Forschungsbericht 2003 - Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht

Prospekt- und Kapitalmarktinformationshaftung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, der Schweiz und den USA

Autoren
Hopt, Klaus J.; Voigt, Hans-Christoph
Abteilungen

Privat-, Handels- und Wirtschaftsrecht
MPI für ausländ. und internat. Privatrecht, Hamburg

Zusammenfassung
Am 31. Dezember 2003 ist die neue EU-Prospektrichtlinie (Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates) in Kraft getreten. Sie ersetzt die bisherige Börsenzulassungs- und die Emissionsprospektrichtlinie und fasst die Bedingungen für die Erstellung, Billigung und Verbreitung von Wertpapierprospekten erstmals in einem einheitlichen Text zusammen. Ziel der Richtlinie ist die Verbesserung des Anlegerschutzes. Der einzelne Anleger soll durch vollständige und zutreffende Information über den Emittenten und das Wertpapier in die Lage versetzt werden, eine informierte Anlageentscheidung zu treffen und die Risiken einer Wertpapieranlage richtig einzuschätzen. Allerdings enthält die Prospektrichtlinie keine De-minimis-Regelung der zivilrechtlichen Haftung für fehlerhafte oder unvollständige Prospektangaben. Dies führt auch künftig zur Anwendung unterschiedlicher nationaler Haftungsregelungen, was die gemeinschaftsweite Kapitalaufnahme behindert. Die vom Bundesministerium der Finanzen in Auftrag gegebene, funktional-rechtsvergleichende Studie des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht untersucht die verschiedenen Haftungsordnungen und versucht darauf aufbauend, Ansatzpunkte für eine künftige Harmonisierung der zivilrechtlichen Prospekthaftung aufzuzeigen.

Seit dem 31. Dezember 2003 ist die neue EU-Prospektrichtlinie (Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates) wirksam. Diese Richtlinie setzt Standards für den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist. Sie ersetzt die bisherige Börsenzulassungs- und die Emissionsprospektrichtlinie und fasst die Bedingungen für die Erstellung, Billigung und Verbreitung von Wertpapierprospekten erstmals in einem einheitlichen Text zusammen. Die Richtlinie ist ein zentraler Bestandteil des EU-Aktionsplans für Finanzdienstleistungen (FSAP) und der Initiative zur Schaffung eines integrierten europäischen Wertpapiermarktes.

Ziele der Richtlinie: Markteffizienz und Anlegerschutz

Die Richtlinie verfolgt zwei große Ziele: Zunächst und zuvorderst will sie die Markteffizienz bei Wertpapieremissionen steigern, indem sie die Rahmenbedingungen für gemeinschaftsweite Kapitalanlagen und Kapitalbeschaffung verbessert und einem möglichst weiten Kreis von Unternehmen einschließlich kleinerer und mittlerer Unternehmen (KMU) den Zugang zum Anlagekapital erleichtert. Ein wichtiger Schritt hin zu diesem Ziel ist ein einheitlicher europäischer Pass für Emittenten, der an die Stelle des lückenhaften und komplizierten Systems der gegenseitigen Anerkennung der Prospekte tritt. Die Emittenten können nun nach Genehmigung des Prospekts durch die Behörden ihres Herkunftsmitgliedstaates EU-weit Kapital aufnehmen, ohne weitere bürokratische Hindernisse überwinden zu müssen (Prinzip der Einmalzulassung).

Das andere große Ziel der neuen Prospektrichtlinie liegt in der Stärkung des Anlegerschutzes. Anlagen in Wertpapieren sind naturgemäß mit Risiken behaftet. Diese Risiken richtig einschätzen und eine wohlüberlegte Anlageentscheidung treffen zu können, ist eine wesentliche Voraussetzung für das Vertrauen der Anleger in die Wertpapiermärkte. Einzelne Anleger sind regelmäßig nicht in der Lage, sich selbst ausreichende Informationen zu beschaffen, weil entweder die Transaktionskosten hierfür zu hoch oder die eigene Nachfragemacht zu gering sind. Daher ist es Aufgabe des Gesetzgebers, durch institutionelle Vorkehrungen eine hinreichende Informationsversorgung des Anlegerpublikums sicherzustellen und das Wissensgefälle zwischen den Marktgegenseiten auszugleichen. Eine dieser institutionellen Vorkehrungen sind die europarechtlich vorgegebenen Prospektstandards.

