Forschungsbericht 2003 - Max-Planck-Institut für Mikrostrukturphysik

Halbleiter-Nanodrähte

Semiconductor Nanowires

Autoren
Kolb, Florian M.; Breitenstein, Otwin; Erfurth, Wilfried; Hofmeister, Herbert; Schmidt, Volker; Scholz, Roland; Schubert, Luise; Senz, Stephan; Werner, Peter; Zacharias, Margit; Zakharov, Nikolai; Gösele, Ulrich
Abteilungen

Experimentelle Abteilung II (Prof. Dr. Ulrich Gösele †)
MPI für Mikrostrukturphysik, Halle (Saale)

Zusammenfassung
Halbleiter-Nanodrähte stellen ein interessantes Forschungsgebiet an der Schnittstelle zwischen Grundlagenforschung und Technologie dar. Die Analyse des Wachstumsprozesses, der Eigenschaften und möglicher Anwendungen ist Bestandteil der Forschung zu Halbleiter-Nanodrähten am Max-Planck-Institut für Mikrostrukturphysik in Halle. Mithilfe verschiedener Wachstumsverfahren wurden erfolgreich Halbleiter-Nanodrähte hergestellt und im Elektronenmikroskop charakterisiert. Weitere Untersuchungen, wie z.B. der elektrischen und optischen Eigenschaften werden derzeit durchgeführt.
Summary
Semiconductor nanowires represent a promising research field where basic research and technology meet. The analysis of their growth mechanism, their properties and their possible applications are part of the research at the Max Planck Institute of Microstructure Physics in Halle. Several different growth methods have been applied to fabricate semiconductor nanowires, which were characterized using electron microscopy. Further investigations, e.g. of the electrical and optical properties are currently carried out.

Halbleiterforschung und Halbleitertechnologie stoßen in immer kleinere Dimensionen vor. Das bekannteste Beispiel hierfür stellt die Entwicklung und Fertigung von Integrierten Schaltkreisen (ICs) dar. Von Gordon Moore wurde 1965 ein exponentielles Wachstum der Anzahl der Transistoren pro IC vorausgesagt, das so genannte "Mooresche Gesetz" [1]. Damit notwendigerweise verbunden ist eine Reduktion der Strukturgröße bei der Herstellung der integrierten Scahltkreise (ICs). So lagen in den 70er- und 80er- Jahren des letzten Jahrhunderts die Strukturgrößen im Mikrometerbereich ("Mikro"prozessor), stießen in den 90er-Jahren erstmals in den Sub-µm-Bereich vor und liegen heute (2004) bei 130 bis 90 Nanometer. Gleichzeitig stiegen aber bei zunehmender Miniaturisierung die Kosten für die Herstellung dieser Strukturen exponentiell an. Daher beschäftigt man sich derzeit intensiv mit der Erforschung alternativer Halbleitertechnologien im Nanometermaßstab. Neben diesen technologischen Aspekten bieten die nanostrukturierten Halbleiter jedoch auch für die physikalische Grundlagenforschung hochinteressante Möglichkeiten, da bei derartig kleinen Abmessungen Quanteneffekte aufzutreten beginnen.

Nanodrähte in Forschung und Technologie

Halbleiter-Nanodrähte stellen eine vielversprechende Klasse nanostrukturierter Halbleiter dar. Diese, auch "Nanowires" oder "Nanowhisker" genannten Strukturen, besitzen einem Durchmesser von einigen hundert Nanometern bis hinab zu wenigen Nanometern. Die Länge der Nanodrähte kann dabei mehrere Mikrometer erreichen. Allen Nanodrähten gemeinsam ist der kristalline Kern aus einem Halbleitermaterial. Dies kann ein Halbleiter der vierten Hauptgruppe sein, wie z.B. Silizium oder Germanium, möglich sind aber auch III-V- oder II-VI-Verbindungshalbleiter wie InP, oder ZnO. Der Vorteil von Silizium als Basismaterial für Halbleiter-Nanodrähte besteht darin, daß sich viele Prozesse aus der Siliziumtechnologie auch für die Herstellung, Bearbeitung und Untersuchung der Nanodrähte verwenden lassen.

