Forschungsbericht 2004 - Max-Planck-Institut für Chemie

Anatomie eines Mantelplumes

Autoren
Hofmann, Albrecht W.; Sobolev, Alexander; Abouchami, Wafa; Galer, Stephen J.
Abteilungen
Zusammenfassung
Wissenschaftler der Abteilung Geochemie haben ein neues Modell der Schmelzbildung im Erdmantel entwickelt, das die enorme Magmaproduktion der Hawaii-Vulkane erklärt. Sie zeigten außerdem, dass der Hawaii-Plume nicht konzentrisch aufgebaut ist sondern aus zwei isotopisch unterschiedlich zusammengesetzten Hälften besteht.

Warum die Vulkane auf Hawaii in den Himmel wachsen

Warum entsteht mitten im Pazifischen Ozean ein Vulkan, der eine Höhe von fast zehntausend Metern über dem Meeresboden – davon über 4000 Meter oberhalb der Meeresoberfläche – erreicht und dann nach geologisch kurzer Zeit wieder unter der Meeresoberfläche versinkt? So ist dies auf der Insel Hawaii zu beobachten. Es gibt dazu seit 1970 eine Erklärung: Die „Mantelplume-Theorie“ von Jason Morgan. Mantelplumes sind eng begrenzte Säulen oder „Pilze“ aus heißem Gestein, die aus dem tiefsten Erdmantel aufsteigen. Erst in 100 bis 200 Kilometer Tiefe übersteigt die Temperatur des Plumes infolge der Druckminderung seinen Schmelzpunkt, und Teile des Gesteins beginnen zu schmelzen: Es bildet sich ein Vulkan, dem aber nur eine geologisch kurze Lebenszeit beschieden ist, denn die Ozeankruste schiebt sich mit einer Geschwindigkeit von 10 Zentimeter pro Jahr, also 100 Kilometer pro Million Jahre, nach Nordwesten und trägt den Vulkan von seiner Magmazufuhr, dem stationär bleibenden, schmelzenden Plume weg, bis seine „Nabelschnüre“, die Magmakanäle, die den Vulkan mit der Schmelzregion verbinden, abreißen. Der Vulkan stirbt, wird abgetragen und sinkt unter die Meeresoberfläche. Über dem Plume bildet sich ein neuer Vulkan, und das Spiel wiederholt sich, bis eine heute 7000 Kilometer lange Kette von (meist untermeerischen) Vulkanen entstanden ist, die von der Insel Hawaii bis nach Kamtschatka reichen.

Die Plumetheorie ist heute noch umstritten; sie wird aber gerade in neuester Zeit durch detaillierte seismische Untersuchungen, die mit Methoden der „seismischen Tomographie“ das Erdinnere durchleuchten, hervorragend bestätigt. Eine der Schwierigkeiten mit dieser Theorie ist jedoch, dass sie zwar die Entstehung der Vulkane erklärt, nicht aber deren enormes Volumen und die heterogene Zusammensetzung der Laven. Auf Hawaii werden zurzeit etwa 0,3 Kubikkilometer Magma pro Jahr produziert, ein riesiges Volumen, wenn man bedenkt, dass das gesamte unterseeische, 65.000 Kilometer lange Ozeanrückensystem, an dem sich der Ozeanboden erneuert und ausbreitet, nur etwa 20 Kubikkilometer Magma pro Jahr produziert. Normales Mantelgestein, ein so genannter Peridotit, der hauptsächlich aus dem schwer schmelzenden Mineral Olivin und nur zum kleinen Teil aus den leichter schmelzenden Mineralen Klinopyroxen und Granat besteht, kann bei den im Plume erreichten Temperaturen nicht die notwendige Menge von Magma liefern. Ein normaler Mantelperidotit ist auch nicht in der Lage, Laven so unterschiedlicher Zusammensetzung zu liefern wie man sie z.B. auf Hawaii beobachtet. Es gibt zwar seit langem die Hypothese, dass die chemischen Besonderheiten und Heterogenitäten von Hawaii- und ähnlichen Vulkanen durch kleine Anteile recycelter ozeanischer Kruste und Sedimente zu erklären sind, die dem normalen Mantelperidotit des Plumes zugemischt sind. Diese Hypothese allein kann aber das enorme Volumen der Hawaii-Magmen nicht erklären.

