Forschungsbericht 2004 - Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme, Standort Stuttgart

Bioinspirierte Synthese keramischer Materialien

Bio-inspired synthesis of ceramic materials

Autoren
Bill, Joachim; Aldinger, Fritz
Abteilungen

Materialsynthese und Mikrostrukturdesign (Prof. Dr. Eric Mittemeijer)
MPI für Metallforschung, Stuttgart

Zusammenfassung
Die Prozesse der Biomineralisation führten im Laufe der Evolution zu multifunktionellen Biomineralien, die prinzipiell anorganisch/organische Verbundmaterialien mit einem z. T. äußerst komplexen Aufbau darstellen. Dabei erfolgt die Bildung der anorganischen Anteile in wässriger Lösung bei Umgebungsbedingungen und wird durch biopolymere Template gesteuert. Die Nachahmung der dabei ablaufenden material- und strukturbildenden Prozesse und deren Übertragung auf technisch relevante Materialien ist Gegenstand der bioinspirierten Materialsynthese. Inzwischen wurden auf diese Weise erfolgreich dünne Schichten und Schichtverbundwerkstoffe aus Keramiken und Polymeren synthetisiert. Zudem konnten Strukturen generiert werden, die Vorbildern in der belebten Natur morphologisch ähnlich sind.
Summary
The evolution-optimized processes of biomineralization lead to the formation of multifunctional biominerals, that can be considered to be inorganic/organic composite materials with a complex structure. The formation of these solids occurs in aqueous solution at ambient conditions and involves biopolymeric templates that control the mineralization of the inorganic components. Bio-inspired material synthesis aims to imitate such principles by technical means. In the meantime thin films as well as multilayer composites made of ceramics and polymers were prepared successfully. Moreover, morphologies, that are similar to structures found within living nature, have been created.

Für die Erzeugung keramischer Materialien haben sich u. a. pulvertechnologische Prozesse, die Festphasenthermolyse präkeramischer Polymere, Sol-Gel-Prozesse mit anschließender Calcinierung sowie CVD-Prozesse etabliert. Solche Verfahren sind mit nicht unerheblichem verfahrenstechnischen Aufwand sowie erhöhten Prozesstemperaturen (Brennen, Sintern) verbunden. Neben hohen Kosten ergeben sich hierdurch häufig technische Einschränkungen, die beispielsweise beim Aufbringen von keramischen Schutzschichten auf temperaturempfindliche Werkstoffe (z. B. Kunststoffe) oder bei der Integration von Materialien mit verschiedenem thermischem Ausdehnungskoeffizienten und damit unterschiedlichem Schrumpfungsverhalten zu Tage treten. Demzufolge ist auch die Bildung komplexer, multifunktioneller Strukturen erschwert oder gar unmöglich.

Daher ist die Suche nach möglichst einfachen Verfahren der Materialsynthese derzeit von großem Interesse. Für die Bildung von komplex strukturierten Materialien bei Umgebungsbedingungen liefert die belebte Natur eindrucksvolle Beispiele. So führen die Prozesse der Biomineralisation zu hochkomplexen und multifunktionellen Materialien, welche sich mittels den o. g. Herstellungswegen nicht erhalten lassen. Einige Beispiele sind in Abbildung 1 gezeigt.

Neben Knochen, Zähnen und Vogeleiern sind es vor allem Muschelschalen und Schneckengehäuse, die auf evolutionsoptimierten leistungsfähigen Werkstoffkonzepten basieren. Faszinierend hierbei ist auch, dass die – letztlich genetisch determinierte – Phasenbildung gezielt zur Generierung von amorphen, poly- oder einkristallinen Materialien führt. Dementsprechend kann die Natur ein Vorbild für die Technik werden, um neuartige Materialien und komplexe Bauteilformen unter vergleichsweise einfachen Bedingungen herzustellen.
Die natürlichen Bildungsprozesse von Biomineralien sind bis zum jetzigen Zeitpunkt noch immer nicht vollständig verstanden. Nach dem derzeitigen Kenntnisstand lässt sich die Bildung von Biomineralien prinzipiell in vier Stufen einteilen, die die supramolekulare Organisation von Biomolekülen (Aufbau einer reaktiven Umgebung), die molekulare Grenzflächenerkennung (kontrollierte Bildung anorganischer Keime), die vektorielle Regulierung (Wachstum und Terminierung der Keime) und schließlich den zellularen Aufbau (Bildung hierarchischer Strukturen) beinhalten.
Biomolekulare Grenzflächen spielen demnach bei der Mineralisation eine entscheidende Rolle. Dabei wirken funktionelle Gruppen an der Oberfläche dieser organischen Template gleichsam wie Schablonen für die Bildung anorganischer Phasen.

