Forschungsbericht 2003 - MPI für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht

Probleme des europäischen und internationalen Patentrechts

Autoren
Straus, Joseph; Schneider, Michael
Abteilungen

Geistiges Eigentum und Wettbewerbsrecht (Prof. Dr. Dres. h.c. Joseph Straus)
MPI für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht, München

Zusammenfassung
Seit 1978 erteilt das Europäische Patentamt europäische Bündelpatente. Dies sind Patente mit gleicher Wirkung wie nationale Patente der Vertragsstaaten. Über deren Rechtsbeständigkeit und Verletzung entscheiden die Gerichte der Vertragsstaaten. Es ist bisher weder gelungen, ein Gemeinschaftspatent, noch eine zentrale europäische Patentgerichtsbarkeit zu schaffen. Während die EU-Kommission im Rahmen der vorgeschlagenen Gemeinschaftspatentverordnung eine zentralisierte Patentgerichtsbarkeit anstrebt, welcher keine Zuständigkeit in Bezug auf europäische Bündelpatente zukommen sollte, legte eine Arbeitsgruppe der Vertragsstaaten des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ) einen Entwurf für ein Europäisches Patentstreitübereinkommen (EPLA) vor. Am Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht, das in die Vorarbeiten für das EPLA miteinbezogen wurde, sind Vorschläge erarbeitet worden, wie die beiden Vorhaben gewinnbringend zusammengeführt werden könnten.

Fragen des internationalen und europäischen Patentrechts bilden seit jeher zentrale Forschungsfelder des Max-Planck-Instituts für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht. Verschiedene patentrechtliche Aspekte der Globalisierung, Regionalisierung und der rasanten Entwicklung neuer Technologien waren und sind Gegenstand mehrerer Forschungsvorhaben. Im Bereich des europäischen Patentrechts beschäftigte sich ein Forschungsprojekt mit der künftigen europäischen Patentgerichtsbarkeit.

Die Schaffung des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ) hat die Patenterteilung in Europa sowohl inhaltlich als auch verfahrensrechtlich vereinheitlicht. Durch seine übergreifenden Bestands- und Schutzumfangsregelungen wurde auch das materielle Recht der Nacherteilungsphase weitgehend harmonisiert. Eine gemeinsame Gerichtsbarkeit zur einheitlichen Auslegung und Anwendung dieses harmonisierten Rechts im Patentverletzungs- und Nichtigkeitsverfahren fehlt aber bislang. Die wachsende Anzahl paralleler und grenzüberschreitender Patentstreitigkeiten in Europa ist geprägt von Auslegungsunterschieden und -widersprüchen zwischen den einzelnen nationalen Gerichten sowie den darauf aufbauenden, zum Teil rechtsmissbräuchlichen Taktiken der Streitparteien wie "Forum Shopping" (Kläger könnten sich bei der Wahl des Gerichts davon leiten lassen, ob das Gericht besonders patentfreundlich ist oder nicht) oder "Torpedo-Klagen" (zum Beispiel negative Feststellungsklagen bei Gerichten, die notorisch überlastet sind und erst nach Jahren terminieren oder entscheiden).

Das nach der ursprünglichen Konzeption auf das Bündelpatent des EPÜ aufbauende einheitliche Gemeinschaftspatent und seine Gerichtsbarkeit konnten bislang nicht verwirklicht werden. Die Analyse der Streitregelungsentwürfe früherer Übereinkommensfassungen zeigt, dass diese im Vergleich zu den schon Anfang der 1960er Jahre überzeugend aufgezeigten Grundanforderungen sämtlich zu kurz griffen. Zwar sahen sie einheitliche materielle Bestands- und Schutzbereichsregelungen für das zu schaffende Gemeinschaftspatent vor, sie überließen aber insbesondere die zivilrechtlichen Sanktionen einer Patentverletzung und ihre Durchsetzung dem nationalen Recht. Dadurch mussten nationale Gerichtsbarkeiten einschließlich ihrer Verfahrensordnungen notwendig einbezogen werden. Letztlich verhinderte dies die Schaffung eines in sich stimmigen und unabhängig vom Gerichtsstand qualitativ hochwertigen Streitregelungssystems. Kompromisslösungen wie die 1985 und 1989 beschlossene Errichtung eines Patentberufungsgerichts (COPAC), das den nationalen Patentstreitgerichten Gemeinsamenübergeordnet sein sollte, waren gemeinschaftsrechtlich nicht zulässig und hätten die angestrebte Rechtsprechungsvereinheitlichung mit einer für die Nutzer nicht akzeptablen Verfahrensverzögerung erkauft.

