Forschungsbericht 2003 - Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik

Kernarbeitsnormen in Verträgen der Entwicklungszusammenarbeit

Autoren
Becker, Ulrich
Abteilungen
Zusammenfassung
Mit der Einführung verbindlicher Sozialklauseln sollen nach Sicht zahlreicher Industriestaaten menschenwürdige Arbeitsbedingungen und ein hinreichender sozialer Schutz gewährleistet werden, wobei man in der Regel auf die so genannten Kernarbeitsnormen zurückgreift, die in einer Deklaration der Internationalen Arbeitsorganisation aufgeführt und in insgesamt acht Abkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) niedergelegt sind. Für die Bundesrepublik Deutschland als Geberland stellt sich die Frage, inwieweit die Beachtung der Kernarbeitsnormen bei der Durchführung von Projekten der Entwicklungszusammenarbeit rechtlich verbindlich vorgeschrieben werden kann und soll.

Die Einführung von Sozialklauseln im Rahmen der Welthandelsordnung wird seit einigen Jahren zwischen Entwicklungsländern und Industriestaaten intensiv diskutiert. Mit der verbindlichen Einhaltung von Sozialklauseln sollen nach Sicht zahlreicher Industriestaaten menschenwürdige Arbeitsbedingungen und ein hinreichender sozialer Schutz gewährleistet werden. Dabei greift man in der Regel auf die so genannten Kernarbeitsnormen zurück, die in einer Deklaration der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) aufgeführt und in insgesamt acht Abkommen der ILO niedergelegt sind. Es handelt sich dabei um die Bereiche Zwangsarbeit (Nr. 29, 105), Vereinigungsfreiheit (Nr. 87), Vereinigungsrecht / Kollektivverhandlungen (Nr. 98), gleiche Entlohnung (Nr. 100), Nichtdiskriminierung am Arbeitsplatz (Nr. 111), Beschäftigungsmindestalter (Nr. 138) und Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit (Nr. 182). Einige Entwicklungsländer sehen in solchen Vorgaben jedoch den Versuch der Industriestaaten, einen wesentlichen Wettbewerbsvorteil der Entwicklungsländer, nämlich günstige Löhne, auszuhebeln.

Im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit stellt sich für die Bundesrepublik Deutschland als Geberland die Frage, inwieweit bei der Durchführung von Projekten der Entwicklungszusammenarbeit rechtlich verbindlich vorgeschrieben werden kann und soll, dass Kernarbeitsnormen beachtet werden. Hintergrund ist die zunehmende Besorgnis, dass im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit Projekte gefördert werden könnten, bei denen - ähnlich wie im Umweltbereich - gewisse Mindeststandards nicht eingehalten und damit in der Öffentlichkeit negativ bewertet werden. Denn anders als noch vor einigen Jahren werden Projekte der Entwicklungszusammenarbeit ganzheitlich betrachtet und die Bereiche Umweltverträglichkeit und Auswirkungen auf die Lebenssituation der Betroffenen eingehend geprüft.

Das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Sozialrecht wurde von der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) beauftragt, eine Studie zur rechtlichen Zulässigkeit der Aufnahme von Kernarbeitsnormen in Verträge der Entwicklungszusammenarbeit zu erarbeiten. Auf der Grundlage eines vorgegebenen Problemkatalogs war zunächst die Frage zu prüfen, ob es überhaupt möglich ist, die Vertragspartner zur Einhaltung der Kernarbeitsnormen zu verpflichten, da es sich um völkerrechtliche Normen handelt. Darüber hinaus war zu erörtern, wie eine Kontrolle wirksam durchgeführt werden kann und welche Sanktionen rechtlich zulässig sind.

In der Studie [1] wurden Aspekte des Völkerrechts, etwa zur Verbindlichkeit und Durchsetzbarkeit internationaler Normen, untersucht. Ferner waren Fragen des internationalen Handelsrechts und des Vergaberechts zu klären. Diese Rechtsgebiete zählen zwar nicht zu den "klassischen" Bereichen des Sozialrechts. Doch vor allem das Vergabe- und Wettbewerbsrecht erlangt im Bereich der sozialen Sicherheit, wie das Beispiel des Gesundheitswesens zeigt, eine immer größere Bedeutung. Mit der zunehmenden Globalisierung der Wirtschaft wird die Überlegung, inwieweit über das Handelsrecht Sozialstandards durchgesetzt werden können, weiter an Bedeutung gewinnen. So hat die Europäische Union bereits 1998 die Beachtung von Sozialstandards mit der Einräumung von Zollpräferenzen verknüpft. Bei einer Revision der Klauseln im Jahre 2002 wurde dieser Zusammenhang vertieft und die Zusammenarbeit mit der ILO verstärkt. Die zu beobachtende Entwicklung auf internationaler Ebene zeigt, dass die Um- und Durchsetzung von Sozialklauseln in mehreren Ländern Gegenstand einer heftigen Debatte ist, die sich im Rahmen der weiteren Globalisierung noch verschärfen wird, da die Grundlagen eines sozial abgesicherten Lebens tangiert werden. Wegen dieser grundsätzlichen Bedeutung der (Weiter-)Entwicklung von Sozialklauseln wird die Thematik der Kernarbeitsnormen weiterhin Forschungsgegenstand des Instituts sein.

Literatur

[1] Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Sozialrecht: Kernarbeitsnormen in Verträgen der Entwicklungszusammenarbeit. Deutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) GmbH, Eschborn 2004.

Zur Redakteursansicht