Forschungsbericht 2004 - Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik

Lipoprotein-Partikel als Transportvehikel für die Signalmoleküle Hedgehog und Wingless

Autoren
Panáková, Daniela; Sprong, Hein; Marois, Eric; Thiele, Christoph; Eaton, Suzanne
Abteilungen

Thiele: Lipid-Protein-Interaktionen (Dr. Christoph Thiele)
MPI für molekulare Zellbiologie und Genetik, Dresden

Eaton: Zellpolarität bei der Fruchtfliege Drosophila (Dr. Suzanne Eaton)
MPI für molekulare Zellbiologie und Genetik, Dresden

Zusammenfassung
Wingless und Hedgehog sind Signalübertragungsmoleküle (Morphogene), die von Zellen freigesetzt werden und über kurze und weite Distanzen hinweg Wachstum und Muster- oder Formbildung während der Entwicklung in Organismen kontrollieren. In der Zelle wird an beide Proteine ein Lipid angehängt, wodurch sich ihre Wasserlöslichkeit stark verringert. Der Mechanismus, mit dem sich solche hydrophoben Moleküle über weite Strecken verbreiten oder fortbewegen, ist bisher nicht bekannt. Wissenschaftler der Arbeitsgruppen von Suzanne Eaton und Christoph Thiele am MPI für molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden haben nun am Modellorganismus Drosophila (Fruchtfliege) gezeigt, dass sich Wingless, Hedgehog und andere Lipid-verankerte Proteine mit Lipoproteinen verbinden. Lipoproteine sind Komplexe aus Fetten und Proteinen und dienen normalerweise dem Transport von Fetten innnerhalb eines Organismus, sowohl bei der Fliege als auch beim Menschen. Diese Komplexe aus Lipoprotein und Wingless oder Hedgehog bewegen sich dann in den entstehenden Geweben der Fliegenlarve. Bei Larven mit verringerter Lipoprotein-Konzentration sammelt sich dementsprechend Hedgehog nur in unmittelbarer Nähe seines Entstehungsortes an und kann Signale nicht mehr über die normale Reichweite hinweg weitergeben. Ähnlich verhält es sich auch mit der Signalübertragung durch Wingless: dessen Reichweite ist ebenfalls deutlich eingeschränkt. Aufgrund dieser Beobachtungen haben die Dresdner Forscher den Lipoprotein-Partikeln eine neue Aufgabe zugewiesen, nämlich den Transport von Lipid-verankerten Proteinen. Die Lipoprotein-Partikel fungieren also quasi als kleine LKWs: Fahrzeuge, die Güter transportieren.

Im entstehenden Flügel der Fruchtfliege Drosophila kann Hedgehog über eine Entfernung von bis zu zwölf Zellen vom Produktionsort entfernt Signale übertragen, die die Expression von Zielgenen auslösen. Wingless kann Signale sogar über 30 Zelldurchmesser hinweg übertragen. Dabei sind diese Morphogene durch eine kovalente Lipid-Modifikation an der Zellmembran verankert. Wie allerdings Moleküle mit einer so starken Bindung an die Membran über weite Strecken hinweg bewegt werden, war bisher vollkommen unklar.

