Forschungsbericht 2004 - Max-Planck-Institut für Kernphysik

Pulsarwinde

Autoren
Kirk, John
Abteilungen

Astroteilchenphysik (Prof. Dr. Heinrich Völk)
MPI für Kernphysik, Heidelberg

Zusammenfassung
Im Frühjahr 2004 bestätigten Beobachtungen mit den abbildenden Cherenkov-Teleskopen der H.E.S.S.-Kollaboration mit erstaunlicher Genauigkeit eine Vorhersage über die Hochenergie-Abstrahlung des Binärsternsytems PSR B1259-63, die im Jahr 1999 von Astrophysikern am Max-Planck-Institut für Kernphysik veröffentlicht wurde. Diese Beobachtungen deuten zwar an, dass die Annahmen der Theorie zutreffen, geben aber gleichzeitig neue Rätsel auf. In Verbindung mit Beobachtungen in anderen Wellenlängenbereichen verheißen sie dennoch tiefere Einsichten in die Physik relativistischer „Winde” der Pulsare.

Pulsare wurden im Jahr 1967 entdeckt. Es sind schnell rotierende, magnetisierte Neutronensterne, die kräftige, gepulste Radiostrahlung aussenden. Alle Pulsare verlangsamen ihre Rotation allmählich und es liegt nahe, dass diese Energiequelle die Abstrahlung speist. Doch die abgestrahlte Leistung ist meist sehr klein im Vergleich zu der Leistung aus den Rotationsverlusten, und es wird vermutet, dass Pulsare über eine unter normalen Umständen kaum sichtbare, relativistische Ausströmung von Teilchen und elektromagnetischen Feldern den Löwenanteil ihrer Rotationsenergie abführen. Die Zusammensetzung dieser Strömung sowie deren Beschleunigungsmechanismus sind Rätsel, die Astrophysiker seit fast vierzig Jahren beschäftigen.

Viele Sterne verlieren Masse und Energie in der Form eines Windes. Die Mechanismen der Beschleunigung sind meistens bekannt. In sehr heißen Sternen beispielsweise treibt der Strahlungsdruck die Materie nach außen, wohingegen im Falle der Sonne der Gasdruck ausreicht. Bei Pulsaren entfallen diese Möglichkeiten, einerseits weil die Strahlungsleistung zu schwach ist, und andererseits weil die kleinen Neutronensterne praktisch keine Atmosphäre besitzen. Neutronensterne weisen aber ein sehr starkes Magnetfeld auf, und man kann erwarten, dass dieses, gekoppelt mit der Rotation, den Wind antreibt. Das Problem dabei liegt in der Zusammensetzung des Windes. Aufgrund der sehr starken Schwerkraft an der Sternoberfläche erscheint es sehr schwierig, signifikante Mengen an Materie von dort zu entfernen. Die Teilchen, die die Masse des Windes ausmachen, stammen höchstwahrscheinlich von woanders her. Die gängige Theorie besagt, dass sie aus dem Vakuum oberhalb der Sternoberfläche materialisieren und zwar entweder durch die Wechselwirkung zwischen energiereichen Photonen und dem starken Magnetfeld oder durch die Wechselwirkung der Photonen untereinander. In diesen beiden Fällen setzt sich der Wind aus Magnetfeld und Elektron-Positron-Paaren zusammen. Er wird dann relativistisch, d. h. seine Geschwindigkeit nähert sich der des Lichtes, weil bei dieser Zusammensetzung das Verhältnis der Trägheit zum Impuls verhältnismäßig klein bleibt. Ein relativistischer Wind lässt sich aber, zumindest in der hier gegebenen quasi-sphärischen Geometrie, nur schwer von einem Magnetfeld weiter beschleunigen. Stattdessen wird er bei konstanter Geschwindigkeit nach außen getragen und die Rotationsenergie des Sterns bleibt im Magnetfeld eingeschlossen.

