Mögliche Therapie für unheilbare Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung
Forscher entdecken neuen Behandlungsansatz für diese erbliche neurologische Erkrankung
Die Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung 1A ist die am häufigsten auftretende erblich bedingte Krankheit im peripheren Nervensystem. Wissenschaftler der Abteilung Neurogenetik vom Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin sowie der Universitätsmedizin Göttingen haben herausgefunden, dass bei erkrankten Ratten die Reifung von Schwann-Zellen beeinträchtigt ist. Diese Zellen umhüllen die Nervenfasern mit einer isolierenden Schicht, dem Myelin, das eine schnelle Weiterleitung elektrischer Impulse ermöglicht. Können die Schwann-Zellen nicht richtig ausreifen, werden zu wenige Nervenfasern während der Entwicklung mit Myelin ummantelt. Großes therapeutisches Potenzial besitzt den Forschern zufolge der Wachstumsfaktor Neuregulin-1. Mit diesem Faktor behandelte Ratten besitzen mehr myelinisierte Nervenfasern; die Symptome der Erkrankung gehen in der Folge merklich zurück.
Patienten mit der Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung 1A besitzen eine zusätzlich Kopie des PMP22-Gens. Dies führt zu einer Überproduktion des Peripheren Myelin Proteins 22, einem Hauptbestandteil des Myelins. Folge ist eine langsam fortschreitende Nervenschädigung, die schon im Kindesalter beginnen kann. Die Patienten leiden unter Taubheit, Kribbeln und Schmerzen in Armen und Beinen sowie einer Schwäche von Bein- und Armmuskulatur. Manche Patienten können sich nicht mehr ohne Rollstuhl fortbewegen. Die Erkrankung ist bislang nicht heilbar, da die grundlegenden Erkrankungsmechanismen kaum bekannt sind.
Die Göttinger Forscher haben nun genetisch veränderte Ratten untersucht, die ähnlich wie Charcot-Marie-Tooth-Patienten zu viel PMP22-Protein produzieren. In den Tieren können die Schwann-Zellen nicht richtig ausreifen, so dass nicht genügend Nervenzellfortsätze während der Entwicklung mit Myelin ummantelt werden. „Dafür ist ein Ungleichgewicht zweier für die Reifung wichtiger Signalwege in den Schwann-Zellen verantwortlich, des sogenannten PI3K/AKT- und des MEK/ERK-Signalwegs“, erklärt Robert Fledrich vom Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin.
In der aktuellen Studie testeten die Wissenschaftler außerdem das therapeutische Potential des Wachstumsfaktors Neuregulin-1. Sie konnten zeigen, dass die Gabe von Neuregulin-1 das Gleichgewicht zwischen den beiden Signalwegen wiederherstellt. Der Wachstumsfaktor wird normalerweise von Nervenzellen hergestellt und dient Schwann-Zellen während der Entwicklung als wichtiges Reifungssignal. Außerdem wird er bei akuten Nervenschädigungen auch von den Schwann-Zellen gebildet und leistet einen wichtigen Beitrag zur Reparatur verletzter Nerven. „Bei den genetisch veränderten Ratten verbessert bereits eine kurze Neuregulin-1-Therapie innerhalb der ersten zwei Lebenswochen die Krankheitssymptome der Tiere bis ins Erwachsenenalter hinein“, sagt Mitautorin Ruth Stassart.
Die Wissenschaftler und Neurologen aus der Arbeitsgruppe von Michael Sereda wollen nun weiterführende Studien durchführen, um die Entwicklung einer Therapie für die Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung 1A voranzutreiben. Bis zu einer Übertragung der Erkenntnisse auf Patienten ist es jedoch noch ein langer Weg: „Eine Therapie mit Neuregulin selbst ist für Patienten nicht sicher. Wir werden daher verschiedene Substanzen testen, die den Neuregulin-1 Signalweg imitieren können“, erklären die Göttinger Wissenschaftler. Dazu soll auch das erst kürzlich gegründete deutschlandweite Netzwerk für die Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung (CMT-NET) dienen. Hier können sich Patienten, Wissenschaftler und Ärzte über die Fortschritte bei der bei der Erforschung dieser in Deutschland wenig bekannten Erkrankung informieren.
MMG/HR