Wie Wingless und Hedgehog, so bewegen sich auch Proteine mit einem anderen Typ von Lipid-Anker, so genannte GPI-verankerte Proteine, von Zelle zu Zelle. Die Forscher haben beobachtet, dass GPI-verankertes, grün leuchtendes Protein (GFP), das in Zellen exprimiert wird, welche Wingless produzieren, sich im entstehenden Gewebe ähnlich verteilt wie Wingless selbst. Insofern vermuteten die Forscher des MPI-CBG nun, dass sich diese Proteine mithilfe von Membranfragmenten fortbewegen, welche sie – in Anlehnung an die über das Meer schippernden Argonauten der antiken Sagenwelt – Argosome nannten. Wie aber bilden sich solche Argosome? Eine Möglichkeit wäre, dass Argosome Membran-Exovesikel sind, das heißt kleine membranumhüllte Bläschen, die von vielen Zellen freigesetzt werden. Argosome könnten aber auch Lipoprotein-Partikeln, den Lipid-Transportern des Blutes, ähneln. Lipoprotein-Partikel bei Wirbeltieren haben ein Gerüst aus Proteinen und einer Phospholipidschicht, die einen Kern aus verestertem Cholesterin und Fetten umschließt. Insekten bilden ähnliche Partikel, so genannte Lipophorine. Proteine mit Lipid-Anhängseln (wie etwa GFP-GPI, Wingless oder Hedgehog) könnten, so die Theorie, in die äußere Phospholipidschicht eines solchen Partikels eindringen, und zwar mithilfe ihrer angehängten Lipide. Bei ihren Untersuchungen nutzen die Dresdner Wissenschaftler biochemische Analysen, um herauszufinden, welche Partikel genau mit Lipid-verankerten Proteinen zusammengehen, und genetische Arbeitstechniken, um deren genaue Funktion zu bestimmen.

Lipid-verankerte Proteine verbinden sich direkt mit Lipophorin-Partikeln

Um zu bestimmen, auf welchen Partikeln Wingless und Hedgehog von Zellen freigesetzt werden, nutzten die Dresdner Forscher einen einfachen Sachverhalt: Lipoprotein-Komplexe, membranumhüllte Vesikel und lösliche Proteine unterscheiden sich erheblich in ihrer jeweiligen Dichte. Bringt man ein Gemisch aus ihnen in einer Zentrifuge in ein starkes Schwerefeld (100.000- mal stärker als das Schwerefeld der Erde), trennt es sich in seine Bestandteile auf. Um Hedgehog und Wingless den entsprechenden Partikeln zuordnen zu können, braucht man zunächst Marker, mit denen man die Partikel eindeutig identifizieren kann. Zur Markierung der Exosomen wurde in Fruchtfliegen eine Fusion aus dem Wirbeltier-Gen CD63 mit dem grün leuchtenden Protein GFP konstruiert: Wird dieses Gen-Konstrukt exprimiert, leuchtet es grün. CD63 ist ein Protein, das sich in den inneren Vesikeln multivesikulärer Endosomen befindet. Genau diese Vesikel werden von Zellen als Exosomen freigesetzt. In den Flügelimaginalscheiben von Drosophila-Larven – aus diesen Strukturen bilden sich die Flügel der zukünftigen Fliege – kann man CD63:GFP im Inneren von denjenigen Zellen finden, in denen es erzeugt wird, was sich mit Untersuchungen bei Wirbeltieren deckt (Abb.1). Es wird dann an benachbarte Zellen abgegeben, die durchaus bis zu drei Zelldurchmesser entfernt liegen können. Dies ist ein Hinweis darauf, dass das Gen-Konstrukt in Exosomen vorkommt.

Um die Lipoprotein-Partikel zu markieren, haben die Forscher Antikörper für die Drosophila-Apolipophorine I und II (ApoLI und ApoLII) hergestellt; diese Proteine entstehen, indem ihr Vorgänger pro-Apolipophorin gespalten wird. Lipophorin entsteht bei ausgewachsenen Insekten im Fettkörper; dies wird auch untermauert durch die Tatsache, dass die Dresdner Labore keine Apolipophorin-Produktion in den Flügelimaginalscheiben finden konnten. Die Proteine ApoLI und ApoLII jedoch sind in den Imaginalscheiben genauso vertreten wie im Fettkörper.

Nun verglichen die Forscher die Sedimentation, das heißt das Verhalten in einer Zentrifugation, von Wingless, Hedgehog und GPI-Proteinen mit derjenigen von transmembranen Proteinen, von Exosomen und von Lipophorin-Partikeln. Die Plasmamembran und die exosomalen Marker bilden bei einer dreistündigen Zentrifugation mit 120.000facher Erdbeschleunigung einen Niederschlag, während die meisten ApoLII-Proteine im Überstand verbleiben. Ein großer Teil von Wingless und Hedgehog ist ebenfalls im Niederschlag zu finden, ebenso die GPI-verankerten Proteine Fasciclin, Connectin, Klingon und Acetylcholineasterase; dies war keine große Überraschung, denn diese Proteine haben eine starke Affinität zur Plasmamembran und zu anderen Membran-Kompartimenten. Erstaunlich hingegen war bei diesem Versuch in der Zentrifuge Folgendes: Ein gewisser Anteil von Wingless (6 %), Hedgehog (2 %) und GPI-Proteinen (14-22 %) verblieb im Überstand, setzte sich also beim Zentrifugieren nicht ab.

