Forschungsbericht 2003 - Friedrich-Miescher-Laboratorium für biologische Arbeitsgruppen in der Max-Planck-Gesellschaft

Gesichtsverarbeitung im Säuglingsalter, Entwicklung intuitiver Physik

Autoren
Schwarzer, Gudrun
Abteilungen
Zusammenfassung
Die Arbeitsgruppe befasst sich mit Veränderungen der visuellen Informationsverarbeitung vom Säuglings- zum Erwachsenenalter und mit Determinanten der kindlichen Wissensentwicklung im Bereich der intuitiven Physik.

Entwicklung der visuellen Informationsverarbeitung - Gesichtsverarbeitung im Säuglingsalter: Da Gesichter hoch komplexe Stimuli sind und auch schon junge Säuglinge ihnen ihre Aufmerksamkeit schenken, untersuchen wir die Entwicklung der visuellen Informationsverarbeitung vorwiegend anhand dieses Untersuchungsstimulus. Nachdem unsere vorausgegangenen Studien gezeigt haben, dass bereits Säuglinge einzelne Gesichtsmerkmale unabhängig voneinander verarbeiten können und sich unterschiedliche Verarbeitungsmodi von Gesichtern bereits im Blickverhalten widerspiegeln, beschäftigen sich aktuelle Arbeiten nun damit, wann und unter welchen Bedingungen Säuglinge dazu imstande sind, ein Gesicht aus einer bisher nicht gesehenen Ansicht wieder zu erkennen. Während die Säuglinge sich in Vorläuferarbeiten bei einer solchen Wiedererkennensleistung an externen Merkmalen wie z. B. der Haarfrisur orientieren konnten, untersuchen wir die Frage anhand von Gesichtern, in denen nur das Gesichtsinnere präsentiert wird (s. Abb. 1, oben). Zudem interessiert uns zu ermitteln, welche Bedeutung der emotionale Ausdruck des Gesichts für diese Leistung hat. So wurden in einer Studie 7monatige Säuglinge beispielsweise an die frontale Ansicht eines Gesichts gewöhnt, in dem es ihnen mehrmals präsentiert wurde. Als abhängiges Maß wurde festgehalten, wie lange die Babys dieses Gesicht betrachten. Nachdem die Säuglinge sich an die frontale Ansicht des Gesichts gewöhnt hatten - ihre Blickzeit bedeutsam gesunken ist (Habituationsphase) - wurde ihnen ein Gesichtspaar dargeboten bestehend aus einer neuen Ansicht (z.B. 36°) des schon bekannten Gesichts und eines neuen Gesichts ebenfalls in der Ansicht von 36° .

Wenn das Baby nun das "alte" Gesicht in der neuen Ansicht als bekannt wieder erkannt hatte, so sollte er oder sie das neue Gesicht länger betrachten, weil Säuglinge generell Neues gegenüber Bekanntem bevorzugt ansehen. Wie Abbildung 2 (oben) zu entnehmen ist, zeigten die Babys diese Präferenz für das neue Gesicht jedoch nicht. Sie waren also nicht dazu in der Lage, nur anhand des Gesichtsinneren das Gesicht aus der Gewöhnungsphase in der neuen Ansicht wieder zu erkennen.

Im nächsten Schritt präsentierten wir anderen, ebenfalls 7monatigen Babys dieselben Gesichter, die nun aber z.B. in der frontalen Ansicht einen lächelnden emotionalen Ausdruck zeigten (s. Abb. 1, unten). Nach der Gewöhnung wurde den Säuglingen dann ebenfalls das kritische Gesichtspaar gezeigt, wobei beide Gesichter nun auch lächelten. Unter dieser Bedingung der Hinzunahme emotionaler Information präferierten die Säuglinge nun erstaunlicherweise das neue Gesicht gegenüber dem alten in der neuen Ansicht (s. Abb. 2, unten). Sie konnten nun also, dasselbe Gesicht in einer neuen Ansicht wieder er kennen. Der Rolle von Emotionen bei der Informationsverarbeitung von Gesichtern wird derzeit in nachfolgenden Studien genauer nachgegangen. (Groß, Korell, Zauner).

Wissensentwicklung - Entwicklung intuitiver Physik:

Die kindliche Wissensentwicklung untersuchen wir im Bereich der intuitiven Physik. Hier soll herausgefunden werden, was Kinder zwischen 5 und 10 Jahren intuitiv (ohne explizite Unterweisung) darüber wissen, wie sich Objekte in unserer Umwelt verhalten. Es soll darüber hinaus festgestellt werden, inwieweit die Vorstellung über das thematisierte physikalische Ereignis hilfreich ist für die Aktivierung intuitiven Wissens. Als ein Maß für die kindliche Vorstellung dienen uns die Blickbewegungen, die während der Vorstellung ausgeführt werden. Laufende Studien befassen sich mit der Entwicklung kindlichen Wissens über die Invarianz von Mengen, über das Reflexionsgesetz, über Flugbahnen oder Regeln der Statik (Huber).

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