Der Wind eines Pulsars lässt sich nicht direkt beobachten. Erst wenn er auf ein Hindernis trifft wird seine Energie in Strahlung umgesetzt, die dann zu irdischen Detektoren gelangen kann. Es sind einige solche Beispiele durch ihre Röntgen- und optische Abstrahlung bekannt – der weitaus am besten beobachtete Fall ist der des Krebsnebels. Aber seine Eigenschaften stimmen nicht überein mit dem eines unbeschleunigten, vom Magnetfeld dominierten Windes. Dieser widersprüchliche Sachverhalt ist unter Astrophysikern als das „σ-Paradoxon” bekannt (konventionell bezeichnet „σ” das Verhältnis der Energie im Magnetfeld zu der in der Materie).

Der Widerspruch bestünde nicht mehr, wenn die Energie des Magnetfeldes vom elektrischen Widerstand des Windplasmas dissipiert werden würde. Durch die Rotation des Neutronensternes wird das Magnetfeld im Wind aufgewickelt, sodass Bereiche des Feldes einander nahe gebracht werden, die von entgegengesetzten Magnetpolen stammen. Die Grenzfläche zwischen diesen Gebieten nimmt die Form einer Spiralwelle an, wie in Abbildung 1 gezeigt. Nach der von Wissenschaftlern am Max-Planck-Institut für Kernphysik entwickelten Theorie [1] ist es genau an dieser Fläche, an der das Magnetfeld seine Energie abgibt.

Die Energie heizt zunächst das Plasma auf, das dann durch seinen Druck dem Wind die benötigte Beschleunigung gibt. Wie schnell dies passiert, lässt sich nicht ab initio berechnen, denn der Heizungsprozess hängt von schlecht verstandenen plasmaphysikalischen Vorgängen ab. Plausiblen Annahmen zufolge sollte der Prozess langsam vonstatten gehen, sodass die volle Beschleunigung erst in großem Abstand vom Stern erreicht wird – während der Wind diese Strecke durchläuft, dreht sich der Stern etwa eine Milliarde Male um seine Achse. Im Krebsnebel entspricht dieser Abstand vom Neutronenstern etwa der Position, wo der Wind auf die Umgebung trifft und sichtbar wird.

Einige Eigenschaften des Pulsars PSR B1259-63 – wie Rotationsgeschwindigkeit und Magnetfeldstärke – sind denen des Krebspulsars ähnlich. Das Objekt ist aber deswegen einzigartig, weil es Teil eines Binärsternsystems ist und als Begleiter einen sehr leuchtkräftigen Stern besitzt. Für den Wind des Pulsars ist diese Tatsache sehr wichtig, denn der Begleitstern – genauer gesagt dessen ureigene Ausströmung – bildet ein Hindernis für den Pulsarwind, das ihn sichtbar machen kann. Bereits 1997 vermutete man [2], die Röntgenabstrahlung des Pulsarwindes beobachtet zu haben. In diesem Falle müsste Compton-Streuung der Windelektronen an den zahlreichen Photonen des Begleitsterns zu einem deutlichen Signal im Bereich hochenergetischer Gammastrahlen führen. Astrophysiker am Max-Planck-Institut für Kernphysik machten detaillierte Berechnungen von diesem Effekt [3] und schlugen vor, mit den neu gebauten H.E.S.S.-Teleskopen danach zu suchen.

Naturgemäß finden einige Annahmen über die vorherrschenden physikalischen Bedingungen Eingang in solche Berechnungen, z. B. die Magnetfeldstärke und Pulsarwindgeschwindigkeit beim Auftreffen auf das Hindernis, die Homogenität des Emissionsgebietes, die Beschaffenheit des Hindernisses und deren Abhängigkeit von der Position des Pulsars in seiner Umlaufbahn usw. Die Stärke des Signals hängt auch von der Entfernung des Systems von der Erde ab, die lediglich mit einer Genauigkeit von etwa 50% bekannt ist. Glücklicherweise fiel bei der Berechnung diese Unsicherheit weg, denn das zu erwartende Signal konnte mit den bereits gewonnenen Röntgendaten geeicht werden. Unter der Annahme, dass etwa die Hälfte der Magnetfeldenergie in die Beschleunigung des Windes geflossen sei, kamen die Wissenschaftler auf das in Abbildung 2 als durchgezogene Line gezeigte Ergebnis für das Spektrum, gültig zu dem Zeitpunkt, an dem der Pulsar kurz vorm Erreichen seines geringsten Abstands vom Begleitstern (Periastron) steht.