Alexander Sobolev1) und seine Gruppe haben nun eine für Erdmantel-Mineralogen scheinbar widersinnige Entdeckung gemacht: Die Schmelzen, die unter den voluminösesten der Hawaii-Vulkane (vor allem Mauna Loa) entstehen, haben anomal hohe Nickelgehalte. Das Mineral Olivin, aus dem Mantelperidotit zu über 50 % besteht, konzentriert das Element Nickel und lässt somit nur verhältnismäßig geringe Nickelgehalte in einer sich in seiner Umgebung bildenden Schmelze zu. Seit langem bekannt war außerdem, dass diese Schmelzen anomal hohe Siliziumgehalte haben, die ebenfalls kaum vereinbar sind mit einer Entstehung der Schmelzen in Gegenwart von Olivin.

Das Siliziumproblem allein wäre lösbar, wenn sich die Schmelze teilweise aus recycelter Ozeankruste bildet, die in einer Tiefe von mehr als 80 Kilometer aus den Mineralen Granat und Klinopyroxen besteht und Eklogit genannt wird. Ein solcher Eklogit liefert nämlich Schmelzen mit den notwendigen hohen Siliziumgehalten, aber er enthält viel zu wenig Nickel, um gleichzeitig die hohen Nickelgehalte der Schmelzen zu erklären. Die Kombination von hohem Nickel und hohem Silizium ist deshalb mit den bestehenden Theorien nicht zu erklären.

Ein neues Modell, demzufolge ausgerechnet das häufigste Mineral des Erdmantels, Olivin, eliminiert wird, liefert nun die Lösung des Silizium-Nickel-Rätsels, und es erklärt gleichzeitig die abnormen Magmavolumen, die Hawaii zur „Mutter aller Mantelplumes“ gemacht haben: Die in dem aufsteigenden Mantelplume eingelagerten Lagen oder Linsen aus eklogitischer, recycelter Ozeankruste fangen infolge ihres relativ niedrigen Schmelzpunktes bereits in etwa 170 Kilometer Tiefe an zu schmelzen. Diese siliziumreiche – aber zunächst nickelarme – Schmelze reagiert mit dem aus normalem, nickelreichen Peridotit bestehenden umgebenden Gestein des Plumes und verwandelt den Olivin in ein neues Silikatmineral, das Klinopyroxen genannt wird. Dadurch wird sowohl die Schmelze als auch der Olivin aufgebraucht. Zunächst entsteht also wieder ein voll kristallines, also festes, aber Olivin-freies Klinopyroxengestein, das man „Pyroxenit“ nennt. Dieses fängt erst nach weiterem Aufsteigen des Plumes in etwa 130 Kilometer Tiefe wieder an zu schmelzen. Die aus dem Pyroxenit gebildete Schmelze ist ebenfalls siliziumreich, sie enthält aber etwa doppelt soviel Nickel wie eine aus Peridotit entstandene Schmelze, und zwar in Folge der Eliminierung des Olivins, dessen Vorliebe für Nickel dieses Element sonst in den zurückbleibenden Olivinkristallen zurückhalten würde. In anderen Teilen des Plumes, die ursprünglich wenig oder keinen Eklogit enthielten, bildet sich nun aus dem dortigen Peridotit ebenfalls eine Schmelze, die aber erwartungsgemäß nickel- und siliziumarm ist (Abb. 1).

Beide Schmelzen werden durch Gänge in Magmakammern transportiert, wo sie sich mischen können bevor sie eruptieren. Die Mischungsanteile können nun aus der chemischen Zusammensetzung der Laven und den aus experimentellen Arbeiten bekannten Mineral- und Schmelzreaktionen annäherungsweise quantitativ berechnet werden. Es zeigt sich, dass die Plume-Region, aus der der Vulkan Mauna Loa gespeist wird, zu etwa 25 % aus recyceltem Eklogit besteht, während in anderen Hawaii-Vulkanen wie Kilauea und Mauna Kea nur ca. 12 %, und in kleineren Vulkanen wie dem unterseeischen Loihi 2 % eklogitischer Anteil vorliegen. Weil nun sowohl der ursprüngliche Eklogit als auch der sekundär gebildete Pyroxenit bei gleicher Temperatur zu wesentlich höheren Anteilen aufschmelzen als ein olivinreicher Peridotit, erklärt dieses Modell auch die anomal hohen Schmelzvolumen und damit die riesigen Ausmaße des Mauna Loa und darüber hinaus die anomal hohe Schmelzproduktionsrate unter Hawaii. Bestünde der Plume lediglich aus „normalem“ Mantelperidotit, so würde das Schmelzvolumen gerade mal für einen Vulkan ausreichen, der es bis knapp über die Meeresoberfläche schafft.