Wirksamer Anlegerschutz bedingt jedoch nicht nur ein hohes Maß an zutreffender und vollständiger Information im Vorfeld einer Transaktionsentscheidung, sondern auch wirkungsvolle Sanktionen für den Fall, dass Informationspflichten nicht erfüllt werden. Gibt es diese Sanktionen nicht, hat der Prospektverantwortliche wenig Anreiz, seinen Pflichten ausreichend nachzukommen. In diesem Punkt offenbart sich eine Schwäche der neuen Prospektrichtlinie. Sie weist die Mitgliedstaaten lediglich an, sicherzustellen, dass ihre Rechts- und Verwaltungsvorschriften im Bereich der Haftung für die Personen gelten, die für die in einem Prospekt enthaltenen Angaben verantwortlich sind. Sie schreibt aber keine Vereinheitlichung der Haftungsvorschriften mit Blick auf die zivilrechtliche Verantwortlichkeit für fehlerhafte Wertpapierprospekte vor. Demnach werden auch künftig unterschiedliche nationale Haftungsregelungen angewandt werden. Dies ist nicht nur aus Sicht der geschädigten Anleger unbefriedigend, sondern auch aus Sicht der Emittenten, die sich gerade bei grenzüberschreitender Kapitalaufnahme erheblichen Kosten und Unsicherheiten ausgesetzt sehen.

Der Weg zu europaweit einheitlichen Haftungsvorschriften

Bereits frühzeitig hat sich daher die deutsche Verhandlungsdelegation in Brüssel dafür eingesetzt, die zivilrechtliche Haftung für fehlerhafte Wertpapierprospekte zumindest in ihren Grundzügen gemeinschaftsweit zu harmonisieren. Allerdings wurde dieser Vorstoß erschwert, weil systematisch aufbereitete Informationen über die Vorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten zur Prospekthaftung fehlten. Vor diesem Hintergrund beauftragte das Bundesministerium der Finanzen das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht unter Federführung seines Direktors Prof. Klaus J. Hopt und des wissenschaftlichen Referenten Assessor Hans-Christoph Voigt im Herbst 2002, eine funktional-rechtsvergleichende Studie über die Prospekthaftung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft zu erstellen. Ziel dieser Studie war es, Ansatzpunkte für eine Harmonisierung des Prospekthaftungsrechts aufzuzeigen. Die Studie wurde im Frühjahr 2003 abgeschlossen [1]-[3]. Namhafte in- und ausländische Professoren und Praktiker haben mitgewirkt, darunter: Paul Krüger Andersen (Dänemark), Ulrich Ehricke (Deutschland), Guido Ferrarini (Italien), Susanne Kalss (Österreich), Ulrich Magnus (Irland), Matti J. Sillanpää und Jukka Mähönen (Finnland), Rolf Skog (Schweden) und Levinus Timmermann (Niederlande).

Die Studie hat ergeben, dass die größten Unterschiede zwischen den nationalen Haftungsregelungen nicht in der Frage des "Ob" einer Haftung für kapitalmarktrechtliche Informationspflichtverletzungen bestehen, sondern in der Frage des "Wie", also in der konkreten Ausgestaltung. In allen Mitgliedstaaten wird im Grundsatz für fehlerhafte Prospektangaben gehaftet. In Deutschland, England, Griechenland, Irland, Niederlande, Österreich, Portugal und teilweise auch in Belgien und Luxemburg regeln spezialgesetzliche Bestimmungen die Haftung. In Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Italien, Luxemburg, Schweden und teilweise in Spanien werden deliktische Generalklauseln wirksam. Sofern die Verpflichtung einen Prospekt zu erstellen gesellschaftsrechtlich verankert ist, kann sich eine zivilrechtliche Haftung der Verantwortlichen auf der Grundlage der Organhaftungsvorschriften ergeben (Schweden).