Der Überstand enthält sowohl freie, lösliche Proteine wie auch Lipoprotein-Partikel. Um diese zu trennen, führten die Forscher anschließend eine Dichtegradientenzentrifugation durch. Bei dieser Technik wird die Probe in einem Röhrchen zentrifugiert, das mit einer Zuckerlösung gefüllt ist, deren Konzentration und Dichte von oben nach unten stetig zunimmt. Dabei wandert das Lipophorin in die oberste Schicht des Dichtegradienten (geringe Dichte), während lösliche Proteine im unteren Teil mit hoher Dichte zu finden sind. GPI-Proteine sind nach dieser Zentrifugation ebenfalls in der oberen Schicht zusammen mit Lipophorin zu finden. Behandelt man allerdings das Material vor der Zentrifugation mit einem Enzym, das den GPI-Lipidanker spaltet, so ändert sich das Verhalten dieser Proteine und sie wandern an die Schicht mit hoher Dichte. Dies legt nahe, dass GPI-Proteine sich mit den Partikeln von geringer Dichte durch ihren GPI-Anker verbinden.

Ebenso verhält es sich mit zentrifugiertem Material von Larven, die Wingless oder Hedgehog in der Imaginalscheibe exprimieren: Bei einer Dichtegradientenzentrifugation finden sich diese Proteine im Dichtegradienten bei geringer Dichte gemeinsam mit ApoLII. Diese Daten legen nahe, dass derjenige Anteil von Wingless und Hedgehog, der nicht an die Membran der produzierenden Zellen gebunden ist, sich in den Imaginalscheiben auch in vivo mit den Partikeln geringer Dichte verbindet.

Einen guten Forscher zeichnet ein gesundes Misstrauen gegenüber den Ergebnissen seiner eigenen Experimente aus. Könnte es sein, dass Hedgehog oder Wingless in der lebenden Larve gar nicht auf den leichten Partikeln vorkommt, sondern dass dieses erst während des Zerkleinerns der Larve geschieht, wenn der Fettkörper und die Hemolymphe, die beide große Mengen an Lipophorin enthalten, mit den Flügelimaginalscheiben in Berührung kommen? Um dies auszuschließen, wurden die Experimente wiederholt, jedoch mit einem Unterschied: Es wurden den Larven zuerst die Imaginalscheiben entnommen und dieses reine Startmaterial, frei von Fettkörper und Hemolymphe, wurde dann zerkleinert und analysiert. Wieder waren Wingless, Hedgehog und ApoLII im Dichtegradienten bei niedriger Dichte zu finden, was beweist, dass ihre Verknüpfung mit Lipophorin nicht lediglich ein Ergebnis der Homogenisierung war. Darauf weist auch die Tatsache hin, dass Imaginalscheiben-Membranen bei Inkubation mit großen Mengen an gereinigten Lipoproteinen kein Hedgehog von den Membranen an das Lipophorin übertragen. Dies bedeutet, dass die Verbindung von Lipid-verankerten Morphogenen und Lipophorin aktiver Prozesse in der lebendigen Zelle bedarf.

Die nächste Frage war: Verbinden sich Lipid-verankerte Proteine wirklich mit Lipophorin oder handelt es sich um andere Partikel mit geringer Dichte? Dazu wurde eine so genannte Immunpräzipitation durchgeführt, das heißt aus zerkleinerten Larven wurde mittels eines Antikörpers gegen ApoLII hochspezifisch alles Material ausgefällt, das Lipophorin enthielt. Das ausgefällte Material wurde dann auf die Anwesenheit von Wingless, Hedgehog oder GPI-verankertem Protein untersucht. Ergebnis: Alle drei Proteine wurden durch Antikörper gegen ApoLII mit ausgefällt, nicht jedoch durch Antikörper gegen andere Proteine, die nicht auf Lipophorin-Partikeln zu finden sind. Daraus kann gefolgert werden: Lipid-verankerte Morphogene und GPI-verankerte Proteine verbinden sich direkt mit Lipophorin-Partikeln.