Die evolutionäre Optimierung der Biomineralisation führte zu einer Auswahl ganz bestimmter Biomoleküle, welche zur Steuerung der Mineralisation anorganischer Phasen besonders geeignet sind. In Bezug auf die Ausbildung der anorganischen Phasen bewirkte die Evolution ebenfalls die Selektion einer relativ geringen Anzahl von Elementen, wie Ca, Mg, Fe, Si, Ba oder Sr, die in der belebten Natur bevorzugt als Oxide, Carbonate, Phosphate, Oxalate, Sulfate oder Sulfide vorliegen. Leider hat die belebte Natur für viele der technisch relevanten Elemente bzw. Verbindungen, wie z. B. die Oxide der Übergangsmetalle Zirkonium, Titan oder Zink sowie weitere keramische Werkstoffe, keine probaten Konzepte entwickelt. Bekanntermaßen eröffnet jedoch gerade die Werkstoffklasse der keramischen Materialien aufgrund ihrer herausragenden mechanischen, elektrischen und optischen Gebrauchseigenschaften eine Vielzahl von Anwendungsmöglichkeiten. Die Suche nach neuen Wegen der Erzeugung solcher Materialien unter Berücksichtigung der o. g. Prinzipien erscheint daher reizvoll. An dieser Stelle setzen nun bioinspirierte Verfahren der Materialsynthese an, welche die Steuerung von Bildungsprozessen anorganischer Phasen durch organische Template verfolgen. Eine Forschergruppe befasst sich inzwischen seit rund zehn Jahren mit diesem Thema und stellt damit einen Vorreiter für die biologisch orientierte Forschung am Max-Planck-Institut für Metallforschung dar. Erste Versuche erfolgten in einer Zusammenarbeit mit Mark De Guire aus der Gruppe unseres Auswärtigen Wissenschaftlichen Mitglieds Arthur Heuer (Cleveland) und betrafen die Oberflächenmodifikation von Substraten mit organischen Molekülen, die geeignet sind, eine Abscheidung von Oxidschichten aus wässrigen Medien auszulösen. Inzwischen haben wir drei Symposien auf Schloss Ringberg in den Jahren 1996, 2002 und 2004 organisiert, an denen die weltweit führenden Wissenschaftler teilgenommen haben. Bei den laufenden Arbeiten geht es weniger darum, in der Natur vorkommende Biomineralien als solche im Labor zu synthetisieren. Vielmehr wird die Übertragung von biologischen Prinzipien auf die Generierung von neuen komplex-strukturierten und multifunktionellen keramischen Materialien verfolgt.

Das prinzipielle Verfahrensschema ist in Abbildung 2 gezeigt.

Dabei wird zunächst die Oberfläche eines Substrats mit einem organischen Templat modifiziert. Die anschließende Abscheidung des keramischen Materials erfolgt dann in einer wässrigen Salzlösung. Als Template bieten sich sehr unterschiedliche Moleküle und Konzepte an. Zu Beginn waren es organische Monoschichten, später kamen synthetische Polymere hinzu und heute sind hierfür insbesondere Biomoleküle (Abb. 3) von besonderem Interesse, da mit diesen ein reichhaltiger Baukasten zur gezielten Variation der Templatstruktur zur Verfügung steht.

Für die nachfolgende Abscheidung keramischer Materialien auf so funktionalisierten Substraten stehen prinzipiell zwei Wege zur Verfügung. Einerseits über eine heterogene Keimbildung, d. h., der Schichtaufbau erfolgt schrittweise, quasi Ion für Ion. Ein orientiertes Schichtwachstum ist ein Indiz für diesen Mechanismus, was in Abbildung 2 angedeutet ist. Andererseits über eine Kondensation der Metallionen zu kolloidalen Teilchen in der Lösung. Im Anschluss an diese homogene Keimbildung werden typischerweise polykristalline Schichten durch die Wechselwirkung der kolloidalen Partikel und der organischen Oberfläche gebildet.

