Forschungsbericht 2003 - Max-Planck-Institut für Meteorologie

Die Simulation von Eiszeitzyklen mit einem komplexen Erdsystemmodell

The simulation of glacial cycles with a complex Earth system model

Autoren
Mikolajewicz, Uwe; Gröger, Matthias; Marotzke, Jochem; Schurgers, Guillaume; Vizcaíno, Miren
Abteilungen

Ozean im Erdsystem (Marotzke) (Prof. Dr. Jochem Marotzke)
MPI für Meteorologie, Hamburg

Zusammenfassung
Warum Eiszeiten und Warmzeiten aufeinander folgen, ist eines der großen ungelösten Rätsel der Erdsystemforschung. Vermutlich tragen Wechselwirkungen zwischen Atmosphäre, Ozean, Eis, sowie ozeanischer und terrestrischer Biosphäre entscheidend bei. Wir beschreiben hier die Grundlagen und erste Ergebnisse des derzeit komplexesten Erdsystemmodells für die Simulation langer Zeitskalen. Interaktive Landvegetation verstärkt die durch Variationen der Erdbahnparameter hervorgerufenen Klimaänderungen und bewirkt somit auch in einem komplexen Erdsystemmodell eine positive Rückkopplung.
Summary
What causes the sequence of ice ages and interglacials is one of the big unsolved questions of Earth system science. Interactions between atmosphere, ocean, ice, and oceanic and terrestrial biosphere are likely to be crucial. Here, we describe the fundamentals and first results of the most complex extant Earth system model for the simulation of long timescales. Interactive land vegetation enhances the climate change caused by variations in the Earth’s orbital parameters, and thus constitutes a positive feedback even in a complex Earth system model.

Motivation

Die wohl gesellschaftlich wichtigste Aufgabe der Klimaforschung ist die Vorhersage der Klimaänderungen, die als Folge der anthropogenen Emission von Treibhausgasen zu erwarten sind. Ein wesentliches Problem ist dabei die Validierung der Modelle, mit denen die Vorhersagen gemacht werden. Zum einen sind die existierenden Zeitreihen von gemessenen Klimadaten zu kurz (mit wenigen Ausnahmen kürzer als 100 Jahre), zum anderen decken sie auch nicht das Ausmaß der zu erwartenden Klimaänderungen ab. Um hinreichend große Klimasignale zu finden, muss man mindestens bis in die letzte Eiszeit zurückgehen. Für diese Zeiten existieren natürlich keine gemessenen Klimadaten. Diese müssen daher rekonstruiert werden, z.B. aus marinen Sedimentbohrkernen, der Isotopenverteilung in Eisbohrkernen oder Pollenverteilungen in limnischen Sedimenten. Zusätzlich zu den Validierungsaspekten der Klimamodelle ergibt sich noch der wissenschaftlich reizvolle Aspekt, dass die Gründe für den regelmäßigen Wechsel zwischen langen Eiszeiten und relativ kurzen Warmzeiten nur sehr unvollständig verstanden sind. Es herrscht zwar allgemeiner Konsens, dass die Variation der Sommereinstrahlung in hohen Breiten (und damit die Menge der potenziellen Schneeschmelze) eine wesentliche Rolle spielt, aber dieser Effekt ist bei weitem zu schwach, um allein die Stärke des Klimasignals (ca. 4°C im globalen Mittel) zu erklären. Es bedarf also noch einer starken positiven Rückkopplung im Erdsystem, die aber auch aus dem Zusammenspiel mehrerer Rückkopplungsmechanismen bestehen kann, um die "beobachtete" Abkühlung zu erklären.

Modellierungsstrategie

Die aktuellen Erdsystemmodelle, die für die Vorhersagen anthropogener Klimaänderungen verwendet werden, sind darauf ausgelegt, Simulationen von typischerweise mehreren Jahrhunderten Länge durchzuführen. Für die Simulation eines Übergangs von einer Warmzeit in eine Eiszeit benötigt man aber ca. 10.000 Jahre Simulationszeit, für die Simulation eines kompletten Glazialzyklus bereits mehr als 100.000 Jahre. Für diese wesentlich längeren Integrationen sind die aktuellen Erdsystemmodelle viel zu rechenzeitintensiv, um die entsprechenden Experimente auf heutigen Computern durchführen zu können. Außerdem fehlen wesentliche Komponenten, die für diese Problemstellung unerlässlich sind, z.B. eine explizite Darstellung der Eisschilde oder der Wechselwirkung zwischen dem im tiefen Ozean gelösten Kohlenstoff und dem marinen Sediment.

