Angriff oder Flucht – das Zebrafisch-Auge entscheidet

Die Unterscheidung zwischen Beute und Fressfeind findet bereits im Auge einer Zebrafisch-Larve statt

18. September 2014

Rot oder grün? Klein oder groß? Schnell oder langsam? Menschen und Tiere verlassen sich auf ihr Sehorgan, um Dinge in ihrer Umwelt einzuordnen. Entscheidungen darüber, wie wir am besten auf bewegte Objekte in unserer Umgebung reagieren, erfolgen oft sehr schnell und unbewusst. Die Größe eines bewegten Objektes ist offensichtlich ein wichtiges Kriterium. Die rasante Geschwindigkeit, mit der eine Reaktion erfolgt, lässt vermuten, dass spezialisierte neuronale Schaltkreise im Sehsystem für die Erkennung wichtiger Objekteigenschaften zuständig sind. Werden sie aktiviert, geben sie das Signal „Flucht“ oder „Attacke“ im Gehirn. Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für medizinische Forschung in Heidelberg haben die Arbeitsweise solcher Schaltkreise im Gehirn der Zebrafischlarve aufgeklärt, die vermutlich einen entscheidenden Beitrag zur größenabhängigen Objektklassifizierung leisten.

Wie entscheidet das Gehirn, welche Dinge in unserer komplexen Umwelt eine unmittelbare Reaktion von uns verlangen? Eine zentrale Frage im Tierreich lautet: „Ist das, was sich in meiner Umgebung bewegt, Beute oder Fressfeind?“, die im Ernstfall eine schnelle Antwort verlangt. Offenbar gelingt es dem Sehsystem, aus der sich ständig ändernden Verteilung von Lichtreizen auf der Netzhaut anhand einfacher Kriterien Objekte zu erkennen und, falls nötig, ohne Umwege eine schnelle Reaktion hervorzurufen. Bereits am Modellsystem der Zebrafischlarve lassen sich die grundlegenden Mechanismen der Objektklassifizierung untersuchen.

Das gut entwickelte Sehsystem erlaubt es der Larve, kleine Beutetiere zu fangen und größeren Objekten auszuweichen. Die Entscheidung darüber, ob sich das Tier dem Objekt zu- oder abwendet, ist eine Frage der Größe. Wissenschaftler um Johann Bollmann am Max-Planck-Institut in Heidelberg konnten nun zeigen, dass kleine und große Reize, die diese unterschiedlich gerichteten Schwimmbewegungen auslösen, neuronale Aktivität in eng benachbarten, aber unterschiedlichen Schaltkreisen des Fischgehirns erzeugen. Dabei beginnt die verhaltensrelevante Größenunterscheidung bereits in den Ganglionzellen des Auges.

In der Netzhaut des Auges kommen eine Vielzahl unterschiedlicher Typen von Ganglionzellen vor, die spezifisch beispielsweise auf Farbe, Größe, Bewegung oder Kontrast reagieren. Wie diese unterschiedlichen Botschaften über den Sehnerv in das Gehirn verteilt und weiterverarbeitet werden, ist bei weitem nicht verstanden. Die Forscher konnten nun in einem zentralen Areal des Fischhirns, dem Tektum, solche Zellen identifizieren, die spezifisch auf diejenigen Objektgrößen reagieren, die in der Welt der Zebrafischlarve einer kleinen Beute beziehungsweise einem großen Störenfried entsprechen.

Es zeigte sich, dass bereits die Nervenendigungen von Ganglionzellen, die im Tektum münden, unterschiedlich auf die Objektgröße reagieren. Andere, nachgeschaltete Zelltypen im Tektum unterschieden in ihren Aktivitätsmustern ebenfalls zwischen kleinen und großen Objekten auf der für den Zebrafisch relevanten Größenskala, je nachdem in welcher Schicht sie ihre synaptischen Eingänge erhalten.

„Das deutet darauf hin, dass die Größenklassifizierung in der Netzhaut des Auges beginnt, um anschließend das Gesehene im Tektum in die Kategorien „klein genug, um als Beute zu gelten“ beziehungsweise „hinreichend groß, um sich in Acht zu nehmen“ einzusortieren. Entsprechend passt dann die Fischlarve ihr Verhalten an“, sagt Johann Bollmann vom Max-Planck-Institut für medizinische Forschung. Auch im Säugetiergehirn sind ganz ähnliche Strukturen vorhanden, die wesentlich an der visuellen Steuerung solch zielgerichteter Bewegungen beteiligt sind. Dies legt den Schluss nahe, dass Aufgaben der Objekterkennung und Handlungssteuerung hier auf ähnliche Weise gelöst werden wie im kleinen Gehirn der Fischlarve. 

JHB/HR

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