Im Februar 2004 führte die H.E.S.S.-Kollaboration die vorgeschlagenen Beobachtungen erfolgreich durch [4, 5]. Die Messpunkte mit Fehlerbalken sind ebenfalls in Abbildung 2 eingetragen. Die Freude über die geglückte Beobachtung, die sich in eine Reihe großartiger Neuentdeckungen dieser Kollaboration einfügt, war begleitet von Überraschung über die Genauigkeit der Übereinstimmung mit der Vorhersage, welche auch durch nachträgliche Anpassung der Modellparameter kaum hätte verbessert werden können. Während der Pulsar an seinem Begleiter vorbeizog, nahm H.E.S.S. mehrere Beobachtungen vor und entdeckte auch teils unerwartet komplizierte Eigenschaften. Für Aufregung sorgten vor allem die kurzfristigen Schwankungen in der Intensität der Strahlung, die deutlich machen, dass die Annahme eines sphärisch-symmetrischen Hindernisses nicht haltbar ist.

Trotz dieser Komplikationen bleibt die genaue Übereinstimmung mit dem Modellspektrum ein starker Hinweis, dass die Hauptannahmen der Berechnungen stimmen und der Wind des Pulsars PSR B1259-63 weitaus schneller beschleunigt wird, als man von der Theorie der langsamen Magnetfeld-Dissipation her erwarten würde. Der Abstand zwischen dem Pulsar und seinem Begleitstern, gemessen in Einheiten der Lichtlaufstrecke während einer Umdrehung des Pulsars, beträgt im Periastron 7.000 und dehnt sich während des Umlaufs auf fast 100.000 im Apastron. Zum Zeitpunkt der in Abbildung 2 gezeigten Beobachtung war der Abstand zwischen Pulsar und Begleitstern in diesen Einheiten nicht mehr als ein Millionstel des Abstands zwischen Pulsar und Hindernis im Krebsnebel. Wenn die Windbeschleunigung in PSR B1259-63 etwa so schnell ablaufen würde wie in [1] berechnet, sollte beim Erreichen des Begleitsterns fast die gesamte Leistung noch im Magnetfeld getragen werden, im Widerspruch zu einer wesentlichen Annahme der Vorhersage. Dies lässt nur zwei Möglichkeiten offen: entweder laufen die plasmaphysikalischen Prozesse schneller ab als in [1] vermutet, oder das darin enthaltene Bild der Windbeschleunigung ist grundlegend falsch. Es bleibt zu hoffen, dass weitere Beobachtungen der Röntgen- und Gamma-Abstrahlung des Binärsystems während seiner 3,4-jährigen Umlaufzeit uns einen Einblick in die Dynamik des Windes als Funktion des Abstands vom Pulsar gewähren und somit die möglichen Beschleunigungsmechanismen einschränken.

Originalveröffentlichungen

Kirk, J. G.; Skjaeraasen, O.
Dissipation in Poynting-flux-dominated flows: the sigma problem of the Crab pulsar wind
Astrophysical Journal 591, 366-379 (2003).
Tavani, M.; Arons, J.
Theory of High-Energy Emission from the Pulsar/Be Star System PSR 1259-63. I. Radiation Mechanisms and Interaction Geometry
Astrophysical Journal 477, 439-464 (1997).
Kirk, J. G.; Ball, L. T.; Skjaeraasen, O.
Inverse Compton emission of TeV gamma rays from PSR B1259-63
Astroparticle Physics 10, 31-45 (1999).
Schlenker, S. et al.
Discovery of the Binary Pulsar PSR B1259-63 in VHE Gamma Rays
AIP Conference Proceedings 745, 341-346 (2005).
Aharonian, F. et al.
Discovery of the binary pulsar PSR B1259-63 in very-high-energy gamma rays around periastron with H.E.S.S.
submitted to Astronomy and Astrophysics 2005.
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