Bisherige Versuche, das Problem zu lösen, wurden mit stark vereinfachten Modellen durchgeführt. So wird zum Beispiel die Abhängigkeit von der geographischen Länge vernachlässigt, also nur das so genannte zonale Mittel dargestellt, oder auch die Atmosphäre extrem vereinfacht. Da wahrscheinlich noch nicht alle relevanten Rückkopplungsmechanismen identifiziert sind, könnten bei den Vereinfachungen wichtige Prozesse unterdrückt werden. Wir verfolgen daher den Ansatz, ein gekoppeltes Erdsystemmodell zu entwickeln, in dem die Einzelkomponenten möglichst realistisch sein sollen. Damit sollen möglichst alle wichtigen Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Subkomponenten erfasst werden.

Unser Modell wird aus folgenden Komponenten bestehen (Abb. 1): dem atmosphärischen Zirkulationsmodell ECHAM, dem ozeanischen Zirkulationsmodell LSG, dem marinen Kohlenstoffkreislaufmodell HAMOCC, dem Eisschildmodell SICOPOLIS und dem terrestrischen dynamischen Vegetationsmodell LPJ. Das Modell wird einen geschlossenen Kohlenstoffkreislauf beinhalten. Dies hat insbesondere zur Folge, dass die CO2-Konzentration der Atmosphäre vom Modell simuliert ("vorhergesagt") wird, im Gegensatz zu den meisten komplexen Modellen, in denen sie vorgeschrieben werden muss.

Klimakonsequenzen veränderter Erdbahnparameter

Zurzeit befindet sich das Modell noch in der Testphase. Als Testsimulation wird das letzte Interglazial (vor ca. 125.000 Jahren) und der darauf folgende Übergang in Eiszeit benutzt. Die Basissimulation wurde nur mit dem gekoppelten Atmosphäre-Ozeanmodell durchgeführt. Die Erdbahnparameter wurden während der Integration variiert, beginnend mit dem Jahr 132.000 vor heute bis zu 112.000 Jahren.

Vor ca. 125.000 Jahren ist auf der Nordhalbkugel ein gegenüber heute wärmeres Klima in vielen geologischen Klimaarchiven belegt. Die Exzentrizität und die Erdschiefe waren leicht erhöht, und die größte Annäherung an die Sonne fand im Nordsommer statt. Insgesamt resultiert hieraus eine stärkere Sonneneinstrahlung während des Nordsommers, sowie eine Verstärkung (Abschwächung) des Jahresgangs auf der Nordhalbkugel (Südhalbkugel).

Auf der Nordhalbkugel wird es dabei - verglichen mit dem heutigen Zustand - überwiegend wärmer, vor allem in der Arktis und auf den Kontinenten (nicht gezeigt). Im Sommer und Herbst ist die Erwärmung am stärksten, was auch der Einstrahlungsänderung entspricht. Ein wesentlicher positiver Rückkopplungsmechanismus ist dabei die Verringerung der Schnee- und Meereisbedeckung. Durch die dunklere Oberfläche wird ein größerer Anteil der auf die Oberfläche auftreffenden Sonnenstrahlung absorbiert, was die Erwärmung verstärkt und die Schnee- und Meereisbedeckung weiter verringert. Diese Wechselwirkung zwischen Eisbedeckung und Albedo (Verhältnis reflektierter zu einfallender Sonnenstrahlung) ist ein wichtiger positiver Rückkopplungseffekt im Klimasystem. Über der Sahara führt die Erwärmung der Landoberfläche zu einer Verstärkung des Monsunniederschlags, insbesondere in der Sahelregion. Ein ähnlicher Effekt tritt in Südasien auf. Die damit einhergehende dichtere Wolkendecke führt zu einer Abkühlung bei ca. 10°N bis 20°N.
10.000 Jahre später sind die Einstrahlungsbedingungen nahezu entgegengesetzt. Die Erde ist im Nordsommer am weitesten von der Sonne entfernt, was zu einer schwachen Sommereinstrahlung führt. Geologische Daten deuten auch darauf hin, dass zu dieser Zeit die Vergletscherung über Nordamerika anfängt und die Eiszeit beginnt. In hohen nördlichen Breiten sind die Unterschiede zwischen den Jahreszeiten geringer, und der Sommer ist deutlich kälter. Auf den Landflächen der Nordhalbkugel sind die Sommer im zonalen Mittel typischerweise 5°C bis 6°C kälter (Abb. 2a). Als Folge schmilzt der Schnee deutlich später und teilweise überhaupt nicht. Die hellere Oberfläche reflektiert mehr Sonnenlicht, was die Abkühlung noch verstärkt. Das Nordpolargebiet ist während des ganzen Jahres typischerweise 4°C bis 5°C kälter. Auch der Monsun über Nordwestafrika und Südasien ist deutlich schwächer, mit geringeren Niederschlägen über der Sahelzone und Indien.

