Das menschliche Gehirn verstehen

Funktionelle Kernspintomografie-Bilder spiegelt Eingangssignale von Nervenzellen wider

19. September 2014

Die Entwicklung der Magnetresonanztomografie (MRT) ist eine Erfolgsgeschichte der Grundlagenforschung. Aus der medizinischen Diagnostik ist die MRT heute nicht mehr wegzudenken. Aber diese Forschung hat Zeit gebraucht – nahezu ein halbes Jahrhundert ist vergangen, seit Physiker ihre ersten Untersuchungen zur so genannten Kernspinresonanz starteten. Mit einem neuen methodischen Ansatz ist es Nikos K. Logothetis und seinen Mitarbeitern vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen 2001 gelungen, das Verständnis für die Grundlagen der funktionellen MRT maßgeblich zu erweitern.

Der große Vorteil der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) liegt darin, dass sie keine größeren Eingriffe in den Organismus erfordert. Elektromagnetische Wellen wirken hierbei auf den menschlichen Körper ein. Schädigungen können nach dem derzeitigen Kenntnisstand ausgeschlossen werden. Allerdings weist das von fMRT-Geräten erzeugte Magnetfeld eine sehr hohe Feldstärke auf – es ist etwa eine Million Mal so groß wie das natürliche Magnetfeld der Erde.

Das physikalische Phänomen, das der fMRT zugrunde liegt, ist die so genannte Kernspinresonanz. Der Weg zu ihrer Entdeckung ist von zahlreichen Nobelpreisen begleitet, und er beginnt bereits in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts mit der Beschreibung der Eigenschaften von Atomen. Die Idee, die Kernspinresonanz als diagnostisches Instrument einzusetzen, taucht schon in den 1950er-Jahren auf. Aber es bedarf weiterer Entwicklungen bevor sie in Form der Magnetresonanztomografie Realität wird.

Heute liefert die MRT nicht nur Bilder aus dem Inneren unseres Körpers, sondern erlaubt auch, Aussagen über den Funktionszustand bestimmter Gewebe. Der Durchbruch für die fMRT gelang Forschern in den 1980er-Jahren, als sie herausfanden, dass sie mit der MRT auch Änderungen im Sauerstoffgehalt des Bluts nachweisen können – ein Prinzip das auch als BOLD (englisch: blood oxygen level dependent) bezeichnet wird. Die magnetische Empfindlichkeit von sauerstoffreichem arteriellem Blut unterscheidet sich um 20 Prozent von sauerstofffreiem venösem Blut. Das desoxygenierte Hämoglobin erhöht im Gegensatz zu oxygeniertem Hämoglobin die Stärke des magnetischen Felds in seiner unmittelbaren Umgebung. Dieser Unterschied lässt sich auf einem MRT-Bild erkennen.

Insbesondere in der neurobiologischen Forschung hat die fMRT den Wissenschaftlern neue Einblicke in das Gehirn verschafft. Nach einer Phase der Euphorie macht sich unter Wissenschaftlern allerdings Skepsis breit, wie aussagekräftig die „bunten Bilder“ wirklich sind. Denn mit der fMRT lassen sich zwar Unmengen von Daten produzieren, vielfach fehlt es aber an Hintergrundinformationen oder Grundlagen, um die Messwerte überhaupt richtig interpretieren zu können. So klafft eine große Lücke zwischen der mittels fMRT gemessenen Hirnaktivität und den auf der Basis elektrophysiologischer Ableitungen an Tieren erhaltenen Erkenntnissen.

Das hatte bisher vor allem technische Ursachen: Dem zeitgleichen Einsatz beider Untersuchungsmethoden und damit dem Brückenschlag vom Tierversuch hin zu den am Menschen gewonnenen Befunden stand die Wechselwirkung zwischen dem starken Magnetfeld des Tomografen und den an den Elektroden gemessenen Strömen im Weg.

fMRT zeigt Eingangssignale

Dieses Hindernis konnten Nikos Logothetis und seine Mitarbeiter vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen 2001 erstmals überwinden: Mit Hilfe von Spezialelektroden und einer aufwändigen Datenverarbeitung war es ihnen nicht nur gelungen, zweifelsfrei nachzuweisen, dass mit BOLD-fMRT tatsächlich Veränderungen der Aktivität der Nervenzellen gemessen werden. Die Forscher haben darüber hinaus festgestellt, dass das BOLD-Signal vor allem den Eingang von Information in die jeweilige Hirnregion sowie ihre dortige Verarbeitung widerspiegelt und weniger die Ausgangssignale, die an andere Hirnregionen weitergegeben werden. Diese Publikation stellte einen Meilenstein im Verständnis der MRT dar und wurde mittlerweile über 2500-mal weltweit zitiert.

Mit ihrer neuartigen experimentellen Anordnung konnten die Tübinger Wissenschaftler verschiedene Aspekte der Nervenzellaktivität untersuchen und zwischen den so genannten Aktionspotenzialen und lokalen Feldpotenzialen unterscheiden. Aktionspotenziale sind elektrische Signale, die von einzelnen Neuronen oder einer relativ kleinen Gruppe von Neuronen stammen; es handelt sich um Alles-oder-Nichts-Signale, die nur auftreten, wenn der auslösende Reiz stark genug war. Die Aktionspotenziale spiegeln somit das Ausgangssignal wider. Registriert werden diese Signale von Ableitelektroden, die sich in unmittelbarer Nähe der Nervenzellen befinden. Die lokalen Feldpotenziale sind dagegen sich langsam verändernde elektrische Potenziale, die das Eingangssignal und seine Weiterverarbeitung in einer größeren Gruppe von Nervenzellen wiedergeben.

Die Max-Planck-Forscher untersuchten die Antworten auf einen optischen Reiz im visuellen Kortex von narkotisierten Affen zeitgleich mit diesen drei verschiedenen Methoden. Der Vergleich der Messreihen ergab, dass die fMRT-Daten mit den lokalen Feldpotenzialen und weniger mit den Einzelzell- und so genannten Multi-Unit-Ableitungen zusammenhängen. Und das heißt, dass die Änderungen des Sauerstoffgehalts im Blut nicht unbedingt mit den Ausgangssignalen der Zellen einhergehen, sondern vielmehr den Eingang von Signalen aus anderen Hirnregionen und deren Verarbeitung repräsentieren.

Eine weitere wichtige Erkenntnis aus den experimentellen Untersuchungen der Tübinger Forscher war auch, dass die BOLD-fMRT-Daten aufgrund der großen Variabilität der Gefäßreaktionen ein viel kleineres Signal-Rausch-Verhältnis haben als die elektrophysiologischen Ableitungen. Dies hat zur Folge, dass bei der üblichen statistischen Auswertung menschlicher fMRT-Daten die Ausdehnung der Aktivität im Gehirn unterschätzt wird. Anders ausgedrückt: Das Fehlen eines fMRT-Signals bedeutet also nicht unbedingt, dass in diesem Hirnbereich keine Informationsverarbeitung stattfindet. Dies müssen die Ärzte bei der Interpretation von fMRT-Daten berücksichtigen.

 

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