Forschungsbericht 2003 - Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie

Erforschung der Diversität mikrobieller Prozesse und Lebensräume im Meer

Autoren
Jørgensen, Bo Barker
Abteilungen

Biogeochemie (Prof. Dr. Bo Jørgensen)
MPI für marine Mikrobiologie, Bremen

Zusammenfassung
Im Meeresboden wird organisches Material abgelagert und abgebaut, das in der oberen Wassersäule von Planktonalgen produziert wurde. Wenige mm bis cm unterhalb der Oberfläche ist der Meeresboden eine sauerstofffreie Welt, wo eine Vielfalt alternativer Oxidanten für die Respiration der anaeroben Mikroorganismen zur Verfügung stehen, z.B. Nitrat, Sulfat oder Metalloxide von Mangan und Eisen. Die Stoffwechselprodukte der anaeroben Mikroorganismen - wie Ammonium, Schwefelwasserstoff oder Metallionen - sind energiereich und werden von anderen, chemolithotrophen Mikroorganismen als Energiequelle benutzt. Dadurch entsteht eine Kaskade von Redoxprozessen im Meeresboden, initiert vom abgelagerten organischen Material und gekoppelt mit Kreisläufen von Sauerstoff, Stickstoff, Eisen, Mangan, Schwefel und anderen Elementen. Die Redoxprozesse sind überwiegend von Mikroorganismen katalysiert, deren Diversität und physiologisches Potienzial noch unzureichend bekannt sind. Es ist die Forschungsaufgabe der Arbeitsgruppe Biogeochemie, diese Prozesse und ihre Mikrobiologie, Steuerung und Wechselwirkung mit der abiotischen Umwelt zu erforschen.

Die Arbeitsgebiete der Abteilung Biogeochemie umfassen sowohl Standorte "vor der Haustür" im Wattenmeer als auch Standorte in der Nordsee und Ostsee, im Schwarzen Meer, im hohen Arktis um Spitzbergen und in Hochproduktionsgebieten vor Südwest-Afrika und Südamerika (Abb. 1). Die Forschungswerkzeuge umfassen eine Vielfalt analytischer Techniken, radioaktive und stabile Isotopen und Modellierung. Viele der Forschungsaufgaben können nur durch die Integration von Methoden und Konzepten aus der Biogeochemie, Mikrobiologie und Molekularbiologie durchgeführt werden. Ein Beispiel ist die Entdeckung syntropher Aggregate von Bakterien und Archaeen, die an der anaerobe Methanoxidation im Meeresboden beteiligt sind, einer der global wichtigsten biogeochemischen Prozesse. Die Erforschung der Methanoxidation ist jetzt ein Hauptthema der Mikrobielle Habitat-Gruppe, die 2003 unter der Leitung von Dr. Antje Boetius etabliert wurde. Im folgenden werden einige andere Forschungsprojekte aus der AG Biogeochemie beispielhaft beschrieben.

Anaerobe Ammoniumoxidation - ein neuer Prozess im marinen Stickstoffkreislauf
Nitrat spielt als Nährsalz eine entscheidende Rolle für die Regulierung des Algenwachstums und damit für die Produktivität des Ozeans. Anaerobe Bakterien im Meeresboden und in Sauerstoffarmen Meeresgebieten können mit Nitrat atmen und das Nitrat zu atmosphärischem Stickstoff (N2) umwandeln. Dieser Prozess war über Jahrzehnte als Hauptsenke für Stickstoff im Ozean bekannt, eine Senke die überwiegend von N2-fixierenden Mikroorganismen bilanziert wurde. Vor wenigen Jahren wurden aber in einem industriellen Bioreaktor anaerobe Bakterien entdeckt, die Nitrit mit Ammonium direkt zu N2 umwandeln konnten. Dieser neuartige Stoffwechsel wurde Anammox genannt (Anaerobe Ammonium-Oxidation) und wurde zunächst als exotischer Prozess in Bioreaktoren betrachtet.
Während einer Expedition 2001 mit dem deutschen Forschungsschiff RV Meteor im Schwarzen Meer haben wir den Anammox-Prozess zum ersten Mal im Meerwasser gesucht und tatsächlich gefunden. Das Schwarze Meer ist unterhalb 70-150 m Wassertiefe das größte sauerstofffreie Becken der Welt und akkumuliert hohe Konzentrationen von Ammonium. In Kooperation mit dem Institut für Ostseeforschung wurde ein Pumpsystem für die kontinuierliche Probennahme und chemische Analyse durch die Wassersäule entwickelt. In ca. 90m Wassertiefe zeigte die chemische Zonierung von Nitrat, Nitrit und Ammonium ideale Bedingungen für Anammox. Der Prozess konnte durch drei unabhängige Analysen nachgewiesen werden (Abb. 2)