Auswirkungen interaktiver Vegetation

Bei den bisher beschriebenen Simulationen war die Vegetation den heutigen Bedingungen entsprechend vorgeschrieben. In kürzeren Testsimulationen mit interaktiver Vegetation zeigen sich deutliche Effekte. Das wärmere Klima vor 125.000 Jahren führt zu einer deutlichen Nordwärtsverlagerung der Vegetationsgrenze in Eurasien und Nordamerika (Abb. 3a). In hohen Breiten breitet sich der Wald weiter nach Norden aus. Dadurch wird die Oberfläche insgesamt dunkler. Dieser Effekt wird noch dadurch verstärkt, dass Wald auch unter starker Schneebedeckung wesentlich dunkler ist als Grasland unter ähnlichen Bedingungen. Dieses verstärkt den Albedoeffekt deutlich (Abb. 3) und damit auch die Erwärmung, was wiederum ein weiteres Vordringen des Waldes nach Norden ermöglicht. Die interaktive Vegetation führt somit zu einer deutlichen Verstärkung der simulierten Klimasignale (Abb. 2b). Die Verstärkung des Sommermonsuns führt zu Vegetationsbildung in der Sahara (Abb. 3a). Bedingt durch die dunklere Oberfläche verstärkt sich die Zunahme des Monsuns deutlich. Auch hier ist also ein starker positiver Rückkopplungseffekt vorhanden.

Auch 10.000 Jahre später bewirkt die interaktive Vegetation eine Verstärkung des Klimasignals, in diesem Fall der Abkühlung. Die nördliche Waldgrenze verlagert sich in Nordamerika und über Eurasien (Abb. 3b) südwärts. Dadurch wird die Oberfläche insgesamt heller, was die Abkühlung weiter verstärkt. Die Verstärkung des Albedoeffekts durch die Vegetation ist in Abbildung 4 deutlich erkennbar. Zwischen den beiden extremen Experimenten beträgt der Unterschied in der Landalbedo über Nordamerika ca. 0,15. Mit vorgeschriebener Vegetation wird diese Differenz im Sommer nur etwa halb so groß und im Winter ist sie nahezu vernachlässigbar. Mit interaktiver Vegetation ist das simulierte Klimasignal zwischen 125.000 und 115.000 Jahren für den Sommer um ca. 1,5°C bis 2°C größer. Der Monsunniederschlag über Nordafrika und Südasien ist vor 115.000 Jahren schwächer und die Trockengebiete dehnen sich aus.
Diese ersten Ergebnisse zeigen deutlich, dass die Entwicklung vom reinen Klimamodell (Ozean, Meereis und Atmosphäre) zum Erdsystemmodell auch zu einer Verbesserung der Simulation von Klimasignalen führt. Die Kopplung mit den noch fehlenden Modellkomponenten (Eisschilde, mariner Kohlenstoff) wird wahrscheinlich weitere positive Rückkopplungsmechanismen hinzufügen. Durch das Eisschildmodell ist es prinzipiell möglich, den Schnee, der während Zeiten mit geringer Sommersonneneinstrahlung anwächst, auch über die nächsten Perioden mit starker Einstrahlung zu erhalten. Ein hinreichend hohes Eisschild führt durch die höhere Oberfläche zu kälteren Oberflächentemperaturen und reduziert damit auch das sommerliche Abschmelzen. Zusätzlich reduziert sich auch noch um ca. 115.000 Jahre vor heute die atmosphärische CO2-Konzentration, was die Abkühlung noch weiter verstärkt. Die Gründe für diese Reduktion sind noch unklar. Wir hoffen, die Antwort im Erdsystemmodell zu finden.

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