Morphogene kolokalisieren mit Lipophorin

Die Experimente hatten noch nicht die Möglichkeit ausgeschlossen, dass Wingless oder Hedgehog in dem zentrifugierten Niederschlag auch auf Exosomen vorkommen. Um hier Klarheit zu schaffen, wurde CD63:GFP in Wingless- oder Hedgehog-produzierenden Zellen exprimiert und überprüft, ob diese Morphogene mit den durch CD63:GFP-markierten Exosomen im Empfänger-Gewebe kolokalisieren. Dies konnte jedoch nicht beobachtet werden. Insofern erscheint es sehr unwahrscheinlich, dass Imaginal-Zellen Wingless oder Hedgehog an Exosome abgeben.

Kolokalisiert Wingless oder Hedgehog mit Lipoprotein-Partikeln? Um auf diese Frage eine Antwort zu erhalten, inkubierten die Forscher des MPI-CBG Imaginal-Zellen mit gereinigten Lipophorin-Partikeln, die den leuchtenden Marker Alexa488 trugen. Eine Immunfärbung hat gezeigt, dass Wingless und Hedgehog in den selben Endosomen zu finden sind wie Alexa488-Lipophorin (Abb. 2). Was für die Wissenschaftler keine Überraschung war: Die Aufnahme von Lipophorin ist nicht begrenzt auf Regionen, wo auch die Morphogene vermehrt anzutreffen sind; denn Lipophorin hat auch eine Nährstoff-Funktion, weshalb es durch eine Vielzahl von Zellen aufgenommen wird. Lipophorin kolokalisiert stark mit Lipid-verankerten Morphogenen, wenn Wingless und Hedgehog gemeinsam mit Lipophorin durch Endozytose in die Zelle aufgenommen werden. Allerdings: Einen letzten Beweis dafür, dass die Proteine nicht separat in die Zelle gelangten und ebenfalls separat in den Endosomen zusammenkamen, gibt es bisher nicht.

Lipophorin–RNAi stört den Lipid-Transport

Um die Rolle, die Lipophorin beim Wachstum und bei der Entwicklung von Fliegenlarven genau spielt, näher bestimmen zu können, wurde mithilfe der RNAi-Technik die Konzentration von Apolipophorin-Messenger-RNA und daraus folgend die Konzentration der Proteine ApoLI und II verringert. Um sicherzugehen, wurden zwei unabhängige Versuche mit RNAi gegen zwei verschiedene Bereiche der Apo-L-Messenger-RNA durchgeführt; beide brachten ähnliche Ergebnisse.

Ob Lipophorin Voraussetzung für den Lipid-Transport ist, wurde untersucht, indem zunächst die Anreicherung von Fett in Larven-Geweben untersucht wurde – dies lässt sich durch die Einfärbung mit dem Farbstoff Nile Red erreichen. Zellen des Mitteldarms enthalten normalerweise viele kleine Lipid-Tröpfchen, in denen Fette aus der aufgenommenen Nahrung zwischengespeichert werden. Reduziert man die Konzentration von Lipophorin, löst dies eine dramatische Steigerung der Anzahl dieser Tröpfchen aus. Der Schluss, den man daraus ziehen kann: Lipophorin wird benötigt, um Lipid auf effiziente Weise aus dem Mitteldarm herauszutransportieren.

Die Fettkörper von Wildtyp-Larven weisen kleine und große Lipid-Tröpfchen auf. Die Fettkörper von Larven, bei denen mit der RNAi-Technik die Konzentration von Lipophorin erniedrigt wurde, haben eine deutlich geringere Größe und weisen auch weniger kleine Lipid-Tröpfchen auf, wobei die Zahl der größeren Tröpfchen normal zu bleiben schien. Diese Daten legen ebenfalls nahe, dass Lipophorin benötigt wird, um Lipid an den Fettkörper zu liefern.