Sehr viel unterschiedlicher ist allerdings die konkrete Haftungsausgestaltung. Hier liegen die größten Abweichungen in der Frage (i) einer persönlichen Haftung der verantwortlichen Unternehmensleiter unmittelbar den Anlegern gegenüber, (ii) einer möglichen prospektbezogenen Expertenhaftung (Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwälte), (iii) des Schutzzwecks der Informationspflichten (Schutz der Anlageentscheidung oder Schutz der Preisbildung am Markt) und schließlich (iv) des richtigen Verschuldensmaßstabes. Dabei hat sich herausgestellt, dass es nicht selten die deutsche Rechtsordnung ist, die einen nationalen Sonderweg beschreitet. So ist beispielsweise eine persönliche Außenhaftung der verantwortlichen Unternehmensleiter für fehlerhafte Prospektangaben in zahlreichen Mitgliedstaaten anerkannt. Hingegen können die Verwaltungsmitglieder in Deutschland nur ausnahmsweise als Prospekterlasser oder -veranlasser im Sinne des Paragraphen 44 Abs. 1 Nr. 1 und 2 des Börsengesetzes (in Verbindung mit Paragraph 13 Abs. 1 des Verkaufsprospektgesetzes) angesehen werden. Im Übrigen verweist Paragraph 93 des Aktiengesetzes (in Verbindung mit Paragraph 116 des Aktiengesetzes) geschädigte Anleger auf den Binnenregress der Gesellschaft, der freilich die Belastung der Gesellschaft mit Schadenersatzansprüchen geschädigter Anleger umfasst.

Auch was eine mögliche prospektbezogene Expertenhaftung namentlich der Wirtschaftsprüfer anbelangt, weicht die Rechtslage in Deutschland von internationalen Standards ab. In Deutschland sorgt das Prinzip der prospektrechtlichen Gesamtverantwortung dafür, dass Wirtschaftsprüfer nicht für Teile des Prospekts haften. Demgegenüber nimmt der weit überwiegende Teil der untersuchten Rechtsordnungen den Wirtschaftsprüfer wie selbstverständlich in die haftungsrechtliche Verantwortung. Darüber hinaus haften die Prospektverantwortlichen gemäß deutscher Spezialgesetze nur bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit. Auch diese Regelung hat Ausnahmecharakter, denn international hat sich hier einfaches Verschulden durchgesetzt, teilweise gar eine verschuldensunabhängige Haftung (Portugal).

Obwohl die nationalen Haftungsordnungen für fehlerhafte kapitalmarktrechtliche Prospekte sich erheblich unterscheiden, erscheint der Versuch einer Mindestharmonisierung auf europäischer Ebene erfolgversprechend. Denn zahlreiche der skizzierten Unterschiede stehen derzeit in Deutschland auf dem Prüfstand und lassen eine Anpassung in Richtung auf internationale Standards hoffen. Dies gilt namentlich mit Blick auf die Reform der Haftung der Wirtschaftsprüfer und die Einführung einer persönlichen Außenhaftung der verantwortlichen Unternehmensleiter für fehlerhafte Kapitalmarktkommunikationen.

Das Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums der Finanzen beschränkte sich auftragsgemäß auf die Darstellung der Haftung am Primärmarkt. Parallel hierzu nutzte die Arbeitsgruppe die Gelegenheit, vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen um den Niedergang des Neuen Marktes auch die Haftung für fehlerhafte Pflichtinformantionen (Ad hoc-Meldungen, Jahresabschlüsse) sowie freiwillige Verlautbarungen an den Kapitalmarkt auf breiter rechtsvergleichender Basis zu untersuchen. Die Regelungen in der Schweiz und den USA sowie die ökonomischen Grundlagen wurden ebenfalls einbezogen. Diese Arbeiten wurden im Laufe des Jahres 2003 durchgeführt und stehen kurz vor ihrer Vollendung. Die Studie wird im Sommer 2004 veröffentlicht [4].

Literatur

[1] Crüwell, Christoph, Die europäische Prospektrichtlinie. Die Aktiengesellschaft, 243-253 (2003).
[2] von Kopp-Colomb, Wolf, und Jürgen Lenz: Der europäische Pass für Emittenten. Die Aktiengesellschaft, 24-29 (2002).
[3] Seitz, Jochen: Die Integration der europäischen Wertpapiermärkte und die Finanzmarktgesetzgebung in Deutschland. Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht, 340-347 (2002).

[4] Kunold, Uta, und Michael Schlitt: Die neue EU-Prospektrichtlinie. Der Betriebsberater 10, 501-511 (2004).

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