Die Mineralisationsprozesse hängen in jedem Fall auf komplexe Weise von einer Vielzahl von Parametern ab. Zum detaillierten Verständnis dieser Prozesse sind dementsprechend kombinatorische Ansätze erforderlich, um Screening sowie anschließende Selektion erfolgreicher Systeme zu ermöglichen und somit gleichsam eine „künstliche“ Evolution neuer Materialien zu betreiben. Zunächst spielt die Art der eingesetzten Template eine bedeutende Rolle. So haben sich organische, lipidähnliche Monolagen („Self-Assembled Monolayers“, SAMs) sowie organische Schichten aus Polyelektrolyten zur Erzeugung von keramischen Materialien auf der Basis von Zirkonium-, Titan- und Zinkoxid als geeignet erwiesen. In Bezug auf die eingesetzten Lösungen bieten beispielsweise der pH-Wert, die Elektrolytkonzentration, die Temperatur sowie die Flussrate der Reaktionslösung Möglichkeiten, die Struktur und -eigenschaften der Abscheidungsprodukte zu kontrollieren. Eine weitere Variationsmöglichkeit ist die Zugabe von löslichen Additiven (z. B. Komplexbildner oder organische Polymere), um die Mineralisation direkt in der Lösung zu steuern. Hierfür wurden in neuerer Zeit auch Aminosäuren und Peptide eingesetzt, wobei überraschenderweise Möglichkeiten zur Ausbildung gezielter Morphologien der Mineralisationsprodukte gefunden wurden.

Template aus lipidähnlichen Molekülen und Polyelektrolyten

Die als Template verwendeten Monoschichten aus lipidähnlichen Molekülen stellen hochgeordnete Systeme von dicht gepackten langkettigen Kohlenwasserstoffmolekülen dar, welche an einem Ende mit einer funktionellen Gruppe kovalent an das Substrat gebunden sind und am anderen Ende eine weitere funktionelle Gruppe aufweisen, die in die umgebende Lösung hineinragt. In Abbildung 4 ist beispielhaft eine mit Sulfonat-Gruppen terminierte Monoschicht (Self-assembled Monolayer, SAM) gezeigt, die kovalent mittels einer Zwischenschicht aus amorphem Siliciumdioxid an ein Siliciumsubstrat gebunden ist.

Dieses Templat eignet sich zur Erzeugung von dichten, d. h. porenfreien Schichten aus Zirkoniumdioxid (ZrO2) gleichmäßiger Dicke. Dieser keramische Werkstoff stellt beispielsweise aufgrund seiner Sauerstoffionenleitfähigkeit ein vielversprechendes Basismaterial für die Herstellung von Brennstoffzellen dar. Auch wird er aufgrund seiner herausragenden thermomechanischen Beständigkeit in Form von Wärmedämmschichten eingesetzt. Bei der bioinspirierten Abscheidung dieses Materials werden zunächst kolloidale Partikel in der wässrigen Metallsalz-Lösung gebildet. Gemäß dem pH-Wert der eingesetzten Lösung und dem isoelektrischen Punkt von Zirkoniumdioxid liegen hierbei positiv geladene Teilchen vor. Außerdem führt der stark acide Charakter der Sulfonat-Gruppen zu einer deprotonierten negativ geladenen Substratoberfläche und somit zu anziehenden elektrostatischen Wechselwirkungen zwischen der organisch modifizierten Substratoberfläche und den kolloidalen Teilchen, was die Schichtbildung induziert. Außerdem tragen van der Waals-Kräfte zum Andocken weiterer Teilchen aus der kolloidalen Lösung und damit zum Schichtwachstum bei. Wie aus der transmissionselektronenmikroskopischen Aufnahme hervorgeht, entsteht schließlich eine polykristalline Schicht, die bemerkenswerterweise aus Nanokristallen mit einer Größe im Bereich von 5 bis 10 nm besteht. Neben dem für das einkristalline Siliciumsubstrat typischen Muster zeigt die zugehörige Elektronenbeugung die Beugungsringe für die tetragonale Modifikation des Zirkoniumdioxids. In diesem Zusammenhang ist interessant, dass die monokline Modifikation bei den gewählten Bedingungen thermodynamisch stabil ist. Hierin zeigt sich ein weiteres wesentliches Merkmal der bioinspirierten Niedertemperaturverfahren, nämlich die Erzeugung metastabiler Phasen.

Wie aus Abbildung 4 hervorgeht, eignet sich das Verfahren vorzüglich für die Herstellung extrem dünner Schichten. Die Erzeugung dickerer Schichten ist aufgrund der Abnahme der Metallsalz-Konzentration in der Lösung mit zunehmender Abscheidungszeit zunächst limitiert. Jedoch lässt sich die Schichtdicke durch eine kontinuierliche Erneuerung der Reaktionslösung deutlich erhöhen. Mit diesem Verfahren lassen sich Alterungserscheinungen in der Lösung und eine damit verbundene Agglomeratbildung unterdrücken, wodurch die Entstehung von Inhomogenitäten bei der Schichtbildung vermieden wird. Die Variation der Schichtdicke wird in Abbildung 5 anhand verschiedenfarbig interferierender Titandioxid-Schichten dokumentiert, welche sich beispielsweise für die Erzeugung von selbstreinigenden Oberflächen oder kratzfesten Beschichtungen anbieten.