Seit der Vorlage des Kommissionsentwurfs für eine Gemeinschaftspatentverordnung vom August 2000 und der parallelen Veröffentlichung der ersten Entwürfe der im Juni 1999 von den Mitgliedstaaten der Europäischen Patentorganisation (EPO) eingesetzten Arbeitsgruppe "Streitregelung" für eine EPÜ-Patentgerichtsbarkeit ist wieder eine Diskussion über eine Reform der Patentgerichtsbarkeit in Europa angelaufen, die zu lange von den Schlagworten "Zentralisierung" und "Dezentralisierung der Eingangsinstanz" beherrscht wurde. Zwar sind in Europa, anders als in den USA, besondere gerichtsorganisatorische Anforderungen zu berücksichtigen, die insbesondere auch aus den rechtlichen Bedingungen der schrittweise auf den Bereich des gewerblichen Rechtschutzes sowie der internationalen Gerichtszuständigkeit ausgedehnten Regelungskompetenz der Gemeinschaft und aus den auch im Patentrecht bislang strikt erachteten Sprachenvielfalt folgen. Weder das Subsidiaritätsprinzip des Gemeinschaftsrechts noch die für Streitigkeiten aus Gemeinschafts- und Europäischen Patenten zu erwartenden Verfahrenszahlen stehen aber der Errichtung einer bereits in der Eingangsinstanz personell und verfahrensrechtlich vergemeinschafteten Patentgerichtsbarkeit entgegen.

Der Ende 2002 von der EPO-Arbeitsgruppe "Streitregelung" vorgelegte Entwurf für ein Europäisches Patentstreitübereinkommen (EPLA) umfasst neben den institutionellen Vorschriften für die zu schaffende Gerichtsbarkeit auch detaillierte Verfahrensregelungen, insbesondere im Bereich der für das Patentstreitverfahren besonders wichtigen Beweiserlangungs- und Beweissicherungsmittel. Die vorgesehene Besetzung des Gerichts mit technischen Richtern, die weitgehende Begrenzung der Verfahrenssprachen auf die drei Amtssprachen des Europäischen Patentamts (EPA) sowie die umfassende autonome Regelung des Patentstreitverfahrens ist den auf Gemeinschaftsebene zuletzt bekannt gewordenen Kompromissvorschlägen vorzuziehen. Die Kompromissvorschläge sehen vor, eine für das Gemeinschaftspatent zu schaffende Patentstreitkammer in den Europäischen Gerichtshof (EuGH) einzubinden. Der EuGH ist aber ausschließlich juristisch besetzt, verhandelt in sämtlichen EU-Amtsprachen und urteilt nach einer letztlich nur ungenügend auf die besonderen Anforderungen des Patentstreitverfahrens zugeschnittenen Verfahrensordnung.

Inwiefern die künftige Gemeinschaftsgerichtsbarkeit und die Gerichtsbarkeit des Europäischen Patents miteinander verknüpft werden können, hängt maßgeblich letztlich vom politischen Willen der Europäischen Kommission ab. Ihre Auffassung, nach welcher die EG-Mitgliedstaaten infolge der Vergemeinschaftung des bisherigen EuGVÜ (Brüsseler EWG-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidung in Zivil- und Handelssachen) schon nicht mehr die Kompetenz zur Schaffung einer eigenständigen EPÜ-Gerichtsbarkeit haben, ist aus rechtlicher Sicht nicht haltbar. Die Kommission sollte daher ihren Widerstand gegen eine EPÜ-Patentstreitregelung aufgeben und konstruktiv zu einer möglichst engen Verzahnung beider Gerichtsbarkeiten beitragen. Die von ihr gegenwärtig angestrebte Harmonisierung der nationalen (Verfahrens-)Rechtsordnungen wird die weiter bestehenden Probleme der internationalen Zuständigkeitsordnung nicht überwinden. Sie ist mit Blick auf die Rechtsdurchsetzung aus nationalen Patenten zu begrüßen, für die Durchsetzung paralleler europäischer Patente greift sie zu kurz.

Allerdings ist auch die EPÜ-Rechtsordnung mittlerweile so sehr mit der Gemeinschaftsrechtsordnung verwoben, dass für die zu schaffenden Gerichtsbarkeiten eine gemeinsame Trägerschaft der Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten angestrebt werden sollte. Auf diese Weise könnten die Gerichtsbarkeiten des Gemeinschafts- und des Europäischen Patents zusammengeführt werden und von den bereits genannten verfahrensrechtlichen Vorzügen des EPÜ-Entwurfs profitieren.

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