Je nach verwendetem Herstellungsprozess besitzen einige Nanodrähte neben dem kristallinen Kern eine Hülle aus einem anderen Material, z.B. amorphes Siliziumdioxid, so genannte "core-shell"-Strukturen. Ebenso möglich ist die Herstellung von Heterostrukturen entlang der Längsachse des Nanodrahtes. So wurde 2003 von C. Thelander et al. aus der Arbeitsgruppe von Prof. L. Samuelson, Universität Lund (Schweden), auf der Grundlage eines InAs/InP-Heterostruktur-Nanodrahts ein Einzelelektron-Transistor realisiert [2]. Auch einfache Logikbausteine wie OR, AND und NOR wurden bereits auf Basis von Nanodrähten verwirklicht [3]. Elektrolumineszenz an p-n-dotierten Nanodrähten [4], optisch [5] und sogar elektrisch gepumpte Lasertätigkeit [6] wurde an Nanodrähten beobachtet. Darüber hinaus stellten die Halbleiter-Nanodrähte ihre Eignung für biologische und chemische Sensoranwendungen [7] unter Beweis. Denkbar sind auch Anwendungen in Verbindung mit biologischen oder biochemischen Systemen ("Bio-Nanotechnologie"). Als Grundlage einer möglichen technologischen Anwendung wird hierbei häufig das so genannte "bottom-up"-Prinzip gesehen. In der herkömmlichen "top-down"-Halbleitertechnologie werden die Funktionselemente mittels Lithographie und Ätztechnik in einem Halbleitersubstrat "von oben herab" definiert. Im Gegensatz dazu basiert eine mögliche Nanodraht-Technologie bereits von Anfang an auf nanometergroßen Strukturen, die dann in einem "Baukastensystem" miteinander kombiniert werden sollen.

Am Max-Planck-Institut für Mikrostrukturphysik in Halle konzentriert sich die Forschung an Nanodrähten auf die kontrollierte Herstellung und Analyse der physikalischen Eigenschaften dieser vielversprechenden Halbleiterstrukturen.

Grundlagen des Nanodraht-Wachstums

Grundlage der Herstellung von Nanodrähten ist zumeist der so genannte Vapor-Liquid-Solid-Mechanismus (VLS), der 1964 von Wagner et al. anhand von Beobachtungen beim Wachstum von "Whiskern" im Millimeter- bis Mikrometerbereich beschrieben wurde [8]. Hierbei werden auf ein Substrat, z.B. einen Silizium-Wafer, Inseln bestimmter Metalle, z.B. Gold, aufgebracht, die die Keime für das Nanodrahtwachstum darstellen. Durch Erhitzen und Zufuhr eines Halbleiters über die Gasphase bilden Halbleiter und Metall entsprechend des Phasendiagramms eine flüssige Legierung, da der Schmelzpunkt der Legierung im Vergleich zu den Schmelzpunkten der Ausgangsmaterialien erniedrigt ist. Eine kontinuierliche Zuführung des Halbleiters über die Gasphase hat nun eine Übersättigung des Halbleiters im Metall-Halbleiter-Tropfen zur Folge. Der überschüssige Halbleiter kristallisiert dabei in Form eines Drahtes unter dem Tropfen aus.
Die Zufuhr des Halbleiters kann auf verschiedenste Weise geschehen. Am MPI für Mikrostrukturphysik kommen zur Herstellung der Nanodrähte Silizium-/Germanium-Molekularstrahlepitaxie (MBE), Gasphasenabscheidung (CVD) mit Silan, laser-unterstützte Abscheidung (PLD) von Halbleitermaterialien, sowie thermische Verdampfung von Siliziummonoxid (SiO) und Zinkoxid (ZnO) zur Anwendung.

Molekularstrahlepitaxie als Wachstumsverfahren

Die Molekularstrahlepitaxie bietet eine interessante Möglichkeit zur Untersuchung der Physik des Wachstumsprozesses, und stellt gleichzeitig ein flexibles Herstellungsverfahren für Nanodrähte dar. Für die physikalischen Untersuchungen des Wachstumsprozesses ist von Vorteil, dass zumeist einzelne Siliziumatome auf die Probe treffen, im Gegensatz zu anderen Wachstumsverfahren, bei denen der Halbleiter häufig in Form eines Vorläufer-Moleküls (sog. "Precursor") vorliegt, welches zuerst gespalten werden muss.

