Forschungsbericht 2003 - Max-Planck-Institut für Psycholinguistik

"Putting Things in Places": Effekte linguistischer Typologie auf die Sprachentwicklung

Putting Things in Places: Developmental Consequences of Lingusitic Theory

Autoren
Narasimhan, Bhuvana; Bowerman, Melissa; Brown, Penny; Eisenbeiss, Sonja; Slobin, Dan
Abteilungen

Spracherwerb (Prof. Dr. Wolfgang Klein)
MPI für Psycholinguistik, Nijmegen

Zusammenfassung
Das Konzept "Ereignis" wurde als ein ontologisches Grundprinzip in natürlichen Sprachen postuliert. Dennoch haben sich bisher nur wenige Forscher mit den Mustern der Ereignis-Kodierung befasst. In der aktuellen Studie untersuchten Bhuvana Narasimhan und ihr Team am Max-Planck-Institut für Psycholinguistik, wie Erwachsene und Kinder Ereignisse der Platzierung (wie zum Beispiel ein Buch auf einen Tisch zu legen) in verschiedenen Sprachen (Finnisch, Englisch, Deutsch, Russisch, Hindi, Tzeltal Maya, Spanisch und Türkisch) ausdrücken. Bisherige Resultate zeigen, dass die acht Sprachen Platzierungs-Ereignisse grammatisch hauptsächlich auf zwei Arten kodieren. Weitere Untersuchungen zeigen jedoch feinere sprachübergreifende Variationen innerhalb der zwei Sprachgruppen. Kinder erkennen diese feinen Charakteristika ihrer Sprache schon früh, allerdings nur dann, wenn diese Merkmale prägnant wahrnehmbar sind. Die vorliegende Studie zeigt, dass eine einheitliche Auffassung von "Ereignis" nicht ausreicht, um die komplexen aber systematischen Muster der Ereignis-Kodierung in verschiedenen Sprachen zu erklären. Darüber hinaus ist sie auch nicht subtil genug, um zu erklären, dass frühe Sprachäußerungen von Kindern durch mehrere Faktoren, inklusive der Verteilung bestimmter Elemente im Satz, beeinflusst werden.
Summary
The concept of 'event' has been posited as an ontological primitive in natural language semantics, yet relatively little research has explored patterns of event encoding. The study of Bhuvana Narasimhan and her team at the MPI for Psycholinguistic explored how adults and children describe placement events (e.g., putting a book on a table) in a range of different languages (Finnish, English, German, Russian, Hindi, Tzeltal Maya, Spanish, and Turkish). Results show that the eight languages grammatically encode placement events in two main ways, but further investigation reveals fine-grained crosslinguistic variation within each of the two groups. Children are sensitive to these finer-grained characteristics of the input language at an early age, but only when such features are perceptually salient. Our study demonstrates that a unitary notion of 'event' does not suffice to characterize complex but systematic patterns of event encoding crosslinguistically, and that children are sensitive to multiple influences, including the distributional properties of the target language in constructing these patterns in their own speech.

Wenn wir über Ereignisse um uns herum sprechen, dann teilen wir nicht alle Informationen über dieses Ereignis mit, sondern wählen nur einige Aspekte aus, die wir mithilfe verschiedener sprachlicher Elemente ausdrücken. Betrachten wir beispielsweise ein Ereignis, in dem die Verschiebung eines Objekts in eine neue Position bewirkt wird: Ein Stück Papier wird in einen Briefumschlag gesteckt. Im Deutschen gibt es nur eine Möglichkeit, dieses Ereignis zu beschreiben: das Papier in den Briefumschlag stecken/schieben. Während das Verb stecken beziehungsweise schieben lediglich die Bewegung des Objekts ausdrückt, wird durch die Präposition in deutlich, dass das Objekt in ein Behältnis verschoben wird. Die Tatsache, dass das Objekt letztlich in einem Behältnis enthalten ist, wird einzig und allein durch das Wörtchen in ausgedrückt.

Anders verhält es sich, wenn man das Ereignis das Papier in den Briefumschlag stecken/schieben im Spanischen beschreiben will. Hier wird die Information über die Platzierung schon in dem Verb meter (,hinein schieben') ausgedrückt, das heißt sowohl die Information über die Bewegung als auch die Information über die Platzierung (in) werden in einem Wort kombiniert.
In wiederum anderen Sprachen - wie beispielsweise dem Englischen - kann das Ereignis auf zwei verschiedene Weisen sprachlich wiedergegeben werden. Die erste Variante put the paper in (the envelope) entspricht der deutschen Version, in der das Wörtchen in die Verschiebung in ein Behältnis und das Verb die Bewegung ausdrückt. Die andere Alternative im Englischen ähnelt dem Spanischen: insert the paper in (the envelope). Während die deutschen Verben stecken oder schieben und das englische Verb put hinsichtlich der Platzierung eines Objektes neutral sind, informieren das englische Verb insert und das spanische Verb meter schon darüber, dass ein Gegenstand in einem anderen enthalten sein wird. So wäre der englische Satz insert a paper on the table im Gegensatz zu put a paper on the table ungrammatisch.