Die Lipid-Tröpfchen in den Imaginalscheiben von Larven, in denen mit der RNAi-Technik die Konzentration von Lipophorin erniedrigt wurde, sind kleiner und weniger häufig als bei Wildtyp-Larven. Ihre Imaginalscheiben sind ebenfalls von geringerer Größe. Auch hier scheint zu gelten: Die Imaginalscheiben benötigen Lipophorin, um Lipid-Tröpfchen anzureichern sowie auch für das Wachstum allgemein.

Lipophorin ist nötig für das Funktionieren von Hedgehog

Dieselbe Technik – Erniedrigung der Lipophorin-Konzentration durch RNAi – wurde verwendet, um in den Imaginalscheiben von Larven zu testen, ob die Verbindung mit Lipophorin eine Voraussetzung für das Funktionieren von Hedgehog, also für seine Ausbreitung und Signalübermittlung ist. In den Imaginalscheiben von Wildtyp-Larven wird Hedgehog nur in einem bestimmten Teil, dem posterioren Kompartiment, freigesetzt, wandert von dort über die anteriore-posteriore (AP) Kompartiment-Grenze hinweg und löst die Aktivierung von Kurzstrecken- und Langstrecken-Zielgenen aus. Die Zellen, die in nächster Nähe zum Entstehungsort von Hedgehog liegen, werden von Hedgehog angeregt, die Proteine Collier und Patched zu produzieren. Weiter entfernt vom Entstehungsort aktiviert Hedgehog das Protein Decapentaplegic (dpp). Die Forscher verglichen nun das Vorkommen von Collier und einem Konstrukt, das Decapentaplegic nachweisen kann (dpplacZ), sowohl in Wildtyp-Zellen als auch in Zellen, in denen die Lipophorin-Konzentration mit RNAi verringert war; beide wurden parallel eingefärbt und unter gleichen Konditionen mikroskopiert. Die Imaginalscheiben von RNAi-behandelten Larven-Zellen aktivierten Collier mindestens ebenso effizient wie die unbehandelten Zellen. Im Gegensatz dazu ist aber die Aktivierung von dppLacZ in den Imaginalscheiben von Larven mit reduzierter Lipophorin-Konzentration bedeutend geringer. Das Konstrukt dppLacZ wird in Wildtyp-Larven auch noch bis zu elf Zellen entfernt von der AP-Kompartiment-Grenze gefunden, bei den RNAi- bearbeiteten Larven jedoch nur bis zu sechs Zellen entfernt. Dies verdeutlicht: Das Fehlen von Lipophorin schränkt die Signalübermittlung durch Hedgehog deutlich ein.

Nun galt es herauszufinden, ob sich auch das Transportverhalten von Hedgehog ändert. Dazu wurden in Imaginalscheiben Hedgehog und Patched durch eine Färbetechnik sichtbar gemacht. In den Wildtyp-Zellen wandert Hedgehog zum anterioren Kompartiment, wo es in Endosomen aufzufinden ist, oft gemeinsam mit Patched. Endosomen sind zelluläre Strukturen, in denen Material, das von außen durch Endozytose aufgenommen wurde, gesammelt und sortiert wird. Eine von Patched vermittelte Endozytose hält man allgemein für den Auslöser dafür, dass Hedgehog von Zellen aufgenommen und dadurch in seiner Ausbreitung eingeschränkt wird. Hedgehog ist bis zu fünf Zellen von der AP-Kompartiment-Grenze entfernt reichlich vorhanden; obwohl Hedgehog Signale über weite Strecken übertragen kann, ist die Farb-Markierung in diesem entfernteren Bereich bei Wildtyp-Zellen kaum noch zu erkennen. Ganz anders bei den Zellen, bei denen ein Lipophorin-Knockout vorgenommen wurde: Hedgehog war hier in den ersten fünf Reihen der anterioren Zellen in einer abnormal hohen Konzentration vorhanden – die Dresdner Forscher zählten etwa 380 Hedgehog-Leuchtpunkte in den ersten 10 µm des Gewebes im Wildtyp, in den RNAi-bearbeiteten Zellen hingegen waren es in dieser Region 1.208 Leuchtpunkte. Das konzentrierte Hedgehog kolokalisiert vornehmlich mit Patched in den Endosomen. Eine weitere Beobachtung: Patched ist hier häufiger gemeinsam mit Hedgehog in den Endosomen zu finden als dies in den Wildtyp-Zellen der Fall wäre. Insofern stützen diese Daten die Vermutung, dass ein Lipophorin-Knockout entweder die Häufigkeit einer von Patched vermittelten Endozytose erhöht oder den anschließenden Abbau des Proteins verhindert.

