige genaue Verteilung der dunklen Materie ist noch aktives Gebiet der Forschung.

Da der Gammastrahlenhintergrund in dem Beobachungsring relativ gering ist, besteht eine gute Wahrscheinlichkeit, dass GLAST Annihilationsstrahlung vom inneren Teil des Halos der Milchstraße nachweisen kann (Abb. 2).

Die Untersuchungen zeigen, dass viele Neutralinomodelle sogar genug Annihilationsstrahlung produzieren würden, um GLAST einen Nachweis der Strahlung von Substrukturhalos zu erlauben, und dies obwohl die Gesamtstrahlung aller Substrukturhalos nur etwa 15 % der Galaxiengesamtstrahlung ausmacht.

Wenn die dunkle Materie tatsächlich aus dem leichtesten supersymmetrischen Teilchen besteht, dann kann es gut möglich sein sie mit GLAST zu "sehen" und so schließlich die wahre Natur der dunklen Materie zu enthüllen.

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