A) Experimente mit isotopmarkiertem Nitrat (15NO3-), das anaerob zu 15N2 umgewandelt wurde; B) Nachweis einzigartiger Membranlipide (Ladderane), die bisher nur aus Anammox-Bakterien bekannt sind; C) Identifikation von Anammox-Zellen mittels fluoreszensmarkierten DNA-Sonden, die für diese Organismen spezifisch sind.

Die Perspektiven dieser Entdeckung im Schwarzen Meer - und ähnliche Ergebnisse im Auftriebssystem vor Namibia - sind weitreichend. Anammox stellt eine zusätzliche Nährstoffsenke dar, die nach der letzten Einschätzung 40% des Gesammtverlustes von Stickstoffnährsalz im Ozean ausmachen könnte. Die künftige Forschung soll die Steuerung des Prozesses und seinen Beitrag zur Stickstoffbilanz in Hochproduktionsgebieten analysieren. (Kuypers, M. M. M., A. O. Sliekers, G. Lavik, M. Schmid, B. B. Jørgensen, J. G. Kuenen, J. S. Sinninghe Damsté, M. Strous & M. S. M. Jetten (2003) Anaerobic ammonium oxidation by anammox bacteria in the Black Sea. Nature, 422: 608-611.)

Tiefe Biosphäre im Meeresboden

Die global grösste Reserve von organischem Kohlenstoff liegt tief im Meeresboden begraben, hunderte Meter unter der Oberfläche, in Sedimenten die Millionen Jahre alt sind. Hochrechnungen der Bakterienpopulationen, die in diesen tiefen Sedimentschichten leben, zeigen, dass hier vielleicht 10% der lebenden Biomasse auf der Erde vorkommt. Die Erforschung der Diversität, Aktivität und Anpassung dieser tiefen Biosphäre ist konzeptionell und methodisch eine spannende Herausforderung.
Die erste Forschungsfahrt des internationalen "Ocean Drilling Program" mit Fokus auf die tiefe Biosphäre fand 2002 im östlichen equatorialen Pazifik mit Teilnahme und Leitung aus der AG Biogeochemie statt. In Wassertiefen von 150 bis 5300 m wurde bis 420 m tief in den Meeresboden gebohrt und Sedimentkerne mit einem Alter von 0 bis 40 Millionen Jahren beprobt. Durch moderne Bohrtechnologie und sorgfältige Kontrollen konnten Proben gewonnen werden, die von Oberflächenbakterien unkontaminiert waren, eine Voraussetzung für die mikrobiologische Erforschung der tiefen Biosphäre. Überall in den Sedimenten wurden Bakterienzellen gefunden und ihr Stoffwechsel durch experimentelle Messungen der Sulfatreduktion nachgewiesen (Abb. 3).

Die Ausbreitung der Bakterien und ihre Aktivität sind mit der chemischen Zonierung und der lithologischen Eigenschaften des Sediments eng gekoppelt.
Eine Anreicherung und Kultivierung von Bakterien aus den tiefen Sedimenten ist schwierig und geht sehr langsam voran, aber mit angepassten molekularbiologischen Methoden können die Bakterienpopulationen auch ohne Kultivierung charakterisiert werden. Eine quantitative PCR- Methode wurde entwickelt, womit mRNA der Schlüsselgene 16S rRNA (diagnostisch für die Phylogenie) und DSR (dissimilatorische Sulfitreduktase, diagnostisch für sulfatreduzierende Bakterien) analysiert werden konnte. Die Kombination der hochempfindlichen Prozessmessungen und Quantifizierung spezifischer Bakterienpopulationen sollen zeigen, ob die Mikroorganismen metabolisch aktiv oder zum Teil inaktiv - oder sogar tot - sind. Die Erforschung der tiefen Biosphäre setzt eine methodische Weiterentwicklung voraus, bleibt aber eine faszinierende Herausforderung an der Grenze des Lebens. (D’Hondt, S., B. B. Jørgensen, J. Miller et. al. (2003) Proc. ODP, Init. Repts., 201 [CD-ROM ]. Available from: Ocean Drilling Program, Texas A&M University, College Station TX 77845-9547, USA).