Die Wissenschaftler fragten sich, ob das Ausschalten von Lipophorin sich vielleicht auch indirekt auf den Transport von Hedgehog auswirken könnte, indem etwa die Abgabe eines benötigten Kofaktors eines anderen Larven-Gewebes unterbunden wird. Dieser Frage gingen sie nach, indem sie explantierten Imaginalscheiben, bei denen wiederum Lipophorin durch RNAi ausgeschaltet war, gereinigte Lipophorin-Partikel zugaben und die Verteilung von Hedgehog und Patched untersuchten. Die außergewöhnlich hohe Konzentration von Hedgehog und Patched in diesen Imaginalscheiben wurde durch eine zweistündige Inkubation mit Lipophorin-Partikeln stark reduziert. Lipophorin kontrolliert also direkt in den Imaginalscheiben den Hedgehog-Transport, wobei durch diese Untersuchungen noch nicht ausgeschlossen werden kann, dass es die Signalübermittlung durch Hedgehog nur indirekt beeinflusst.

Die Fruchtfliege Drosophila benötigt zum Wachstum Sterole wie beispielsweise Cholesterin, kann dieses aber nicht selbst synthetisieren und ist deshalb abhängig von Ernährungsquellen, die reich an Sterolen sind, im speziellen Hefe. Um die Auswirkungen einer reduzierten Aufnahme von Sterolen oder anderen Lipiden auf die Entwicklung der Larve unabhängig vom Lipophorin zu untersuchen, wurden die Larven einer Lipid-Mangelernährung ausgesetzt. Larven wurden zunächst für zwei bis drei Tage auf Platten gehalten, auf denen sie sich von Zuckern sowie Hefe ernähren konnten. Dann wurden sie auf Platten umgesetzt, die ein lipidfreies Hefe-Autolysat statt Hefe enthielten. Die Entwicklung dieser Larven wird eindeutig verlangsamt; nach sieben Tagen Lipid-Entzug sind ihre Imaginalscheiben bedeutend kleiner als diejenigen von normal ernährter Drosophila vergleichbarer Entwicklungsstadien. Die mit Hefe gefütterten Larven hingegen verpuppen sich in diesem Stadium bereits. Ein Lipid-Mangel blockiert also das Wachstum der Imaginalscheiben.

In einem nächsten Schritt sollte die Auswirkung eines solchen Lipid-Entzugs auf den Transport und die Signalübermittlung von Hedgehog untersucht werden. Dazu wurde bei Larven zwei Tage nach dem Schlüpfen die Lipid-Zufuhr eingestellt und sechs Tage später ihre Imaginalscheibe eingefärbt. Bei der Hedgehog- und Patched-Verteilung konnte im Vergleich zu den Imaginalscheiben gleicher Größe bei jüngeren, aber mit Hefe gefütterten Larven kein Unterschied festgestellt werden. Auch die Häufigkeit der Dpp- und Collier-Expression zeigte keine auffälligen Abweichungen in den beiden Testpopulationen. Insofern gleicht ein Lipid-Entzug in Hinsicht auf Transport und Signalübermittlung durch Hedgehog nicht dem Verlust von Lipophorin. Die Spekulationen der Wissenschaftler des MPI-CBG gehen dahin, dass ein durch Lipid-Entzug ausgelöster Wachstums-Stopp ein Abfallen der Konzentration von Membran-Sterolen in einem Ausmaß verhindert, bei dem es den Hedgehog-Signalweg stören würde. Lipophorin hat also keinen indirekten Einfluss auf den Hedgehog-Signalweg durch Lipid-Entzug.