Im Gegensatz zu der Abscheidung von Zirkoniumdioxid sind hierfür aufgrund der ausgeprägten Präzipitationsneigung des Titandioxids aus Salzlösungen stark saure Medien notwendig. Beispielsweise erfordert die Schichtabscheidung aus Titantetrachlorid-Lösungen eine sehr hohe Salzsäurekonzentration von 6 mol/l, was die Anwendbarkeit des Verfahrens in Bezug auf die Substratwahl zunächst stark einschränkt. Die Zugabe von Komplexbildnern ermöglicht jedoch moderatere Bedingungen. So lassen sich die in Abbildung 5 gezeigten TiO2-Schichten aus Lösungen erhalten, die einen Peroxokomplex des Titans enthalten. In diesem Fall sind bereits Säurekonzentrationen im Bereich zwischen 0,1 und 0,2 mol/l zur Bildung homogener Filme hinreichend. Diese Möglichkeit zur Kontrolle des für die Abscheidung erforderlichen pH-Wertes durch solche Komplexbildner ermöglicht auch die Codeposition von Oxiden verschiedener Elemente, welche in der Regel bei unterschiedlichen, für das jeweilige Oxid spezifischen Säurekonzentration erfolgt. So konnten Schichten aus den Oxiden des Titans und Vanadiums (TiO2/V2O5) abgeschieden werden, welche beispielsweise für katalytische Anwendungen interessant sind, etwa zum Abbau von schädlichen Stickoxiden in Abgasen.

Durch die Wahl geeigneter Versuchsbedingungen ermöglicht dieses Niedertemperaturverfahren gemäß den dargelegten Befunden auch die Beschichtung von thermisch oder chemisch labilen Materialien, z. B. zum Schutz von Kunststoffen vor ultravioletter Strahlung. So konnten unlängst erfolgreich Titandioxid-Schichten auf den Kunststoff Polyethylenterephthalat abgeschieden werden. Neben massiven Polymersubstraten können zur Abscheidung auch dünne Schichten aus Polymeren eingesetzt werden. Über diesen Weg lassen sich organisch/anorganische Vielschichtsysteme erhalten, indem Schichten aus den organischen Polymeren bzw. den anorganischen Komponenten sukzessive abgeschieden werden (Abb. 6).

Als Vorbild für solche mehrlagigen Schichtsysteme dient der Aufbau der Perlmutt-Struktur einer Austernschale. Diese konstituiert sich aus Calciumcarbonat-Platten, zwischen denen organische, proteinbasierte Moleküle eingelagert sind. Bemerkenswerterweise besitzen diese Architekturen gegenüber dem rein anorganischen Mineral eine erhöhte mechanische Festigkeit und Zähigkeit. Dementsprechend werden derzeit die aus Titandioxid und organischen Polymeren bestehenden bioinspirierten Materialien im Hinblick auf deren mechanische Eigenschaften, etwa zur Erzeugung kratzfester Beschichtungen, getestet.

Attraktiv erscheint auch die Abscheidung von zinkoxidbasierten Materialien, welche sich beispielsweise als Leuchtstoffe für den Bau von Displays oder als Elektrodenmaterial für Solarzellen anbieten. Die Abscheidung von miniaturisierten Komponenten aus ZnO mittels wässriger Salzlösungen ist jedoch aufgrund der Tendenz zum Wachstum von stängelförmigen, mikrometergroßen Zinkoxid-Kristallen in der Lösung problematisch (Abb. 7, links).

Durch die Zugabe von löslichen Polymeren zur Reaktionslösung kann das anisotrope Teilchenwachstum unterbunden werden. Dabei lagern sich die Polymermoleküle an die zunächst gebildeten Nanopartikel aus Zinkoxid an und verhindern so deren weiteres Wachstum (Abb. 8).