Abbildung 1 zeigt eine rasterelektronenmikroskopische Aufnahme von Silizium-Nanodrähten, welche mittels MBE hergestellt wurden [9]. Als Substrat diente ein (111)-orientierter Siliziumwafer. Die Nanodrähte stehen senkrecht auf der Unterlage, da der VLS-Mechanismus eine [111]-Wachstumsrichtung der Nanodrähte bevorzugt. An der Spitze der Nanodrähte ist jeweils der für das Wachstum notwendige Goldtropfen zu erkennen. Das einfache Umschalten zwischen verschiedenen Halbleiterquellen erlaubt darüber hinaus die Herstellung von Nanodrähten unterschiedlicher Materialien. Damit lassen sich z.B. Nanodrähte mit integrierten Silizium-Germanium-Heterostrukturen herstellen (Abb. 2).

Nanodrahtwachstum aus der Gasphase

Eine weiteres Wachstumsverfahren, das am MPI für Mikrostrukturphysik etabliert ist, ist die Kombination aus Siliziummonoxid-Verdampfung mit den Metallinseln des VLS-Mechanismus. Zwar läßt sich ausschließlich durch SiO das Wachstum von Nanodrähten erreichen, da jedoch definierte Keime für das Nanodrahtwachstum fehlen, ist eine Kontrolle über Position und Durchmesser der Nanodrähte schwierig. In Zusammenarbeit mit der Gruppe um Prof. S.T. Lee, The City University of Hong Kong, wurde daher das SiO-basierte Wachstum der Nanodrähte (der so genannte Oxide-Assisted-Growth) mit Goldinseln als Wachstumskeime kombiniert [10].

Hier dient das in festem Zustand metastabile SiO als Siliziumquelle. Bei erhöhten Temperaturen disproportioniert das SiO in Silizium und Siliziumdioxid. Das Silizium bildet hierbei den kristallinen Kern des Nanodrahtes, wohingegen sich das Siliziumdioxid während des Wachstums als amorphe Oxidhülle um den Siliziumkern legt. Abbildung 3 zeigt die Spitze eines solchen Nanodrahtes im Transmissionselektronenmikroskop. Man erkennt leicht den auch hier vorhandenen Goldtropfen an der Spitze des Nanodrahtes.

Im Gegensatz zu den mittels MBE und anderen VLS-basierten Wachstumsverfahren hergestellten Nanodrähten weisen diese Nanodrähte andere Wachstumsrichtungen als [111] auf. Häufig wurde z.B. eine Wachstumsrichtung von [110] beobachtet. Die Ursache für diesen Unterschied ist noch nicht bekannt und wird derzeit im Rahmen thermodynamischer Modelle untersucht.
Das für das Wachstum erforderliche Silizium kann auch über Silan (SiH4) in der Gasphase angeboten werden. Ein Beispiel für einen solchen Nanodraht mit einer [112]-Wachstumsrichtung und einem Durchmesser von 6 nm ist in Abbildung 4 zu sehen.

Elektrische Messungen an Nanodrähten

Viele weitere Eigenschaften der Halbleiter-Nanodrähte lassen sich durch elektrische Messungen erschließen. Um solche Messungen durchführen zu können, müssen die Nanodrähte elektrisch kontaktiert werden. Dies lässt sich entweder über ultrafeine Kontaktnadeln erreichen, welche im Rasterelektronenmikroskop den Kontakt zu den Nanodrähten herstellen, oder über einen Elektronenstrahllithographie-Prozess. In Abbildung 5 ist ein solcher kontaktierter Nanodraht dargestellt, bei dem die Kontaktleiterbahnen durch die Elektronenstrahllithographie definiert wurden.

Zusammenfassung

Dieser Bericht kann nur einen ersten Eindruck in das faszinierende Forschungsgebiet der Halbleiter-Nanodrähte vermitteln. Viele Details der Wachstumsmechanismen sind naturgemäß noch unbekannt, viele grundlegende Eigenschaften der Nanodrähte nicht oder nur anfänglich untersucht. Insbesondere der Bereich der Quantenphänomene, den es mit den Nanodrähten zu erreichen gilt, verspricht, daß sich die Grundlagenforschung und auch spätere Anwendungen zu einem interessanten Arbeitsgebiet entwickeln werden.

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