Zwei bereits in den Jahren 2000 und 2004 vom Potsdamer Geoforschungszentrum veröffentlichte seismologische Studien des Mantels unter Hawaii zeigten ganz unerwartet nicht nur eine sondern zwei getrennte Tiefenregionen, in denen – auf Grund von relativ niedrigen Laufgeschwindigkeiten seismischer Wellen – Schmelzen zu existieren scheinen, eine in 170 bis 130 Kilometer Tiefe und eine zweite in etwa 100 bis 110 Kilometer Tiefe. Diese ungewöhnliche geophysikalische Beobachtung konnte nun mit den geochemischen Daten zu einem in sich schlüssigen Modell zusammengefügt werden.

Hawaii-Mantelplume besteht aus zwei scharf getrennten Hälften

Ein anderer wichtiger Aspekt der Anatomie des Hawaii-Plumes, nämlich die Verteilung der chemischen, bzw. isotopischen Heterogenitäten im Inneren dieses Plumes, wurde von Dr. Wafa Abouchami und Mitarbeitern durch Analysen der isotopischen Zusammensetzung des Elements Blei entdeckt. Seit langem wird eine Theorie diskutiert, der zufolge der Plume eine konzentrische thermische und chemische Struktur besitzen soll. Seit mehreren Jahren bohrt nun auf der Insel Hawaii ein internationales Team im Rahmen des „Hawaii Scientific Drilling Project“ immer tiefer in den Vulkan Mauna Kea, um dessen inneren Aufbau und damit auch den Aufbau des Mantelplumes zu studieren. Zurzeit ist das Bohrloch in einer Tiefe von gut 3 Kilometer angelangt. Dort unten sind die Laven etwa 500.000 Jahre alt, und der Vulkan befand sich damals nahe dem Zentrum des Plumes, während er heute etwa 50 Kilometer weiter nordwestlich, also näher dem Rande des Plumes liegt, weil ihn die pazifische Platte mit einer Geschwindigkeit von etwa 10 Zentimeter pro Jahr in diese Richtung transportiert. Dies müsste genügen, um die erwarteten konzentrischen Änderungen in der Zusammensetzung des Plumes in den Laven wieder zu finden. Dafür eignen sich besonders Untersuchungen der relativen Häufigkeiten von Blei-Isotopen. Natürlicher radioaktiver Zerfall von Uran und Thorium erzeugt in den Gesteinen des Erdinneren je nach deren Uran/Blei (=U/Pb)- und Thorium/Blei (=Th/Pb)-Verhältnis unterschiedliche Isotopenhäufigkeiten in dem Tochterelement Blei. Bleiisotope in Basalten aus Mantelplumes werden deshalb von Geochemikern als Fingerabdrücke für subtile Unterschiede in Uran, Thorium und anderen Spurenelementgehalten in den Mantelplumes genutzt. So ist seit langem bekannt, dass der obere Erdmantel verhältnismäßig niedrige Verhältnisse von Thorium zu Uran aufweist. Mantelplumes dagegen haben höhere Th/U-Verhältnisse. Diese unterschiedlichen Th/U-Verhältnisse erzeugen unterschiedliche Verhältnisse von Blei-208 zu Blei-206, weil Thorium zu dem Bleiisotop der Masse 208, Uran zum dem Bleiisotop der Masse 206 zerfällt. Steigt nun ein heißer Mantelplume aus dem tiefsten Erdmantel durch etwas kühleres Gestein des oberen Mantels auf, so ist zu erwarten, dass das umgebende Nachbargestein langsam aufgeheizt und allmählich mit nach oben genommen wird. Dadurch müsste der Plume eine konzentrische Struktur annehmen, die etwa mit sehr groben Baumringen vergleichbar ist. So ist zu erwarten, dass das Verhältnis Thorium/Uran und somit das Verhältnis der Isotope Blei-208 zu Blei-206 vom Zentrum zur Peripherie des Plumes abnehmen sollte.