Die Ergebnisse früherer Untersuchungen legen nahe, dass Sprachen in zwei Gruppen eingeteilt werden können, je nachdem wie sie Information über Platzierung kodieren. Sprachen wie das Spanische ("verb-framed" oder Verb-basierte Sprachen) verwenden typischerweise Verben (zum Beispiel meter), um die Bewegung eines Objektes in ein Behältnis auszudrücken. Andere Sprachen wie das Deutsche ("satellite-framed" oder Satelliten-basierte Sprachen) kodieren solche Ereignisse typischerweise mithilfe von Elementen außerhalb des Verbs - wie beispielsweise den Partikeln in oder auf. Obwohl eine Sprache auch über beide Varianten verfügen kann (z. B. Englisch), ist bei Sprechern dieser Sprachen typischerweise eine Präferenz für eine der Alternativen zu beobachten.

In einer groß angelegten Studie untersuchten die Wissenschaftler in Nijmegen acht Sprachen, um die folgenden zwei Hauptfragen zu beantworten: Erstens, lassen sich Sprachen eindeutig einer dieser zwei Gruppen - Verb-basiert versus Satelliten-basiert - zuordnen? Oder gibt es feinere Ähnlichkeiten beziehungsweise Unterschiede darin, wie Sprachen die Platzierung von Objekten kodieren, die eine komplexere Klassifizierung erfordern würden? Der zweite Teil der Untersuchung konzentrierte sich darauf, wie Kinder in einer frühen Phase des Spracherwerbs solche Ereignisse beschreiben: Stellen sie sich korrekt auf die sprachlichen Möglichkeiten ein, die ihre Sprache bietet, um bestimmte Aktionen oder Wege sich bewegender Objekte zu beschreiben? Wenn ja, lässt sich eine frühe Aufmerksamkeit für feine typologische Unterschiede beobachten?

Es wurden Sprachdaten von Erwachsenen und Kindern in vier Verb-basierten (Spanisch, Hindi, Tzeltal, Türkisch) und vier Satelliten-basierten Sprachen (Englisch, Deutsch, Finnisch, Russisch) untersucht. Die Kinder-Sprachdaten stammten sowohl von Tagebuchstudien, die Eltern über die sprachliche Entwicklung ihrer Kinder geführt hatten, als auch von Transkripten von Langzeit-Studien, in denen spontane Kindersprache in natürlichen Familieninteraktionen aufgezeichnet wurde. Die Äußerungen, die die Platzierung von Objekten beschrieben, wurden in der frühen Zweiwortphase untersucht. Die Auswertung der Erwachsenensprache der ersten Studie wies auf erhebliche Unterschiede zwischen Sprachen innerhalb einer Gruppe hin. Obwohl Sprachen der Satelliten-basierten Gruppe (Englisch, Deutsch, Finnisch, Russisch) Bewegungstypen vorzugsweise außerhalb des Verbs kodieren, tun sie dies auf unterschiedliche Weise. So wird beispielsweise im Finnischen die räumliche Beziehung des "Enthaltenseins" (zum Beispiel bei einem Ereignis, bei dem ein Stift in eine Dose gelegt wird) mit dem Fall Illativ markiert statt mit einer Präposition oder einem Partikel (,put pencil box-ILLATIVE'). Im Deutschen (und Russischen) werden verschiedene Aspekte der Bewegung in verschiedenen Teilen der Sprache ausgedrückt: Das "Enthaltensein" wird mithilfe einer Präposition kodiert (z. B. in) während die Tatsache, dass eine Bewegung auf ein gewisses Ziel gerichtet ist, mit dem Akkusativ markiert wird (,put pencil in box-AKKUSATIV’).

In ähnlicher Weise finden sich feine Unterschiede zwischen Sprachen der Verb-basierten Gruppe. Obwohl beispielsweise das Hindi eine ganze Reihe von Verben hat, die den Weg kodieren (ghusaa ‘insert’, uThaa ‘raise up’, nikaal ‘take out’), wird die räumliche Relation (zum Beispiel "Enhaltensein") häufig außerhalb des Verbs kodiert (pensil Dibbe-mE rakh ‘pencil box-INESSIVE put’), genau wie im Finnischen, einer Satelliten-basierten Sprache. Im Türkischen dagegen wird die räumliche Relation des "Enthaltenseins" gar nicht kodiert! Stattdessen wird hier, genau wie im Deutschen, die Bewegung auf ein Ziel hin mit Kasusmarkierung gekennzeichnet (,pencil box-DATIVE put’). Die Tatsache, dass der Stift letztlich in der Dose landet, leitet sich der Sprecher aus dem allgemeinen Wissen her, in welcher Beziehung Stifte und Dosen zueinander stehen können. In einer Sprache wie dem Tzeltal wird der Weg am Verb kodiert, obwohl typischerweise noch weitere Informationen kodiert werden, wie beispielsweise bestimmte Merkmale über das Objekt, das bewegt wird (ob es beispielsweise lang oder kurz, dick oder dünn ist).