Durch die elektrostatische Wechselwirkung der gebildeten ZnO/Polymer-Hybride mit der Substratoberfläche wird die Schichtbildung induziert. Dabei lassen sich durch die Einstellung der Partikelladung und der Polarität der Substratoberfläche gezielt dünne Schichten abscheiden. So liegen in Gegenwart des Polymers PMAA-g-PEO negativ geladene Hybridpartikel vor, wozu die Dissoziation der funktionellen –COOH-Gruppen unter der Bildung von Carboxylat-Gruppen (-COO-) beiträgt. Demgemäß erfolgt die Schichtbildung in diesem Fall bevorzugt auf Substraten, deren Oberfläche durch SAMs mit neutralen bis positiv geladenen funktionellen Kopfgruppen modifiziert ist. Negative Gruppen wie Sulfonat-Einheiten führen nicht zur Bildung homogener Schichten. Dagegen wird bei der Zugabe des Polymers PVP insbesondere auf Sulfonat-terminierten SAMs eine Abscheidung beobachtet.

Diese Verhältnisse lassen sich auch zur lateralen Strukturierung von Zinkoxid-Schichten verwenden. Eine solche Struktur ist in Abbildung 9 (links) gezeigt. Diese Struktur weist lumineszierende Eigenschaften auf (Abb. 9, rechts).

Mineralisation in der Gegenwart von Aminosäuren und Peptiden

Zur Kontrolle von Mineralisationsvorgängen in Metallsalzlösungen lassen sich auch Aminosäuren und Peptide einsetzen. Die Wechselwirkung von Zinkionen mit Biomolekülen ist in der belebten Natur weit verbreitet. So liegt im sog. Zinkfinger, einem DNS-bindenden Protein, eine Wechselwirkung zwischen Zinkionen und den Aminosäurebausteinen Histidin und Cystein vor. Diese Wechselwirkung lässt sich ausnutzen, um in bioinspirierter Weise dünne Schichten auf der Basis von Zinkoxid herzustellen, wobei durch diese Wechselwirkung die gleiche Wirkung erzielt werden kann wie mit den o. g. synthetisch erzeugten Makromolekülen. Wie aus Abbildung 10 hervorgeht, lassen sich in der Gegenwart von Histidin (His) oder des Dipeptids, welches sich aus den Aminosäurebausteinen Glycin (Gly) und Histidin aufbaut, homogene Schichten erhalten, wobei die in Abbildung 7 (links) gezeigten stängelförmigen Kristalle nicht auftreten.

Weitere Untersuchungen zeigen, dass sich die Morphogenese durch die Gegenwart von Aminosäuren und Peptiden bei der Mineralisation beeinflussen lässt. Je nach Art der Biomoleküle entstehen außer Schichten auch korn-, stängel- sowie schwammartige Morphologien. So führt die Mineralisation in Gegenwart der Aminosäure Arginin (Arg) zu einem plattenförmigen Aufbau. Wird dagegen beispielsweise ein Peptid aus den Aminosäurebausteinen Tryptophan und Glycin (Trp-Gly) eingesetzt, bilden sich schwammartige Strukturen.

Zu solchen Architekturen finden sich Analoga in der belebten Natur. Der plattenförmige Aufbau ist typisch für die bereits in Abbildung 6 (unten) gezeigte Perlmuttstruktur. Die erhaltenen schwammartigen Morphologien, die eine Mikro- und Nanostruktur in sich vereinigen (Abb. 11, links), finden sich auch auf der aus organischem Material bestehenden Oberfläche von Blättern der Taro- oder Lotus-Pflanze (Abb. 11, rechts).

Diese Analogien können bei den bioinspirierten Materialien zu Eigenschaften führen, die denen der Biomaterialien entsprechen. So zeigen die synthetisch erzeugten Schwammstrukturen ein stark Wasser abweisendes Verhalten (Abb. 12), welches auch für die Oberfläche der Taro- oder Lotus-Pflanze typisch ist („Lotus-Effekt“).

Schlussbemerkung

Die aufgezeigten Beispiele verdeutlichen, dass die von Organismen in der belebten Natur bekannten Vorgänge zur Bildung anorganischer Bestandteile auf die Herstellung technisch interessanter Materialien übertragen werden können. Auch wenn die Rolle der biologischen Template bei der Biomineralisation im Einzelnen noch relativ wenig bekannt ist, ist das Konzept der Steuerung der Abscheidung von Ionen und Oberflächenladungen aufweisenden kolloidalen Teilchen aus wässrigen Lösungen mittels künstlicher organischer Template und Biomoleküle inzwischen sehr erfolgreich. Aus technischer Sicht ist besonders hervorzuheben, dass bei der Abscheidung keramische Schichten gebildet werden, die dicht, d. h. porenfrei sind. Die Materialbildung erfolgt nahezu bei Umgebungsbedingungen bezüglich Temperatur bzw. Druck und sogar in wässrigen Medien, was eine enorme Vereinfachung der Herstellung keramischer Bauteile darstellt.

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