Wissenschaftler der Abteilung Geochemie (W. Abouchami, S.J. Galer, A.W. Hofmann) haben nun hochpräzise Messungen der Bleiisotope in Laven des Mauna-Kea-Bohrlochs durchgeführt und diese mit ähnlichen Messungen an Laven mehrerer anderer Hawaii-Vulkane verglichen. Dabei machten sie zwei neuartige Beobachtungen.

Zum einen haben die Laven im tiefen Teil des Bohrlochs in der Tat andere Bleiisotopen-Verhältnisse als im oberen Teil, aber sie zeigen nicht die erwartete systematische Abnahme des 208Pb/206Pb-Verhältnisses von innen nach außen. Vielmehr haben fast alle Laven der Vulkane, die sich auf der nordöstlichen Seite der Insel Hawaii befinden – Kilauea, Mauna Kea und Kohala – niedrigere 208Pb/206Pb-Verhältnisse als die Vulkane auf der südwestlichen Seite des Plumes – Loihi, Mauna Loa, Kahoolawe, Lanai und Koolau (Abb. 2a). Diese Beobachtungen zeigen, dass von konzentrischen „Baumringen“ nichts zu sehen ist. Vielmehr scheint der Plume aus zwei Hälften zu bestehen, die unterschiedliche Th/U- und deshalb entsprechend unterschiedliche 208Pb/206Pb-Verhältnisse aufweisen. Diese Unterschiede stammen wahrscheinlich aus großräumigen Heterogenitäten in der Grenzschicht des untersten Erdmantels, die vom Erdkern aufgeheizt wird, sodass sich embryonische Mantelplumes bilden, die dann aufsteigen und dabei die großräumigen Heterogenitäten ihrer Quellregion horizontal zusammendrücken und vertikal auseinander ziehen. Dies entspricht auch den Ergebnissen von fluid-dynamischen und numerischen Simulations-Experimenten.

Die zweite neue Entdeckung belegt erstmalig die Existenz von noch dünneren vertikalen Strukturen im Inneren des Plumes, die ebenfalls durch numerische Simulationen von C. Farnetani, Institut de Physique de Globe de Paris, nahegelegt wurden. Die Isotopendaten, die im tiefsten Teil des Mauna Kea-Bohrlochs gefunden wurden, decken sich mit den Isotopendaten des jüngeren Vulkans Kilauea, der heute fast genau an dem Ort über dem Plume steht, an dem Mauna Kea sich vor 500.000 Jahren befand (Abb. 3). Der Plume produziert also ortgenau isotopisch identische Laven über einen Zeitraum von einer halben Million Jahren. Diese Beobachtung deutet darauf hin, dass der Plume vertikal lang gestreckte, durch ihre isotopische Zusammensetzung charakterisierbare „Fäden“ enthält, die einen Durchmesser von deutlich unter 50 Kilometer und eine Länge von wahrscheinlich mehreren hundert Kilometer haben (Abb. 2b). Wenn zwei Vulkane im Laufe ihrer Geschichte über demselben „Faden“ zu liegen kommen, produzieren sie Laven identischer Zusammensetzung.

Sowohl die großräumigen als auch die kleinräumigen Heterogenitäten werden ursprünglich durch Subduktion erzeugt, die eine ozeanische Kruste vor ca. 1 bis 2 Milliarden Jahren in den tiefen Erdmantel versenkt hat. Die großräumigen Heterogenitäten manifestieren sich in den gröberen isotopischen Unterschieden der beiden Plumehälften, die kleinräumigen zeigen sich in der subtileren „Fadenstruktur“. Man mag sich fragen, wo denn nun die konzentrischen „Baumringe“ geblieben sind. Vielleicht gibt es diese doch, aber sie liegen so weit außen in der kühleren Peripherie des Plumes, dass sie außerhalb der heißeren, zentralen Schmelzregion liegen und deshalb von den Vulkanen nicht „beprobt“ werden. Mantelplumes stellen sich zunehmend als wesentliche Elemente der gesamten Erdmantelkonvektion heraus. Die allmähliche Aufdeckung ihrer internen Strukturen führt deshalb zu einem tieferen Verständnis der Mechanismen, die unseren Mutterplaneten geformt und die Entstehung von Leben überhaupt erst möglich gemacht haben.

1) Alexander Sobolev, mit dem Alexander von Humboldt-Preis und dem Wolfgang Paul-Preis ausgezeichneter russischer Wissenschaftler führt seine Studien seit mehreren Jahren am Mainzer Max-Planck-Institut für Chemie durch.

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