Lipophorin ist nötig für das Funktionieren von Wingless

Auch die Verteilung von Wingless wurde untersucht, um herauszufinden, ob die Verringerung von Lipophorin durch RNAi das Transportverhalten von Wingless beeinflusst. In Imaginalscheiben mit reduziertem Lipophorin ist Wingless außerhalb der Zellen auf beiden Seiten der Zellschicht weniger häufig und verbreitet sich nur über kurze Distanzen. Auffällige Veränderungen des Wingless-Vorkommens innerhalb der Zellen konnten nicht festgestellt werden. Lipophorin fördert also die Ansammlung von Wingless außerhalb der Zellen.

Wird Lipophorin auch für das Funktionieren des Wingless-Signalwegs benötigt? In Versuchen zeigte sich, dass eine Verringerung von Lipophorin speziell die Signalübermittlung von Wingless über weite Strecken stört. Untersucht wurden dazu zwei Zielgene: Senseless entsteht nahe der Wingless-Quelle und seine Expression wird durch ein Fehlen von Lipophorin nicht beeinflusst. Distalless wird normalerweise als Gradient über das gesamte Gewebe hinweg produziert. In Imaginalscheiben mit reduziertem Lipophorin aber ist der Distalless-Gradient ungewöhnlich schmal. Die Dresdner Untersuchungen haben also ein neues Prinzip in den Raum gestellt: Lipid-verankerte Proteine der Zellaußenseite verbinden sich mit Lipoproteinen. Darunter sind viele GPI-Proteine mit unterschiedlichsten Funktionen und auch die Morphogene Wingless und Hedgehog. Dieser Mechanismus erlaubt den Transport von Lipid-verankerten Proteinen über weite Strecken hinweg – wie genau dies jedoch abläuft, ist noch nicht erforscht. Die Entdeckung, dass diese Proteine sowohl in einer Membran-verankerten als auch einer Lipoprotein-verankerten Form existieren, lassen die Folgerung zu, dass ein reversibles Binden an Lipoprotein-Partikel der grundlegende Mechanismus für diesen interzellulären Transport ist. Die oben erläuterten Auswirkungen einer Verringerung der Lipoprotein-Konzentration in Drosophila-Larven untermauern diese Annahme.

Bei einem Lipophorin-Knockdown wird die Reichweite der Signalwege von Wingless und Hedgehog verringert. Hedgehog sammelt sich in einer ungewöhnlich hohen Konzentration in Zellen unweit des Entstehungsortes an, eine Signalübertragung über weite Strecken ist gestört; Zielgene in näherer Umgebung hingegen werden ganz normal exprimiert. Dies ist ein Anhaltspunkt dafür, dass Hedgehog nicht in der Lage ist, weite Strecken zurückzulegen, wenn die Lipophorin-Konzentration niedrig ist. Die Reichweite von Hedgehog wird normalerweise durch die von Patched vermittelte Endozytose eingeschränkt. In Imaginalscheiben mit einem Lipophorin-Knockdown kolokalisiert das angesammelte Hedgehog mit Patched in Endosomen, es scheint also durch Patched erfolgreicher aufgenommen zu werden. Wie wirkt Lipophorin dieser von Patched ausgelösten Aufnahme entgegen und verhilft Hedgehog so zu einer größeren Reichweite?