Schwefel- und Methankreisläufe im Auftriebssystem vor Namibia

Die Küstengewässer vor Namibia sind durch den Auftrieb von tieferem Meerwasser extrem nährstoffreich und gehören zu den produktivsten Gebieten des Meeres. Durch die Sedimentation und den Abbau von absterbenden Planktonorganismen ist die untere Wassersäule sauerstoffarm und der Meeresboden mit organischem Material stark angereichert. Der Schelf vor Namibia ist somit ein natürliches Labor für die Erforschung der Kohlenstoff-, Schwefel- und Nährstoffkreisläufe unter Extrembedingungen. Die AG Biogeochemie betreibt in diesem Gebiet ein langjähriges Forschungsprogramm in Kooperation mit deutschen Kollegen und Kollegen aus Namibia, wobei die saisonalen und interannuellen Variationen der biogeochemischen Prozesse und mikrobiellen Populationen analysiert werden.
Unter den Zentren des Küstenauftriebs ist wegen der hohen Sulfatreduktion im Sediment die Sulfatzone auf wenige Dezimeter begrenzt. Darunter findet eine intensive Methanproduktion statt, und tiefer im Meeresboden entwickeln sich Gasblasen (Abb. 4).

Die Gasakkumulation kann im Extremfall zu einer Instabilität des Meeresbodens führen, wonach die oberen Meter des Sediments wie eine neugeborene Insel zur Wasseroberfläche steigen und dort langsam das Gas an die Atmosphäre abgibt. Eruptionen von Gas finden in den Küstengewässern vor Namibia regelmäßig statt und reißen stinkenden und giftigen Schwefelwasserstoff mit sich. Der Schwefelwasserstoff verursacht Massensterben von Fischen und Hummern, die an die Küste getrieben werden. Der Schwefelwasserstoff wird zum Teil durch Oxidation zu partikulärem Elementarschwefel in der oberen Wassersäule zurückgehalten. Kürzlich sind sogar aus Satellitenphotos gelbe Wolken von Elementarschwefel im Wasser vor Namibia entdeckt worden, die sich über hunderte Kilometer ausdehnten.

Der Meeresboden ist von einzigartigen Schwefelbakterien mit extremer Zellgröße dicht besiedelt, wovon einige kugelförmig sind (Thiomargarita) während andere multizelluläre Fäden bilden (Beggiatoa), die sich durch das Sediment ständig bewegen. Diese Bakterien besitzen in jeder Zelle eine wässrige Vakuole, worin Nitrat zu einer Konzentration von bis zu 0.5 Molar gespeichert wird. Die Bakterien können mit diesem Nitrat den umgebenden Schwefelwasserstoff oxidieren und bilden somit eine Barriere gegen die Sulfidemission aus dem Meeresboden. Das Nitrat wird überwiegend zu Ammonium reduziert, wodurch die Schwefelbakterien mit den normalen denitrifizierenden Bakterien im Meeresboden konkurrieren und dem Abbau von Stickstoffnährsalz im Küstenökosystem entgegenwirken. Die Regulierung der Prozesse wird mit 15N-markiertem Nitrat experimentell untersucht mit dem Ziel, eine Budgetierung der Prozesse zum ersten Mal zu ermöglichen (Brüchert, V., B. B. Jørgensen, K. Neumann, D. Riechmann, M. Schlösser & H. Schulz. (2003) Regulation of bacterial sulfate reduction and hydrogen sulfide fluxes in the central Namibian coastal upwelling zone. Geochim. Cosmochim. Acta, 67: 4505-4518).

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