Weitere Ergebnisse haben gezeigt, dass Kinder sich schon in einem sehr frühen Stadium des Spracherwerbs auf die Feinheiten der Kodierungsmuster ihrer Muttersprache einstimmen. Die Typologie der Muttersprache spielt eine wichtige Rolle bei der Häufigkeit, mit der Kinder bestimmte Verben bevorzugen, um Platzierungs-Szenarien zu beschreiben. Kinder, die Hindi, Tzeltal, Spanisch oder Türkisch erwerben, verwenden Verben typischerweise adäquat, wobei sie sich auf die Aktion des Platzierens konzentrieren (ebenso wie auf die Kodierung des Wegs). Typisch sind Äußerungen wie "put, do this down, insert it, set (bowl-shaped object)". Kinder, die Finnisch, Englisch, Deutsch oder Russisch erwerben, tendieren dazu, Elemente außerhalb des Verbs zu verwenden, wobei sie den Weg-Elementen des Platzierungs-Szenarios vergleichsweise mehr Beachtung schenken. Hier findet man typischerweise Äußerungen wie "pour in, inwards, put on table-ACCUSATIVE, put there-ILLATIVE".

Dennoch hat sich herausgestellt, dass die kindlichen Äußerungen kein binäres Muster ergeben. Kinder stimmen sich ebenfalls auf die feineren Unterschiede zwischen den Sprachen ein. Die Daten von Satelliten-basierten Sprachen zeigen, dass Kinder, die Englisch oder Deutsch lernen, den Weg häufiger außerhalb des Verbs kodieren als Kinder, die Russisch oder Finnisch lernen. Dies legt die Vermutung nahe, dass Kinder, die eine Satelliten-basierte Sprache erwerben, eher den Weg markieren, wenn ihre Muttersprache die räumliche Relation transparent markiert. So ist beispielsweise das englische Wort "in", das die räumliche Relation des Beinhaltens ausdrückt, eine eigenständige Silbe, die vom Verb getrennt auftreten kann und häufig betont wird. Im Gegensatz dazu wird diese Relation im Russischen mit dem Präfix v- (wie in vložit ,inlay’) oder der Präposition v (wie in v korobku ,in box’) relativ untransparent markiert. In beiden Fällen ist der Relations-Marker v silbisch, unbetont und am nachfolgenden Verb fixiert. Je auffälliger räumliche Relationen grammatisch markiert werden, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder Elemente außerhalb des Verbs nutzen (wie zum Beispiel Präpositionen), um diese Relationen auszudrücken.

Auf der Basis der beiden Dimensionen Sprachtypologie und Stärke der Wahrnehmbarkeit von Relationsmarkern lässt sich annehmen, dass die von Kindern bevorzugten Muster skalar verteilt sind. An einem Ende der Skala sind vorwiegend Verben von Verb-basierten Sprachen (Hindi, Tzeltal, Spanisch, Türkisch) zu finden und nur wenige Verben aus dem Englischen und Deutschen. Dieser Unterschied korreliert mit der Typologie dieser Sprachen. Russische und finnische Verben rangieren im mittleren Teil der Skala, obwohl sie typologisch zu den Satelliten-basierten Sprachen zählen. Dies ist sehr wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass in diesen Sprachen räumliche Relationen nicht transparent markiert werden, sodass den Verben mehr Aufmerksamkeit zukommt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ein Ereignis, wie beispielsweise ein Stück Papier in einen Umschlag zu stecken, in verschiedenen Sprachen sehr unterschiedlich ausgedrückt werden kann. Diese Unterschiede lassen sich nicht einfach binär klassifizieren. Das Muster ist komplexer als die Formel: "Enkodierung des Wegs innerhalb des Verbs oder mit Elementen außerhalb des Verbs". Kinder stimmen sich früh auf die typologischen Eigenarten ihrer Muttersprache ein. Schon früh erkennen sie durch Faktoren wie die Prägnanz der Wahrnehmbarkeit die feinen Variationen in ihrer Muttersprache. Die aktuellen Ergebnisse zeigen, dass die sprachübergreifenden und entwicklungsgemäßen Muster komplexer und subtiler sind als zunächst angenommen und am besten mithilfe mehrerer miteinander interagierender Faktoren erklärt werden können. Unter anderem sind dies semantische Faktoren (welche Aspekte eines Ereignisses werden kodiert), Informationsverpackung (wo im Satz werden diese Aspekte kodiert), und Faktoren, die bestimmen, wie etwas kodiert wird (mehr oder weniger prägnant wahrnehmbar).

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