Die Ergebnisse der Untersuchungen in den Dresdner Labors haben vor allem gezeigt, dass Lipophorin durchgehend für Bewegung und Transport, nicht nur für die Freisetzung von Morphogenen benötigt wird. Wären Lipophorine wirklich nur für die Freisetzung von Hedgehog ein wichtiger Faktor, so sollte bei einem Lipophorin-Knockdown im Empfängergewebe das Vorkommen von Hedgehog doch eher sinken; dies scheint aber nicht der Fall zu sein. Desweiteren ist eine veränderte Signalübermittlung durch Hedgehog im Empfängergewebe im Einklang mit einem Modell, bei dem Lipophorin für jeden Schritt des interzellulären Transports benötigt wird. Die Forscher des MPI-CBG hegen die Vermutung, dass eine reversible Verknüpfung von Hedgehog mit Lipoprotein-Partikeln den Transfer von der Plasmamembran einer Zelle zur Plasmamembran der nächsten Zelle erleichtert. Dieses Modell würde bedeuten, dass sich bei einer verringerten Lipophorin-Konzentration die Zeitspanne verlängert, während der sich Hedgehog in der Plasmamembran aufhält, bevor es sich mit Lipophorin verbindet. Dies würde seine Transferrate abbremsen und die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Patched eine Endozytose einleitet, bevor Hedgehog die nächste Zelle erreicht hat. Hedgehog würde so sehr effizient Signale über kurze Strecken hinweg übermitteln, würde aber in so hohem Maße von Patched aufgenommen werden, dass nur wenige Proteine weit entfernte Zielgene erreichen und aktivieren könnten. Diese Annahmen decken sich vollkommen mit dem, was die Dresdner Forscher beobachtet haben.

Dieses Modell weicht in einigen Punkten vom ursprünglichen Konzept der Funktionsweisen von Argosomen ab. Ursprünglich vermuteten die Wissenschaftler, dass Argosomen Exosom-ähnliche Partikel sind, mit einer intakten Membran-Doppelschicht, und dass Lipid-verankerte Morphogene mit diesen Partikeln kombiniert werden müssten, um von den Hersteller-Zellen freigesetzt zu werden. Nun hat sich aber herausgestellt, dass Argosome exogene Lipoproteine sind, die die Bewegung von Morphogenen durch das Gewebe ermöglichen und erleichtern. Wie sich Morphogene mit Argosomen verbinden, wie die Verbreitung reguliert wird und wie sie mit Zellen in Wechselwirkung treten – dies alles sind noch offene Fragen. Sicherlich sind Heperansulphat-Proteoglykane unerlässlich für die Fortbewegung von Hedgehog und Wingless ins Zielgewebe. Da Heperansulphat an Lipoproteine in Wirbeltieren bindet, könnte man spekulieren, dass Heperansulphat-Proteoglykane (HSPGs) den Morphogen-Transport durch Lipoprotein-Bindung ermöglichen. Umgekehrt entdeckten die Forscher des MPI-CBG aber viele GPI-Proteine, darunter auch die Heperansulphat-Proteoglykane Dally und Dally-like, auf Lipoproteinen. Diese angedockten Proteine haben das Potenzial, die Affinität und Transporteigenschaften der Lipoproteine und der Morphogene, die diese tragen, zu verändern.
Die Ergebnisse legen nahe, dass Lipophorin-Partikel nicht nur beim interzellulären Transport von Hedgehog vermitteln, sondern gemeinsam mit dem Morphogen durch Endozytose in die Zelle aufgenommen werden könnten. Interessanterweise konnte gezeigt werden, dass die Lipoproteinrezeptoren Arrow und Megalin eine Rolle beim Wingless-Signalweg beziehungsweise der Hedgehog-Endozytose spielen. Könnten diese Rezeptoren auch für die Wechselwirkung mit der Lipoprotein-verankerten Form der Morphogene wichtig sein? Cholesterin kann die Aktivität des Hedgehog-Signalweges an vielen verschiedenen Punkten verändern. Ob Schwankungen der Cholesterin-Konzentration in der Zelle auch für das Funktionieren des Signalweges eine Rolle spielen, ist aber vollkommen unklar. Die Ergebnisse haben gezeigt, dass Hedgehog mit dem Partikel interagiert, der Sterole an die Zelle abgibt. Diese Beobachtung gibt auch Anlass zu der Vermutung, dass die Aufnahme von Hedgehog mit der Sterol-Aufnahme verknüpft ist. Dies würde neue Möglichkeiten eröffnen, um Zusammenhänge zu sehen zwischen Nahrungsaufnahme, Wachstum und Signalübermittlung während der Entwicklung.

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